Page images
PDF
EPUB

dem Dach versteckt bleibt und nur Nachts in die Küche schleicht, um sich etwas Nahrung zu suchen. Clindor aber setzt sich zur Wehr; er ersticht seinen Gegner, wird umringt und verhaftet. Im vierten Act sehen wir ihn zum Tod verurtheilt, im Kerker. Aber Lyse, Isabellen's Zofe, hat den Kerkermeister durch ein Eheversprechen gewonnen. So gelingt es Isabellen den Geliebten zu befreien, nachdem sie von den Schätzen ihres Vaters zusammengerafft, was sie gerade hat finden können, und die beiden Paare retten sich durch die Flucht. Im fünften Act zeigt der Zauberer in einem andern Bild die Flüchtlinge in neuen Verhältnissen. Sie sind Schauspieler geworden, und man sieht sie in der letzten Scene einer Tragödie auftreten, in der Clindor ermordet wird und Isabella vor Schmerz darüber stirbt. Pridamant, der nicht weiss, dass es sich hier nur um ein Schauspiel handelt, ist vor Schmerz ausser sich, wird aber durch Alcandre's Kunst schnell beruhigt; denn auf dessen Wink erhebt sich ein Vorhang, und die Todtgeglaubten treten mit andern Schauspielern auf die Bühne, ihre Kasseneinnahme zu theilen. Jetzt erst begreift Pridamant die Stellung seines Sohns und erklärt sich mit derselben zufrieden, nachdem ihm der Zauberer in warmen Worten die Achtung geschildert hat, in der das Theater allenthalben steht*).

Die Biographen und Erklärer Corneille's haben diesem Lustspiel eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In der That erwies Corneille schon hier seinen Beruf für die Tragödie, indem er, ohne es zu wollen, dem Capitan öfters eine Sprache in den Mund legte, welche jeden komischen Anstrich verlor und so volltönend war, dass er sie ebensogut einem seiner spätern Helden hätte geben können. Einige Beispiele seien hier angeführt. Matamore ruft II, 2, 13:

„Le seul bruit de mon nom renverse les murailles,

Défait les escadrons, et gagne les batailles".

Die Verse sind so heroischen Charakters, dass Boileau nicht scheute sie zum Lob des Prinzen Condé zu verwerthen. In Boi

leau's Epître IV („Au roi“), Vers 133 heisst es:

Condé, dont le seul nom fait tomber les murailles,

Force les escadrons et gagne les batailles.

*) Siehe Band I. S. 344.

Lotheissen, Gesch. d. franz. Literatur.

121

Im dritten Act (Sc. 4, Vers 1. ff.) legt Corneille dem Capitan folgende Verse in den Mund:

Respect de ma maîtresse, incommode vertu,
Tyran de ma vaillance, à quoi me réduis-tu?

Que n'ai-je eu cent rivaux en la place d'un père,

Sur qui, sans t'offenser, laisser choir ma colère!

Und Marty-Laveaux bemerkt mit Recht in seiner Ausgabe (II, Seite 424), dass diese Stelle den Cid nicht verunzieren würde. Eine weitere Anregung hat Boileau im fünften Act (Sc. 5, v. 1) gefunden. Dort heisst es:

Ainsi de notre espoir la fortune se joue,

Tout s'élève ou s'abaisse au branle de sa roue.

was sich bei Boileau, Epître V, Vers 133, folgendermassen gestaltet:

Qu'à son gré désormais la fortune me joue

On me verra dormir au branle de sa roue *).

Doch auch ausserdem scheint uns das Lustspiel, mit dem Corneille die Thätigkeit seiner ersten Epoche abschloss, bemerkenswerth durch den Humor, der sich, allerdings neben vielfachen Längen, in ihr geltend macht, und mehr noch durch die feine Zeichnung Isabella's. Wir haben hier eine für die damalige Zeit sehr gelungene Charakterschilderung. In Isabella verbindet sich heitre Laune und Anmuth mit warmem Gefühl. Neckisch und gewandt weist sie Adraste, den unwillkommnen Bewerber, zurück: Die Dinge tragen oft verschiedne Namen:

Mir gilt als Dornen, was ihr Rosen nennt;

Was ihr als Huldigung und Liebe preist,

Erscheint mir als Verfolgung und als Qual**).

