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Denkstein seßen? Ihr habt mich der Mühe des Suchens überhoben, aus Eurem und seinem Herzen ein Wort mir gegeben, das den tiefsten Sinn des Entschlafenen und Euer ganzes Empfinden hier an seinem Grabe zusammenfaßt: „Wer bin ich, HErr HErr, und was ist mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast?"

Verstehe ich dies Wort anders recht, so soll wenig von dem Entschlafenen, aber viel von seinem Gotte gesagt werden; wenig von dem, was er geleistet, um so mehr aber von dem, was Gott an ihm gethan.

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Es ist ein Wort, in welches David an einem Höhepunkte seines Lebens, rückwärts und vorwärts schauend, überwältigt von der Güte Gottes, ausgebrochen ist. Wie ein Baum durch die Last der Früchte, die auf seinen Zweigen ruhen, sich senkt, so ruft David über der Treue seines Gottes: Wer bin ich, HErr Herr, und was ist mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast?" Gewiß, Geliebte, er hätte sagen können, wer er sei, er hätte auch wohl zu rühmen gehabt. Er hätte sagen können: „War ich es nicht, der sich vom Hirtenknaben zum Königsthron geschwungen; der in den Tagen seiner Jugend den Löwen zerriß und den Bären schlug? War ich es nicht, der den stolzen Philister, der Israel Hohn sprach, mit der Schleuder traf und den Steinen aus dem Jordan; der sein Volk errettet hat von seinen Drängern? Habe ich nicht Barmherzigkeit geübt am Feinde und Sauls verschont, den ich in meiner Gewalt hatte? Habe ich nicht meinem Gotte gedankt in guten und bösen Tagen, Ihn gepriesen mit Psalm und Lobgesang? War nicht die Stätte seines Hauses mein liebster Raum auf Erden?" Dies Alles hätte er sagen können, und doch davon kein Wort. Nichts von sich, nur von seinem Gotte will er rühmen: „Du hast mich bis hierher gebracht“, das ist das Bekenntniß einer wahrhaft großen, königlichen Seele.

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Geliebte trauernde Freunde! Auch unser Hingeschiedener hätte sagen können am Ende seines Lebens und könnte auch jezt, aus seinem Sarge heraus, zu uns reden: „War ich es nicht, der sich aus Kampf und Noth der Jugend emporgeschwungen?

war ich nicht meiner Mutter treuer, dankbarer Sohn? Habe ich nicht den Eid, den ich einst als Jüngling geschworen, in seltener Treue gehalten in guten und bösen Tagen, in Krieg und Frieden?Habe ich mein Leben geschont im Dienste meines Königs oder habe ich es nicht gewagt zu jeder Stunde? Hoch an der Ostsee, auf Böhmens Feldern und in Frankreich steht mein Name geschrieben, und wenn man die besten Namen nennt aus unseres Königs Tagen, dann wird man den meinigen auch nennen. Habe ich nicht bei allem eisernen, unerbittlichen Wollen ein warmes, fühlendes Herz in der Brust getragen? Hat mein König nicht mit den höchsten Ehrenzeichen meine Brust geschmückt? Haben nicht die Bürger der Städte, in denen ich war, mich geehrt und meine Untergebenen mir vertraut? Hatten sie nicht in mir einen Freund gefunden, und die Verwundeten und Kranken einen Tröster? Habe ich nicht meinen Erstgeborenen hingegeben wie jeder andere Mann, ohne Murren, ergeben in Gottes Willen und, das Todesweh im Herzen, meine Pflicht erfüllt? War ich nicht meinem Weibe ein treuer Freund, meinen Kindern ein besorgter Vater? Habe ich je gefehlt im Hause Gottes, und war nicht meines Gottes Wort mein Trost?"

