Page images
PDF
EPUB

andere, die das Nardenglas zerbricht und ihrem HErrn das stumme Opfer der Liebe bringt. Diesen stillen Geist, ohne Wort und doch so beredt, den wünsche ich Euch. Nicht die Stille des Kirchhofs brauche ich's Euch noch zu sagen? auch nicht die Stille der Unthätigkeit und Trägheit, sondern die heilige Stille, ohne die nichts wahrhaft Großes, Bleibendes in der Welt geleistet wird. Erst ein Johannes still in der Wüste, dann vor alles Volk tretend erst ein Luther in der Zelle kämpfend und ringend, und dann vor Kaiser und Reich! Erst in die Tiefe, in die Stille hinein, wie ein Daniel sein Fenster offen hatte gen Jerusalem und von daher Licht und Trost und Heimathluft einsog und dann vor den König zu Babel trat mit stillem königlichen Geiste!

[ocr errors]

Laßt mich schließen.

Einmal ist der Mensch still, das ist am Anfang seines Lebens, da kann er noch nicht reden, und zum andern Male wird er wiederum stille, das ist am Ende seines Lebens, da mag er nicht mehr reden. Schweigen bei Geburt und Scheiden. Zwischen der ersten und der letzten Stille, meine geliebten Kinder, laßt Euer Herz stille sein zu Gott, der Euch hilft. Durch Stillesein und Hoffen werdet Ihr stark sein, stark auch im letzten Kampf. Heilige Stille wird sich dann um Euch lagern; wenn dann die Lippen nicht mehr reden können, werden die Augen sprechen und der friedevolle Blick es bezeugen, daß der verborgene Mensch des Herzens die Hülle nun ablegen und eingehen wird zur seligen Ruhe der Kinder Gottes. Da hinauf Eure Herzen! Für einen ew'gen Kranz dies arme Leben ganz! Noch ist nicht erschienen, was wir sein werden, noch ist unser Leben, wenn es köstlich ist, verborgen mit Christo in Gott, so soll es auch bei Euch bleiben: der verborgene Mensch des Herzens unverrückt, mit sanftem und stillem Geist, Euer schönster und köstlichster Schmuck; den haltet fest, den traget durch, dazu verhelfe Euch und segne Euch der treue HErr, hochgelobt in Ewigkeit! Amen.

"

5. Rede

zur Einsegnung im Herbst 1888.

Text: Psalm 103, 15 bis 18.

Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blühet wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber gehet, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.

Die Gnade aber des HErrn währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind bei denen, die seinen Bund halten und gedenken an seine Gebote, daß sie danach_thun“.

Es ist Erntedankfest heute. Ueberall in den Kirchen unseres lieben Vaterlandes, soweit das Evangelium gepredigt wird, ziehen sie hin, den Erntekranz in der Hand, und legen ihn auf den Altar, dankend, daß die milde Hand Gottes auch in diesem schweren und ernsten Jahre sich nicht geschlossen und die Augen, die auf Ihn gewartet, nicht enttäuscht hat.

Erntefest auch hier an diesem Abend, -- Konfirmationstag auch ein Erntedanktag. Freilich, geliebte Eltern, es ist, wenn Ihr wollt, noch eine junge Saat und eine frühe Ernte aus den Herzen Eurer Kinder; das Bekenntniß, das sie jetzt ablegen, die erste Frucht von dem, was ihr Gott in sie gesäet, was Ihr in sie hineingelegt und was ich in diesen Jahren ins junge Herz habe pflanzen und hineinbinden können. Eine Saat auf Hoffnung, eine Erstlingsfrucht der Lippen, und doch, nicht wahr? Grund genug zu Dank und Lob. Lebendiger als sonst, liebe Eltern, steht am heutigen Tage die Chronik Eures Herzens und Lebens vor Eurem inneren Auge, und mit ihr Alles, was Ihr vom ersten Augenblick an bis zu dieser Stunde mit Euren Kindern erlebt und durchlebt habt. Mit jedem Kinde erlebt man ja etwas Besonderes. Jedes Kind ein besonderer Gedanke Gottes, eine besondere Gabe seiner Hand aber auch eine besondere Aufgabe, in unsere Hand gelegt. Das eine Kind ein Sonnenschein im Hause, das andere ein Sorgenkind, das eine mehr der Liebe und der Tröftung bedürfend, das andere mehr der Zucht und Vermahnung. Was wir an ihnen

versäumt und verfehlt nach der einen oder anderen Seite, das wolle der HErr in Gnaden bessern und zudecken, wir aber wollen mit Danken vor sein Angesicht kommen und im Blick auf das, was unser Gott und Heiland an ihnen gethan, mit Freuden bekennen: „Bis hierher hat der HErr geholfen".

Aber der Tag gehört doch Euch, lieben Kinder, in besonderer Weise. Wenn heute eine Frucht von Euch verlangt wird, so sollt Ihr Euch sagen, daß zugleich von Neuem ein Samenkorn in Euch gelegt wird. Was der Dichter spricht: „Alles ist Saat, Alles ist Ernte", das gilt auch Euch. Möchte dieser Tag ein Beschlußtag werden, aber zugleich ein Tag des Entschlusses, von dem an es nun vorwärts geht. Was in dieser Stunde in Eure Herzen kommt von oben her, was der Morgensonnenstrahl der Gnade Gottes in Euren jungen Herzen wachgeküßt, das will sich entfalten zur vollen reifen Frucht Eures Lebens. Ihr werdet an diese Stunde zurückdenken noch in Eurem Alter; sie wird Euer Trost sein, daß Euch das Licht der Gnade aufgegangen am Morgen Eures Lebens, aber sie wird auch der Ankläger sein, wenn Jhr durch Untreue aus der Gnade gefallen, wenn der alte Mund verleugnet, was der junge bekannt hat. Eines sollt Ihr wissen: Es giebt keinen Stillstand im Christenleben; ich habe es Euch oft gesagt: Christen sind wie der Mond, entweder sie nehmen zu oder ab entweder

es geht höher hinauf und hinein ins Licht oder tiefer hinab in die Finsterniß. Wo wollt Ihr hingehen? wer wird Euch auf rechter Straße halten? Kommt, laßt mich Euch ein Wort mitgeben auf den Weg, das Wort unseres theuren 103. Psalms, es sagt Euch:

1. Von einer Herrlichkeit, die vergeht, 2. von einer Gnade, die bleibet und in der Ihr bleiben sollt.

I.

