Page images
PDF
EPUB

dessen, was Euch in dem Entschlafenen gegeben war, sprechen und bekennen: „Wir sind zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an ihm und uns gethan hast."

Aber wir hören aus diesem 80jährigen Leben heraus auch ein Lob menschlicher Treue. Und was kann man Größeres vom Menschen sagen, als daß er treu gewesen? Die Gaben äußeren Besizes, die Gaben des Geistes, alle diese Pfunde sind verschieden ausgetheilt; aber nicht die Pfunde sind es, die über den Werth eines Menschen entscheiden, sondern die Treue, mit der sie verwerthet werden. Hier stehen wir am Sarge eines treuen Mannes: „Ein treuer Mann wird viel gesegnet werden."

Geliebte! Es wäre ein thöricht Unterfangen, wollte ich die Bedeutung und die Leistungen des Entschlafenen auf dem Gebiete seiner Wissenschaft Euch hier vor Augen führen. Das erlaubt mir die kurze Spanne Zeit nicht, die mir vergönnt ist, zu Euch zu reden. Fällt doch sein Wirken in eine Zeit, wo eine Entdeckung die andere, eine Erfindung die andere drängte, und große Gebiete des Wissens dem Forschen des Geistes sich erschlossen. Mögen seine Berufsgenossen nach seinem Tode ebenso neidlos seine Verdienste anerkennen, als sie es im Leben an seinem Ehrentage einst gethan. Hier diese Ehrenzeichen zu den Füßen des Sarges, die zahlreichen Gesellschaften, deren Mitglied er war und die es sich zur Ehre rechneten, ihn unter die Ihrigen zu zählen - vor Allem aber seine Arbeiten, die ebenso sehr Annalen seiner Wissenschaft als Annalen seiner Treue sind das sind redende Zeugen. Eins aber laßt mich sagen: in einer Zeit wie der unseren, wo so Vielen der Genuß als einziger Zweck des Daseins erscheint, ist es köstlich, aus einem 80 jährigen Leben heraus das Bekenntniß zu hören, daß unser Leben, wenn es köstlich gewesen, es Mühe und Arbeit gewesen." Es ist erhebend in einer Zeit, die das Wort an der Stirne trägt: „Wohl weiß ich viel, doch möcht ich Alles wissen," und wo so Viele unter ihrem Vielwissen ihr Nichtwissen verbergen, einen Menschen hingehen zu sehen zu treuer Arbeit in edler Selbstbeschränkung, das Maß seiner

[ocr errors]

eigenen Begabung richtig erkennend, aber auch das Pfund nicht im Schweißtuch vergrabend, sondern ihn sammeln zu sehen „still und unerschlafft, im kleinsten Punkt die größte Kraft." Und wiederum ist es köstlich, in einer Zeit, wo Neid und Parteileidenschaft die schönsten Blüthen des Geistes zerstörend sich mit lautem Getümmel hineindrängen bis in die stillen Räume der Wissenschaft, einen Mann zu sehen, der ungetrübten Blickes und freien Auges und Herzens der Sache allein diente und Jedem Gerechtigkeit widerfahren, auch den Gegner zum Worte kommen ließ. Dies Zeugniß der Treue und des reinen, unbefleckten und unbestechlichen Sinnes wollen wir hier zu diesen verwelklichen Kränzen, als einen unverwelklichen Kranz auf diesen Sarg niederlegen.

Geliebte! Unserm entschlafenen Freunde ist die Feder entsunken, er hat Feierabend gemacht nach langer Tagesarbeit. Er sieht jetzt in den Zusammenhang der Dinge, in welchen hinieden kein erschaffener Geist blickt. Dessen war sich auch der Entschlafene wohl bewußt. Darum hat er auch an seinem Ehrentage das demüthige und demüthigende Geständniß abgelegt, wie weit wir noch ab sind von dem letzten Ziel der Wissenschaft. Das ist die Art echten Wissens, die ihre Schranke erkennt und sich zu bescheiden weiß. „Unser Wissen ist Stückwerk und unser Reden ist Stückwerk." So sagen wir mit dem Entschlafenen. Aber wenn das Vollkommene kommen wird, dann wird das Stückwerk aufhören. Nicht, daß es werthlos und verloren wäre, was hier mit treuem Fleiß gesucht und erforscht ist, vielmehr wird das Bruchstück aufgehen im Vollkommenen, wie die Knospe aufgeht in der vollen Rose. Was wir reden von den Dingen und ihren letzten Gründen, es wird immerhin doch nur das Reden des Kindes sein, gegenüber dem Reden des gereiften Mannes. Nicht die Sprache werden wir ablegen, aber was findisch an ihr war, das wird fallen. Wenn aber das Wissen Stückwerk ist und sich wandelt zur völligen Erkenntniß, so ist Eins kein Stückwerk, sondern das Band der Vollkommenheit, und das ist die Liebe. Sie ist kein Stückwerk, sie ist ganz und voll, was sie ist, und darum leuchtet sie uns aus dem Menschen,

