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,,Die Sonne dünkt mich hier so kalt,

Die Blüthe welk, das Leben alt;

Und was sie reden, leerer Schall,
Ich bin ein Fremdling überall.“

Aber das laßt Euch sagen: Ob Ihr auch wegzöget in die Fremde und ankämet hungernd bei den Träbern wie der verLorne Sohn, es giebt ein Vaterhaus, zu dem Jhr den Rückzug antreten könnt, wenn die Erinnerung in der Tiefe auftaucht: Wieviel Tagelöhner hat mein Vater, die Brots die Fülle haben, ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehn."

Liebe Eltern! Jhr müßt nun bald die Hand Eurer Kinder loslassen, die Ihr bisher geführt; ach, thut es ohne Murren, lasset sie an das Herz ihres Vaters gehn, sonst werden sie sich losreißen von Eurem Herzen in doppeltem Weh. Gebt Ihr sie dem HErrn, dann empfangt Ihr sie, wie Joseph und Maria ihr Kind vom Tempelgang empfingen, in erneuter Liebe, in erneutem Gehorsam wieder. Dem ersten Wort des HErrn entspricht auch

Sein erstes Werk.

II.

In den dreißig Jahren hören wir nichts von Ihm, als dies Eine: Er ging hinab und war seinen Eltern unterthan." Aber was liegt doch in dem einen Worte! Der sich eben erkannt und gefunden hat als der Sohn Gottes, Er geht hinab als gehorsames Kind, baut mit dem Vater den Leuten zu Nazareth Häuser, Er, der gekommen ist, uns die ewigen Hütten zu bauen im Vaterhause Gottes.

ein

Lieben Kinder! Sagt es Euch, daß es ein Segen ist, wenn der Mensch früh in eine heilige Schranke gebracht wird, Segen und eine Gnade von Gott, daß der Wille sich breche an dem Willen der Eltern, daß das Kind dienen lerne, damit es einst herrschen könne. Wessen Wille nicht im Vaterhause gebrochen wird, den bricht die Welt mit tausend Schmerzen. Wer Ge= horsam gelernt hat, der hat mehr gelernt, als wenn er eine ganze Bibliothek gelehrter Bücher auswendig wüßte. Was ist doch alles

Frommel-Gedenkwerk. Bd. V. Reden aus dem Amt.

4

wenn das Herz Geliebte Kinder,

Wissen, wenn der Geist und Wille ohne Zucht, ohne Pietät, ohne Demuth, ohne Liebe ist! es sind so manche reichbegabte unter Euch, aber was sind alle Gaben ohne die Liebe, die sich in den Dienst der Andern stellt, was ist alles Glänzen des Geistes, wenn dabei Herz und Gemüth verdunkelt sind? O wahrlich, lieber ein unbegabtes Kind, das aber in Treue und Liebe zu Eltern und Geschwistern steht und seine Seligkeit darin findet, den Andern zu dienen, als solch ein Kind, das auf kalter einsamer Höhe steht, leuchtend, aber nicht erwärmend! „Wer der Größte unter euch sein will," hat der HErr zu Seinen Jüngern gesagt, „der soll euer Diener sein.“ Und es hat einen tiefen und schönen Sinn, wenn in dem Siegelring des jedesmaligen Thronfolgers von England die Worte stehen: „Ich diene." Der erste Mann in der Jugend eines großen Volkes soll das Bewußtsein tragen, daß er zum Dienst Gottes und des Vaterlandes berufen ist. So sei es denn auch Euer heiliger Ehrgeiz, dienen zu lernen und treu erfunden zu werden; so sorgt dafür, daß man auch von Euch in den ersten dreißig Jahren Eures Lebens sagen kann: „Das Kind ging hinab und war seinen Eltern unterthan", daß von Euch aus dieser Zeit nur ein Bild leuchten bliebe: Das Bild Christi!

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III.

