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heut zu Tage die Kunst ernst in ein heiteres Leben schaue und nur wer das Höchste sich zum Ziele seßt, auch das Hohe erreiche. Treue und Ernst, heiliges Maß und Gewissenhaftigkeit, das sei Euer Erbtheil aus den Händen Eures entschlafenen Lehrers! Wir Alle aber, meine Freunde, die wir im Mittag und Abend des Lebens schon stehen, denen Gott die Ewigkeit ins Herz gelegt, lasset uns in der Zeit die Ewigkeit suchen! Vor Allem den Frieden Gottes im Herzen, die Gewißheit der theuren Vergebung der Sünden durch Jesum Christum unsern HErrn, daß wir dem Tode getrost in das Angesicht schauen können und gewiß seien, droben den Psalm der ewigen Erlösung zu hören. Lasset das Herbstlaub, über das wir gehen, wenn wir nun heraustreten, durch die Stimmen der Vergänglichkeit uns mahnen an den Ruf unseres ewigen Meisters, die Sehnsucht nach der Ewigkeit in uns wach zu halten, und sprechen wir's unserem Herzen zu: „Darum zur Ruh, mein wild Gemüth!

Nicht Alles wird hier Frucht, was blüht,
Du trägst, der Erde stummer Gast,

In dir, was nur der Himmel faßt.

Dir selbst bewußt kaum, ist dein Leid
Ein Heimweh nach der Ewigkeit.“

In diesem Heimweh stärke Euch wie mich am Sarge unseres Entschlafenen der treue, himmlische Meister, der uns auch jetzt ruft! Amen.

10. Grabrede

über Psalm 39, 8 und 10:

„Nun HErr, weß soll ich mich getrösten? Ich hoffe auf dich.

Ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, du wirst es wohl machen."

Am Sarge einer Dulderin. 1882.

Kommt, wir wollen wieder zum HErrn gehen, Er hat uns zerrissen, Er wird uns auch verbinden, Er hat uns verwundet,

Er wird uns auch heilen". Wieder zum HErrn! Ist es ja doch nicht das erste Mal, daß wir an dieser Stätte stehen; wir haben einen theuren Vater, das Haupt Eures Hauses, und ein geliebtes Kind zur Ruhe gebracht und nun heute Deine Gattin, Eure Mutter, die liebe Tochter und Schwefter! Wo sollten wir auch hin? Wollen wir zu den Menschen gehen? Ihre Liebe thut ja wohl, aber dem Tod gegenüber ist sie doch so arm. Sie kann den Kranz der Liebe wohl bringen und in den Augen die Thräne haben, aber mehr kann sie nicht. Am Grabe muß ein Anderer trösten, der nicht Worte hat wie ein Mensch, sondern Worte des ewigen Lebens. Eine Hand muß uns halten, die nicht wie Menschenhand, damit wir nicht in Todestraurigkeit versinken. Darum kommt, wir wollen zum HErrn gehen! Und bedürfen wir nicht hier Seines ganz besonderen Trostes? Welch jahrelanges Leid und welchen Kampf birgt doch dieser Sarg! Darum zu dem Wort des Psalms von dem HErrn, der dennoch ihr Gott und ihres Angesichts Hülfe war, zu dem Worte von der Liebe, die nimmer aufhört, und von der seligen Hoffnung eines unverwelklichen Erbes, zu allen diesen Worten noch eines, das unsere Seele still machen soll:

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‚Nun HErr, weß soll ich mich getrösten? Ich hoffe auf dich, ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, du wirst es wohl machen."

So betet David in einer Stunde, da die Wege Gottes ihm verdunkelt und der Durchblick ihm fehlt. Um die Hand seines Gottes zu verstehen, die ihn ins Dunkel führt, geht seine Frage hinauf zu dem HErrn selbst. Von Menschen erwartet er feine Antwort, aber von seinem Gott; der möge reden, er aber wolle schweigen und den Mund nicht aufthun. Geliebte, es giebt ein doppeltes Schweigen, ein Schweigen der Verbitterung, das keinen Segen in sich hat, des Klagens und Anklagens Gottes. Das ist ein Schweigen wie in der Natur, das dem Losbrechen des Gewitters vorangeht. Solch ein Schweigen ist doch ein Reden, und solange der Mensch spricht, kann sein Gott nicht zu ihm reden. Es giebt aber auch ein anderes Schweigen, das ist das Schweigen

