Page images
PDF
EPUB

Siebenter Abschnitt.

Die Höhezeit Corneille's.

(1636-1652.)

Corneille's Leben war nicht reich an merkwürdigen Begebenheiten. Weder bezauberte er durch den Glanz einer hervorragenden Persönlichkeit, noch zog er den Blick der Menschen durch eine abenteuerliche Existenz auf sich. Sein Leben war das eines friedlichen Bürgers seiner Zeit. Die Mehrzahl der Dichter, die sich in dem Jahrhundert vor ihm bemerkbar gemacht hatten, waren gewissermassen aus ihrem Kreis herausgetreten. Marot, Régnier, Théophile und so viele andre gehörten mehr oder weniger zu der Klasse der genialen Vagabunden. Einzelne Dichter, wie Ronsard oder Philippe Desportes mochten eine Ausnahme bilden, da sie zu den herrschenden Kreisen, dem Adel oder der Kirche, gehörten.

Zum ersten Mal aber erhob sich in Corneille ein grosser Dichter, der, dem Bürgerthum entstammt, bürgerlich lebte, und trotz seines jungen Adelsbriefes seine bürgerliche Unabhängigkeit zu bewahren trachtete. Seine Werke spiegeln zwar wesentlich die vornehme Welt ab, ja die Ideen dieser letzteren finden gerade in Corneille einen begeisterten Vertreter; aber unverkennbar kündigt sich in ihm doch eine neu aufsteigende Schicht des Volks an, das Bürgerthum, das seine Kraft fühlt und sich zur Geltung zu bringen entschlossen ist.

Die bescheidene, rein bürgerliche Existenz Corneille's bietet dem Biographen wenig Anhaltspunkte, wenn er von den Werken absieht. Diese bilden die Hauptmarksteine seines Lebens.

[ocr errors]

Die Jahre, welche Corneille nach dem Erfolg seines Cid" und den heftigen Kämpfen um denselben zu Rouen in der Stille verbrachte, gingen nicht ungenützt vorüber. Entwürfe zu neuen dramatischen Werken beschäftigten ihn lebhaft. Er griff nun auf die Welt des alten Rom zurück, und fand dort Elemente, die seinem Charakter ganz besonders zusagten. Darum hat er auch den Stoff seiner Stücke in den folgenden Jahren mit

Lotheissen, Gesch. d. franz. Literatur.

15

[ocr errors]

wenig Ausnahmen alle der alten Geschichte entnommen. Wiederum war es eine neue Weise, die er in seinen Römerdramen versuchte. Er arbeitete zunächst an einer Tragödie, welche die Geschichte der Horatier und Curiatier behandelte, und dachte gleichzeitig an ein zweites Schauspiel, seinen „Cinna". Für die beiden Stücke hatte er kein Vorbild und er konnte sie nach Gutdünken ausführen. Seinen Gegnern jeden Vorwand zu neuen Angriffen zu nehmen, mag er mit besonderer Vorsicht gearbeitet haben. Er bemühte sich offenbar, die verlorne Gunst Richelieu's wieder zu gewinnen, und bequemte sich dazu, seinen „Horace" vor der Aufführung einem kleinen Kreis von Kritikern und Schöngeistern bei Boisrobert vorzulesen. Chapelain, L'Estoile, der Abbé d'Aubignac, der sich später in seinen dramaturgischen Arbeiten durch Pedanterie hervorthat, wohnten nebst einigen andern dieser Vorlesung bei. Richelieu erwies sich gnädig und liess den Horace" auf seinem Haustheater im Palais Cardinal zuerst aufführen. Es war dies wahrscheinlich in den ersten Monaten des Jahres 1640. Wenigstens spricht Chapelain in einem Brief an Balzac vom 9. März 1640 von dieser Vorstellung als einem noch jungen Ereigniss. Corneille widmete sein Stück später dem Cardinal und sagte in der Zueignung, dass er ihm alles zu verdanken habe, was er geworden sei. Diese Schmeichelei überrascht uns um so mehr, als wir in Corneille einen unabhängigen Charakter zu sehen gewohnt sind. Aber jeder Mensch muss mit dem Mass seiner eignen Zeit gemessen werden, und die überschwänglichen Ausdrücke, wie sie damals in den Dedicationen üblich waren, wurden so wenig ernst genommen, wie die huldigenden Schlussformeln in den Briefen der heutigen Zeit. Zudem erscheint Corneille's Wort bei genauerer Betrachtung nicht ganz unbegründet. Wir werden sehen, dass kurz bevor Horace" im Druck erschien, der Dichter nur auf des Ministers Fürsprache die Hand der Geliebten erhielt, und so dürften wir vielleicht dem Liebenden den übertriebnen Ausdruck der Dankbarkeit zu Gute halten.

[ocr errors]

Corneille's Freund, Mondory, stand nicht mehr an der Spitze des Theaters im Marais. Als es sich deshalb darum handelte, den „Horace" einem grösseren Publikum vorzuführen, hatte Corneille keine Veranlassung mehr, seine Dichtung der Truppe des Marais

« PreviousContinue »