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Mittelalter reiner, unverfälschter sich finde, als in der Neuzeit. Ueberwog das erstere Gefühl, so kokettirten sie wie Fouqué oft nur mit jener Zeit, kleideten den modernen Lieutenant in mittelalterliche Gewänder und beschrieben das Leben in den Burgen so, wie man es in Nennhausen führte oder wenigstens zu führen versuchte. Die zweite Ansicht beseelte diejenigen, welche entweder Katholiken waren oder im späteren Leben es wurden. Ganz anders als diese Alle fasste Uhland das Mittelalter auf. Er begriff es mit echt historischem Sinne; es war ihm die schöne Vergangenheit des germanischen Stammes, welche der Erkenntniss würdig und werth ist. Andere Forscher mochten die Geschichte, die Sprachlehre, die Mythologie dieses Stammes schreiben; seine Aufgabe war es, alle diese Forschungen durch seine Gedichte dem Volke zugänglich zu machen. Wie die grossen Meister der germanischen Forschung alle dem wirklichen Leben sich zuwandten, so auch Uhland. Haben die Grimm's etwa sich nur in die alten Pergamente vergraben und nicht auch dem frisch quellenden modernen Leben Herz, Mund und Hand gereicht? Wie sie, so auch Uhland! Er ist sich dessen als einer Pflicht bewusst und singt darum:

Ich bitt' euch, theure Sänger,
Die ihr so geistlich singt,
Führt diesen Ton nicht länger,
So fromm er euch gelingt!
Will Einer merken lassen,,
Dass er mit Gott es hält,
So muss er keck erfassen
Die arge, böse Welt.

Niemals klagt Uhland daher im Ernste, dass die schöne Zeit des Mittelalters vergangen sei. Schön freilich war sie und so schildert er sie, doch sie ist dahin; ihre Institutionen haben sich überlebt, ihre Schlösser sind zerfallen,

Und der Wind streicht durch die Hallen,

Wolken ziehen drüber hin.

Nur das, was des Lebens, der Bewahrung werth war, das ist geblieben und das auch nur will sein Lied erhalten und überliefern. Ein Thor ist derjenige, der sich darüber nicht trösten kann, dass er sterben, dass Alles untergehen muss;

dieser Gedanke darf ihm nur eine süsse Wehmuth ins Herz senken, aber seine Thatkraft nicht lähmen. Darum stellt Uhland am Ende dieser Balladenreihe noch einmal dar, wie die Reiche des Mittelalters entstanden und wie sie vergangen sind. Aber nicht allein zeigt er uns das Bild der Vergänglichkeit; er zeigt uns auch, was Neues sich gebildet hat.

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Die Kaiser- und Weltchroniken berichten, dass die Weltherrschaft zuerst bei den Babyloniern gewesen sei, welche die grosse Stadt Babylon gründeten und herrlich schmückten. Diese hehre Burg sei von Cyrus und Darius zerstört und so die Weltherrschaft an die Perser gekommen. Denen habe sie der Grieche Alexander entrissen, unter dem die Griechen rechte Ritterschaft geübt hätten. Von den Griechen sei das Weltreich an die Römer gekommen. Einer von ihnen, Julius Cäsar, habe, wiewohl erst nach langem Streite, endlich dennoch die Deutschen unterworfen und sie schliesslich gegen Rom geführt. Seitdem seien sie dort lieb und angenehm gewesen. Bis auf Nero behielten die Römer die Herrschaft, dann ging sie auf die Karlinger, also auf die Deutschen über. Von den Römern also erwarben wir das Weltreich.

An diese erinnert das erste Gedicht: ver sacrum.

Es führt uns in die alte Stadt Lavinium! Mutter, was ist denn Minne? fragt die Lavinia in Veldekins Aeneide. Weckt der Name Lavinium nicht in uns sofort den Gedanken an Aeneas, an die Sage, dass die Franken von den Trojanern abstammen. Von Lavinium aus ist Alba longa gegründet, von dieser Rom; und Rom hat die Welt erobert. Diese Perspective eröffnet der Seher den Bewohnern von Lavinium:

Denn Schlacht und Sieg ist euch vorausgezeigt,
Das ist ja dieses starken Gottes Recht,
Der selbst in eure Mitte niedersteigt,
Zu zeugen eurer Könige Geschlecht.

In eurem Tempel haften wird sein Speer,
Da schlagen ihn die Feldherrn schütternd an,
Wenn sie ausfabren über Land und Meer
Und um den Erdkreis ziehn die Siegesbahn.

Ihr habt vernommen, was dem Gott gefällt,
Geht hin, bereitet euch, gehorchet still!
Ihr seid das Saatkorn einer neuen Welt;
Das ist der Weihefrühling, den er will.

Und wodurch haben sie die Welt erobert?

Ihr Heiligthum war dem Mavors geweiht. Mars aber ist bei den Italikern ein Gott der Landwirthschaft und des Krieges. Hand in Hand muss Beides gehen und durchschlungen sein von Gehorsam gegen das göttliche Gesetz. Der freie Bauer erobert die Welt und behält die Herrschaft, so lange er den Geboten Gottes gehorcht. Der Bauer besiegt den Feind und lässt aus den Trümmern Neues erblühen:

Und Jene zogen heim mit Siegesruf,

Und wo sie jauchzten, ward die Gegend grün,
Feldblumen sprossten unter jedem Huf,

Wo Speere streiften, sah man Bäum' erblühn.

