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2. Rede

zur Einsegnung am Palmsonntag 1879.

Text: Ev. Joh. 6, 66 bis 68.

„Von dem an gingen seiner Jünger viele hinter sich und wandelten hinfort nicht mehr mit ihm.

Da sprach Jesu zu den Zwölfen: Wollt ihr auch weg gehen?

Da antwortete ihm Simon Petrus: HErr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens."

Dies ist der Tag, den der HErr macht; laßt uns freuen und fröhlich darinnen sein." So lasset uns mit den Worten des 118. Psalmes sagen. Es ist freilich jeder Tag, den Gottes Güte uns schenkt, ein Tag, den Er gemacht hat, und selbst auch der trübste und dunkelste Tag unseres Lebens, da das Herz blutet und das Auge thränt, ist ein Tag aus Seiner Hand. Es giebt Tage, die hat sich der Mensch selbst gemacht, Tage, im Lebensbuch stehend wie dunkle Blätter, die man mit Thränen herauswaschen möchte; Tage, die unser Leben gebrochen haben, ach, vielleicht für unsere ganze Lebenszeit; Tage, die aufsteigen als Anklagen wider unser Herz und Gewissen. Aber es giebt auch Tage, die hat der HErr gemacht, voll Frühlingsglanz und liebeswarmer Sonne, Tage, die bis ins innerste Herz hinein es uns erfahren lassen: „Das ist kein Tag, den ich mir selbst be= reitet, der hat die Signatur und das Gepräge, daß er kommt aus der milden Hand meines Gottes." Das sind Tage, die nicht bloß für flüchtige Stunden ihren Glanz haben, sondern ihren goldenen Schein hinaus werfen, übers ganze Leben hin; Tage, deren man sich in den schwersten Stunden seines Lebens erinnert, und die dann, wie lichte, goldene Sterne, über unserm Haupte aufsteigen, uns erinnernd, daß die Gnade unseres Gottes doch einmal an einem Höhepunkt unseres Lebens voll und herrlich über uns gestanden. Es sind Tage, in deren Stunden die Pulsschläge der Ewigkeit schlagen, weil sie zugleich Tage der Entscheidung sind.

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Ist nicht heute ein solcher Tag, geliebte Eltern dieser Kinder, ein Tag, den der HErr für Euch gemacht und ich sage nicht bloß für Euch, sondern bittend, mich zu Euch stellen zu dürfen, für uns? Darf ich doch unter diesen Kindern heute meine beiden eigenen Kinder miteinsegnen*), die mir der Herr einst gegeben nach Tagen und Jahren der Trübsal, und sie nun auch mir, wie Euch die Euren, gelassen und bis hierher gebracht. So stehe ich denn hier am Altar nicht bloß als ein Segnender, sondern zu gleicher Zeit als ein Bittender in dieser Stunde. Wie steht doch vor unserm inneren Auge in diesem Augenblick die Chronik unseres Hauses, nicht mit Tinte und Feder, sondern unauslöschlich mit lebendigem Griffel des Geistes geschrieben! Wie zieht da Alles vorüber, was wir an und mit diesen Kindern erlebt haben, vom ersten Augenblicke, wo wir sie auf unsern Arm genommen und dem HErrn dargebracht in der heiligen Taufe, bis zu der heutigen Stunde, wo wir sie loslassen aus unserer Hand, damit sie die Hand ihres Gottes und Heilandes fassen und sie festhalten durchs ganze Leben.

