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jene Dichter immer wegwerfend verfahren, und bestreben sich dieselben einer genaueren Würdigung zu unterwerfen, und si namentlich in steten Bezug auf ihre Zeit, als auch auf den französischen Nationalcharakter überhaupt zu stellen. Das Verhältniss dieser relativen Beurtheilung zur absoluten und rein objectiver Kritik des französischen Dramas zu bestimmen, ist indesser hier nicht unsere Aufgabe. Wie einstimmig aber die deutsch Beurtheilung gewesen, und wie sehr auch die Franzosen selbs in Bezug auf die genannten Dichter auseinandergegangen sind so einstimmig ist hingegen die Anerkennung, welche zwei andere Dichter jener Zeit gefunden haben, nämlich Molière und Lafontaine. Wie unparteiisch, wie objectiv wir Deutsche uns auch verhalten mögen, so werden wir doch diese Thatsache nicht leugnen können, dass Molière und Lafontaine uns stets mehr angezogen, dass wir diesen allein sogar das Lob wirklich grosser Dichter beigelegt haben.

Diese Vorliebe beruht auf derselben Ursache, wegen welcher wir den köstlichen Rabelais, und von den Neuern Beaumarchais, Alfred von Musset und Béranger besser verstehen, mit höherem Genusse lesen, und den andern gefeierten Namen eines Ronsard, Voltaire und Lamartine unbedingt vorziehen.*) Es ist schon oft und genug ausgesprochen worden, dass wir Deutsche nicht das ernste Drama der Franzosen als das preiswürdigste Erzeugniss ihrer classischen Literatur ansehen können, sondern dass diejenigen Werke unsern Beifall sich erwerben, welche nicht auf der pedantischen Nachahmung der Antike, nicht auf missverstandenen Sätzen des Aristoteles beruhen, und weder nach philosophischer Gedankentiefe, noch nach pindarischem Pathos haschen, sondern leicht, frei und ungebunden aus dem lebendigen Grunde des Lebens hervorgegangen und in ihrer gefälligen Form und ungekünstelten Anmuth des Stils der wahre Ausdruck des Volksgeistes sind. Und das Lob, das wir Molière und Lafontaine spenden, ist sehr bezeichnend, wenn wir bedenken, dass die Deutschen keinen Lustspiel- und keinen Fabeldichter aufzuweisen haben, den sie jenen ebenbürtig an die Seite stellen könnten. Beide dem ächt nationalen Geiste entsprossen, ziehen

*) Alex. Büchner, französ. Literaturbilder. Kapitel I passim.

uns darum so an, weil sie in ihrer Volksthümlichkeit ächt poetisch und wahr sind. Dieser gallische Geist (esprit gaulois, wie Ste. Beave ihn treffend bezeichnet) bedingt den poetischen Werth dieser Männer, durch den sie sowohl bei den Franzosen unsterblich geworden, als auch bei den fremden Völkern die vollste Anerkennung gefunden haben.

Durch die ganze französische Literatur bis in die neueste Zeit hinab wird der Bonhomme Lafontaine mit der aufrichtigsten Bewunderung und Zuneigung erwähnt und hervorgehoben. Baleau, der gestrenge Gesetzgeber des französischen Parnasses, abschon er in seiner Poetik den Lafontaine mit keiner Sylbe erwähnt, stellte ihn über den Ariost und sagte mit dem richtigen. Blicke, der ihm in mancher Beurtheilung nicht kann abgesprochen werden: „Die schöne Natur und ihre Reize lassen sich erst fühlen, seitdem Lafontaine und Molière erschienen;" wie er denn dem Könige, der ihn fragte, wer der grösste Dichter eines Zeitalters sei, den Molière nannte. Voltaire spricht sich einer Stelle folgendermassen aus: „Den Schuster und Bankier, dhe pestkranken Thiere, Müller und Sohn, so vertrefflich sie in ihrer Art sind, werde ich nie in die gleiche Linie stellen mit der Scene in den Horatiern, den unnachahmlichen Stücken Racine's, der vortrefflichen Poetik Boileau's oder dem Menschenfeind und dem Tartuffe Molière's." In einer andern Stelle geht indess weiter, wenn er von Lafontaine sagt: „Ich kenne kein Buch, das für das Volk wie für die gebildetsten Leute so viel Reize hat..... er gefällt Allen und bietet für jedes Alter Genüsse.“ Noch unverhohlener klingt das Lob, das er in einem Briefe Vauvenargues ausspricht und, da er nicht der Oeffentlichkeit bestimmt war, gewiss seine innerste Ueberzeugung enthält: „Als Dichter ist sein Instinkt göttlich, und wenn man sich in Bezug auf Lafontaine dieses Wortes bedient hat, so bedeutet es Genie." Dieses Lob Voltaire's ist ziemlich bedeutsam, da man Von dem stets witzig sein wollenden und noch in vollem Classicismus befangenen Verfasser der platten Henriade und des rhetorischen Mahomet kaum ein Verständniss für den Naturdichter Lafontaine erwartet hätte. Marmontel, über den Boileau mit Strenge geurtheilt und gewiss nicht ohne Recht gesagt, dass man ihn nie gefühlvoll sieht, und niemals ein Wort aus seinem

