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Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Gefreundeten und Bekannten.

Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wiederum gen Jerusalem und suchten ihn.

Und es begab sich, nach dreien Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, daß er ihnen zuhörete und sie fragete.

Und alle, die ihm zuhöreten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antworten.

Und da sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das gethan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.

Und er sprach zu ihnen: Was ist's, daß ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?

Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete.

Und er ging mit ihnen hinab und kam gen Nazareth und war ihnen unterthan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.

Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen."

Der zwölfjährige Jesus im Tempel, zum ersten Male an der Hand seiner Eltern zum Heiligthum wallend, welch ein Bild und Vorbild!

Ahnungsvoll, klopfenden Herzens zieht das Jesuskind hinauf gen Jerusalem, die hochgebaute Stadt. Vor Marias innerem Auge aber zieht Alles vorüber, was sie je und je mit diesem einzigartigen Kinde erlebt. Vom Engelgesang in der Weihnacht bis zur Huldigung der Weisen, von Simeons Segen im Tempel bis zur Flucht nach Egypten, da ihr zum ersten Male das Schwert durch die Seele geht; das Alles zittert durch das bewegte Mutterherz, und in heiliger Erwartung begleitet sie ihr Kind

hinauf. Nach Vergangenheit und Zukunft zugleich schaut ihre Seele aus; die Stunde aber im Tempel selbst wird ihr zur süßesten Freude und zum Weh zugleich, denn anders empfängt sie ihr Kind vom Tempel zurück, als sie es hinaufgebracht: es hat ihre Hand losgelassen und die Hand des himmlischen Vaters erfaßt. Größer und heiliger denn zuvor steht das Kind vor ihrem Auge, das aber dennoch hinabgeht, um unterthan zu sein und zuzunehmen an Weisheit und Gnade bei Gott und Menschen.

Und ist es nicht heute also, geliebte Eltern dieser Kinder? Wohl, Ihr seid schon mit ihnen zum Tempel gegangen, aber so wie heute noch nie. Auf Eurem Arm habt Ihr sie einst zum Taufstein gebracht; heute kommen sie an Eurer Hand zum Altar. Ob sie anders aus Gottes Haus in Euer Haus hinabgehen werden, als da sie zum ersten Male hierher zum Unterricht kamen, mit mehr Glaube, mehr Gehorsam, mehr Liebe? Ob wir Alles gethan, Ihr lieben Eltern und ich, dem Ihr diese Kinder anvertraut, um sie nicht nur in Gottes Haus, sondern an Gottes Herz zu bringen, daß sie Seine Hand fassen um dann auch in neuer Treue und Liebe die Eure zu ergreifen?

So stehen wir mit Dank im Herzen aber auch mit Beugung an dieser Stätte, mit dem Gloria auf den Lippen für alle Gotteshülfe, die uns und diese Kinder bis hieher gebracht, mit dem Kyrie für alle menschliche Versäumniß und der Bitte aus der Tiefe: „O HErr hilf, HErr laß wohlgelingen!"

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Aber der Tag gehört ja Euch in erster Linie, lieben Kinder! ein Tag, den der HErr für Euch gemacht, den er eingeläutet mit Sonnenglanz und Frühlingswehen. Wahrlich, hier ist mehr als der Tempel Jerusalems, in dessen Vorhof nur das Jesuskind durfte. Hinein ins Heilige zum goldenen Leuchter des Wortes, nicht zum Schaubrottisch, sondern zum Tisch des HErrn, ja hinein in das Allerheiligste zu dem Herzen Gottes dürft Jhr, mit dem Weihrauch der Anbetung, kommen. Ihr kommt im Schmuck, aber laßt mich Euch fragen: auch innerlich geschmückt mit der Sehnsucht des Jesuskindes: „Ich freue mich deß, das mir geredet ist, daß ich werde gehen zum Hause Gottes, meine Seele verlanget

und sehnet sich nach den Vorhöfen des HErrn"? Ein Tag, den der HErr macht, bleibt dieser Tag doch nur, wenn sein Sonnenglanz, wie heut, nicht untergeht, sondern den lichten Schein hinauswirft für Euer ganzes Leben und es vergoldet, wenn dieser Gang zum Tempel heute der entscheidende Gang für alle Eure Lebensgänge wird, wenn inwendig im Herzen die Sonne dieses Tages die Knospe auffüßt zum Bekenntnisse: „Ich muß sein in dem, was meines Vaters ist“, und Euer Leben danach ein Blühen und Zunehmen an Weisheit und Gnade bei Gott und Menschen, mit einem Wort der wahrhaftige Nachglanz der heiligen Schönheit der Jugend Jesu wird.

So laßt mich denn dies unverwelkliche Blatt aus der Jugendgeschichte Jesu in das Buch Eures Herzens heften. Es stellt uns vor die Seele das erste Wort, das erste Werk, das erste Bild aus seiner heiligen Jugend.

I.

Mit welchem Herzen der Jesusknabe wohl hinauf in den Tempel ging? Wenn Ihr je schon in einen deutschen Dom, wie den zu Köln oder zu Straßburg gekommen seid oder kommen werdet, so tretet Ihr in eine heilige, stille Welt. Von außen fällt das Licht gebrochen durch die gemalten Fenster, in denen die heilige Geschichte des alten und neuen Bundes gebildet ist, herein. Die himmelanstrebenden Pfeiler heben das Herz unwillkürlich hinauf, im Hintergrunde der hohe Chor mit seinem Altar, mit seinen Lichtern zieht ahnungsvoll die Seele in die Schauer der Gegenwart Gottes. Wir sind mit einem Wort in einer geheimnißvollen, heiligen Welt..

