Page images
PDF
EPUB

20. Grabrede

über Psalm 25, 21:

Schlicht und recht, das behüte mich; denn ich harre dein." Am Sarge des ehemaligen preußischen Gesandten am päpstlichen Stuhl, Dr. Kurd von Schlözer, am 17. Mai 1894.

„Siehe ich will eure Feiertage in Trauern und eure Festtage in Weinen kehren" wie viele tausend Male hat sich dies Wort schon erfüllt, seitdem es der Mund des Propheten geredet. Draußen sprossender Frühling und hier ein Sarg und ein offenes Grab; an Pfingsten, da die Glocken läuteten und die Gemeinden sangen: „Heil'ger Geist, kehr bei uns ein" begehrte der Tod Einlaß bei unserem hingeschiedenen Freunde, ihn heimzuholen aus allem Kampfe.

Aber wohl uns, daß wir wissen, wer es ist, der unsern Festtag in Trauern wandelt und den Feiertag in Weinen; nicht ein blinder Zufall, sondern dieselbe Hand, die den Feiertag giebt. Dieses „Ich“ ist und bleibt die ewige Liebe, ob sie giebt oder nimmt, gewährt oder versagt. Ja, läßt diese Liebe nicht auch den Freudenstrahl des Feiertages hineinfallen in den Trauertag? Hat der HErr uns nicht zu Pfingsten den Tröster verheißen, seinen Geist, der unserm Geiste manch' füßes Trostwort zuspricht? Bekennen wir nicht vom Geiste: „Ich glaube an die Auferstehung des Leibes und ein ewiges Leben," und versiegelt uns nicht der Geist einen Frühling über den Gräbern in dem Worte: „so nun der Geist deß, der Jesum von den Todten auferwecket hat, in euch wohnt, so wird derselbe auch eure sterblichen Leiber auferwecken, darum, daß sein Geist in euch wohnt,“ und singen wir nicht im alten Pfingstliede:

,,Sei mein Retter, halt mich eben,
Wenn ich sinke, sei mein Stab,
Wenn ich sterbe, sei mein Leben,

Wenn ich liege, sei mein Grab."

Das ist troftvolles Licht und Leben in dem Dunkel des Todes. Ihr habt auch soeben Gottes Wort gehört, das allein

uns zu halten und zu trösten vermag, anders als jedes noch so gut gemeinte Menschenwort. Mehr brauchen wir nicht, um getröstet hinabzugehen in unsere Arbeit von der Stätte des Todes ins Leben, vom Friedhof in unsern Kampf. Aber jeder Heimgegangene hat an die Lebenden noch eine Botschaft auszurichten, und jedes Menschenleben hat uns etwas zu sagen für unser Leben, insonderheit dann, wenn es ein reiches Leben gewesen. Und ein reiches Leben liegt hier in diesem Sarge geschlossen vor uns.

Gleichsam als ein Erbtheil seiner Vaterstadt Lübeck hat unser Entschlafener jenen besten Geist der Hansa empfangen, der bei aller Liebe zum heimischen Boden sein Schiff kühn in die Ferne gleiten läßt. Vom hohen Norden Rußlands bis in den tiefen Süden Mexikos, von der Centrale der neuen Welt in Washington bis zum Herzen der antiken Welt nach Rom führt uns sein Pilgergang. Aber nicht, daß man die Meere durchfährt und vor den Städten den Anker auswirft, entscheidet, sondern wie, mit welchem Auge und Herzen man sie durchpilgert. Ihm waren Herz und Auge aufgethan. In einem feinsinnigen Hause, über welchem das Andenken des berühmten Großvaters segnend lag, erzogen, empfing das durchaus originell angelegte Kind die ersten Eindrücke: den Sinn für Geschichte, den Geist liebender Versenkung in das Werden und das Gewordensein fremder Nationen, verbunden mit einer schnellen Auffassungsgabe, die gleich das Bezeichnende herausfand an Verhältnissen und Menschen, und mit der Gabe, fesselnd und plastisch wiederzugeben. Keine Saite seines Lebens blieb unberührt, sei es Musik oder Kunst, überall offnes Ohr und Auge. Das war die Ausrüstung zu dem Berufe und zu den Stellungen, in die ihn das Vertrauen seiner Könige berief.