Jedes Kind ist in unsere Lebensgeschichte hineingewoben, hineingeschrieben mit unserm eignen Herzblut. Wir wissen's ja: ein Kind ist nicht bloß ein Stück unseres Herzens, sondern zu gleicher Zeit auch unserer Lebensgeschichte. Kein Kind ist wie das andere, keines kann das andere ersetzen; jedes Kind ein be= sonderer Gedanke Gottes, jedes eine Pflanze, die für sich ihr Licht, ihren Boden, ihr Wasser haben will; die eine schnell, die andere langsam blühend, die eine nicht des Tages Gluth fürchtend, die andere erst in stiller Nacht sich erschließend aber alle doch

im Garten des himmlischen Gärtners wachsend, von seiner Hand gepflegt und geführt. So habe ich allewege Eure und meine Kinder angeschaut; ich habe über ihrem Haupte je und je die Königskrone gesehen, die der HErr auf die Kinder gelegt hat, als er sagte: „Ihrer ist das Himmelreich", und auch in dem ärmsten und verkommensten Kinde doch noch etwas von der

*) Vgl. Lebensbild Bd. II Seite 194f.

Majestät geschaut, von der der HErr sagt: „Ihre Engel schauen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel". Als Euer Bestes habe ich sie aus Eurer Hand genommen, um sie zum Höchsten, Köstlichsten zu führen, was ihnen für dies Leben hindurch Kraft, Stärkung, Trost und Frieden bringen soll. Vor Eurem und meinem Auge stehen aber auch alle Versäumnisse an Treue, an Liebe und Ernst an diesen Kindern. Was Gott an ihnen gethan, war so groß und licht; was wir, so schwach und arm! Darum, geliebte Eltern, ist dieser hohe Tag für uns beide ein Tag der Demüthigung, aber auch der Bitte: „O HErr, hilf, o HErr, laß wohl gelingen".

Aber es ist doch vor Allem Euer Tag, lieben Kinder, den der HErr für Euch gemacht hat. In Eurer Macht lag es nicht, diesen Tag zu feiern. Hunderte und Tausende von Kindern, die mit Euch geboren, in demselben Jahre mit Euch an den Taufstein gebracht wurden, sie feiern diesen Tag nicht hier. Der HErr hat sie selbst droben in Seinen Garten gepflanzt, um unter andrer Luft, unter andrer Pflege sie zur Erkenntniß Seiner Wahrheit zu führen. Ich gedenke mit Wehmuth jenes Kindes, Jhr lieben Mädchen, das nicht mit Euch hier im schwarzen Kleide feiert und doch so gern mit Euch gefeiert hätte, aber, unter Blumen liegend, im weißen Kleide von Euch Abschied nahm und draußen unter dem Hügel der Auferstehung entgegenschläft.

So war es denn der HErr, der Euch bis hierher brachte. Freilich, schon einen Tag des HErrn habt Ihr erlebt, als Ihr als Kinder in seinen Arm gelegt wurdet, wo Er Euch schlafend als Euer großer Taufpathe die herrlichen Geschenke in die Wiege gelegt hatte: Kindschaft bei Ihm, Erbschaft des ewigen Lebens; als Er Euch auf die Brust den Ordensstern der himmlischen Herkunft geheftet und es Euch versiegelt hat: „Du sollst mein Kind sein und werden."

Aber heute ist der Tag, wo Ihr nun selbst kommen und bekennen dürft. Ach, ein selig Ding, kommen und einschlagen zu dürfen in die Hand, die uns bisher geleitet, sie aufs Neue fassen zu dürfen! Ein selig Ding, auf die Konfirmationsfrage: „Simon

Johanna, hast du mich lieb?" antworten zu dürfen: „Ja, HErr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe." Nach unserer Liebe fragt der große HErr, der unserer nicht bedarf; darum ist's für Euch eine große, selige Erlaubniß, heute den Mund aufthun zu dürfen vor Eurem HErrn, vor Euren Eltern und vor dieser Gemeinde frei und offen zu sagen: „Dein sind wir, du Sohn Davids, und mit dir wollen wir es halten."

