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das Wohl ihrer Kinder hat in Pestalozzi jene Ehrfurcht und Hochachtung vor dem Mutternamen gepflanzt, die fast in allen seinen Schriften sich ausspricht und die sogar in den Werken des achtzigjährigen Greises mit derselben Gluth noch fodert, wie in seinen ersten Schriften. In die Hand der Mutter will er die Erziehung und den ersten Unterricht gelegt wissen"): fann es ein ehrenderes Denkmal für die Liebe einer Mutter geben, als diese Dankbarkeit eines Sohnes?

Aber es fehlte doch, und dieser Fehler macht sich nicht blos in Pestalozzi's praktischer Thätigkeit, sondern auch in seinen Schriften bemerkbar, die väterliche Zucht. Das Gemüth und die Phantasie wurden besonders geweckt und erregt und erhielten einen überwiegenden Einfluß über den Verstand: in seinen Schriften finden wir die mächtigsten Ideen, aus der Tiefe des Gemüthes erzeugt, die aber der Verstand oft nicht sichten, nicht ordnen, nicht beherrschen kann und die darum oft in einem sprachlichen Gewande erscheinen, dessen Dunkelheit die Ideen selbst nicht selten verhüllt. Dieser Mangel einer festen und scharfen Denkungsweise bereitet ihm auch im Leben oft die größten Schwierigkeiten und den tiefsten Verdruß, er läßt sich von Gemüthseindrücken leiten in Verhältnissen, wo das verstandesmäßige Erfaffen und der flare Ueberblick die Lösung der Schwierigkeiten, wie 3. B. in den traurigen Streitigkeiten zwischen seinen Mitarbeitern Niederer und Schmid, allein herbeiführen konnten. Wer sein Gemüth zu gewinnen wußte, und das war dem mehr speculativen Niederer nicht in dem Maße gegeben, wie dem Sohne der Natur, Schmid, der hatte ihn für sich gewonnen.

Aus diesem Mangel der väterlichen Erziehung erklärt es sich auch, daß Pestalozzi die socialen und pädagogischen Probleme nicht auf dem Wege der Speculation und durch einen dialectischen Prozeß zu lösen vermochte. Was er in dieser Beziehung geleistet hat, ist von sehr untergeordnetem

*) Auch Amos Comenius sezt als erste Stufe des Unterrichts die schola materna; freilich in etwas anderer Bedeutung.

Werthe, trotzdem er oft an solchen Arbeiten, wie z. B. an seinen Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwickelung des Menschengeschlechts" Jahre lang gearbeitet hat, während die Erfassung des Lebens in seiner Tiefe und Wahrheit, wo sie durch das Gemüth vermittelt wird, ohne Mühe in künstlerischer Gestaltung aus seinem reichen Innern sich ergießt, wie z. B. in Lienhard und Gertrud, dessen ersten Theil er binnen wenigen Wochen vollendete. Daß er sich an die speculative Bearbeitung seiner Ideen machte, trotzdem feine erste Erziehung ihm die Speculation abhold gemacht hatte, war jedenfalls eine Folge der unter des gelehrten Breitinger's Leitung erfolgten Einführung in die Wolff'sche Philosophie, die aber die Einseitigkeit seiner ersten Bildung nicht aufzuheben vermocht und wenig Frucht in Bezug auf feine dialectische Bildung gebracht hat, da seine Werke, die er in diese Form gekleidet hat, bedeutend hinter denen zurück stehen, die er nicht in philosophischer Form, sondern in volksthümlicher Rede verfaßt hat, wenngleich auch in jenen die tiefen Ideen nicht fehlen.

