Page images
PDF
EPUB

auf der Bühne war,

wieviel mehr muss er früher daselbst heimisch gewesen sein! Waren doch die Monologe deshalb hauptsächlich bei den Schauspielern beliebt, besonders wenn sie in Stanzenform gefasst waren, weil sie eine schöne Declamation erlaubten. Wir würden heute sagen, weil man darin recht schreien konnte. Voltaire bestätigt das in seinem Commentar zu „Horace“ (III. 1.). „Die Schauspieler verlangten damals Monologe. Die Declamation und besonders der Vortrag der Frauen ähnelte dem Gesang. Die Dichter waren ihnen hierin willfährig.“

[ocr errors]

Suchen wir uns nach dem Gesagten in die Vergangenheit zurückzuversetzen und folgen wir der Menge, wie sie sich eines schönen Nachmittags zur Zeit der prunkvollen Regentschaft in das Schauspielhaus des Hôtel de Bourgogne" in der Rue Mauconseil drängt. Wohl fühlen wir uns darin Anfangs seltsam befangen. Der starke Parfüm des siebzehnten Jahrhunderts hat für uns etwas Befremdendes, er betäubt uns den Sinn. Aber wenn wir uns nur ein wenig an diese Luft gewöhnt haben, schwindet der erste Eindruck. Eine längst versunkene Welt ersteht vor unsern Blicken zu neuem Sein. Immer lebendiger wird das Bild. Der von einigen Kerzen spärlich beleuchtete Saal füllt sich, in dem Parterre steht die ungeduldige, unruhige Menge, in der Logenreihe nehmen vornehme Herren neben feinen Damen mit Halbmasken Platz; auf einer besondern Bank lassen sich die Collegen des Verfassers, die dramatischen

faut le dernier vers. Voilà ce qui attire l'approbation et fait faire le brouhaha. Mais, Monsieur, auroit répondu le comédien, il me semble qu'un roi qui s'entretient tout seul avec son capitaine des gardes, parle un peu plus humainement et ne prend guère ce ton de démoniaque.... Dann folgt eine Stelle aus "Horace": „Voici comme il faut réciter cela. (Il imite Mlle. de Beauchâteau, comédienne de l'hôtel de Bourgogne.) Voyez-vous comme cela est naturel et passionné? Admirez ce visage riant qu'elle conserve dans les plus grandes afflictions." etc.

Man vergl. ferner die Stelle aus der Schrift „Avertissement du théâtre de M. M. Montfleury père et fils. (3 vols. Paris 1739, mitgetheilt von Parfaict VII, 133: „On ignoroit alors au théâtre l'art de parler en récitant des vers tragiques; le spectateur étoit séduit par une prononciation cadencée, qui tenoit plus du chant que de la déclamation; l'acteur ne savoit émouvoir qu'en outrant les sentiments; la simple nature, ornée uniquement des graces nécessaires pour l'embellir sans la défigurer, eût paru froide...“

Dichter und die Kritiker nieder*). Auf der Bühne selbst engen auf jeder Seite einige Reihen Zuschauer den schmalen Raum noch mehr ein, und zwischen ihnen beginnen die Künstler ihr Spiel. Es ist das rechte Publikum für diese Stücke. Es versteht noch so manches, was den Späteren fremd erscheint, denn es lebt noch in der Welt der Ideen und Empfindungen, die der Dichter, wenn auch verklärt, in seinem Werk zur Darstellung bringt. So sind Schauspieler und Publikum durch das Bewusstsein gegenseitigen Verständnisses, geheimer Sympathie verbunden. Voll Spannung und nicht ohne ein Gefühl des Schauers sehen wir den Brettern des „Hôtel de Bourgogne" wunderbare Gestalten entsteigen. Schatten umschweben uns, Helden und Heldinnen der früheren Zeit, die sich bald zu wirklichen Menschen von Fleisch und Blut verkörpern. Die todte Scene belebt sich und hallt wieder von dem Ausdruck ritterlichen Edelsinns und zartfühlender Liebe. Bilder voll Leidenschaft und Hoheit ziehen an uns vorüber und führen uns in ein Leben ein, das zu dem Gebahren der heutigen Welt in vielfachem Gegensatz steht, das uns aber durch seine bewusste Originalität den Beweis liefert, wie berechtigt es einst gewesen ist.

Mag die spätere Kritik noch so viel an jenen Dramen aussetzen sie sind doch in Wahrheit der entschiedenste Ausdruck ihrer Zeit. Und darum zündet die kräftige Rede, darum facht das zarte Wort des Liebenden, wie die romantische That des Ritters die Begeisterung der Zuschauer zu hellen Flammen an. Die eben noch so laute Menge im Parterre lauscht in andächtiger Stille, um bald stürmischen Beifall durch den Saal erbrausen zu lassen.

Die französische Tragödie ist heute todt. Aber sie hat zweihundert Jahre lang gelebt und geherrscht, nicht blos im eignen Land, sondern auch bei den Nachbarvölkern. Sie war eine Macht, die Beachtung erheischt, und die Grundlage zu dieser Grösse haben Corneille und die aristokratische Gesellschaft in der ersten Hälfte des Jahrhunderts gelegt.

*) Eine interessante Stelle über diese besondren Sitze der Dichter und Kritiker findet man in Du Ryer's "Vendanges de Surênes" III. 2. 75 ff.

Zwölfter Abschnitt.

Die philosophische Arbeit. Descartes.

Neben der Entwicklung auf dem politischen, kirchlichen und socialen Gebiet, die auch von dem schwächsten Auge bemerkt werden konnte, neben der unverkennbaren Wandlung im künstlerischen und literarischen Geschmack der Nation ging eine andre Bewegung einher, die zwar nicht so sehr in die Augen fiel, aber deshalb nicht weniger tiefgreifend in ihrer Wirkung war. Es ist dies die philosophische Bewegung. Die jeweilig herrschende Richtung in der Philosophie lehrt uns nicht allein die innerste Gedankenwelt einer Zeit und ihre Stimmung erkennen, sie zeigt auch deutlich den Weg, den die kommenden Generationen einschlagen werden. Unbemerkt, aber um so sicherer dringen die Lehren der gerade geltenden Philosophie in alle Anschauungen des Lebens ein; sie beeinflussen die Wissenschaft, die Politik, die Literatur. So herrschte Kant während des vorigen Jahrhunderts in Deutschland, so machte sich später die Lehre Hegel's geltend, und welche Rolle im Leben der heutigen Zeit der Satz Darwin's vom Kampf um's Dasein spielt, ist bekannt. Darum ist es keine müssige Frage, wenn wir nach der philosophischen Arbeit des siebzehnten Jahrhunderts in Frankreich forschen. Erst wenn wir diese verstehen, wird uns das Wesen der ganzen Zeit und dadurch auch der Charakter der literarischen Thätigkeit vollkommen verständlich. Es kann uns nicht in den Sinn kommen, eine erschöpfende Geschichte der französischen Philosophie in jener Zeit zu geben. Nur so weit sie zur Literaturgeschichte gehört und diese erklären kann, darf sie hier ihren Platz finden.

Die Scholastik hatte Jahrhunderte lang ihre Herrschaft bewahrt, bis sie in der Zeit der Renaissance und der Reformation nicht mehr genügte, und ein neuer kräftiger Hauch das Geistes

Lotheissen, Gesch. d. franz. Literatur.

26

« PreviousContinue »