Aber, lieben Kinder, bei aller Freude zieht doch heute durch mein Herz auch das Bangen für Euch; in der einen Herzkammer die Freude, in der andern die Sorge. Ich habe einmal an dieser Stätte gesagt: „Der schwerste Tag im ganzen Jahre, ein Tag, vor dem ich mich ebenso fürchte, wie ich mich auf ihn freue, ist der Tag der Konfirmation." Ach, ein Kindlein taufen, das ahnungsvoll den Morgen begrüßt, einen Menschen geleiten bei der sinkenden Abendsonne seines Lebens, ihn einsegnen zum Heimgang, das Alles ist so ganz anders, als Menschenkinder segnen, die an einem entscheidenden Punkte ihres Lebens stehen, an den Kreuzweg gestellt sind mit einer entscheidenden, vollen, großen Frage. Und wie diese Entscheidung nun ausfallen wird, das ist meine Sorge im Herzen.

Ich sehe Euch, Ihr Mädchen, selbst an, als einen Blumengarten mitten unter diesen Blumen, die Eure Liebe hierher gepflanzt. Aber soll ich den Reif und Frost nicht fürchten, der die Knospen und Blüthen in einer Nacht zerstören kann? Habt Ihr es nicht gesehen in diesen letzten Tagen, wie der rauhe Wind kam, als eben ein Frühlingswind zu wehen begann, und die zarten Knospen zurücktraten, vom eisigen Reif getroffen?

Jhr, lieben Knaben, stehet heute da wie junge Krieger, ihren Fahneneid schwörend, hinausziehend, mit dem Leben den Kampf aufzunehmen. Aber ob sich nicht bald Eure Reihen lichten und der eine da und der andere dorthin fahnenflüchtig zieht, die Flinte ins Korn wirft oder mit der Wunde im Herzen und Gewissen fällt und nicht mehr unter den Reihen der Kämpfenden ist? Wenn ich daran gedenke, da will wohl die bange Frage ans Herz dringen: „Wer wird siegen und die Krone erlangen? Wer wird

bleiben? Wird das, was Ihr heute sagt, allewege Cures Herzens Trost, der Anker Eures Lebensschiffleins sein, und wohin wird es treiben?"

Es ist heute eine Scheidestunde vom Frühmorgen Eures Lebens, eine Scheidestunde von mir als Eurem Lehrer, aber viel mehr als das: eine Entscheidungsstunde für Euer Herz und Gewissen, und darum auch die Frage an Euch, die der HErr einst in der großen Entscheidungsstunde an seine Jünger gethan, als Er sich bei dem Scheiden so Vieler umwandte nach seinen Jüngern mit der Frage: „Wollt ihr auch von mir gehen?"

So laßt uns hören: 1. Die Frage des HErrn: „Wollt ihr auch von mir gehen?" und 2. die herrliche Gegenfrage Petri: HErr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens".

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Du aber, mein Heiland, gehe Du selbst durch die Reihen dieser Kinder, schaue sie an mit Deinem heiligen Auge, frage sie selbst mit Deinem Munde und höre mit Deinem heiligen Ohre selbst ihre Antwort! Amen.

I.

Geliebte Kinder, es ist ein herrlicher, schöner Tag, in welchen uns dieses sechste Kapitel des Evangeliums Sankt Johannis hineinführt. Wißt Ihr ja doch, wie dies Evangelium überhaupt den HErrn so groß und mächtig darstellt, und kennt jenes Wort des alten Matthias Claudius: „Am liebsten lese ich im St. Johannes. In ihm ist so etwas ganz Wunderbares; Dämmerung und Nacht und durch sie hin der schnell zückende Blitz, ein sanftes Abendgewölk und hinter dem Gewölk der große, volle Mond leibhaftig; so etwas Schwermüthiges, Hohes und Ahnungsvolles, daß man es nicht satt werden kann. Es ist mir immer beim Lesen im Johannes, als ob ich ihn beim leßten Abendmahl an der Brust seines Meisters vor mir liegen sehe, als ob sein Engel mir's Licht hält und mir bei gewissen Stellen um den Hals fallen und etwas ins Ohr sagen wolle." So ist gerade dieses Kapitel besonders reich und groß. Der HErr hatte geredet, nachdem Er Frommel-Gedenkwerk. Bd. V. Reden aus dem Amt.

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