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obscura wechseln die Bilder in dieser traurigen Geschichte der Fronde. Mit einem Male stand die Regentin und die Fronde gegen Condé. Dieser sah sich aufs Neue bedroht, eilte in die Guyenne und schloss ein Bündniss mit den Spaniern. Bald war der Süden bis an die Loire in seiner Gewalt. Turenne blieb dafür diesmal der Königin getreu, und in dem Krieg, der nun mit wechselndem Glück geführt wurde, standen sich die zwei tüchtigsten Feldherrn Frankreichs feindlich gegenüber. Mazarin kehrte an die Seite der Königin zurück und alsbald reizte Gondi das Pariser Volk wieder gegen die Regierung auf.

Es würde uns zu weit führen, wollten wir den Gang des Kriegs im Einzelnen verfolgen. Uns gilt es ja nur, den Charakter der Epoche zu verstehen. So genügt es zu sagen, dass Condé nach einiger Zeit auf Paris rückte. Da ihm das königliche Heer folgte, verschloss die Stadt beiden Armeen ihre Thore. Es kam zwischen Condé und den Königlichen in der Vorstadt Saint-Antoine zu einem hitzigen Treffen. Condé wäre verloren gewesen ohne die Entschlossenheit der Prinzessin von Montpensier, des armseligen Gaston von Orléans heroischer Tochter. Auf die Kunde von der Gefahr, in welcher Condé und sein Heer schwebten, eilte sie an der Spitze einer Schaar handfester Leute auf das Rathhaus und erzwang vom Gouverneur den Befehl, der flüchtenden Armee die Thore zu öffnen. Eine wilde Anarchie brach darauf in Paris aus, Blut floss in Strömen; wer des „Mazarinismus“ beschuldigt wurde, sah sich in Todesgefahr, denn der Pöbel war losgelassen und herrschte. Aber gerade diese Zustände entfremdeten dem Prinzen Condé die Herzen er Bevölkerung aufs Neue; man beschuldigte ihn, die Ursache alles Elends zu sein. Nur Mazarin stand einer Aussöhnung der Stadt mit dem König und der Regentin im Weg. Er verliess daher zum zweiten Mal das Land, und während Condé sich nun ganz den Spaniern in die Arme warf, hielt Ludwig XIV. seinen triumphirenden Einzug in der Hauptstadt, wo Gondi die Gemüther für ihn gestimmt und sich damit endlich den Cardinalshut errungen hatte.

Einmal im Besitz von Paris, wechselte die Regentin, die auch aus der Ferne von Mazarin geleitet wurde, aufs neue ihre Politik. Der Herzog von Orléans wurde verbannt, der Cardinal von Retz

Lotheissen, Gesch. d. franz. Literatur.

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(Gondi) verhaftet, Condé selbst zum Tode verurtheilt. Damit war die Fronde unterdrückt. Mazarin kehrte 1653 nach Paris zurück und leitete mächtiger als je zuvor die Regierung des Landes.

Wol dauerte der Krieg mit Spanien noch fort. Allein er war auf die innere Gestaltung und Entwicklung des Landes von keinem Einfluss. Condé war zum einfachen Parteigänger herabgesunken, Der Pyrenäische Friede (1659), der auch ihn nach Frankreich zurückführte, schloss die lange Kriegszeit zwischen Spanien und Frankreich definitiv ab; aber wenn Ludwig XIV. auch erst 1661 nach seines mächtigen Ministers Tod die Zügel der Regierung mit eigener Hand ergriff, das Princip war seit 1653 entschieden. Nach der definitiven Unterdrückung der Fronde gab es in Frankreich keinen andern Willen mehr als den des Königs *).

Der Abschluss der Fronde bezeichnet in der Geschichte Frankreichs eine wahrhafte Revolution. Zwischen der Zeit Ludwigs XIII. und der seines Sohnes liegt eine tiefe Kluft. Staatsleben, Gesellschaft, Sitten und Anschauungen weisen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts eine tiefgreifende Veränderung auf.

