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Tagen seines Lebens, von seiner Freude und von seinen Thränen nichts Anderes hat es sagen wollen als das Eine, was Alles zusammenfaßt: Der HErr hat Gnade zu seiner Reise gegeben." Wir sprechen es zuerst aus, seine Amtsgenossen und Untergebenen. Und ich darf es thun aus vollem Herzen, der ihm in achtzehn Jahren friedevollen Zusammenseins so viel Liebe und Treue, seine Stellung und Wirksamkeit verdankt; ich darf es sagen im Namen des durch sein Amt abgehaltenen Nachfolgers, aller der Hunderte von Brüdern, die unter seinem Oberhirtenstabe ihr Amt einst geführt und noch führen. Wir legen das Bekenntniß mit diesem vergänglichen Kranz als einen unvergänglichen nieder: „Ja, Du frommer und getreuer Knecht, der HErr hat Gnade zu Deiner Reise gegeben. Für jede Erquickung, für jede Hülfe unterwegs sagen wir Dir Dank!"

Aber aus Euren Herzen, liebe trauernde Wittwe und Kinder, klingt es doch noch in ganz besonderem Sinne; Euch gehörte er ja insonderheit an. Mußt Du es nicht sagen, liebe Gattin, über einer fast zwanzigjährigen Wanderung, in welcher Du ihm in liebender Pflege und Sorge den Abendsonnenschein in Haus und Leben tragen durftest? Hat der HErr nicht Gnade zu seiner Reise gegeben? Und Jhr, lieben Kinder! Jedes von Euch hat von ihm besondere Liebe erfahren. Eines Jeglichen Freude und Leid hat er wie sein eigenes durchlebt, und im Alter ist seine Liebe nicht weniger geworden, sie hat die Enkel mit hineingenommen in das Herz, wie der Stamm thut, der, je älter er wird, desto weiter die Jahresringe spannt. So ist er Jedem unter Euch zum Freunde geworden, und Ihr habt unter dem Schatten des alten Baumes wohnen dürfen. Während so manches Kind schon in frühster Jugend die Vaterhand missen muß, wie lange hat sie Euch doch festgehalten, und durftet Ihr sie küssen und segnen! Darum auch unter Thränen ringt sich doch der Freudenton des Dankes hindurch aus Kinder- und Enkelmund: „Der HErr hat Gnade zu deiner Reise gegeben!"

Sanft und still ist sein Lebensschifflein an den Ufern der Ewigkeit gelandet; er hat den Tod nicht gesehen. Aber der HErr hatte ihn

dazu bereitet durch jahrelanges Leiden. Auf dem schönen Antlige im Tode lagerte das Morgenroth der Ewigkeit; in den friedevollen Zügen stand's geschrieben: „Der HErr hat Gnade zu meiner Reise gegeben!"