Aber das alte Sprichwort lautet: labora et ora; gieb Gotte, was Gottes ist. Die Lavinier haben dem Mavors den Weihefrühling gelobt; nicht nur, wie der Seher deutet:

Der Blüthen Duft, die Saat im heitern Licht,
Die Trift, von neugeborner Zucht belebt,
Sind sie ein Frühling, wenn die Jugend nicht,
Die menschliche, durch sie den Reigen webt?

Mehr als die Lämmer sind dem Gotte werth
Die Jungfraun in der Jugend erstem Kranz,
Mehr als die Füllen auch hat er begehrt
Der Jünglinge im ersten Waffentanz.

Und auch zu diesem Opfer ist das Volk bereit! Doch Gehorsam ist besser als Opfer. Der Seher verkündet dann:

Nicht lässt der Gott von seinem heil'gen Raub,
Doch will er nicht den Tod, er will die Kraft;
Nicht will er einen Frühling, welk und taub,
Nein! einen Frühling, welcher treibt im Saft.

Aus der Lateiner alten Mauern soll
Dem Kriegsgott eine neue Pflanzung gehn;
Aus diesem Lenz, urkräft'ger Keime voll,
Wird eine grosse Zukunft ihm erstehn.

Sobald also die Latinischen Bauern befreit waren von missverstandener Gottesfurcht, da begann die Blüthe ihres Stammes und dauerte so lange, als die Scheu vor dem wahrhaft Göttlichen in ihnen lebendig blieb. So wie aber diese verschwunden und an ihre Stelle Cärimoniendienst getreten war, so wie ein Augur nicht mehr den andern ansehen konnte, ohne zu lachen, da sank der Stern Roms und in Trümmer fiel das römische Weltreich.

Ein neues Volk trat auf den Weltschauplatz. Neue Reiche entstanden und zwar in anderer Form. Uhland theilt nicht jene abgeschmackte Anschauung von der Entstehung monarchischer Staaten, wie sie im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert gebräuchlich war. Bekanntlich nahm man da an: Ursprünglich habe ein bellum omnium contra omnes stattgefunden, dann sei man dessen überdrüssig geworden und hätte sich dahin geeinigt, man wolle einen Theil seiner Freiheit an eine kräftige, energische Persönlichkeit abtreten, welche dafür den Schutz der Einzelnen übernehmen solle. So weit aber die Geschichte zurückweist, finden wir diese Anschauung nicht bestätigt; durch Vertrag ändern und erneuern schon bestehende Staaten ihre Verhältnisse, neue aber entstehen nicht dadurch. Wo in irgend einer menschlichen Vereinigung eine von Gott höher als die Umgebung begabte Persönlichkeit auftritt, da wird sie zur Herrschaft gelangen und von Gottes Gnaden regieren. In den Wirren der Völkerwanderung sehen wir solcher Herrscher viele heraustreten, die aus den zerbröckelnden Staaten neue Königreiche sich erwarben und dann auf Grund der in ihnen wohnenden göttlichen Kraft herrschten und Dynastieen gründeten. Uhland nun zeigt uns Alles dies in dem zweiten Gedichte: der Königssohn.

Er nennt keinen Namen, er erwähnt keine Zeit und doch hat die Dichtung eine so bestimmte Färbung, dass man das Alles leicht ergänzt.

Der alte, graue König sitzt auf seiner Väter Throne; er fühlt sein Ende nahen und theilt seine Lande unter seinen ersten und zweiten Sohn.

Mein dritter Sohn, mein liebstes Kind!

Was lass' ich dir zum Pfande?

Gieb mir von allen Schätzen nur

Die alte, rostige Krone.

Gieb mir drei Schiffe! so fahr' ich hin

Und suche nach einem Throne.

Auch Parcivals Vater will, da er jüngerer Sohn des Hauses ist, von seinem Bruder Nichts annehmen, als die Ausrüstung und ein Pergament, wodurch bezeugt wird, dass er ein Spross des Hauses Anjou sei.

Wie mancher skandinavische Seekönig besass Nichts mehr, als einen Thurm am Strande und die weite Salzfluth als sein lustiges Reich. Mit seinen Huskarlen bestieg er dann die Drachen, um auf wunderbaren Fahrten Schätze des Südens zu erwerben.

So fährt auch unser Wiking hin:

Die Sonne strahlt, es spielt die Luft
Mit seinen goldnen Haaren.

Das Ruder schallt, das Segel schwillt,
Die bunten Wimpel fliegen;
Meerfrauen mit Gesang und Spiel

Sich um die Kiele wiegen.

Aber da unten lauert die tückische Ran: die Wogen erheben sich und

Verschlungen ist der Königssohn

Sammt seinem lust'gen Reiche.

Alle Gefährten ertrugen es nicht, dass ihre zweite Mutter, das Meer, in seinen Riesenarmen sie wiegte; nur ihn, den Königssohn trug die Fluth an's Land. Dort nahm ihn, der Alles verloren und nur die Krone gerettet hatte, ein armer Fischer freundlich auf. Die germanische Sage des Nordens erzählt oft von solchen Helden, die nackt und bloss an's Land geworfen, später die Retter und Beglücker des Reiches geworden sind. So kam Lohengrin nach Brabant, der nur Ring, Schwert und Horn mit sich führte. Ipse Scëf, so meldet die alte Sage, cum uno dromone advectus est in insula oceani, quae dicitur Scani, armis circumdatus, eratque valde recens puer et ab incolis illius terrae ignotus, attamen ab eis suscipitur et ut familiarem

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