Andrerseits aber war auch gerade diese einseitige Gemüthsbildung der Grund, daß er nicht blos die Schäden der damaligen Volfszustände sehr tief fühlte und darum auch die tiefgreifendsten Heilmittel fand, er hielt nun auch an den aus der Tiefe des Gemüthes erzeugten Wahrheiten, den ewigen Ideen, mit einer Zähigkeit fest, daß ihm fein Verlust der irdischen Güter, kein Mißlingen seiner praktischen Versuche, kein Spott seiner Feinde und kein Verlassen der Freunde dieselben rauben oder auch nur wankend machen konnte. Was wir mit dem Verftande ergriffen haben, das kann uns leicht wieder entrissen werden, die Neberzeugung durch den Verstand kann leicht in eine gegentheilige Ueberzeugung umschlagen, eine Erfahrung, die Seder an sich erlebt hat: er denkt im Alter nicht mehr so, als in der Jugend; was ich aber selbst fühle, was seine Wurzeln im Gemüthe hat, das siht unerschütterlich fest und es ist nicht möglich die durch das Gemüth vermittelte Ueberzeugung, die in der Religion fich als Glauben darstellt, durch ein Raisonnement öder

durch die Kunst der Dialektik zu erschüttern. Pestalozzi dachte seine Ideen weniger, als daß er sie lebendig fühlte: daher sein Festhalten an denselben, daher seine Consequenz in der Verfolgung derselben trotz aller fehlgeschlagenen Verfuche, trok so vieler trüben Erfahrungen, an denen sein langes Leben so reich ist.

Was aber noch höher steht, als die Gemüthsbildung, oder vielmehr, was mit ihr in innigstem Zusammenhange steht, was die Spitze derselben bildet: die ungeheuchelte, im Wort und in der That sich bewährende Frömmigkeit der verwittweten Mutter pflanzte in seinem Gemüthe nicht blos eine gleiche Frömmigkeit und sittliche Festigkeit, sondern sie erhob sein Inneres zugleich über das Irdische, in ein ideales Sein, daß er von dieser Höhe das Fleisch beherrschen lernte durch den Geist, daß er lernte, mit dem Herzen und durch Erfahrung lernte, daß das Leben nur dann Werth habe, wenn es eine höhere Richtung nehme, wenn es beseelt sei und getrieben werde durch die sittliche Idee, daß er lernte, dieier sittlichen Idee sein Leben unterzuordnen. Daher seine selbitlose Hingabe, die Aufopferung seines Vermögens, seiner Kräfte, jeines ganzen Lebens für die fittliche Idee der Erziehung und Bildung auch der Niedersten im Volfe; daher jene wunderbare Kraft in seinen Schriften, die, trotz der oft unbeholfenen äußern Form jedes einfache und noch nicht überreizte Gemüth mächtig ergreifen und erheben muß, wie sich einst die edelste Fürstin, die Königin Luise in ihrer tiefiten Noth dadurch erhoben fühlte, daß sie gern persönlich zu Pestalozzi gefahren wäre, um ihm die Hand zu drücken und daß sie jenes denkwürdige Wort aussprach: "Ja, in der Menschheit Namen dank ich ihm!"

Man hat später Pestalozzi vielfach angegriffen wegen seiner christlichen Ueberzeugung, man hat gefragt, ob er ein Christ war, ja, ob er selig geworden sei: solche - beiläufig gesagt dem Geiste des Christenthums und den klarsten Aussprüchen des Heilandes direct zuwiderlaufenden Fragen geben höchstens ein Zeugniß ab über die, die sie aufwerfen. Man muß fragen, ob solche unnüße Frager selbst das Wesen

des Christenthums erfaßt haben, oder ob sie nicht etwa blos bei der äußern Schale, etwa bei dem Bekenntnisse stehen geblieben sind.