Darum darf er auch bitten: „Haltet mich nicht auf; laßt mich zu meinem HErrn ziehen." Was treue Pflege und Liebe vermochte, ihn aufzuhalten, ihm den Feierabend zu verlängern im schönen Heim drüben mit dem Blick auf Wald und See, das hat Deine Liebe, theure Gattin, reichlich gethan. Und wenn Eure Liebe ihn hätte aufhalten können, lieben Kinder, keine Pflege und Sorge bei Tag und Nacht wäre Euch zu viel geworden. Aber der HErr wollte Seinen müden Knecht heimrufen, hatte ihm durch den Heimgang eines lieben Gliedes der Familie vor wenigen Tagen gleichsam schon das Todtenglöcklein geläutet, und ihn selber hatte die Sehnsucht ergriffen, daheim zu sein bei dem HErrn. Darum: „Laßt mich zu meinem HErrn ziehen"; nicht ins dunkle Grab, sondern zu Seinen lichten Wohnungen! „Zu meinem HErrn“ -- den er als seines Lebens und Sterbens einigen Trost erkannt und bekannt hatte. Einmal habe ich einen Blick in dies sein innerstes Leben thun dürfen. Es war in den Tagen der Krankheit vor Jahren, als wir glaubten, der HErr eile mit ihm heim. Da sagte er mir unter tiefer Bewegung seines Herzens: „Ich verlasse mich einzig auf die Gnade meines Heilandes; ich will von keinem Verdienste wissen, sondern nur von Gnade und Erbarmen. Er wird alle meine Sünde und Versäumniß mit Seinem theuren Verdienste bedecken." Dies Bekenntniß, schlicht und offen im Angesicht der Ewigkeit geredet, hat gerade bei ihm, dem sonst über das innerste Heiligthum seiner Seele vor Anderen schweigsamen Manne, eine besondere Bedeutung und Trost. So wißt Ihr denn, zu wem Ihr Euren Vater ziehen lasset. „Zu meinem HErrn" - von Ihm wollte er, daß Er auch unser HErr würde, liebe Amtsgenossen, Ihn sollten wir verkündigen und nicht uns selbst. Seine Geistlichen sollten in der Predigt und Seelsorge dem Volke in Waffen auch schneidige Waffen, das Schwert des Wortes Gottes, bringen, und darum duldete er auch keinen unter

uns, der nicht im Bekenntniß des Namens unseres hochgelobten HErrn steht und Ihn als unsere Gerechtigkeit und unser Heil verkündigt.

Aber nun, und das ist sein letztes Vermächtniß an uns Alle, hat er auch die Bitte: Haltet Euch nicht auf; laßt Euch durch mein Scheiden mahnen, treu zu sein bis in den Tod. Das soll ja der Segen jedes Scheidens sein, jeder Lösung eines Bandes auf Erden, daß wir selbst los von Zeit und Welt und hinaufgebunden werden an die Ewigkeit; bei dem Verarmen auf Erden und bei dem Vereinsamen um so reicher und heimathlicher droben werden. Wenn eins der Unseren heimgeht", hat ein großer Theologe gesagt, „dann streicht aus der geöffneten Himmelsthür, durch welche er eingegangen, den Zurückbleibenden ein Lüftlein entgegen, kraft dessen sie es aushalten bis zum eigenen Heimgang." Das sei, liebe Gattin, auch Dein Segen an diesem Grabe.

Nicht fern von hier ruhen, drüben an der Kirche, Deine seligen Eltern und hier Dein treuer Lebensgefährte. In den Tagen des Vermissens, die nach denen des Verlierens kommen, sei Er, der HErr selbst, der der Wittwen Trost und ihr Freund ist, Dein Trost und Licht und Dein bester Rath! Ihr lieben Kinder, haltet Euch nicht auf! Es bricht so Vieles mit diesen beiden Vateraugen, die Euch so lange angeschaut und Euch verstanden haben ohne Wort. Laßt des Vaters frommen und demüthigen Sinn Euer bestes Erbtheil sein, und bei aller Arbeit hienieden und Treue im irdischen Beruf, vergeßt die Bitte Eures Vaters nicht: Haltet Euch nicht auf hier unten; suchet, was droben ist, zieht zu Eurem HErrn! Aber haltet zusammen, in treuer Liebe Euch um die Mutter stellend. Wenn Ihr jezt in die Ferne zieht von diesem Grabe, laßt es nicht sein, als ob mit dem Vater das zusammenfassende Haupt von Euch gegangen!

Und wir, meine Brüder im Amte, laßt es uns hinabnehmen als den lezten Segen vom Grabe unseres alten Feldpropstes: wir wollen uns nicht aufhalten und treuer denn zuvor des HErrn

Werk und Wort treiben. Laßt uns im Lichte des Todes das Leben verstehen und die kurze Spanne Zeit auskaufen! Laßt uns zum HErrn ziehen und Andere zu Ihm führen, nichts für uns begehrend, wie das Bild und Vorbild unseres entschlafenen Oberhirten uns mahnt, aber Alles für Ihn einsehend in Liebe und Treue.

