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Corneille fühlte, die letzte jener heroischen Frauen, welche der Dichter mit so viel Vorliebe gezeichnet hat. In mancher stillen begeisterungsvollen Nacht mag sich die Enkelin an ihres Ahns flammenden Versen begeistert haben. Vielleicht fühlte sie sich der hohen Seele einer Camilla verwandt, oder sie gedachte, da sie in patriotischer Verblendung ihr Vaterland durch einen Mord zu retten suchte, der Worte Emilia's, die Rom durch den Tod August's befreien wollte :

Wie ist es süss, den Tod der Seinen rächen!
Doch höh'rer Ruhm krönt den Tyrannenmord!
In ganz Italien soll man jubelnd rufen:
Die Freiheit Rom's ist der Emilia Werk! *)

*) Cinna I. 2. 55:

Joignons à la douceur de venger nos parents,
La gloire qu'on remporte à punir les tyrans,
Et faisons publier par toute l'Italie:

La liberté de Rome est l'oeuvre d'Emilie".

Neunter Abschnitt.

Corneille's Ideen über das Drama.

Stil und poetischer Charakter.

Sein

Die vorausgehenden Abschnitte haben zwar die dramaturgischen und ästhetischen Anschauungen, von welchen sich Corneille leiten liess, im Allgemeinen deutlich erkennen lassen. Doch ist es bei einem Mann von seiner Bedeutung wünschenswerth, dieselben noch einmal genau und im Zusammenhang zu betrachten.

Corneille selbst erleichtert uns diese Aufgabe. In den späteren Jahren seines Lebens hat er mehrere Aufsätze veröffentlicht, in welchen er die Gesetze des Dramas untersuchte. Er gründete dabei seine Ausführungen zumeist auf Beispiele, die er seinen eignen Werken entnahm. Man braucht daraus nicht zu schliessen, dass er diese Aufsätze hauptsächlich in der Absicht geschrieben habe, seine Dichtungen zu vertheidigen; denn sein Ruhm war gerade zu jener Zeit am wenigsten bestritten. Seit seinen ersten Lustspielen hatte er sich mit der Theorie des Dramas beschäftigt, und sich stets Rechenschaft von seiner Arbeit zu geben versucht. Wir erkennen in seinen Dichtungen deutlich die Spuren einer genau abwägenden Ueberlegung, und wissen, wie eifrig er bemüht war, die Formen des Dramas innerhalb gewisser Grenzen umzubilden. Von dem Tag an, da er nach der Aufführung der „Mélite" von der Existenz der strengen dramatischen Gesetze vernahm, quälte er sich mit den Forderungen derselben ab. In den Vorreden zu seinen Stücken kam er immer wieder auf sie zurück, aber er liess sich nicht einschüchtern und behauptete im Ganzen immer denselben Standpunkt. War er auch als Sohn seiner Zeit für Regelmässigkeit und Ordnung eingenommen, und opferte er deren Geboten mehr als uns gut dünkt, so war er doch zu sehr Dichter, als dass er sich nicht gegen die peinliche Strenge rein formaler willkürlicher Vorschriften gesträubt hätte.

Die Ausgabe der Werke, welche Corneille im Jahre 1648 veranstaltete, enthielt in dem zweiten Band eine erste grössere

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