Die Zeit von 1630-1650 ist in vieler Hinsicht merkwürdig. Sie gefällt sich in Gegensätzen und Widersprüchen, mischt Grosses und Niedriges, Kraft und Schwäche. Die Menschen einer solchen Epoche tragen andern Sinn in sich, als die Kinder einer Zeit ruhiger, regelmässiger Entwicklung. Neben Frivolität und Leichtsinn glänzt dort ritterliche Galanterie und Herzens wärme, neben Unzuverlässigkeit und Wankelmuth finden wir Opferfreudigkeit und Hingebung. Noch einmal erscheint der Adel als tonangebend und zeigt sich mit seinen Tugenden und Fehlern als die Blüte der Nation. Glänzend, prunkliebend, leichtgesinnt und mühelosem Lebensgenuss nacheilend, ist er zugleich kühn, empfänglich für Alles was schön ist, und voll Achtung vor jeder geistigen Kraft.

*) Ueber die Geschichte der Regentschaft und der Fronde vergl. ausser H. Martin, Histoire de France, Paris, Furne, t. XII; Bazin, Histoire de France sous Louis XIII. et sous le ministère du cardinal Mazarin. Paris, Chamerot 1846. 4 vols. (2. éd.); Casimir Gaillardin, Histoire du règne de Louis XIV. 6 Bände, Paris, Lecoffre 1874 bis 1876, und A. Chéruel, Histoire de France pendant la minorité de Louis XIV. Paris, Hachette 1879. Von diesem Werk sind nur die beiden ersten Bände bis jetzt erschienen.

Das Leben pulsirt rasch in diesen Menschen, die schnell zur That entschlossen sind, aber auch eben so rasch das begonnene Werk aufgeben. Ein solches Geschlecht mag viel Liebenswürdiges haben, Grosses wird es nicht erreichen, und Herrscher über dasselbe wird der sein, der Ausdauer besitzt und nach festem Plan vorgeht. Als der französische Adel den letzten Kampf für seine Machtstellung wagte, war ein dauernder Sieg für ihn kaum vorauszusehen. Es mangelten ihm die Eigenschaften, die im Staatsleben zum Ziel führen; denn er erwies sich ohne Verständniss für die Forderungen der Zeit, ohne umfassenden, auch auf die Zukunft gerichteten Blick, ohne Plan im Handeln, ohne Einigkeit.

Die Zeit hatte etwas Jugendliches, Frisches, Stürmisches, ja sogar Rauhes in sich. Ihre Geschichte gewinnt nicht selten einen Anstrich von Romantik, und manchmal macht sie uns den Eindruck, als läsen wir ein Märchen von verzauberten Prinzen oder eine alte Heldensage. Denn wie der Charakter jener Menschen die grellsten Gegensätze zeigte, so unterlag ihr Leben oft den grössten Wechselfällen. Mächtige Herzoge sahen sich plötzlich in den Kerker geworfen und mussten ihr Haupt auf den Block legen, oder sie wurden zu Empörern und zogen abenteuernd im Land umher, während edle Frauen sich in den Kampf der Parteien mischten. Von Liebe oder Ehrgeiz getrieben, stürzte sich die eine in das Gewühl der aufgeregten Menge, um sie zu gewinnen; zog die andere an der Spitze einer Reiterschaar durch das Land und freute sich ihres modernen Heldenthums. Eine königliche Prinzessin wurde wie ein scheues Wild gejagt und flüchtete von Versteck zu Versteck, bis ein rettendes Schiff sie aufnahm. Wer war noch sicher, wenn selbst Königinnen in die Verbannung geschickt oder strengem Verhör unterworfen und bedroht wurden? Wenn der König des Landes, noch zu jung, um das Scepter selbst zu führen, vor seinen empörten Vasallen fliehen musste? Selbst Richelieu, der in Vielem so ganz modern und nüchtern erscheint, wurde zeitweise von einem romantischen Streiflicht getroffen. Man munkelte schaudernd von den geheimnissvollen Besuchen der grauen Excellenz", des Paters Josef, und die geistige Kraft, mit welcher der Cardinal seinen kranken Körper beherrschte, hatte für Viele etwas Dämonisches.

Mit der Fronde und der Unterwerfung des Adels schloss der erste Act in dem Schauspiel der modernen französischen Geschichte. Von den Fünfziger Jahren an wurde es still und stiller in der Politik. Jede Opposition galt bald für ein Verbrechen. Das Theater, ein Barometer der öffentlichen Stimmung, behandelte seitdem kaum noch ein politisches Thema; es widmete sich der Schilderung der Herzensleidenschaften, der Liebe und ihrer Stürme. Corneille allein, der Zeuge vergangener Zeiten, redete manchmal noch die Sprache politischen Lebens. Aber er hatte schon etwas Alterthümliches an sich.

