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zu, unbekümmert ob der Folgen, die sie treffen können. Um so merkwürdiger ist es, dass gerade Corneille's Frauenbilder populär geworden sind. Die grossen Figuren einer Chimene, Camilla und Paulina sind in das Bewusstsein des Volks übergegangen, wie kaum eine andre Gestalt der Dichtung; sie sind gleich Heldinnen der nationalen Geschichte noch heute lebendig. Auch in seinen späteren Dramen finden sich ähnliche, wenn auch blassere Figuren, so Pulchérie, Viriate und Aristie.

Kein Wunder, dass der Dichter lange Zeit der Liebling gerade der Frauen war. Die französischen Damen, die sich in der Zeit der Fronde an die Spitze des Aufstands stellten und das Volk zum Kampf aufriefen, wie die Herzogin von Longueville, oder wie Mademoiselle de Montpensier waren zwar keineswegs Muster von Reinheit und sittlicher Grösse, und konnten keinen Anspruch erheben als Ideal echter Weiblichkeit geehrt zu werden, aber sie hatten Kraft und Energie, und fühlten in sich einen Hauch jenes Geistes, der die Heldinnen Corneille's belebte. „Vive donc notre vieil ami Corneille!" rief Frau von Sévigné noch entzückt aus, als schon längst eine andre Zeit angebrochen war, andre Anschauungen herrschten und der Sänger des Heroismus anfing vernachlässigt zu werden *).

*) Mme. de Sévigné à Mme. de Grignan, 16 mars 1672: „Vive donc notre vieil ami Corneille! Pardonnons-lui de méchants vers, en faveur des divines et sublimes beautés qui nous transportent: ce sont des traits de maître qui sont inimitables".

Zehnter Abschnitt.

Rotrou und Du Ryer.

Lotheissen, Gesch. d. franz. Literatur.

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Neben Corneille kannte die Zeit der „fröhlichen" Regentschaft noch viele Dichter, deren dramatische Werke sich grossen Beifalls erfreuten. Doch hat die Nachwelt die meisten von ihnen so gut wie vergessen, und die Namen nur weniger Männer in ehrender Erinnerung bewahrt. Wir nennen hier nur Jean de Rotrou und Pierre du Ryer. Auch ihre Arbeiten sind zwar veraltet, allein man erkennt in denselben doch dramatisches Talent, und wir sehen aus ihnen am besten, was Corneille mit den zeitgenössischen Dramatikern gemein hatte und worin er sich von ihnen unterschied.

Jean de Rotrou stammte aus einer angesehenen Familie von Dreux in der Provinz Isle de France (heute Département Eure et Loire). Die Familie Rotrou rühmte sich, dem Staatsdienst und dem Richterstand schon viele tüchtige Männer geliefert zu haben. Jean de Rotrou selbst war am 19. August 1609 geboren, also drei Jahre jünger als Corneille. Von seinen Lebensschicksalen wird uns nicht viel berichtet. Zu keiner Partei gehörig, und unbekümmert um äusseren Erfolg, hat er Niemand mit Lobgedichten geschmeichelt, aber auch Keinem mit feindlichem Tadel weh gethan. Er ist wie ein sorgloser Geselle durch's Leben gegangen, hat es genossen so gut er konnte, hat mit dem Elend gekämpft und ist desselben niemals Herr geworden. In dem Foyer des Théâtre français, wo eine Reihe von Büsten und Standbildern an die hervorragenden dramatischen Dichter Frankreichs erinnert, sieht man nicht weit vom Bild Corneille's einen interessanten Kopf, in dessen freien, kecken Zügen sich Kraft und Offenheit aussprechen. Es ist die Büste Rotrou's, welche der Bildhauer Caffieri 1783 gearbeitet hat. Die Porträtähnlichkeit mag nicht ganz sicher sein. Wer aber des Dichters Schicksal kennt, findet in

dem Gesicht die Eigenschaften ausgedrückt, welche auf sein Leben so grossen Einfluss hatten, Leichtsinn, stürmischen Muth und Sinnlichkeit. Sein Kopf erinnert an die Büste Molière's, die ebenfalls von Caffieri gefertigt ist; nur zeigt er nicht die Melancholie, welche des letzteren Antlitz verschleiert.

Rotrou mag die damals übliche klassische Schulbildung genossen haben. Schon mit sechzehn Jahren schrieb er Gedichte, welche in den literarischen Kreisen beifällig aufgenommen wurden. Es war die Zeit, da die fade Lyrik in ihrer höchsten Blüte stand, und man kann nicht erwarten, dass ein junger Mensch von so wenig Erfahrung anders als im Stil der herrschenden Mode gedichtet habe. Der Erfolg seiner Gedichte gab ihm den Muth, sich auf der Bühne zu versuchen. So fand er sich, wie wir gesehen haben, mit Corneille zusammen, und gehörte zu der Schaar jugendlicher Dichter, welche sich neben Mairet geltend machten *).

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Sein erstes dramatisches Werk, die Tragikomödie „L'hypocondriaque ou le mort amoureux" wurde im Jahre 1628 zum erstenmal aufgeführt **). Die Hauptidee des unglaublich verwickelten Stücks ist kurz die, dass ein junger griechischer Cavalier, Cloridan, von seinem Vater an den Hof nach Korinth geschickt wird. Nur ungern verlässt er seine geliebte Perside. Unterwegs hat er das Glück, die schöne Cléonice vor dem frechen Angriff eines tollen. Liebhabers zu retten, und er gewinnt dadurch, ohne es wollen, die Neigung der Geretteten. Durch eine abscheuliche List bringt diese Cloridan dazu, an den Tod seiner Perside zu glauben. Aber der böse Anschlag bringt ihr keinen Nutzen. Cloridan wird wahnsinnig, wie das die Liebhaber damals so gern thaten, und glaubt selbst gestorben zu sein. In einer Grabcapelle des Schlosses, in dem er Aufnahme gefunden, legt er sich in einen offenen Sarg, und es kostet eine ganz besondere List, ihn wieder zur Vernunft zurückzubringen. Man sagt ihm, er werde eine zauberische Musik hören, welche die Kraft besitze, die Seelen der Abgeschiednen aus der Unterwelt zurückzurufen.

*Siehe Abschnitt III dieses Bands, S. 88.

**) Sie erschien im Druck zu Paris bei Toussaint du Bray 1631.

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