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sind ihm nicht fremd. Er ist ein eleganter, poetischer Räuber. Nicht anders glaubte auch das siebzehnte Jahrhundert, wie wir gesehen haben, an die Macht der edlen Abstammung. Die Helden der romantischen Literatur müssen etwas Düsteres, Melancholisches haben, etwas Byron'schen Weltschmerz, und Hernani nennt sich selbst einen „fou furieux", einen „sombre insensé". Antony hat denselben Charakter, ohne die Poesie, die uns mit Hernani versöhnt. Antony ist ein Mann, der seine Eltern nicht kennt, und darüber in die tiefste Schwermuth verfällt. Er wagt seine Liebe nicht zu gestehen, weil er sich scheut, den Makel seiner Geburt zu enthüllen. Aber er ist ein „Held". Er wirft sich den Pferden entgegen, die, scheu geworden, den Wagen seiner Geliebten in rasendem Lauf mit sich fortreissen und diese selbst mit einem schrecklichen Tod bedrohen. Bei allem „Heldenthum" mangelt ihm indessen jegliche moralische Kraft. Er jammert, geberdet sich wie wahnsinnig und legt der von ihm geliebten Frau, die einem Andern angehört und die ihn flieht, mit teuflischer Kunst eine Schlinge. Er gewinnt sie, raubt ihr die Ruhe und das Glück, und ersticht sie zuletzt, als ihr Gatte sie überrascht. Sie war mir nicht zu Willen, so hab ich sie gemordet!" ruft Antony dem eindringenden Mann entgegen. Damit liefert er sich dem Henker aus, aber er hat den Ruf der Geliebten gerettet!

Das ist kein Heldenthum mehr, sondern das Gegentheil davon, und eine solche Verirrung in der Auffassung der männlichen Grösse hat sich das siebzehnte Jahrhundert nicht zu Schulden kommen lassen. „Antony“ ist freilich heute so gut wie vergessen, aber noch leben die Dramen Victor Hugo's. Ihre etwas rhetorische Kraft, ihre schöne, poesievolle Sprache, ihr dramatisch effectvoller Bau gewinnen uns, und gern übersehen wir die Unwahrscheinlichkeit, ja Unmöglichkeit der Charaktere und das unserm Geschmack nach recht armselige Heldenideal, das sich in ihnen verkörpert. Wenn wir dies aber bei den Dichtungen der neuern Zeit thun, warum sollen wir nicht auch den herrschenden Anschauungen einer frühern, unzweifelhaft grossen Epoche billige Rechnung tragen?

Der Mensch sucht in der Poesie nicht blos das Abbild des gewöhnlichen Lebens; im Gegentheil, er will sich mit ihrer Hilfe

den Fesseln der Alltäglichkeit auf Augenblicke entziehen und in seiner Brust höhern, edlern Gefühlen Raum geben. Wenn ihn dann der Dichter mit sich führt in das Reich der Phantasie, was liegt ihm daran, dass nicht alles der Wirklichkeit entspricht, was er dort findet? Wohl aber trifft er dort Menschen, deren Gefühle und Anschauungen den seinen verwandt sind, nur dass sie ihm in veredelter, verklärter Form entgegentreten. Versteht er ihren Werth und ihre Schönheit, so wird er gehobenen Sinns von dem Werk scheiden, das ihm eine Stunde reinster Weihe geboten hat. Er wird den Segen der Poesie empfinden, mag er nun als Kind des siebzehnten Jahrhunderts für die Ideale Corneille's oder als Romantiker des neunzehnten Jahrhunderts für diejenigen Victor Hugo's geschwärmt haben.

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Dritter Abschnitt.

Die Rivalen Corneille's.

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