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er mit der alten Stammburg beschäftigt, die er zugänglich zu machen sucht und durch einen Zeichner in verschiedenen Ansichten, welche den Gartensaal zieren sollen, abbilden läßt. Als älterer Mann licht er die Bequemlichkeit, weshalb er auch vom Jagdzuge zurückbleibt, obgleich er sich nicht gern als unkräftig zeigen mag. Die Verbindung des Fürsten mit seiner jungen Gemahlin, die nicht allein die erste, sondern auch die schönste und anmuthigste Frau des Landes ist, beruht auf innigster Liebe und reinster Uebereinstimmung der Seelen. Nur mit Mühe kann sich der Fürst am Morgen von seiner Gattin trennen, woher er die Jagdgenossen lange auf sich warten läßt; er empfiehlt sie beim Scheiden dem fürstlichen Oheim und seinem Stall und Hofjunker Honorio, welcher uns in der Exposition als ein junger wohlgebildeter Mann geschildert wird, der ungern von der Jagd zurückgeblieben sein würde, fühlte er sich nicht ganz glücklich der neuen Herrin ausschließlich dienen zu dürfen. Die Fürstin winkt dem scheidenden Gemahle mit dem Schnupftuche noch in den Schloßhof hinab; ja sie wendet das treffliche Teleskop, mit welchem man am vorigen Abende die hohen Ruinen der uralten Stammburg betrachtet hatte, nach der öden steinigen Fläche hin, über welche der Jagdzug weggehn mußte, und enthielt sich nicht, als ihre glänzenden Augen den Fürsten erblickten und sie ein augenblickliches Stillhalten und Rückblicken desselben mehr vermuthete, als wirklich gewahr wurde, abermals mit dem Schnupftuche zu winken. Vortrefflich ist schon hier die Dertlichkeit angedeutet, wo die spätere Handlung sich zutragen soll, die Ruinen der alten Burg hoch oben, die man vom Schlosse aus über Busch, Berg und Waldgipfel sah, etwas tiefer jene öde Fläche. Das fürstliche Schloß lag von dem Fuße hinauf in einiger Höhe und gewährte nach hinten, wo man die Ruinen der alten Stammburg sah, und vorwärts mannigfaltige bedeutende Aussichten. Es ist auch wegen der im Folgenden näher beschriebenen Lage nicht unwahrscheinlich, daß dem Dichter hier das rudolstädter Schloß, die sogenannte Heidecksburg, vorschwebte, das auf einer Anhöhe zweihundert Fuß über der Saale liegt und nach dem Brande vom Jahre 1735 neu hergestellt wurde. Das weiße große Schloß auf dem Berge rühmt Schiller bei seinem ersten Aufenthalte in Rudolstadt. Später schreibt er von Volkstädt bei Rudolstadt: 1) „Das

1) Briefe zwischen Schiller und Körner I, 289. f. Vgl. daselbst 221. Archis VII.

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Dorf liegt in einem schmalen aber lieblichen Thale, das die Saale durchfließt, zwischen sanft ansteigenden Bergen. Von diesen habe ich eine sehr reizende Aussicht auf die Stadt, die sich am Fuß eines Berges herumschlingt, von weitem schon durch das fürstliche Schloß, das auf die Spiße des Felsens gepflanzt ist, sehr vortheilhaft angekündigt wird und zu der mich ein sehr angenehmer Fußpfad längs des Flusses an Gärten und Kornfeldern vorüberführt." Göthe war ohne Zweifel in den ersten Jahren seines weimarer Aufenthaltes mehr, als einmal im benachbarten Rudolstadt und auf dem Schlosse gewesen, obgleich ich eine ausdrückliche Erwähnung nicht vor dem Jahre 1782 finde 1). Bei der uralten zerstörten Stammburg, zwischen deren Gemäuer mannigfaltige jezt herbstlich gefärbte Baumarten ungehindert und ungestört durch lange Jahre emporstrebten, dürfte kaum eines der vielen zerstörten Schlösser in der Umgegend von Rudolstadt, von denen Schiller spricht, dem Dichter vorschweben, obgleich man an Greifenstein, die Wiege des unglücklichen Kaisers Günther von Schwarzburg, welche das Städtchen Blankenburg überragt, denten könnte. Hier scheint Göthe seinem Zwecke gemäß die Ruinen der alten Stammburg erfun den zu haben, obgleich auch bei ihrer Beschreibung eine bestimmte Anschauung zu Grunde liegt. Den Eindruck, den solche Ruinen in ihm erregten, hat er selbst in zwei bekannten Gedichten, von denen eines dem Jahre 1774 angehört, treffend geschildert. 2) Die genauere Beschreibung jener Ruinen gibt uns der fürstliche Oheim, welcher seine Bemühungen, sie zugänglich zu machen, der Fürstin mittheilt und Zeichnungen derselben vorlegt.