Was er darin geleistet und wie er das Vertrauen gerechtfertigt, das ihm hohe und schwierige Aufgaben stellte, das zu beurtheilen steht mir nicht zu, und muß ich dem Gerechtigkeitsfinn der Mit- und Nachwelt überlassen.

Höher als das, was ein Mensch geleistet, bleibender als das was er gearbeitet, ist schließlich das, was er war. Wir leben in

einer rauschenden Zeit, die über Alles, auch über großes Verdienst, zur Tagesordnung übergeht, unter einem Volk, das weder seinem Gott dankt für Seine Gnade und Hülfe, noch den Menschen. Wir plagen die Lebendigen und vergessen die Todten oder lassen sie nicht ruhen; leben unter einem Volke, das müßig und bewundernd seine eigenen Werke untergehen sieht, wenn nicht an ihrem Untergang arbeitet. Aber eines bleibt im treuen Herzen: das Bild eines Mannes, der uns Vorbild werden kann.

[ocr errors]

Schlicht und recht, das behüte mich, HErr; denn ich harre dein" möchte ich auf sein Grab schreiben. Das scheint so wenig und doch, kann man eigentlich Größeres sagen? Große Männer sind nicht immer große Menschen, sie verlieren, je näher man ihnen kommt. Der Glanz ihrer Stellung, der Ruhm ihrer Erfolge haben ihnen den Sinn verrückt und Gerechtigkeit und Schlichtheit getrübt.. Was der Psalm meint, ist jene Tugend der Unsträflichkeit, der Wahrhaftigkeit und Rechtschaffenheit, der Integrität und Unantastbarkeit der Gesinnung, der Adel einer reinen Seele, die abhold allem Schein und frei von Eitelkeit einhergeht. Er preist jene Lauterkeit, der am Urtheil Gottes und des Gewissens mehr liegt als an Beifall und Gunst der Menschen; jene Barmherzigkeit und Milde, die bei aller Schärfe des Urtheils sich nie verleugnet, jene Selbst= losigkeit ist gemeint, der es um die Sache zu thun ist und der persönliche Ehre und Auszeichnung in letter Linie steht.

Ob diese Züge sich nicht in unserem Entschlafenen finden?

Das Alles war getragen von einer persönlichen Liebenswürdigkeit, die ihm die Herzen der Menschen gewann; eine Hülfsbereitschaft lebte in ihm, die keinen Unterschied machte und kannte zwischen Vornehm und Gering, zwischen Herr und Diener.

Ich harre dein." Mit diesen letten Worten ist auch der lette Grund aller Schlichtheit und Rechtschaffenheit gesagt. Wer vor seinem Gotte wandelt und an Ihn, als die letzte Instanz, harrend appellirt - was können dem Menschen thun? Wie tief bei unserem Entschlafenen dies „ich harre dein" in der Seele lebte, wage ich nicht zu sagen. Es ist so schwer, über das

innerste Leben eines Menschen Urtheil und Blick zu haben. Die Wurzeln des innersten Lebens sind, wie beim Baum, im Dunkel der Erde verborgen; werden sie ans Licht und den Sonnenstrahl gebracht, verdorren sie.

Ihr aber, geliebte, trauernde Freunde, liebe Schwester und Verwandten, nehmt es für Euch mit hinab in Haus und Herz: „Ich harre dein!" Es soll der lezte Gruß an den Nestor Eures Hauses, den greisen Bruder und die Schwester sein. Je ärmer auf Erden, desto reicher dort; je einsamer hier, desto heimathlicher in der Ewigkeit, das soll unser Gang sein.