Auf einem andern Gebiet versuchten es die Jansenisten, selbständig zu sein und auf ihre Weise selig zu werden. Aber der Staat Ludwig's XIV. duldete solche Unabhängigkeit nicht. Die Jansenisten wurden auseinander gesprengt, die Protestanten vertrieben. Der einst so stolze Adel sank zum Hofadel herab, und der Monarch hatte seine Freude daran, wenn seine Edelleute auf der Bühne von Molière lächerlich gemacht wurden. Und leider verdienten sie den Spott!

Mit dem Zusammenbruch der Fronde schwand auch der grosse Einfluss, welchen der Adel bis dahin auf die Literatur ausgeübt hatte. In der letzten Hälfte des Jahrhunderts richtete sich diese nach dem Geschmack des Königs oder sie empfing, oft ohne es zu wissen, ihre Richtung von dem Bürgerthum. Denn so weit war dasselbe bereits erstarkt, dass es mehr und mehr zum Träger der Bildung wurde. Langsam aber sicher errang es selbst unter Ludwig XIV. die Herrschaft in der Literatur. Anders aber war das Verhältniss vor dem Aufstand der Fronde. Damals stand die Literatur noch völlig unter dem Einfluss der Aristokratie, deren Geschmack die Dichter huldigten und bei der sie Schutz und Unterstützung fanden. Zu einer Zeit, wo von der Theilnahme der eigentlichen Nation, also von einem grösseren Publikum für eine Dichtung kaum die Rede war, wo der grösste literarische Erfolg nicht genügte, dem Dichter ein unabhängiges Leben zu sichern, musste man es den grossen Familien danken, wenn sie schützend und fördernd eintraten. Weder König Ludwig XIII. noch seine Gemahlin, die Königin-Regentin, kümmerten sich viel um die schönen Künste. Denn dass ersterer etwas Musik

trieb, letztere das Schauspiel liebte, kommt doch nicht in Betracht. Die Mäcene jener Zeit gingen alle aus dem Kreis des hohen Adels hervor. Wir sahen Richelieu mit seinem Stab von Dichtern, Schöngeistern und getreuen Akademikern. Mairet, Théophile de Viau fanden an dem jugendlichen Heinrich von Montmorency einen warmen Gönner. Longueville gewährte dem gelehrten Chapelain ein hohes jährliches Gehalt, um ihm die nöthige Musse zur Vollendung des mit Spannung erwarteten Epos zu sichern. Noch viele andere wären hier zu nennen; so der Graf Bélin, der sich Mairet's annahm, als Montmorency traurig geendet hatte; der Herzog von Guise, in dessen Palast Corneille gewohnt haben soll, so oft er von Rouen nach Paris kam. Selbst die schwülstigen Dedicationen, ohne welche sich damals kaum ein Druckwerk an die Oeffentlichkeit wagte, liefern den Beweis für die Theilnahme des Adels. So unangenehm uns diese Lobhudeleien auch heute berühren mögen, so zeigen sie doch, wie hoch die Gönner solche Huldigungen schätzten und wie reich sie dieselben belohnten. Andernfalls wäre die Sitte der Widmungen nicht so allgemein geworden.

Ausserordentlich in jeder Hinsicht war der Aufschwung des französischen Geistes in den Jahren, die uns jetzt beschäftigen. Einer Epoche, welche Männer wie Corneille und Descartes hervorbrachte, wird man den Ruhm der Grösse und Kraft nicht streitig machen, zumal, wenn man erkennt, wie bedeutend ihr Einfluss auch auf die literarische Entwicklung der folgenden Zeit gewesen ist. Molière, Boileau, Lafontaine, Pascal, La Rochefoucauld, Retz, die Sévigné, die grossen Redner, sie alle haben ihre Jugend und zum Theil auch ihre ersten Mannesjahre unter dem Einfluss der aristokratischen Gesellschaft, wie sie vor der Fronde lebte, verbracht und ihre Bildung in der belebten Zeit erworben, die wir jetzt genauer betrachten wollen.

Haben wir aber erkannt, dass die hohe Aristokratie damals den Ton in der Literatur angab, so muss es zunächst unsere Aufgabe sein, das Leben derselben zu schildern und ihren Bildungsstand zu erforschen. Wir werden nach den Idealen fragen, für welche sich die vornehme Gesellschaft jener Zeit zu begeistern vermochte, und wollen versuchen, uns deren Lebensanschauun

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