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Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört,
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört,
Nur Eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht,
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.

Und rings statt duft'ger Gärten ein ödes Haideland,
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch ;
Versunken und vergessen, das ist des Sängers Fluch.

Ja, verachtet nur erst Kunst und Wissenschaft, des Menschen allerbeste Kraft, spricht Mephistopheles, dann seid ihr mir verfallen. Es ist wohl nicht weiter nöthig durch historische Bilder des Sängers Fluch zu illustriren; ich glaube, was der Dichter damit hat sagen wollen, liegt klar zu Tage.

Aber nicht schliesst der Dichter mit so trostlosem Bilde; er zeigt uns im vierten Liede, „die versunkene Krone" betitelt, was an die Stelle jener düstern Pracht getreten ist. Auf dem Hügel droben, da steht nicht eine Ritterburg, ein stolzes Schloss, sondern ein kleines Haus, von dessen Schwelle man weit in's Land hinaussieht.

Dort sitzt ein freier Bauer
Am Abend auf der Bank,

Er dengelt seine Sense

Und singt dem Himmel Dank.

Und drunten, am Fusse des Hügels, da liegt in der Dämmerung ein Teich, in dem eine Krone versunken ist.

Sie lässt zur Nacht wohl spielen
Karfunkel und Saphir;

Sie liegt seit grauen Jahren,

Und Niemand sucht nach ihr.

Solches Alles ist in der Schweiz geschehen und darum feiert Uhland in dem fünften Gedichte,,Tells Tod" den Helden, der das vollbracht. Erinnerte nicht schon der freie Bauer, den er geschildert, an Werner Stauffacher, der da vor seinem neugebauten Hause sitzt, welches von schönen Stammholz gezimmert und mit sinnreichen Sprüchen geziert ist. Und der finstre König, ist es nicht Schillers Don Philipp? Dass Uhland hier

Schiller'sche Dichtungen vor Augen gehabt hat, zeigt eine Stelle dieses Liedes, in der er den Tell also anredet:

Weithin wird lobgesungen
Wie du dein Land befreit,
Von grosser Dichter Zungen
Vernimmt's noch späte Zeit.

Deshalb will er dem grossen Dichter nicht nachsingen die grosse That, sie möchte für sein einfaches Lied zu gewaltig sein. Er will nur nach dem grossen das schlichte Heldenthum noch preisen, denn:

Der ist ein Held der Freien,

Der, wenn der Sieg ihn kränzt,
Noch glüht, sich dem zu weihen,
Was frommet und nicht glänzt.

Uhland benutzt zu diesem Zwecke die schöne Sage von der Art, wie Tell sein Leben verlor.

Der wilde Schächen brauste aus der Schlucht hervor, brach die Brücke und spülte den Knaben weg, der auf dem Stege ging. Des Weges kam der Tell, sprang hinein in die tobende Fluth und rettete das Kind. Aber ihn, den Helden, trug der wirbelnde Gischt davon und

... als nun ausgestossen Die Fluth den todten Leib, Da stehn um ihn ergossen

In Jammer, Mann und Weib.

Der Tell ist todt, der Tell!

Solche Helden, meint der Dichter, sind die rechten Helden der Neuzeit! Ich glaube nicht, dass ich den schlichten Mann falsch verstanden habe, den ernsten, schweigsamen Schwaben, der Nichts wissen will von mittelalterlichem Prunke in der Neuzeit. Er weiss ja sehr wohl, dass auch jene Vergangenheit herrlich gewesen ist, er hat ja eifrig die Zeit der Hohenstaufen studirt, aber er weiss auch, dass nach jenen Kaiserrittern aus der Schweiz der Graf von Habsburg kam; jener Graf, der sein schlichtes graues Wamms sich selbst flickte, der seinen Hunger mit einer rohen Rübe stillte, welche er aus dem Acker zog.

Uhland weiss wohl, dass mit ihm eine neue Zeit begann, in der jene glänzenden Tugenden der Ritterzeit von untergeordnetem Werthe sind. Trauer aber ergreift den Dichter, wenn er im Vaterlande umherblickend sieht, wie man die Nothwendigkeit der neuen Zeit noch nicht erkennen will. Eine Sage seines Vaterlandes benutzend (Schwab, Schwaben S. 128.) singt er in dem sechsten Gedichte von einer Glockenhöhle. Sie ist mit Bergkrystall gewölbt und von einem Gotte mit seltnem Hall begabt. Alles Hohe und Reine klingt lieblich und reizend in ihr wieder, so wenn zwei Liebende unschuldigen Herzens ihr erstes Ja tauschen. Wenn trunkne Lieder in ihr erschallen, dann rauscht es in ihr wie in Empörung, dann klingt es wie Feuerlärm und Sturmgeläut. Die Glockenhöhle ist unser Vaterland; für alles Hohe und Edle hat unser Volk Sinn, von allem Gemeinen wendet es sich mit Abscheu ab; nur eins fehlt ihm: der rechte Sinn für's Vaterland:

Zween Männer, ernst und sinnig,
Vereint durch heil'ge Bande,
Sie reden dort so innig
Vom deutschen Vaterlande;

Da tönt die tiefste Kluft entlang

Ein dumpfer Grabesglockenklang.