Archiv f. n. Sprachen. XXXV.

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Herzen entströmt ist, stellt Lafontaine als Muster des Apologs auf. Fénelon schrieb für seinen Zögling, den Duc de Bourgogne, eine lateinische Lobrede auf Lafontaine, welche mit folgenden schönen Worten schliesst: "Leset ihn und sagt, ob Anakreon mit mehr Anmuth gescherzt, Horaz die Philosophie mit mannigfaltigerem und anziehenderem Schmucke begleitet, ob Terenz die Sitten der Menschen mit mehr Wahrheit und Natur geschildert hat, ob endlich Virgil rührender und harmonischer gewesen ist." Chamfort, der eine begeisterte Lobrede auf Molière geschrieben, verfasste auch einen sehr geschätzten Commentar zu Lafontaine's Fabeln. In Laharpe, dem bekannten französischen Kritiker, findet sich folgende Stelle: „Voltaire hat nicht in das Lob Lafontaine's eingestimmt. Es scheint mir, dass er 'dessen Fehler übertreibt und die Schönheiten herabsetzt; dies hindert aber nicht, dass Lafontaine reizend, originell und unerreichbar dasteht, weil ihm die Natur so zu sein gegeben." Und in seinen Vorlesungen über Literatur, die er Lycée genannt, fügt er noch bei: Lafontaine hat seinen Charakter so sehr seinen Schriften. eingeprägt, und dieser Charakter ist so liebenswürdig, dass er sich alle Leser zu Freunden gemacht. Man bewundert seine Bonhomie. Dieser Name eines Bonhomme, den man ihm gegeben, wie man Heinrich IV. den guten König genannt, drückt die öffentliche Meinung aus, wie die Sprichwörter die Erfahrung der Jahrhunderte bezeugen." Leidenschaftliches Lob wird Lafontaine von der nicht unberufenen Frau von Sévigné zu Theil: „Es giebt gewisse Dinge, sagt sie, die man nie versteht, wenn man sie nicht gleich versteht. Gewissen verstopften und rohen Köpfen wird man die Schönheiten eines Benserade und Lafontaine nie verständlich machen können. Diese Thüre ist ihnen verschlossen, und die meine auch. Sie sind unwürdig, diese Arten von Schönheit zu begreifen. . . Wer die Anmuth der Fabeln Lafontaine's nicht kennt, für den bleibt nichts mehr übrig, als dass man für ihn zu Gott bete und wünsche, so wenig Umgang als möglich mit ihm zu haben." Ein Zeitgenosse Voltaire's lässt sich sogar zu dem Ausspruche hinreissen: „Unser eigentlicher Homer, der Homer der Franzosen, wer würde es glauben, ist Lafontaine." Wie die Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts alle einstimmig in ihrer Bewunderung

