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lotta d'Alcide", I, Sc. 8, welche schon im dritten Takt eine rhythmische Verschiebung bringt:

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sonders in den Tänzen sehr häufig, zum Beispiel im „Phaeton“ (Akt 1, „Troppe d'Astrée dansante"), ebenso bei Lully's Nachahmern, z. B. bei Collasse in der Oper „Achille et Polixène“ (Akt 4, Sc. 4),,Chaconne" oder (Akt 5, Sc. 2), Air, Flötennachspiel; auch in den Menuetts des später zu behandelnden Melchior d'Ardespin finden sich diese Synkopen sehr oft. Ein weiteres hierher gehöriges Charakteristikum ist der Wechsel des Rhythmus sowohl innerhalb des Recitativs wie der Arie. In III, Sc. 9 des ,,Servio Tullio" beginnt Albina ihre Arie,,In amar ci vuol costanza" im c-Takt bis zu ,,vuol", um dann den ganzen zweiten Teil im Takt zu singen. Augenscheinlich beabsichtigt Steffani hier den Gegensatz zwischen treu ausharrender Liebes werbung und koketter Liebesweigerung zu malen. Übrigens ist dieser Taktwechsel auch schon Cesti geläufig. Steffani ist damit sehr sparsam, zumal wenn wir z. B. Lully vergleichen, der namentlich im Recitativ alle Augenblicke zwischen dem dritten und zweiten Rhythmus hin- und herschwankt, übrigens ein treffliches Mittel zur Belebung der Deklamation.

Das Recitativ pflegt Steffani mit einer deutlich vorbereitenden Ganz- oder Halbkadenz zu schliessen, um dann darauf die Arie folgen zu lassen.

Wir verfolgen im ,,Servio Tullio" zwei Typen der Arie. Den einen Typus charakterisiert die vorherrschende Liedmässigkeit in der Anlage und im Ausdruck. Nennen wir sie

schlechtweg,,Ariette". Sie hat nur zwei Teile, A, B, entweder jeden einzelnen wiederholt oder beide durch ein Orchester-Ritornell getrennt. Die Begleitung bildet stets das Cembalo. Schwere Koloraturen sind möglichst vermieden (das ist ihr Hauptkennzeichen!), der Text ist meist vierzeilig von der Musik eng umschlossen. Die Stücke ,,Col scoccar d'un guardo" (Akt I, Sc. 13) und ,,Se il labro" (Akt I, Sc. 15) mögen als Beispiele dienen.

Den zweiten Typus charakterisiert die entweder ausgeschriebene oder mit ,,da capo al segno" verlangte Wiederholung1) des kürzeren ersten Teils A nach B, oder in selteneren Fällen die des Teiles B (wie z. B. in der Arie der Tullia,,Offesa beltà", I, Sc. 18). Wir unterscheiden zwei Unterabteilungen dieser Ariengattung, eine noch etwas liedmässige, wenig kolorierte Arie mit Cembalo mit oder ohne Ritornell und die breit angelegte meist koloraturenreiche Arie, die sehr oft mit dem Orchester, bisweilen aber auch entweder ganz, oder im zweiten Teil vom Cembalo begleitet ist. Wie die grosse Orchesterarie, so hat auch die Cembaloarie oft ein kurztaktiges, den thematischen Gehalt andeutendes Vorspiel. Auch folgt ihr fast immer das Orchester-Ritornell. Dieser zweite Typus ist, wie sofort zu ersehen, die Grundlage der schon bei Cavalli vorgezeichneten, bei Cesti bestimmter gegliederten und endlich von Scarlatti zum Princip erhobenen, gross angelegten Da capo - Arie. Die Ariette verwendet Steffani im,,Servio Tullio" nur selten. In seinen späteren Opern macht er davon gar keinen Gebrauch mehr. Damit man sich von ihrer Beschaffenheit überzeuge, citiere ich das bereits erwähnte Stück,,Col scoccar" (I, 13):

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1) In der Partitur steht stets NB. als Zeichen des da Capo, und

das Segno ist entweder ein Stern oder auch ||.

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Man erinnere sich des kurz vorher angeführten Ariosos. Wie schlicht ist hier der Ausdruck, wie knapp die Form!