Er nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen." Gewiß, nur nicht stehen bleiben, lieben Kinder! Stillstand wäre Rückgang; nein, ein heiliges Vorwärts vom heutigen Tage an! Ob Ihr alle an Alter zunehmt, das steht bei dem HErrn über Leben und Tod; Er sendet ja den Schnitter Tod auch in die Reihen der Jungen; wenige Wochen sind es, da habe ich ein liebes Konfirmandenkind eingesegnet zur ewigen Ruhe, das ich hier an diesem Altar vor zwei Jahren konfirmirt hatte. Aber zunehmen an Weisheit, das sollt Ihr, nicht an todtem Wissen, sondern lernen den Dingen ins Herz schauen und zum demüthigen Bekenntniß kommen, daß man nichts weiß. Ja gewiß, schaut Euch in dieser Welt um, und Gott gebe

Euch ein helles Auge dazu. Wer mit seinem Herzen in seines Vaters Haus ist, der sieht und hört überall nur Fingerzeige und Stimmen, die ihn dahin weisen. Seid Jhr Christi, dann seid Ihr auch Gottes, und Alles ist Euer! Draußen die ganze Schöpfung ein Vorhof von des Vaters Haus; in Literatur und Weltgeschichte lauter Stimmen und Hände Gottes und Wegweiser zu ihm; darum kaufet die Zeit aus, prüfet Alles und das Beste behaltet!

Lieben Kinder, Ihr steht noch im Frühling des Lebens, und im Frühling erwartet man noch keine Frucht, die erst der Sommer und Herbst zeitigen kann. Ihr seid noch wie die Blumen, die fröhlich aufblühen sollen, und deren schönste Zier doch bleibt, nicht zu wissen, wie schön ihr Schmuck ist, und in Einfalt zu blühen. „Wenn aber die Blume selbst sich schmückt, schmückt sie auch den Garten." Oder laßt mich ein andres Bild gebrauchen. Wenn die Glockenspeise im Flusse ist, verschmilzt man alles edle Metall, das man hinein thut, und es tönt dann mit dem Ganzen, wenn die Glocke schallt; ist aber die Glocke einmal gegossen, dann ist alle Mühe umsonst, ihren Klang zu ändern, man kann sie noch poliren, aber keinen neuen Klang ihr geben, außer, indem man sie zerbricht und aufs Neue umgießt. Ach sorget, daß, so lange die Glocke im Gusse ist, viel edel Metall, Gold aus Gotteswort und Silber schöner menschlicher Bildung hineinkomme, damit es ein helles Geläute gebe. Vor Allem aber wachset in der Gnade, daß sie über Eurem Haupte bleibe, und Ihr als gottbegnadigte Kinder, als Pflanzen, die der himmlische Vater gepflanzt, von Seiner Sonne beschienen, von Seinem Thau getränkt, in dieser Welt stehet. Nur was so in der Tiefe und Stille, in der Gnade wurzelt, das erhält den Lebensbaum frisch und grün, wie der Baum draußen nur von dem lebt in der Sommerhiße, was in der Stille des Winters durchs weiche Moos in kühlem Grunde an seine innersten Wurzeln gedrungen ist.

Es war ein stilles Leben in Nazareth; in der Stille bildet sich der Charakter, der dann im Strom der Welt unerschütterlich steht.

Laßt mich schließen. „Was will aus dem Kindlein werden?" so hat man über Euch bei der Taufe gefragt, so wiederholt sich heute die Frage. Ach, in zehn, in zwanzig Jahren, da wird sich's entschieden haben, was aus Euch geworden ist. Das Eine ein Delzweig um den Tisch, ein Kind Gottes in des Vaters Haus, vielleicht manches schon daheim bei dem HErrn, von seinen Eltern gesucht und schmerzlich vermißt, aber gefunden im Tempel Gottes, sizend bei dem HErrn und feiernd mit allen Vollendeten; das andere Kind ein Dornzweig ums Herz, ein Nagel am Sarge, ein Kind der Welt geworden, von den Eltern gesucht und nicht wiedergefunden. Ach, daß wir uns Alle, Ihr und ich, einst wiederfinden möchten im Vaterhause unseres Gottes, daraufhin laßt uns einander die Hand reichen und kurzen Abschied nehmen, denn:

„Man reicht sich wohl die Hände,

Als sollt's geschieden sein,

Und bleibt doch ohne Ende

Im innigsten Verein.