Wir Alle aber, meine Geliebten, die wir nicht wissen, wann der HErr uns ruft, erbitten wir es uns von Ihm, daß Er Gnade zu unserer Reise gebe, daß der süße Friede in der Vergebung unserer Sünden in Christo Jesu, unserem HErrn, in uns wohne; daß wir in der Gewißheit des Glaubens den Tod überwinden und in seliger Hoffnung auf die Gnade unseres HErrn nach vollbrachtem treuem Tagewerk die Unseren ans Bette rufen und beim Scheiden in tiefster Demuth sprechen können:

„Der HErr hat Gnade zu meiner Reise gegeben," und die eine, selige Bitte an die Unseren haben:

„Haltet mich nicht auf; laßt mich zu meinem HErrn ziehen."

Das walte an Euch wie an mir der barmherzige Gott durch Jesum Christum, unsern HErrn, im heiligen Geist! Amen!

14. Trauerrede

über 2. Samuelis 7, 18:

,,Wer bin ich, HErr HErr, und was ist mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast?"

Am Sarge des Generals der Infanterie Hugo Grafen v. Kirchbach, den 11. Oktober 1887.

In Christo geliebte trauernde Freunde, insonderheit theure Gattin und Kinder, Schwiegerkinder und Enkel, Waffengefährten und Kameraden des Entschlafenen!

So wollen wir denn unseren theuren Entschlafenen betten zu seiner Ruhe, den Vater zum Kinde, den greisen Helden zum

jungen Helden, den Geliebten zum Geliebten! Am vorgestrigen Abend habt Ihr ihn gesegnet zum Ausgang aus seinem Feierabendheim, wo er den lezten Kampf gekämpft, und nun wollen wir ihn einsegnen zur Ruhe im stillen Grab. Wir aber, wo wollen wir hin in dieser Stunde? Zu den Menschen? Ihre Liebe, ihr Trost in Wort und Theilnahme thut ja wohl, und wer wollte sie missen! Und es fehlt Euch wahrhaftig nicht an solch theilnehmender Liebe. Das sagen die Kränze hier auf diesem Sarg, das sagt der lebendige Kranz treuer Freunde, die hier doch etwas Besseres als nur die kalte, leßte Ehre dem theuren Entschlafenen bringen wollen. Aber wir fühlen Alle: dem Tode gegenüber brauchen wir mehr als das. Hier muß uns mehr als Menschenkraft und Trost halten.

An der Stätte des Todes das Lebens wort haben, über dem Grabe den Lebensfürsten wissen, das allein heißt wahrhaftig getröstet werden. So habt Ihr eben das Wort gehört vom guten Hirten, der den Entschlafenen auch jetzt auf grüner Aue weidet, dessen Stecken und Stab Euch tröstet im finstern Thal; das Wort von der Gnade, die da bleibt, während der Mensch ist wie Gras und wie das Herbstlaub, das jetzt von den Bäumen fällt; das Wort von der Liebe, die nimmer aufhört und die man nicht begräbt, und das Wort von der Hoffnung auf das unverwelkliche Erbe, das uns behalten wird im Himmel. Geliebte, das sind lauter Worte, nicht wie ein Mensch sie hat, sondern Worte des Lebens, Sonne und Stern auf dunklem Pfad. Und so könnten wir getröstet von dieser Stätte scheiden, nicht mit Todesgedanken allein, sondern auch mit Lebensgedanken und nicht bloß hinabschauen ins dunkle Grab unter unsern Füßen, sondern auch in den offenen Himmel über unserem Haupte.

Aber in jedem Leben hat uns Gott doch etwas Besonderes zu sagen, und jedes ist mehr oder minder ein besonderer Gedanke Gottes. Auch wir haben dem Todten etwas Besonderes zu sagen und unserem Gotte auch. Nach welchem Worte sollte ich greifen, welche Inschrift über dies Leben, welche Grabschrift auf seinen

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