Die Arie erster Ordnung, welche in ,,Servio Tullio" überwiegt und das lyrische Element im Drama zum Ausdruck bringt, tritt in den späteren Opern zurück und wird überhaupt weit grösser und der grossen Da capo-Arie ähnlicher. Wir dürfen nur die Opern,,Libertà contenta",,,Briseide“ und ,Orlando“ betrachten, wie langathmig sind da die Vorspiele, z. B. in der Arie „Godi godi" (in,,Briseide"), wie breit angelegt die Perioden und wie frei schaltet Steffani mit dem Taktwechsel! Man sehe den Anfang des eben erwähnten Stückes:

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Violinen.

e

9

Letc.

Go

di go- di

etc.

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Ich glaube die Form dieser Arie in,,Servio Tullio“ am besten auseinanderzusetzen, wenn ich die Arie der Juno im Prolog ,,Ti voglio fedele" in G moll, , herausgreife. Die Form ist A-B-A. Die erste Periode besteht aus zwei Gliedern von je drei Doppeltakten, die für fast alle anderen Arietten typische wörtliche Wiederholung des ersten Gliedes nicht eingerechnet. Die zweite Periode umfasst 5 Doppeltakte, die dritte entspricht genau der ersten. Betrachten wir die melodische Entwickelung des ganzen Stückes, so fällt uns die ausserordentliche Knappheit im Aufbau und die schon in der Ouverture hervorgetretene meisterhafte Verwertung des =b Anfangsmotives: als Grundge

danke des Ganzen auf. Dabei ist die Melodieführung frei und gegen den lebhaften Bass des Cembalo, des stereotypen Begleitinstruments für die Ariette, kunstvoll kontrapunktiert. Der Mittelsatz bringt mit dem chromatisch aufsteigenden Bass Es, E, F, Fis, G, eine originelle Modulation, die den Text,,sei troppo crudele" ganz prächtig charakterisiert. Es ist mit einem Wort ein reizvolles Stück! Nicht nur die bedeutende Sanglichkeit, sondern vor allem die einheitliche

Stimmung, sowie die knappe musikalische Form verleiht ihm den hohen Kunstwert.

Unter die das „,,Da capo" ausgeschrieben zeigende Gattung gehört auch die Arie des Licinio,,Voglio sperar" (I, Sc. 25), deren erster Teil gegen den mit reicherer Koloratur versehenen zweiten fast zu kurz ausgefallen ist.

Am häufigsten findet sich die Cembalo-Arie mit,,Da capo al Segno". Zu den schönsten rechne ich die tiefempfundene Drusilla-Arie (I, Sc. 2) und die der Tanaquil (I, Sc. 4),,E un sogno la vita". Diese Arie hat eine Bassbegleitung, die in ihrer eigentümlichen Bewegung:

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etc.

für

Steffani typisch ist. Sie gemahnt uns an die Wahnsinnsarie im „Orlando", wo eine ganz ähnliche, nur lebhafter ausgestaltete Bassfigur die Grundlage des Seelengemäldes bildet.

Die Arie zweiter Ordnung, die grösser angelegt und reicher koloriert ist, wird vom Cembalo oder Orchester begleitet und vertritt das dramatische Element. Steffani bringt deren in,,Servio Tullio" noch nicht viele, wenn wir spätere Opern, etwa,,Rivali concordi" oder „,Tassilone", in denen ja bereits Chrysander einen Fortschritt in der Entwickelung unseres Meisters erkannte, vergleichen. Es befinden sich unter ihnen ganz grossartige Kompositionen. Steffani zeigt sich da als wohlbewanderter Gesangstechniker, war er ja doch von seiner frühesten Kindheit an ein trefflicher Sänger, sodass es uns nicht wunder nimmt, wenn er noch als 74jähriger durch seine klangvolle Stimme den jungen Händel entzückte1).

Gleich in der ersten Scene des ersten Aktes fällt die Arie des Ombra,,Risuegliati su!" auf. Die ganze Haltung des Stückes zeichnet die aussergewöhnliche Situation. Voraus geht ein langes, langsam und leise (piano) gehaltenes Orchestervorspiel (c), in welches ein in der ganzen Oper und auch sonst bei Steffani vereinzelter Fall! das Recitativ zwischen Ombra und Tanaquil ganz frei eingeflochten ist. Dann

1) cf. Chrysander, a. a. O., p. 353.

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