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dessen Conception dem Sommer 1781 angehört, sind, troß aller Schönheit im Einzelnen, die Nachklänge trüber Gefühlsphantastik noch deutlich hörbar. Aber seit 1778 beschäftigen schon Wilhelm Meister, seit 1780 Tasso den Dichter auf's lebhafteste; jene ge= waltigen Dichtungen, deren Grundgedanke die Nothwendigkeit des entschlossenen Heraustretens aus der phantastischen Ueberschwenglichkeit in die Bedingungen und Schranken des wirklichen Lebens ist, Einfügung in die feste Weltordnung ohne Einbuße der inneren Idealität.

Besonders in zwei Dichtungen kommt das Tiefste dieser Lebensepoche Goethe's zum dichterischen Ausdruck; in »Iphigenia auf Tauris« und in dem unvollendeten Lehrgedicht »Die Geheimnisse«.

Aus Goethe's Tagebuch und aus dem Briefwechsel mit Frau von Stein wissen wir, daß Iphigenie am 14. Februar 1779 begonnen und unter dem störenden Trubel der låstigsten Geschäfte und Amtsreisen ausgeführt wurde; am 28. März war sie vollendet. Am 6. April wurde sie zum ersten Mal am Hofe dargestellt; Goethe selbst spielte den Orest. »Nie werde ich den Eindruck vergessen«, berichtet Hufeland, »den Goethe als Orest im griechischen Costüm in der Darstellung seiner Iphigenie machte, man glaubte einen Apollo zu sehen; noch nie erblickte man eine solche Vereinigung körperlicher und geistiger Vollkommenheit und Schönheit als damals in Goethe.«<

Diese wunderbare Dichtung erfuhr noch gar vielfache Umbildungen, bevor sie in Italien ihre lehte klassische Vollendung erhielt; aber dies waren nur Umbildungen der Form. Der innerste Gedankengehalt ist bereits in der ersten Gestalt vollkräftig ausgesprochen. Nicht mehr düster trohiges Titanenthum, sondern heitere Entfaltung reiner idealer Menschennatur, seelenvolle Darstellung sittlicher Harmonie und Hoheit. Am 29. Mårz 1779, unmittelbar nach dem Abschluß des Gedichtes, schrieb Goethe in sein Tagebuch: »Ich war diese Zeit her wie das Wasser klar, rein, fröhlich.« Auf Iphigenie vor Allem ist anzuwenden, wenn

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Hanns Sachs nachgestrebt. Selbst Iphigenie war in ihrem ersten Entwurf in Prosa geschrieben, wie dieselbe durch das bürgerliche Trauerspiel Lessing's für das deutsche Drama üblich geworden. Allein je mehr Goethe der Höhe einer Bildung nahte, die an Innerlichkeit und Poesie über die Bildung des Aufklärungszeitalters weit hinausragte, und doch alle trübe Leidenschaftlichkeit der Uebergangsepoche, in welcher er anfangs befangen gewesen, zu milder Besonnenheit, zu glücklichem Gleichgewicht, zu einer in sich festen und versöhnten Plastik des Lebens und Denkens klårte, um so unwillkürlicher und naturnothwendiger machte sich in ihm das Gefühl geltend, daß diese nordische Art der dichterischen Formengebung zwar durchaus berechtigt, aber in dieser strengen Ausschließlichkeit für den vollen Umfang seines tiefsten inneren Lebens nicht ausreichend sei. Die plastische Ho= heit und Harmonie der Empfindung erfordert plastische Hoheit und Harmonie der Gestaltung. Es erwacht in ihm das Bedürfniß hohen Stils. Die Muster der Alten, die er, wie wir aus den Pindarischen Oden der Wehlarer und Frankfurter Zeit sehen, selbst in seiner deutschesten Zeit niemals aus den Augen verloren, werden ihm wieder lebendiger und innerlich wahlverwandter. Neben die Lieder und Balladen mit ihrer unvergleichlichen Musik des Reims und der Sprache treten Epigramme im plastisch bewegten Distichenversmaß, die Goethe oft sogar, ganz in antiker Weise, als still beredte Zeugen glücklich und beschaulich verlebter Stunden, in die Felswånde und Denksteine der Wälder und Gårten eingraben ließ, treten Hymnen und Oden, die man mit dem eigenen Ausdruck des Dichters treffend als "antiker Form sich nähernd« bezeichnen kann, weil sie zwar nicht nach irgend einem bestimmten antiken Schema gebildet sind, aber durchweg in dem festen gemessenen Schritt antiker Rhythmen einherschreiten. Und es ist nur eine andere Wendung derselben Empfindung und desselben Bedürfnisses, wenn Goethe

jetzt auch in den »Geheimnissen« und in der »Zueignung«, welche ursprünglich als Prolog der Geheimnisse gedacht ist, zu den italienischen Ottaverimen greift, nach jener kunstvoll geglie= derten Form, in welcher die Dichtung der italienischen Renaisfance die Musik der modernen Innerlichkeit mit antik plastischer Ruhe und Gebundenheit zu verschmelzen suchte. Besonders lebhaft aber trat dieses Bedürfniß plastisch hohen Stils im Drama hervor. Es ist von hohem psychologischen Reiz und für die Einsicht in die Natur künstlerischer Formengebung überaus fördernd, die Urgestalt der Goethe'schen Iphigenie grade nach dieser Seite eingehend zu betrachten. Ganz von selbst, lediglich durch die Nothwendigkeit der Sache, klingt hier bereits überall durch die Mischart der sogenannten dichterischen Prosa der unabweisbare rhythmische Vers durch; so daß Goethe schon in den nächsten Monaten eine Uebertragung in Verse begann, die freilich erst viele Jahre nachher unter der Sonne Italiens ihre Vollendung und lehte Durchbildung erhielt.

Eine große epochemachende Wendung war geschehen. Die Sturm- und Drangperiode war in Goethe abgethan.

Biertes Kapitel

Die Goethianer.

Lenz. Klinger. L. Wagner.

Wie machtig und überwältigend vom ersten Anbeginn die Erscheinung Goethe's auf die Zeitgenossen wirkte, erhellt besonders aus der Thatsache, daß Goethe, ohne es zu suchen und zu wollen, sogleich das Haupt einer neuen Dichterschule wurde, welcher Freund und Feind den Namen der Goethe'schen Schule beilegte. Im Briefwechsel Lessing's mit seinem Bruder wird mehrfach von den neuen »Goethianern« gesprochen. Das deutsche Museum von 1776 (S. 1048 ff.) enthält eine Abhandlung, die die Ueberschrift führt: »Etwas über das Nachahmen im Allge= meinen und über das Goethisiren insbesondere.<

Vornehmlich drei junge Dichter, Lenz, Klinger, Leopold Wagner, wurden von den Zeitgenossen als »Goethianer« bezeichnet. Sie stammen alle Drei aus Goethe's nächstem persönlichem Freundeskreise. »Ein freudiges Bekennen, daß etwas Höheres über mir schwebe, war ansteckend für meine Freunde, sagt Goethe im elften Buch von Wahrheit und Dichtung.

Dieselben Anschauungen und dieselben Ziele; aber ohne Tiefe des Gehalts, ohne die entsprechende dichterische Gestaltungskraft, ohne die Wünschelruthe sicheren Schönheitsgefühls. Man

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