der Ergebung, wo man die Hand aufs Herz und auf den Mund legt und warten kann, bis Gott sich rechtfertigt. Da zweifelt man nicht, ob man auch nicht sieht, daß es wahr bleibt: „Sein Thun ist lauter Segen, sein Gang ist lauter Licht". Ja, Seine Wege sind immer einen Himmel höher als unsere Wege, aber unser Herz wird nicht irre am Herzen Gottes, wenn es auch Seine Hand nicht versteht und begreift, wie ein Kind nicht irre wird am Herzen seiner Eltern, wenn auch die Hand es einmal schlägt und verwundet. Auch hier verstehen wir diese Fügung nicht, wie Gott unsere Heimgegangene nach kurzen gesunden Jahren 17 Jahre lang aufs Krankenlager gelegt, zu einem beständigen Auf- und Abschwanken zwischen Leben und Tod, warum Er sie in diese legten qualvollen Wochen geführt, sie, deren Sinn so still und gottergeben war hinein in ein fast übermenschliches Leiden, warum Er Euch allen die Cheure hinweggenommen vor der Zeit, in der Blüthe ihrer Jahre. Aber was sie jetzt schon im Lichte schaut, das ahnen wir im Dunkel, und sprechen: „der HErr wird es wohl machen“, Er wird auch diese Dissonanzen ausklingen lassen in lauter Lob und Anbetung! Wir sprechen: „der HErr wird es wohl machen", und ich frage: Hat Er es nicht schon wohl gemacht? Geliebte, wir loben nicht das Feuer, wohl aber das Gold, das darin bewährt wird, nicht die Thränen der Trübsal, wohl aber die Freudenernte, die aus der Thränensaat sprießt. Welch ein Bild von innerer Ausreifung, von Ergebung, von Lob und Dank unter allem Schmerz hat Euch die Heimgegangene gegeben! Was über ihre Lippen kam, war nicht Klage sondern nur Dank gegen Gott, wie gut es ihr gehe. Das ist doch die Höhe alles Christenglaubens, wenn man die Hand küssen kann, die uns verwundet, und mit dem Psalm spricht: „Ich danke dir, daß du mich demüthigest, denn wenn du mich demüthigest, machst du mich groß“. Jst's nicht ein Beweis, wie Gott in ein zerbrechliches Gefäß seine Kraft legen kann, wenn die ganze Krankheit und das Krankenlager eine Stätte der Verherrlichung Gottes wird? „Wen Gott aber will herrlich zieren, und über Sonn' und Mond und Sterne führen, den führet Er zuvor hinab“.

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Die leuchtende Krone soll dem zutheil werden, der die Treue ge= halten hat bis in den Tod, und darum spricht auch der Apostel: „Die Leiden dieser Zeit sind nicht werth der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbart werden". Wie tief unter ihren Füßen wird jezt all ihr Leid liegen, wie ein kurzer Augenblick der Trauer gegenüber einer unendlichen Freude! Ja, über ihr schwebt schon dieser goldene Lichtschein, und sie kann es uns Allen getröstet und tröstend zugleich zurufen: „Ich habe den guten Kampf gekämpft und den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten, hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit“. „Der Herr hat Alles wohlgemacht und hat Gnade zu meiner Reise gegeben!"

Aber auch für Euch selbst, Geliebte, bietet sich dies Wort wie eine dargebotene Hand, Euch hinaufzuziehen aus dem wogenden Meer der Fragen und Klagen. Hättest Du, lieber Gatte, nichts von dem Segen gemerkt, solch eine stille Predigt der Liebe und der Geduld Jahre hindurch zu hören? und quoll nicht eben aus dem verwundeten Herzen so reich das Herzblut der Liebe? Wie selbstlos, wie nichts für sich begehrend, aber wie dankbar auch für jede Liebe ist sie gewesen! Und wie war es Dir vergönnt, in jahrelanger Pflege ihre Liebe zu lohnen und die Hand unter das Kreuz zu legen; das alles ist ein Segen, eine süße Frucht aus dem bitteren Leid. Und Jhr, lieben Kinder! wohl weiß ich, daß sich durch das Leiden der geliebten Mutter ein Schatten über Eure Jugend gelegt, aber es war doch nur ein Wolkenschatten, hinter dem leuchtend die Sonne stand. Und ist es nicht einem Menschen köstlich, sein Joch in der Jugend zu tragen? Hat Euch je etwas gefehlt an Liebe aus diesem Mutterherzen? So lange habt Ihr sie doch genießen dürfen, während so manches Kind nie im Leben erfahren hat, was Liebe heißt! So zieht doch mit Euch die lichte Gestalt einer durch Leiden verklärten Mutter wie ein guter Engel, und ganz und voll werdet Ihr sie erst in späteren Jahren verstehen. Denn nach dem Verlieren kommen die Tage des Vermissens.

Und Du, liebe Mutter, was soll ich Dir sagen? Welche Fülle von Liebe hast Du ausgeströmt über Dein Kind und ist Dir zurückgeströmt aus Deines Kindes Herzen; Du verarmst auf Erden und wirst reicher in der Ewigkeit, und an diesem Band, das auf Erden nun abgeschnitten, zieht Dich der HErr an Sein Herz. Der aber gesagt: „Ich will euch trösten, wie Einen seine Mutter tröstet", der will auch Dich trösten, wie Du Dein Kind getröstet hast. Dich aber, liebe Schwester, die Du der Heimgegangenen Trost gewesen, Dich begleite das Bild Deiner geliebten Schwester, ihre Ergebung und ihre Geduld auch bei Deinen mannigfachen Leiden - das ist der Sterbesegen, den sie Dir hinterläßt.

Wir alle aber, die wir nicht wissen, ob auch uns der HErr solche Wege führen wird die Hand aufs Herz! würden wir solchen Glauben und solche Hoffnung haben? Würde sich unser Herz so still ergeben wie das ihre, würde auch von unsern Lippen nicht bloß keine Klage und kein Murren, sondern Lob und Dank Gottes kommen? Das will ich mich fragen, das will ich Euch Alle fragen. Das wird doch der Schlußchor sein in den Alle einstimmen werden, die aus großer Trübsal gekommen: „Der HErr hat Alles wohlgemacht, gebt unserm Gott die Ehre“. Dazu helfe Er mir und Euch durch Jesum Christum. Amen.

11. Grabrede

über 1. Korinther 13, 8:

Die Liebe höret nimmer auf."

Am Grabe des Geh. Raths Heise, 11. Oktober 1882.

In Christo geliebte trauernde Freunde, liebe Gattin und Kinder und Enkel des Entschlafenen! Ich will eure Feiertage in Trauern und eure Festtage in Weinen fehren“, wie ist das

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