Die Fürstin, bei deren Schilderung Göthe die Hauptzüge von der edeln Herzogin Louise hernehmen durfte, deren Charakter viele in Göthe's Iphigenie finden wollten, nimmt ihren vom Gemahle ihr vorgeschlagenen Spazierritt nicht zum Hinterthore hinaus bergauf, wie der Jagdzug des Fürsten gethan hatte, sondern zum Vorderthor hinaus bergab durch die Stadt über den großen Marktplaß, obgleich der Oheim sich ungern dazu versteht, da er sich zu sehr gehindert fühlt und ihm beim Anblicke eines Marktes immer der gräßliche Brand vor die Seele tritt, von dem er einst zur Meßzeit Zeuge gewesen. Vortrefflich läßt der Dichter schon hier den Oheim jenes Brandes gedenken, dessen er sich später so geschickt bedient, um die

2) Vgl. Riemer II, 149.

2) Vgl. B. 1, 74-77. 22, 212.

Angst der Fürstin zu steigern. Vom Markte, wo in den verschiedensten Trachten Bergbewohner, die zwischen Felsen, Fichten und Föhren ihre stillen Wohnsize hegen, Flachländer von Hügeln, Auen und Wiesen, Gewerbsleute der kleinen Städte, alle auf ihre Weise gepust, erscheinen, kommen sie zu einem freien Plaße, der zur Vorstadt führt, wo am Ende vieler kleinen Buden und Kramstände sich eine große Menagerie befindet, vor welcher auf kolossalen Gemälden neben anderen wunderlichen bunten Geschöpfen ein Tiger abgebildet war, welcher eben auf einen Mohren zuspringt, um ihn zu zerreißen, während der Löwe majestätisch da stand, als ob keine Beute seiner würdig wäre. Aber der Löwe mußte auch hier schon seine Furchtbarkeit auf irgend eine Weise zu erkennen geben, damit die Besorgniß, welche sein Entweichen erregt, einen um so größern Eindruck mache. Deshalb fügte Göthe in die bereits abgeschlossene Novelle noch den Zug ein, daß der Löwe, während die Fürstin sich der Bude nähert, seine „Wald- und Wüstenstimme“ erhebt, vor welcher die Pferde schaudern, 1) wobei er die Furchtbarkeit des Königs der Einöde in dem friedlichen Wesen und Wirken der gebildeten Welt aussprechen läßt. 2) Gervinus zeigt sich bei der leidigen Verstimmung, welche er gegen die spätern Werke des Dichters überall zu erkennen gibt, auch gegen unsere Novelle höchst ungerecht, die er, ohne ihren hohen ideellen und künstlerischen Werth zu ahnen, eine unsäglich geringfügige Produktion nennt (V, 702); er führt es als charakteristisch für das falsche Streben nach Bedeutsamkeit an, daß die Frage, ob darin der agirende Löwe an einer gewissen Stelle brüllen solle oder nicht, tagelang erörtert worden sei. Aber, abgesehen davon, daß von einer tagelangen Erörterung keine Rede ist, vielmehr Göthe diesen Gedanken einfach an Eckermann mittheilt, der ihm aus vollster Ueberzeugung beistimmt, handelt es sich nicht darum, ob der Löwe brüllen solle oder nicht, sondern darum, ob nicht schon hier die furchtbare Wildheit des Königs der Wüste sich irgend äußern müsse. Mit welchem Rechte man derartige Betrachtungen dem Dichter, selbst nach Vollendung seiner Ar

2) Der Löwe läßt gewöhnlich, wenn er nicht im Zorne ist, fünf oder sechsmal am Tage sein Gebrüll erschallen; fürchterlicher, als dieses Gebrüll, das in der Stille der Wälder oft dem Donnergetöse gleicht, ertönt seine Stimme im Zorne, wo es nicht so langgezogen ist, aber sich oft wiederholt. Vergl. oeuvres de Buffon T. VII, 404. (Bruxelles 1828). » Vgl. Gespräche mit Edermann I, 329.

beit, nicht zugestehn wolle, sehen wir nicht; zeigt sich ja gerade hierin so schön die klare und sichere unsern Dichter auszeichnende Besonnenheit, die den Künstler bei keinem seiner Werke verlassen darf, die auch nicht das Geringste übersieht, da bei einem vollendeten Kunstwerke auch das Geringste seinen Beitrag zur Gesammtwirkung liefert, die es entweder hindert oder fördert. Noch ehe Göthe diesen Zug in die Novelle einfügte, hatte er eine andere Aenderung für nöthig gehalten, indem er glaubte, er müsse nach den Regeln einer guten Exposition die Besizer der Thiere schon im Anfange auftreten und die vorbeireitende Fürstin bitten, lassen, ihre Bude mit einem Besuche zu beglücken. Aber Eckermann hielt ihn von dieser Aenderung durch die richtige Bemerkung ab, daß es eine gar gute Wirkung thue, wenn die Menageriebesißer später beim getödteten Tiger als durchaus fremde, neue Wesen mit ihren abweichenden wunderlichen Kleidern und Manieren hervortreten, woher er sie im Anfange nicht bringen dürfe. 1) Das Seltsame und Wunderbare der ganzen Begebenheit wird gerade durch das plößliche Hervortreten vermehrt. Hätte der Dichter schon früher die seltsame Weise jener Besißer der Thiere geschildert, so würde sie dort, wo sie gerade im Gegensaße zu der Fürstin und Honorio bervorgehoben werden soll, sich weniger wirksam zeigen.