Man sieht sich an, als sähe

Man sich zum letzten Mal,

Und bleibt in gleicher Nähe

Dem HErrn doch überall."

Amen.

4. Rede

zur Einsegnung der Töchter, März 1888.
Tert: I. Petri 3, 3 und 4.

„Welcher Schmuck soll nicht auswendig sein mit Haarflechten und Goldumhängen oder Kleideranlegen, sondern der verborgene Mensch des Herzens unverrückt mit sanftem und stillem Geist, das ist köstlich vor Gott. Denn also haben sich auch vor Zeiten geschmückt die heiligen Weiber, die ihre Hoffnung auf Gott setzten."

In Christo geliebte Freunde, insonderheit lieben Eltern, Verwandte und Pathen dieser Kinder und Jhr, lieben Kinder selbst!

Wir kommen von Tagen der Trauer und stehen an einem Tag der Freude. Der Trauerschmuck, der in der Woche unser Gotteshaus geziert, Ihr wißt, wem er gegolten hat; aber es ist derselbe HErr, der den Tag der Trauer und auch den Tag der Freude sendet; der da nimmt, es ist derselbe, der auch giebt, und in Beidem sei sein Name hochgelobt! Der treue Gott, der unsern theuren, seligen Kaiser von den Tagen seiner Konfirmation bis ins hohe Alter an Seiner starken Hand geführt, Er will auch Euch, geliebte Kinder, leiten und führen um Seines Namens willen. Und darum, mit einem Wort aus diesen Tagen, wo der Name des theuren Königs so oft genannt worden, laßt mich Euch, lieben Eltern, zuerst grüßen. Wenn die unvergeßliche Königin Luise gesagt hat: „Unsere Kinder sind unsere Schätze“, so hat sie damit das Tiefste und Köstlichste gesagt, was eine Mutter über ihre Kinder sagen kann; wie ein prophetisches Wort leuchtet es über ihrem Kinde, das jetzt entschlafen, nicht bloß ihr ein Kleinod, sondern ein Kleinod geworden des ganzen deutschen Volkes. Aber nicht nur die Königskinder sind Schäße, jedes Kind ist solch ein Schatz und Kleinod, uns anvertraut als ein Gut, über das wir einst Rechenschaft ablegen müssen.

So, als Euer Bestes, habe ich denn auch diese Eure Kinder angeschaut, als das Einzige, was Euch folgen wird in die Ewigfeit. Von allem Besitz geht nichts mit Euch; aber Eure Kinder begleiten Euch. Darum aus der Hand des großen Erzhirten und nicht nur aus Eurer Hand habe ich sie in die meine genommen, mit der Bitte auf dem Herzen, daß es mir geschenkt werden möchte, jedes einzelne recht zu verstehen in seiner Art, jedem die besondere Liebe und Pflege zu geben, deren es bedarf. Ob und wieweit ich es gethan, meine Aufgabe erfüllt, darüber kann nur der HErr richten, der allein weiß, was Er von Seinem Knecht zu fordern und wieviel Er ihm zu vergeben hat.

Aber es ist doch Euer Tag insonderheit, lieben Kinder. Jhr seid ein Kleinod in den Augen Eures Gottes, nicht etwa weil Ihr so vortrefflich wäret, sondern weil Seine Gnade Euch werth ge= achtet, daß Er Euch bei der heiligen Taufe die Krone des Himmel

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