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Geliebte, das Alles könnte er in Wahrheit sagen; aber davon soll kein Wort über seine Lippen kommen; nur das Eine seinem Gotte gegenüber: Wer bin ich, HErr HErr, und was ist mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht?" Demuth, Geliebte, ist mehr als Bescheidenheit. Diese mißt sich an den Menschen, aber jene stellt sich unter ihren Gott, und darum kann sie sich in dem Maße beugen, als sie von Gott erhöht ist. Das hat unser Entschlafener erkannt, und daher sein dankbar demüthiger Sinn.

Gottes Hand war es, die sichtbar über ihm gewaltet. Jm Jahre 1809, in der schwersten, eisernsten Zeit unseres Vaterlandes, da des Königs Kraft und der Königin Herz gebrochen war, hat das Kind das Licht der Welt erblickt. Während der Freiheitskriege fand der Vater infolge der Strapazen in Frankreich seinen Tod und hinterließ die Wittwe mit den drei unmündigen Kindern

in Kampf und Sorge. Aber sie war eine heldenmüthige Frau (wie es denn nicht nur Helden auf dem Schlachtfelde, sondern auch Heldinnen im Hause giebt), die ihre Kinder in strenger Zucht, aber großer Liebe erzog. Mit dem gleichgesinnten Bruder verband den Knaben und Jüngling eine edle, seltene Freundschaft, die durchs ganze Leben hindurchgewährt, Einer den Andern fördernd. So stieg er von Stufe zu Stufe; sein Gott ließ es ihm gelingen. Was der HErr dem David einst gesagt: „Ich bin mit dir gewesen, wo du hingegangen bist, und habe deine Feinde vor dir ausgerottet, und habe dir einen großen Namen gemacht, wie der Name der Großen auf Erden ist“ das hat Er auch an ihm erfüllt, in den Wettern der Schlacht Seine Hand über ihm gehalten und ihn bewahrt, ihn getragen bis ins Alter; seine Gestalt war nicht verfallen, und sein Auge nicht dunkel geworden", das konnte auch von ihm gelten. Und dann hat ihn der HErr hinweggenommen und sanft und still einschlafen lassen, nicht vereinsamt, sondern getragen von der Liebe seiner Gattin, seiner Kinder und Enkel, die ihm den Lebensabend vergoldet haben. Ja, es ist wahr aus seinem Munde jenes dankbare Wort: „Es ist mir immer so gut gegangen; wer bin ich, HErr HErr, und was ist mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast den früh verwaisten Knaben, so reich gesegnet?"

mich,

Aber dies Wort: „Ich und mein Haus", das trifft auch Euch mit Dank und Wehe zugleich ins Herz; Dich, liebe Gattin, und Euch, lieben Kinder. Du bist mit ihm gewandert über vierzig Jahre, und schon winkte neben dem grünen und silbernen der goldene Kranz. Was man in solchem langen gemeinsamen Pilgern, im Austausch der Seelen, in Freude und Leid erfährt, das drängt sich vors innere Auge, wenn sich die Hand der Hand entwindet, in die man einst am Hochzeitstage eingeschlagen. Und dennoch schlägt der Dank durch das Leid des Abschieds hindurch, der Dank gegen Gott, der Euch Beide getragen hat. Ein Heiligthum bleibt Deinem Herzen diese Erinnerung, an das wir nicht rühren wollen, Dein Herz nicht schwerer zu machen, als es ist. Und Jhr, lieben Kinder, welch ein Haus hatte Euch Gott gegeben und welch

einen Vater! Ach, dies schöne, leuchtende Adlerauge ist nun erloschen; aber es war auch ein mildes Vaterauge, das Euch angeschaut von Jugend an. Ihr werdet erst merken, wie viel für Euch mit diesen Augen sich geschlossen, wenn nach den Tagen des Verlierens die schwereren des Vermissens kommen. Und doch habt Ihr ihn so lange besitzen dürfen. Da muß doch der Dank gegen Gott und den Entschlafenen vor Allem durchschlagen: "Was sind wir, daß du uns bis hierher gebracht hast?!" Und Jhr, lieben Enkel! Es ist etwas Köstliches, solch eine ehrwürdige Gestalt hereinragen zu sehen in den Morgen seines Lebens. Es begleite Euch dies Gedächtniß als Bild und Vorbild, als ein segnender Engel auch durchs fernere Leben hindurch.