So denke ich mir das Herz des Jesuskindes. Von Jugend an durch Maria in das Heiligthum der Gedankenwelt des frommen Israel eingeführt, in Psalmen großgezogen und ahnungsvollen Prophetenstimmen, das Herz hinaufgezogen ins Unsichtbare und Ewige, so wandelt das Kind, selbst einen Tempel im Herzen tragend, hinauf in den Tempel, aus Menschenhänden gebaut. Und so ist es denn, als es dort im Heiligthum weilt, in keiner Fremde,

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ihm ist so heimathlich wohl, daß es darüber Alles und auch das Weggehen vergißt. In der Unterredung mit den Lehrern des Volkes fragt es im letzten und tiefsten Grunde ja doch nur nach sich selbst. Aber erst, als die Mutter voll Sorge und Angst das Wort spricht: Mein Sohn, warum hast du uns das gethan? Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht", da bricht das Wort hervor voll Kindestiefe und Gotteshoheit: „Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?" als wollte Er sagen: „Habt ihr mich nicht selbst hierher gebracht als in die Heimath meiner Secle?" So wundert Er sich über die Verwunderung der Mutter, läßt ihre Hand los, um die Hand Seines Vaters zu fassen. „Sein im Vater", das ist der Grund, der Ihn von nun an trägt, sein Erstes und Leytes, gegen das alles Andre zurücktreten muß, der Urquell, aus welchem Sein ganzes Leben hervorfließt, denn das Wort auf den rosigen Lippen wird nun zur Manneslosung, die Ihn begleitet durchs ganze Leben. Ob Er auf der Hochzeit zu Kana sich mit den Fröhlichen freut oder in der Wüste und Einsamkeit fastet und betet, ob Er am Sarge des Jünglings steht oder mitten unter der tobenden Menschenmenge, ob Er zu Gethsemane ringt im Staube oder endlich am Kreuz, nachdem Er Alles vollbracht, die todesbleichen Lippen friedevoll noch einmal öffnet: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist" überall ist Er in dem, was Seines Vaters ist.

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Geliebte Kinder, auch Euch soll dieses Wort gelten. Was wollten bei der Taufe die leuchtenden Kinderaugen anders sagen, als: Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?" Wohin riefen Euch die hellen Kirchenglocken am Sonntag, als zu sein in dem, was Eures Vaters ist? Was wollte der ganze Unterricht, als Euch hineinbringen und eintauchen in das, was Eures Vaters ist? Oder ist nicht das Wort Gottes der große Brief aus dem Vaterhause, an Euer Herz adressirt, und ist nicht im Herzen selbst eine Stimme, die der Stimme Eures Gottes antwortet: „Ja, das ist meines Vaters Stimme?" Hat Euch nicht Gott die Ewigkeit ins Herz gelegt?

Euch nicht gesagt, daß Ihr Gäste und Fremdlinge seid, aber Pilger nach einer ewigen Stadt? Auf die beiden großen Fragen: „Woher?" und "Wohin?" hat Er Euch die Antwort gegeben; der Geist führt zum Sohn und der Sohn zum Vater.

Im Gebet, im Kämmerlein, das man hinter sich zuschließt, solltet Ihr als echte „Betkinder“ sein in dem, was Eures Vaters ist. Bei aller Arbeit und allem Lernen die Hand am Pfluge, aber das Herz im Himmel: „muß ich nicht sein in dem, was meines Vaters ist?" In aller Versuchung Eure einzige Waffe, und in Eurem letzten Stündlein die einzige Bitte zur Abwehr der Liebe, die Euch zurückhalten will: „Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?"

So soll dies Wort ein Bekenntniß werden, ein heiliger Schluß und Entschluß zugleich, mit welchem Jhr über die Schwelle der Kindheit in die Jugend eintretet: „Ich muß sein in dem, was meines Vaters ist." Ach, geliebte Kinder, ob Ihr alle in Eurem Herzen solch einen heiligen Dom traget wie Jesus, ob nicht so Manches schon darüber hingegangen, das diese heilige Welt in Eurem Innern getrübt hat? Es giebt ja Kinder mit sonnenlosem Dasein, in deren Herz kaum ein Strahl göttlichen Lebens und menschlicher Liebe gefallen ist, Kinder, denen man mit kalter Hand die besten Blüthen gebrochen hat; ach, daß Ihr heute Seine Hand faßtet, wenn Menschenhände Euch nicht mehr leiten wollen!

Ich weiß, es werden von Euch nicht Alle bleiben in dem, was ihres Vaters ist. Ihres Vaters Haus wird ihnen zu eng und wie ein Gefängniß dünken, sie werden suchen, anderswo Frieden und Freude zu finden, und doch:

,,Den Durst der Seele stillt

Kein Bronnen, der auf Erden quillt,
Du trägst, der Erde stummer Gast,

In dir, was nur der Himmel faßt."

Darum auch keine Ruhe, keine Freude. Es wird wieder erklingen im Herzen die alte Klage:

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