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Menschenbrust erhebt und erquickt. Die Universalität seines Geistes zeigte sich auch darin, daß er auf allen Gebieten zu Hause war, daß sein Ohr nicht bloß Anderen verschaffte, in Reinheit die Töne zu hören, sondern ihm selbst war die Musik Erquickung und Freude; sein Auge freute sich selbst, während es Anderen half, an den Gebilden der Kunst. Ueberall war in ihm ein Resonanzboden, der mitklang. So war er in Litteratur, Philosophie bewandert wie Wenige; im Umgang und im Gespräch wohl still, oft weltabgewandt und in sich versunken, oft aber fröhlich und heiter erzählend, ein Meister in der Erzählung, wenn die Stunde es gab.

Aber die Krone von Allem war doch die Liebe zu Euch, liebe Gattin, Kinder und Enkel. Das, was den Gelehrten, den die größten Probleme beschäftigten, auszeichnete, war das kindliche Gemüth, das er sich bewahrt und erhalten hat. Wie ein Dichter einst gesagt, daß es etwas Großes sei, wenn ein Mensch sich das Kind im Manne bewahren könne - habt Ihr es nicht, liebe Enkel, erfahren, Ihr, der Abendsonnenschein seines Lebens, wenn er mit Euch sprach, mit Euch spielte, nach Euch schaute? wie er denn überhaupt in jedem Menschen den Menschen ehrte und achtete und auch mit dem geringen Manne zu verkehren wußte.

Das Alles ist Euer gewesen. Der Meister ruft jezt zum Danke, daß er es Euch gegeben und so lange gelassen hat. Wie Wenige sind in unserer Stadt, die von solcher Liebe und solchem Glanze getragen waren! Und darum, auch unter Thränen, der Dank gegen Gott und gegen den Entschlafenen!

Uns Allen aber gilt die Botschaft, Euch wie mir: „Der Meister ist da und rufet uns." Er ruft uns zur Treue, er ruft uns zur Arbeit. Wir gehen jezt aus diesen stillen Räumen hinab, Jeder in seinen Beruf. Was wollen wir mitnehmen? was soll der Sterbesegen unseres heimgegangenen Freundes sein? Doch nichts Anderes, als daß wir sein Bestes von ihm lernen. Nicht Jeder hat jene geniale Begabung von Oben empfangen, nicht Jeder kann das leisten, was er geleistet hat aber Treue kann Jeder haben und Hingabe an seinen Beruf, Wahrhaftigkeit, Demuth,

Selbstbeschränkung kann Jeder üben. Laßt uns von ihm lernen: wir Alle sind verantwortlich für das Pfund, das wir empfangen haben, und, wenn es auch nur ein einziges wäre, wir sollen es nicht im Schweißtuch vergraben. Es wartet unser die Rechenschaft: „Der Meister ist da und rufet dich“, daß du Rechenschaft giebst von dem, was du empfangen, was du gethan und was du versäumt! So ruft uns auch der Meister in diesen Herbsttagen, wo jedes fallende Blatt und jeder welke Baum uns sagen will, daß ein Mensch in seinem Leben wie Gras und wie eine Blume auf dem Felde ist. Er ruft uns Alle miteinander zur Eile, zum Suchen des Friedens Gottes in Jesu Christo, unserm HErrn, zur Treue im irdischen, zur Treue im himmlischen Beruf. Möge es Euch wie mir beschieden sein, daß, wenn uns der HErr die Botschaft sendet: „Der Meister ist da und rufet dich,“ wir aufstehen können im Frieden unseres HErrn und sagen: HErr, hier bin ich; ich bin bereit." Das walte Er an Euch, wie an mir durch Jesum Christum, unsern HErrn! Amen.

22. Trauerrede

über 5. Mose 33, 25:

„Dein Alter sei wie deine Jugend."

Am Sarge des Philosophen und dramatischen Dichters, Prof. Karl Werder,

1894.

Hohe Trauerversammlung!

In Christo geliebte Freunde, Verwandte und Genossen unseres Entschlafenen!

Noch ein stiller Augenblick in Gottes Hause, ein kurzer Halt auf dem Wege zum Gottesacker, ehe wir unsern Entschlafenen betten wollen zu den Seinen, an die ihn mehr als die Bande des Bluts Geistes- und Liebesgemeinschaft ketteten. In deren Herzen

und Liebe er im Leben geruht, neben ihnen wollte er auch im Grabe gebettet sein und seit Jahren hat er die traute Stätte bestimmt, die ihm lezte Heimath werden sollte.

In Gottes Hause soll Gottes Wort das erste und alleinige Recht haben, und wenn wir hier einen Todten aufbahren, dann soll über ihn das Wort des Lebens verkündet werden. Und so haben wir des HErrn Wort gehört; das Wort von dem HErrn, der den Entschlafenen getragen bis ins Alter und die Verheißung an ihm erfüllt hat: daß, wer in Seinem Hause gepflanzt ist, grünen und auch im Alter frisch und fruchtbar sein soll; das Wort von der Liebe, die ein Unterpfand unserer persönlichen Fortdauer, die stärker ist als der Tod und die sich nicht mit begraben läßt; das Wort von der seligen lebendigen Hoffnung auf das unbefleckte, unvergängliche und unverwelkliche Erbe, zu der wir wiedergeboren sind durch die Auferstehung Jesu Christi von den Todten.