Ein Mann wie Uhland, der so tief von dem Gedanken durchdrungen ist, dass die Zeit des Mittelalters vorüber sei, dass eine neue Zeit begonnen hat, der kann unmöglich die Kirche des Mittelalters als die rechte anerkennen, er wird und muss von Grund seines Herzens aus Protestant sein. Und das ist er auch. Wenn er im siebenten Gedichte, „,in der verlorenen Kirche" seine Sehnsucht nach dieser ausspricht, so meint er nicht, wie Einige geglaubt haben, damit die vergangene Herrlichkeit der katholischen Kirche, nein, er meint vielmehr, dass durch die Missbräuche in dieser Kirche die wahre, unsichtbare Kirche verloren ist und deutet diese seine Ansicht in dem neunten Gedichte das versunkene Kloster" betitelt, sehr verständlich an. Die unsichtbare Kirche also sucht er, deren Haupt und Führer Christus ist.

In beiden Gedichten, im siebenten und achten, benutzt der Dichter alte Sagen, so namentlich im ersten derselben eine

Erzählung, welche von Gustav Schwab in seinem Werke über Schwaben (S. 189) mitgetheilt wird.

Im fernen Walde hört man oft von obenher ein dumpfes Läuten, welches von der verlornen Kirche ertönen soll. Es bezeichnet hiermit der Dichter jene unendliche Sehnsucht nach dem Ueberirdischen, die sich bei tiefen Gemüthern stets offenbart. Wenn in Weihestunden der Mensch sich hinwegsehnt aus der Verderbniss der Zeit, wenn der Sinn ganz vom Irdischen abgekehrt ist, dann kommt er, wie der Dichter singt, hoch hinauf. Dann träumt er so hinweg, weit über hundert Jahr, und sieht über Nebeln eine freie Stätte sich öffnen. Darauf steht ein herrlicher Münster:

Mir dünkten helle Wolken ihn
Gleich Fittigen, emporzuheben,
Und seines Thurmes Spitze schien
Im sel'gen Himmel zu verschweben.

Anbetend kniet er vor dem Altar nieder.

Und als er,

von Lieb und Andacht ganz durchstrahlet," vom brünstigen Gebete den gesenkten Blick wieder nach oben wendet:

Da war gesprengt der Kuppel Bogen,
Geöffnet war des Himmels Thor
Und jede Hülle weggezogen.

Was ich für Herrlichkeit geschaut
Mit still anbetendem Erstaunen,
Was ich gehört für sel'gen Laut,
Als Orgel mehr und als Posaunen:
Das steht nicht in der Worte Macht,
Doch wer darnach sich treulich sehnt,
Der nehme des Geläutes Acht,

Das in dem Walde dumpf ertönet.

Damit man den Dichter aber ja nicht unter die Romantiker zähle, welche diese Kirche der Zukunft, dieses Himmelreich Gottes auf Erden etwa in der Form der katholischen Kirche suchen, folgt gleich das heitere achte Gedicht, betitelt: „das versunkene Kloster." Nicht mit Bitterkeit bekämpft er die Missbräuche des Klosterlebens, nicht schilt er auf die Mönche und Nonnen, den faul Haufen, wie ihn Hans Sachs in der

Wittenbergischen Nachtigall nennt, nein! mit Humor, mit Scherz spottet er als Protestant in seiner Siegesgewissheit über diese Verirrungen.

Ein Kloster ist versunken
Tief in den wilden See,

Die Nonnen sind ertrunken
Zusammt dem Pater, weh!

Wie die versunkene Krone von Keinen mehr ersehnt wird, so auch nicht das versunkene Kloster. Nur die lustigen Nixen kommen herbei und bilden einen schäkernden Convent.

Das Glöcklein ruft zur Hore,
Wann's ihnen just gefiel.

Im Vollmondglanze ziehen sie ihre Tanzringe, so dass die weissen Schleier flattern und die schwarzen Stolen wehen.

Der Kobold dort im Schutte

Der hohlen Felsenwand,
Er nimmt des Paters Kutte,
Die er am Ufer fand;

Die Tänzerinnen schreckend
Kommt er zur Mummerei,
Sie aber tauchen neckend
Hinab in die Abtei.

Somit hat der Dichter gezeigt, wie er sich zu Staat und Kirche des Mittelalters stellt. Um uns aber klar zu machen, was er von der Poesie jener Zeit hält und wie er ihr Verhältniss zu der unserer Tage auffasst, fügt er als neuntes und letztes Gedicht die schöne Allegorie „das Märchen" hinzu. Da wir aber über diese Dichtung früher in dem Programm des Berliner Friedrich-Wilhelms - Gymnasiums vom Jahre 1849 ausführlich gehandelt haben, so übergehen wir hier die Explication dieses Gedichtes.

Wir haben gehört, dass eine Bearbeitung Uhlandischer Dichtungen von kundiger Hand unternommen ist; wir geben in aller Bescheidenheit diese Betrachtungen mit der Hoffnung, dass wir damit dem trefflichen Gelehrten vielleicht eine kleine Hilfe bei seinem schwierigen Werke leisten können.

Berlin.

R. Foss.

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