sind, so wird diese auch von den hervorragendsten Kritikern des neunzehnten getheilt. Joubert findet „in Lafontaine eine solche Fülle von Poesie, wie in keinem andern französischen Schriftsteller." Sainte-Beuve beginnt seine Betrachtung Lafontaine's mit den Worten: „Ueber Lafontaine sprechen, erzeugt nie Langeweile, auch wenn man sicher wäre, nichts Neues über ihn beizubringen. Weiter sagt er: „Namentlich geniesst man ihn mit erhöhter Lust, wenn man ihn in vorgerückterem Alter, à la quarantaine, wieder aufschlägt; er ist wie alter Wein, mit dem Voltaire den Horaz verglichen. . . Je mehr die Jahre Vorwärts schreiten, desto glänzender wird sein Ruhm und grösser sein Name." Ebenso spricht sich in Vinet, der die französische Literatur mit eingehender, gewissenhafter Kritik und fast deutscher Wissenschaftlichkeit behandelt hat, wenn er uch in Frankreich selbst wegen seines philosophischen und gedankenschweren Stiles erst nach und nach zur verdienten Anerkennung gelangt ist, eine unwillkürlich sich hervordrängende Liebe zu Lafontaine aus. Nicht minder lassen die deutschen Werke über französische Literatur demselben das vollste Recht widerfahren. Namentlich hebt Arnd in seiner mit grosser historischer Sachkenntniss und philosophischem Blicke geschriebenen französischen Literaturgeschichte Lafontaine's Feinheit des Urtheils, Wahrheit und Lebendigkeit der Darstellung" hervor, wie Niemand vor oder nach ihm auf diesem Gebiete bewiesen." Allein stehen Lamartine und Lessing da mit ihrer Verurtheilung: sie werden uns weiter unten beschäftigen.

I.

Wie Molière, dem Lafontaine schon durch seine bloss ein halbes Jahr frühere Geburt nahe gestellt, mit dem er im Leben durch die treueste Freundschaft, und im Tode durch dasselbe Girab vereint ist, in den vornehmen Reihen der gespreizten Marquis, Herzoge und Prinzen in seiner bürgerlichen Figur seiner Würde bewusst ist und seine Selbständigkeit behauptet, so steht auch Lafontaine neben den hoffähigen Dichtern und den gewichtig einherschreitenden Akademikern in seiner bürgerlichen Naturwahrheit und dichterischen Begabung einzig da. Wenn Molière in Folge seiner bezorzugten Stellung beim Könige

dem herrschenden Geschmacke zu dienen sich nicht immer entziehen konnte, so weiss Lafontaine die liebenswürdige und naturwüchsige Richtung seines poetischen Genies in höherem Grade zu bewahren. An dem französischen Parnasse, wo die Dichter. Redner und Philosophen sich in ihren geregelten Abstufungen um den gnadenspendenden König herumdrängen, wandelt unser Dichter, in seine Träumereien versunken und das festliche Treiben um sich herum nicht beobachtend, einsam in seinen Lieblingspfaden umher, die sich durch Wiesen und Gehölz hindurchschlängeln.

Es war der innersten Natur Lafontaine's angemessen, dass er in seinem eigenthümlichen Bildungsgange sich vorzugsweise mit den älteren französischen Schriftstellern beschäftigte, mit den Trouveres des nördlichen Frankreichs, ihren heitern Ysopets und wenn auch lasciven, doch witzigen Contes und Fabliaux, mit dem lustigen Marot, dem in seiner Unbändigkeit genialen Rabelais, den Novellen der Königin von Navarra, welche alle, theils vor der Renaissance, theils noch unter Franz I. im Gegensatze zur überhandnehmenden Nachahmung der Antike, den alten Volkston anschlagen und der gallischen Muse huldigen. So sehr auch seit Franz I die alte Volkspoesie von der gelehrten in den Hintergrund gedrängt, und vollends seit Richelieu und Ludwig XIV die fremden Einflüsse und der hochclassische Stil herrschend wurden, konnte jene doch nie völlig zu Grunde gehen; haben doch die beiden ersten Repräsentanten der classischen Epoche, Racine seine Plaideurs, und Boileau den Lutrin, wenn auch ohne Wissen, in ihrem Geiste gedichtet. Bei Lafontaine ist indess der Volkston nicht Einzelerscheinung, sondern er zieht sich von der ersten bis zur letzten seiner Fabeln hindurch. Wie nun in der Volkspoesie der meisten Nationen das lyrische Element sich mit dem epischen gerne verbindet und überhaupt beide Elemente nebeneinander einhergehen, so hatte sich der alte Apolog, womit der Orient die Wiege der Menschheit besungen, in Frankreich eingebürgert, nachdem er durch die griechischen und römischen Dichter den westlichen Völkern war übergeben worden. Auch in der deutschen Literatur geht die volksmässige Thiersage neben der gelehrten Dichtung der Höfe einher, und lässt sich bis zu Fischart und weiter

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