Wer das glaubt und weiß, der ist auch am Ruheplay der Todten umrauscht von der Luft der Ewigkeit, dem schweben wie ein heiliger cantus firmus die Lebensgedanken über den wogenden Todesstimmen, dem öffnet sich draußen nicht bloß das Grab unter den Füßen, sondern auch der Himmel über dem Haupte.

Mit solchem Gottestrost im Herzen könnten wir gehoben aus Gottes Hause hinausziehen. Aber hätte dieser Todte den Lebendigen nicht noch etwas Besonderes zu sagen? Wäre nicht dieser Sarg eine Kanzel und der Todte darin ein Prediger im weißen Sterbekleide, der mit den erloschenen Augen uns anschaut und mit den geschlossenen Lippen beredt und herzergreifend wie im Leben zu uns redet? Hätte dieses 86 jährige Leben uns nicht ein Vermächtniß zu hinterlassen?

Ich meine nicht das, was er in seinem Berufe geleistet und geschaffen. Berufenere Lippen und Federn mögen das neidlos thun und seine litterarische Bedeutung anerkennen, wie sie es zum Theil schon gethan. Geboren im Jahre 1806, hat diese fast 90jährige Pilgerschaft Tiefe und Höhe des nationalen, Fluth und Ebbe des geistigen Lebens, Auf- und Niedergang durch

wandert mit offenem Auge und Sinn wie Wenige. Mit ihm geht ein Stück einer reichen Vergangenheit zu Grabe. Was er der deutschen Jugend gewesen, der er den Sinn und die Tiefe der Geistesschöpfungen unserer großen Dichter begeistert erschloß, welch idealen Anstoß für ihr Leben und Denken sie von ihm empfangen, wie er in seinem Wirken für die Entwickelung der dramatischen Kunst das ideale Banner hochgehalten und in einer Zeit der Verflachung und Versumpfung, der Verwirrung der sittlichen Begriffe daran festgehalten hat, daß nur das sittlich Wahre auch das künstlerisch Schöne sei - das Alles soll ihm unvergessen bleiben.

Wir haben es hier mit dem Menschen und Christen zu thun. In dem, was wir leisten, werden wir entweder nicht erreicht oder zumeist überflügelt und unsere Zeit, die nur dem Lebenden Recht giebt ist entsetzlich vergeßlich für die Verdienste der Todten. Nicht von dem laßt mich darum reden, was er geleistet, sondern was er gewesen und was sein Gott an ihm gethan. Und da ist mir's, als wollte dies fast 90jährige Leben ein Wort illustriren, das einst als Segenswort über Mosis Lippen floß:

"

Dein Alter sei wie deine Jugend."

So haben wir ihn unter uns bis in die letzten Tage wandeln sehen, sein Auge nicht dunkel geworden und sein Geist nicht zerfallen. Daß wir ungebrochenen Leibes und ungebrochenen Geistes im Alter sind, das steht freilich in letter Linie in keines Menschen Macht und Wille, das steht vielmehr bei dem Meister, der am Webstuhl der Zeit sigt und die Fäden unseres Lebens in Seiner heiligen Hand hält. Er kann uns brechen in der Kraft unserer Tage und die Sonne am Mittag untergehen lassen. Und doch liegt es auch an der Treue des Menschen, die solche Begnadigung Gottes erkennt und ihr zu Ehren wandelt.

Was die Jugend köstlich macht, das ist doch der freudige Lebensmuth, das Aufgethansein von Herz und Auge für die Welt über uns und um uns dies stillbefriedigte Aufbauen einer Welt in uns, die nicht äußeren Glanzes und Stellung bedarf um glücklich zu sein. Die Jugend begrüßt den Tag, wenn er kommt,

und beweint ihn nicht, wenn er geht; sie lebt nicht von Verdienst und Anerkennung, sondern aus der milden Hand Gottes. Freude ist das Element der Jugend und das Leid nur der Schatten, sie lacht unter Thränen. Was aber das Alter unschön und häßlich macht, das ist Verbitterung, Klage und Anklage, das Loben der Vergangenheit und das Schelten der Gegenwart, jener Pessimismus wie er Alte und Junge wie ein lähmendes Gift durchfrißt.

Unser entschlafener Freund hat sich jene Jugend im Alter bewahrt; das lag eben an jenem demüthigen und bescheidenen Sinn, der des Aeußeren nicht bedurfte, um innerlich glücklich zu sein, wie er es einmal in einem Verse ausgesprochen:

„Klein sei dein Loos,
Eng deine Schranke,
Nur dein Sinn sei groß

Und weit dein Gedanke.“

In reicher Erinnerung der Vergangenheit stehend, hat er doch das offene Auge und Herz für die Gegenwart, für die Menschen sowohl als für die sie bewegenden Kräfte, bewahrt. Wie der Baum im Alter seine Jahresringe weitet, so soll es auch mit dem Lebensbaum des Menschen sein. Das ist's, was uns frisch und jung erhält.

Noch ein Anderes tritt hinzu, unser Alter der Jugend gleich zu machen, und das ist der Jungbrunnen der Liebe im Herzen. Für Geben und Nehmen ist die Jugend gleich empfänglich, und Kindeshand ist bald gefüllt. Die Liebe kennt nur den Frühling. So hat auch unser Entschlafener es einmal ausgesprochen:

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Pietätvolle Treue und unbedingte Hingabe, Opferfreudigkeit bezeichnen sein inneres Wesen. Mit dem königlichen Hause verband ihn mehr als der äußere Dienst, wahre, aufrichtige Freundschaft. Lehrer, Berather und Freund zugleich, so hat er unter

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