Meine theuren Kinder, daß wir hier keine bleibende Stätte haben, daß wir in einer Welt der Vergänglichkeit leben, das sieht man alle Tage, dazu braucht man kein großer Weltweiser zu sein. Draußen predigt es jetzt der Herbst, jedes fallende Blatt im Wind

und Wald. Ihr wißt wohl, wenn der Wald anfängt sich zu färben, daß es ist wie das Glühen eines Fieberkranken, wo es dann dem Tode entgegengeht und sehr bald das Leichentuch des Winters sich darüber deckt. Das ist die große Predigt des Herbstes an jedes Menschenherz: „Du selbst solch ein fallendes Blatt im Winde". Darum geht auch in der Herbstzeit die Wehmuth durchs Herz, von der ein großer Dichter unseres Volkes sagt:

„Ich sah den Wald sich färben,

Die Luft war grau und stumm,

Mir war's betrübt zum Sterben,

Und wußte nicht warum“.

Und doch ist draußen der Vorhof der Natur nur ein Abbild dessen, was wir in unserm ganzen Leben von Welken und Vergehen schauen. Was das Buch der Natur Euch predigt, das künden die Blätter der Geschichte und der Geschicke der Menschen nicht minder. Ihr habt in Euren Schulen ja Weltgeschichte gelernt und habt da gesehen, wie ein Volk nach dem andern auftaucht, eines das andere verdrängend, wie ein Weltreich nach dem andern sinkt und überall auf den Gräbern und Trümmern der Macht und Herrlichkeit des einen Reiches das andere sich erhebt. Da steht auf jeder Seite der Weltgeschichte geschrieben: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras“. Alle die großen Helden und Welteroberer, wo sind sie hingekommen? Vor Gottes Auge waren sie doch wie ein Nichts, und es hat wohl der Dichter Recht:

„Viel Namen glänzten in der Welt

Sie funkelten am Himmelszelt

Und mußten doch zerstieben. .
Erst prangten sie im Heldenbuch,
Dann sanken sie ins Leichentuch,
Und keiner ist geblieben".

Und was die Weltgeschichte lehrt, das zeigt auch die Geschichte des menschlichen Wissens; eine Weisheit auf der andern sich aufbauend, eine die andere für thöricht und überwunden" erklärend, und überall doch nur ein Suchen und Tappen der Geschlechter nach Licht, Trost und Wahrheit. Die alte Frage des

[ocr errors]

Pilatus: „Was ist Wahrheit“? sie ist noch nicht erstorben auf den Lippen von Millionen, und was heute als neuste Weisheit angepriesen wird, nach zehn Jahren ist es veraltet und vergessen.

„Der Mensch ist in seinem Leben wie Gras und wie des Grases Blume". Habt Ihr's nicht schon zum Theil selbst erfahren in Eurem kurzen Leben, lieben Kinder? So manche liebe und traute Hand hat Euch losgelassen; den einen die Vaterhand, den Andern die Hand der Mutter; bei dem Einen fehlt das Haupt im Hause, bei dem Andern ist das Herz herausgestorben. Da merkt man's schon in jungen Jahren: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras“, nicht wie ein starker Baum, der mit seinen Zweigen dem Sturm troßen könnte, sondern wie des Grases Blume, die nur des heißen Strahls der Sonne bedarf, um zu welken. Vergänglich Alles, worauf sich der Mensch verläßt, und auch Ihr selbst, liebe Kinder, werdet nicht bleiben. „Der Mensch ist in seinem Leben wie des Grases Blume“ auch Ihr seid solche Blumen im Garten Gottes, von Ihm gepflanzt und gehegt, ein Jedes besonders geschmückt mit seinem eigenen Schmelz und Duft, und gewiß, Ihr sollt das, was Gott in Euch hineingelegt, auch entfalten und ein jedes Seiner Gaben froh und neidlos über dem, was Andere empfingen, zum Ruhme Gottes blühen. Größeres kann man ja auch von einem Menschen nicht sagen, als das, er sei wie eine Blume, die von sich selber nichts weiß und nur blühen will zu der Anderen Freude. Aber vergeßt es nicht: „Ein Mensch ist wie eine Blume; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr". Mit all Euren Gedanken und Plänen seid Ihr doch nicht im Stande, zu sagen: „Das will ich werden“, „da will ich hin“, seid ihr doch nicht solche Schiffer, die den Kurs ihres Fahrzeuges selber lenken können; sondern bedenkt, daß Einer da ist, der Wind und Wogen Lauf und Wege weist, und daß Seine Hand auch unsern Weg durchkreuzen kann, ja daß Einer auch kommen kann, der unserer Herrlichkeit ein schnelles Ende macht und Alles hinwegnimmt: der Tod, der kein Kirchenbuch aufschlägt, sondern mitten in der Bahn den Menschen stürzt und aus dem vollen Leben herausreißt. Darum

« PreviousContinue »