Ohne diese tiefe Religiofität, ohne diese fittlichen Ideen, die allerdings durch die Zeitverhältnisse sowie seine spätern Lehrer noch gestärkt wurden, hätte Pestalozzi nimmer den nachhaltigen Einfluß ausüben können, den er fort und fort ausübt, denn im geistigen Leben der Völker ist nur das von bleibender Bedeutung, was auf der Höhe der sittlichen Idee steht. Ueber diese Ünvergänglichkeit der pestalozzischen Ideen spricht Raumer das herrliche Wort aus (Gesch. der Päd. II. 476): „Tiefsinnige Gedanken, welche eine heilige Liebe unter schweren Wehen geboren hat, sie sind Gedanken des ewigen Lebens und hören, wie die Liebe, nimmer auf.“

Mit diesem Worte beschließen wir zunächst diese allge meine Einleitung in Pestalozzi's Schriften, die ich wiederhole es noch einmal nicht einen Abriß des gesammten Lebens Pestalozzi's geben, sondern nur diejenigen Umstände hervorheben wollte, welche zur Erklärung seiner Schriften und der darin niedergelegten Ideen dienen können. Ich führe aus den vielen über Pestalozzi erschienenen Schriften für diejenigen, welche sich genauer informiren wollen, folgende an, die ich meistens selbst in Händen gehabt, theilweise ans andern Schriften kennen gelernt habe:

Ith, Joh. (Präs. d. Erziehgsrth. in Vern) Amtl. Bericht über die P.'sche Anstalt. Bern 1802.

Soyaur, A., Pestalozzi, s. Lehrart u. s. Anstalt. Leipzig 1803. Schwarz, F. H. C., P.'s Methode und ihre Anwendung in der Volksschule. Bremen 1803.

Gruner, Ant., Briefe aus Burgdorf über P. Hamburg 1804. Herbart, J. F., Pestalozzi's Idee eines Abc d. Anschauung, untersucht u. wissensch. ausgeführt. Göttingen 1804. Witte, Carl, Bericht an Er. Majestät von Preußen über das P.'sche Institut in Burgdorf. Leipzig 1805. Türk, W. v., Briefe aus München-Buchsee über P. und s. Elementar-Bildungsmethode. 2 Thle. Leipzig 1806.

Niemeyer, Aug. Herm., Ueber P.'s Grundsätze u. Methoden. Halle 1810.

Rapport sur l'institut de Mr. Pestalozzi à Yverdun. Fribourg 1810.

Kurze und faßliche Darstellung der P.'schen Methode. Stuttgart 1810.

Niederer, I., das P.'sche Institut an das Publikum. Mit einem Briefe P.'s als Vorrede. Offerten 1811. Henning, Mittheilungen über P.'s Eigenthümlichkeit, Leben und Erziehungsanstalten. (In Harnisch's „Schulrath an der Oder" 1814. Lieferg. 1.)

Jullien, M. A., Esprit de la méthode d'éducation de Pestalozzi. Milan 1812. Niederer, J., P.'s Erziehungsunternehmung im Verhältniß zur Zeitcultur. 2 Bde. Stuttgart 1812. 1813. Bremi, J. H., über d. Schrift: P.'s Erziehungsunternehmungen x. (j. voriges) Zürich 1812.

Mönnich, W. B., J. H. Pestalozzi nach ihm selbst und Andern geschildert. (In den Zeitgenossen". Leipzig 1831.)

Fellenberg, Eman., der dreimonatliche Bildungskurs. Bern 1833.

Heußler, D., P.'s Leistungen im Erziehungsfache. Basel 1838.

Ramsauer, J., Kurze Skizze meines pädag. Lebens. Mit bes. Berücksichtigung P.'s u. j. Anstalten. Oldenburg 1838. Krüsi, H., Erinnerungen aus m. pädag. Leben. Stuttgart 1840.

Nicolovius, D. A., Denkschrift auf G. H. L. Nicolovius. Bonn 1841.

Heinrich Pestalozzi, nach s. Gemüth, Streben und Schicksale. Aus d. Franz. übers. Aarau 1844.

Diesterweg, Kalisch, Maßmann, die Feier des 100jährigen Geburtstags P.'s in Berlin. Berlin 1845. Niederer, Dr. J., Briefe von 1797-1803 an seinen Freund Tobler. Genf 1845.

Diesterweg, A., Heinrich Pestalozzi. Berlin 1845.

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