Ihr aber, lieben Waffengefährten und Kameraden des Entschlafenen! Es lichten sich die Reihen der treuen Kämpfer, und immer einsamer wird es um unseren königlichen Herrn her, dessen treuer Diener auch in seinem getreuen Herzen in liebendem Gedächtniß steht. Vor wenig Wochen ist jener andere Held entschlafen, der die Wacht am Rhein gehalten und den lezten muthigen Schlag nach dem Feinde gethan, und heute begraben wir den, dessen schönster Lorbeer jene erste kühne Waffenthat war, womit er den Glanz eines gefürchteten Feindes für immer erbleichen machte, und wo die beiden Männer die Wunden schlagen mußten, da haben wir vor wenig Tagen den Dritten bestattet, der mit kunstgeübter Hand und Opfertreue die Wunden heilte, die der Krieg schlug. Aber laßt uns am ausgehenden Lichte unsrer Heimgegangenen das eigene entzünden; an der Tugend, Hingabe und Treue des heimgehenden Geschlechts entzünde sich das gegenwärtige! — Vor Allem aber fehle uns das Ehrenzeichen nicht, das einzige, das von allen diesen Ehrenzeichen am Fußende dieses Sarges unserem Heimgegangenen als der leuchtende Stern in der Brust in die Ewigkeit folgen wird: jener demüthige Sinn, der Gott die Ehre giebt, der nichts von eigenem Ruhme wissen, aber Gottes Ehre preisen will. „Pietate et armis!" fo lautet der Wahlspruch des Geschlechts unseres Entschlafenen, und das Wappen zeigt in sinniger Sage den Bach, der aus dem

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Heiligthum seinen Lauf nimmt, zeigt jene Wurzel unserer Kraft: Gott mit uns; wir mit Ihm Alles, aber ohne Ihn nichts!" Wahrlich, ich wüßte keine schönere Grabschrift über ein reich begnadigtes Leben von unbefleckter Ehre, Treue und Liebe als diese:

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, Was bin ich, HErr HErr, und was ist mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast?"

Ja, Er helfe uns zu solcher Beugung, zum seligen Frieden in Ihm in Christo Jesu, unserem HErrn, und bringe uns nicht bloß bis zum Grabe durch seine Gnade, sondern übers Grab hinaus zur ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu, unserem HErrn, welchem sammt dem Vater und dem Heiligen Geiste sei Ehre und Preis, hochgelobet und hochgeliebet in Ewigkeit! Amen.

15. Grabrede
über Psalm 23.

Am Sarge einer frühvollendeten Konfirmandin (M. v. L.), April 1888.

So soll ich denn Euer geliebtes Kind aussegnen zu seiner Ruhe. Einmal hab' ich sie schon gesegnet, am Frühmorgen ihres Lebens, als Jhr sie brachtet zum Altar der Konfirmation und sie einschlug in die Hand ihres HErrn. Damals ging sie mit Euch hinab, Euer treues, gehorsames Kind zu sein, der Sonnenschein im Hause, die rosige Blume in Eurem Garten —, und heut soll ich sie einsegnen in ihrem weißen Sterbekleid und dem Myrthenkranz einer Himmelsbraut. Nun geht sie aus Eurem Haus ins stille lezte Haus, aber hinauf ihre Seele in das Haus voll Licht und Leben, zum rechten Vaterhaus, dessen Abbild das Vaterhaus auf Erden ist. Aber es bleibt doch Ein HErr, der jenen ersten Tag gegeben, und der den letzten bestimmt. Sein Wort bleibt dasselbe, ob es an dem Konfirmationstag als Leitstern des Lebens mitgegeben wird, oder als Fackel im dunklen Todesthal leuchtet.

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