Innig aber wird sie, wenn sie von ihrer Liebe zu Clindor spricht:

*) Der erste Vers ist wörtlich Rotrou's „Doristée" (1634) I. 2. v. 106 entnommen. Cléagénor klagt dort:

Ainsi de notre espoir la fortune se joue,

Ainsi les plus heureux ont un frêle destin,

Et tel n'est pas le soir ce qu'il fut le matin.

**) II. 3. 19:

Nous donnons bien souvent de divers noms aux choses:

Des épines pour moi, vous les hommez des roses;

Ce que vous appelez service, affection,

Je l'appelle supplice et persécution.

Das ganze Glück der Erde liegt in ihr

Und sie allein macht mir das Leben theuer.

Für dich misshandelt werden ist ein Trost,

Und jede Qual gilt mir gleich einer Gunst,
Wenn ich für dich sie leide *).

Ihr warmes Herz offenbart sich, wenn sie die Thür des Kerkers öffnet, um den Geliebten zu befreien, und ihre Sprache wird in diesem Moment besonders einfach und natürlich. „Lyse, wir werden ihn sehen!" sagt sie mit erstickter Stimme, und ihre Begleiterin sucht sie zu beruhigen, indem sie warnend sagt: Wie seid Ihr ausser Euch!"**)

Die „Illusion" schliesst die erste Epoche in Corneille's Dichterleben ab. Mit ihr endet seine Lehrzeit. Obwohl in ihren poetischen Ergebnissen nicht gerade reich, ist diese Zeit doch von hohem Interesse für jeden, der die Entwicklung Corneille's verfolgen will. Sein Talent entfaltete sich im Ganzen langsam; sein Erstlingswerk stellte ihn nicht, gleich andern Dichtern, alsbald in die Reihe der bahnbrechenden Männer; er warf nicht wie der jugendliche Schiller seinen erschreckten Zeitgenossen ein Werk flammender Leidenschaft entgegen. Dazu war sein Geist zu fest in sich gegründet, und er hatte zunächst auch die Schwierigkeiten zu überwinden, welche ihm die Sprache sowohl, wie die noch ungefüge Kunst der Scene boten.

Gewiss, die Jugendwerke Corneille's gehören nicht zu den Dichtungen, welche ewiges Leben haben. Erst mit dem „Cid" betrat er die Bahn, die ihn zur Höhe führen sollte. Allein so gross auch der Unterschied sein mag, der zwischen seinen

[blocks in formation]

früheren Lustspielen und den Dramen seiner reifen Jahre besteht, man erkennt doch auch in den ersteren bereits viele Grundzüge des poetischen Charakters, wie er sich in der Folge entwickelte. Von Anfang an zeigte Corneille den festen verständigen, seines Zieles klar bewussten Sinn, und nicht minder bewahrte er Adel und Reinheit des Geistes. In seinen Stücken athmet man reine Luft, und man kann sagen, dass Corneille's Muse immer keusch geblieben ist.

So entwickelt sich der Genius des Dichters langsam aber sicher. Sein Geist reift und kräftigt sich, seine Menschenkenntniss wächst, die Geheimnisse der Sprache werden ihm vertraut. In dem fortwährenden Ringen mit seiner Aufgabe, dem Bestreben, das Drama weiter zu führen, findet er endlich den rechten Stoff im rechten Augenblick. Da verkörpert er, von einer alten Heldensage begeistert, in dem „Cid" das Ideal seiner Zeit, und reisst durch die Poesie, den Schwung und die jugendliche Anmuth, womit er seinen Rodrigo und dessen heroische Geliebte verklärt, sein ganzes Volk zum lautesten Enthusiasmus hin. Er begründet damit die französische Tragödie, wie er einige Jahre später, zur Komödie zurückkehrend, durch seinen Menteur" auch das wahrhafte Lustspiel kennen lehrt.

[ocr errors]

Fünfter Abschnitt.

Der Cid.

« PreviousContinue »