Wir Alle aber, meine Freunde, nehmen wir aus dieser Morgenstunde ein Stück Gold des Trostes und der Mahnung in diese unsre Zeit mit. Gedenken wir des theuren Vaterlandes, das unser Entschlafener so heiß ersehnt und geliebt, dem er seine besten Kräfte geopfert. Es fehle ihm nie an Männern, die „schlicht und recht" ihre ganze Pflicht thun, unbeirrt um Lob und Anerkennung, um Schimpf und Tadel, die sich ein reines Gewissen bewahren, die vom Glanze nicht geblendet und vom Sturme nicht gebeugt werden.

Vor Allem aber schenke Er es Euch und mir, daß wir Seiner harren im vollen Glauben an unsern HErrn Jesum Christ, in Ihm unsern Frieden und unsern Trost finden und getrost zu Ihm rufen: „HErr, ich harre dein." Schenke es Euch und mir unser treuer Gott, daß man auch uns aufs Grab schreiben könne in Wahrheit: Schlicht und recht, das be= hüte mich; denn ich harre dein!

[ocr errors]

Amen.

[ocr errors]

21. Grabrede

über: Joh. 11, 28:

Der Meister ist da und rufet dich."

Gehalten am Grabe von Hermann v. Helmholz, 12. September 1894. In Christo Geliebte! Am vorgestrigen Abend haben wir in stiller Abendstunde eine Feier gehalten am offenen Sarge. Wir

sahen noch einmal in das männlich schöne Antlig, über das der Tod den Schleier und den Glanz der Verklärung geworfen und ein süßer Friede nach dem Kampfe sich gelagert hatte. Am innern Auge zog Alles vorüber, was er Euch gewesen ist in seiner Liebe und Treue, jedem Einzelnen unter Euch. Ihr faßtet Euch an der Hand, um, verarmt wohl, weiter zu pilgern, in Liebe und Treue verbunden, im Herzen das Andenken an das geliebte Haupt, und batet, da es Abend geworden über so vieler Liebe und Treue, die ewige Liebe, die hoch über Tod und Grab steht: Bleibe bei uns, HErr, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget". So ist es auch recht. Das Beste, Jnnerste lebt ein Mensch im Hause und soll auch im Heiligthum des Hauses bleiben. Der tiefste Schmerz will in der Stille vor Gottes Augen allein getragen sein.

[ocr errors]

Diese Feier gilt dem Manne, der ins Leben der Welt gestellt war mit seinem Berufe und Schaffen, dem Manne der Wissenschaft, Eurem Genossen, Eurem geliebten Lehrer, Jhr, seine Schüler! Wir wollen ihn betten an der Seite seines früh heimgegangenen Sohnes, des tapferen Kämpfers und stillen Dulders; betten auf demselben Kirchhof und Friedhof, wo seit kurzer Zeit der schläft, der ihm nahe stand in gleichem Streben, in Freundschaft und mit Banden der Verwandtschaft verbunden, Werner v. Siemens. Aber wir wollen den Gang nicht antreten, ohne ein Wort mitzunehmen, ein Wort für unseren Entschlafenen, ein Wort für uns Alle. Ich denke Ich denke an ein Wort, das einst in einem Trauerhause erklungen ist, voll Friede, voll Trost und Mahnung. Als der HErr in Bethanien in das Haus der Schwestern kommt, wo der geliebte Bruder die Augen geschlossen, ertönt der Ruf: Der Meister ist da und rufet dich“.

"

„Der Meister ist da und rufet dich." Es gilt unserem Entschlafenen zunächst. Wir kennen diesen Meister, den HErrn unseres Lebens, die Quelle aller Vollkommenheit, der allein auf diesen Namen das Recht hat. Denn was sich sonst Meister in der Welt, im Lande des Bruchstücks und der Unvollkommenheit nennt, ist doch nur Schüler, wenn nicht Stümper. Meister ist

« PreviousContinue »