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Vor dem Thore gelangte die Fürstin mit ihrer Begleitung in die heiterste Gegend; der Weg führte zuerst am Flusse hinan, an einem zwar noch schmalen, nur leichte Kähne tragenden Wasser, das aber nach und nach als größter Strom seinen Namen behalten und ferne Länder beleben sollte. Karl Simrock, der die Novelle eine der köstlichsten und süßesten Früchte des götheschen Lebensbaumes nennt, bemerkt in Bezug hierauf: 2) Wer sicht nicht, daß der Rhein gemeint ist? Siegmaringen, das einzige Fürstenthum, das die Donau durchfließt, hat keine Stammburg, wie die geschilderte. Wenn aber der Rhein gemeint ist, so liegt kein anderes Fürstenthum an dem noch schmalen, nur leichte Kähne tragenden Flusse (als die Grafschaft Vaduz, die man mit Unrecht als Fürstenthum Lichtenstein bezeichnet). Die Deutung auf Rudolstadt würde sonst passen; aber wann wird die Saale zum größten Flusse?" Doch in diesem Punkte durfte sich der Dichter wohl eine Abweichung er

1) Gespräche mit Edermann I, 313 f. 318 f.

2) Das malerische und romantische Rheinland S. 22 (der zweiten AufLage 1847).

lauben, schon des stärkeren Gegensages wegen, vielleicht auch, um die Beziehung auf das nahe Rudolstadt nicht zu deutlich hervortreten zu lassen. Die Saale, welche bekanntlich erst von Halle aus schiffbar wird, durfte als Hauptstrom Thüringens und der weimarischen Lande wohl eine solche Idealisirung beim Dichter hervorrufen. War er ja auch durch sie zur Dichtung des großen Flusses" im Märchen veranlaßt worden. 1) Göthes Beschreibung des Schloßses und der Ruinen der alten Stammburg paßt ganz auf Vaduz, und die Abweichung, daß Vaduz selbst keine Stadt, sondern nicht viel mehr, als ein Flecken ist, würde wenig bedeuten. Dagegen erregt sehr großes Bedenken der Umstand, daß Göthe aller Wahrscheinlichkeit nach nie in Vaduz gewesen. Auf der ersten schweizer Reise ging er von Zürich über Richterschwyl, Schwyz und Flüelen nach der Spiße des Gotthard und kehrte fast auf demselben Wege, nur daß er jezt über Zug ging, nach Zürich zurück. 2) Im Jahre 1779 reiste Göthe mit dem Herzoge von Basel nach Genf, von da über Chamouni und Martinach nach dem Gotthard, endlich von dort über Luzern nach Zürich. Die dritte Reise ging über Schaffhausen und Zürich nach Stäfa, der Heimath von H: Meyer, von wo er mit diesem auf einer eilftägigen Reise nach dem Gotthard die Kantone Schwyz, Uri, Unterwalden und Zug durchstrich. Daß er aber von Stäfa weiter den See hinunter und nach Vaduz gekommen, findet sich nirgendwo erwähnt, und eine Wahrscheinlichkeit, daß eine solche von Göthe gemachte Reise nach Vaduz unerwähnt geblieben, ist nicht vorhanden. 3)

Auf Rudolstadt past im Allgemeinen auch Göthe's weitere Beschreibung: Dann ging es weiter durch wohlversorgte Fruchtund Luftgärten sachte hinaufwärts und man sah sich nach und nach in der aufgethanen wohlbewohnten Gegend um, bis erst ein Busch,

1) In den Xenien heißt es von der Saale (Nro. 102):

Kurz ist mein Lauf und begrüßt der Fürsten, der Völker so viele;
Aber die Fürsten sind gut, aber die Völker sind frei.

» Denselben Weg machte im folgenden Jahre Knebel nach der Anweisung
des Herzogs. Vgl. Knebel's Nachlaß I, XXXIII ff. 112 ff.
Göschel (II, 239.) meint, die Lage des Fürstenthums, in welchem die No-
velle spielt, könnte bei genugsamen geographischen, statistischen und histo-
rischen Kenntnissen aus dem beschriebenen Jahrmarktsverkehre mit hollän-
dischen und französischen Artikeln (?), aus dem Flusse, aus Berg- und
Flachland und sonst vielleicht erschlossen werden. Er scheint hiernach,
obgleich er den Namen des Landes zu verrathen sich nicht getraut, eben-
falls an den Rhein zu denken.

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