in dessen Herzen sie ihre Stätte gefunden hat, so friedevoll entgegen. Was der Mensch geleistet im Leben, wird von Anderen überflügelt und vergessen. Aber was ein Mensch war, was er ausgestreut an Goldkörnern der Liebe, das bleibt als ein heiliges Vermächtniß in theurer Erinnerung. Und so leuchte denn auch aus dem Manne der Wissenschaft das Bild des Menschen entgegen, den Jeder, der sich ihm nahte, wohlwollend und gefällig, heiteren Gemüths, bescheiden und uneigennüßig, den idealen Zwecken dienend, fand.

Dies Bild haltet insonderheit fest, Ihr lieben Kinder! Nicht jedes Kind kann den Beruf des Vaters ergreifen, wohl aber sein Herz und seine Gesinnung. So laßt denn diesen Sinn des Vaters unter Euch fortleben und schließt Euch, da der Tod die Lücke gerissen, im Leben um so inniger an einander. Und Jhr, lieben Brüder, seid der Schwester ein Trost! Wie das Stückwerk des Wissens auf das Vollkommene weist, auf ein Fortleben unsers Geistes, so hat die Liebe das Unterpfand der Fortdauer und des Fortlebens in sich selbst. Denn von der Liebe gilt, sie höret nimmer auf. Wir Alle aber, meine lieben Freunde, die wir hier in dieser Morgenstunde stehen, lasset auch uns den goldenen Faden der Treue und Liebe Gottes, der sich durch unser ganzes Leben spinnt, erkennen und festhalten. An Seiner Treue entzünde sich dann die unsere, eine Treue bis in den Tod! Der Treue im irdischen Beruf folgen die Ehrenzeichen, wie sie hier vor uns liegen, die aber in die Hände derer zurückgehen, die sie einst verliehen; der Treue im himmlischen und ewigen Berufe folgt die Krone des ewigen Lebens, die unser Haupt bleibend zieren wird.

So laßt uns denn lernen, vom Tode das Leben verstehen. Wir schließen unsern theuren Todten die Augen als lezten Liebesdienst und sie erwidern uns denselben und öffnen uns die Augen über uns selbst. Suchen wir denn den Frieden, der über alle Vernunft ist in Christo Jesu, unserm HErrn. Und Er selbst, die ewige Liebe, gebe uns in unsere Hand eine reiche Aussaat, deren Frucht als volle Garbe uns einst, wenn wir das Land

des Bruchstücks unter Thränen durchwandert haben, in unseren Schoß falle, im Lande des Vollkommenen.

Möge auch unser Sarg predigen von göttlicher Treue und unsere Hinterbliebenen mit ihren Thränen es bezeugen: „Ein treuer Mann wird viel gesegnet werden." Das walte wie an Euch so an mir der barmherzige Gott durch Jesum Christum unsern HErrn! Amen.

5. Trauerrede

nach Schriftlesung aus 1. Petri 1, 2 bis 6:

„Nach der Vorsehung Gottes, des Vaters, durch die Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Besprengung des Bluts Jesu Christi. Gott gebe euch viel Gnade und Frieden!

Gelobet sei Gott und der Vater unseres HErrn Jesu Christi, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Todten,

Zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das behalten wird im Himmel.

Euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahret werdet zur Seligkeit, welche bereitet ist, daß sie offenbar werde zu der letzten Zeit.

In derselbigen werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wo es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen."

Gehalten am Potsdamer Bahnhofe vor Ueberführung der Leiche des Reichstagsabgeordneten C. Kaß aus Gernsbach am 12. März 1880.

In Christo geliebte trauernde Freunde! Geliebter Sohn und Genossen des Entschlafenen! So stehen wir denn am Sarge unseres Freundes, wollen Abschied nehmen von der theuren Hülle und sie aussegnen hier in dieser Stadt, der Stätte seiner legten

Arbeit, zum letzten Gang und Gebettetwerden in heimathlicher Erde. Wie nah oder fern wir dem Entschlafenen standen, ein Gefühl das uns Alle durchbebt und bewegt an diesem Sarge:

,,Wer weiß, wie nahe mir mein Ende.

Hin geht die Zeit, her kommt der Tod“

und eine Glocke, tief im Herzen von selbst sich schwingend, läutet zum Gebet:

„Mein Gott, ich bitt' durch Christi Blut,

Mach's nur mit meinem Ende gut!"

Ja, fürwahr, „ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras“, das predigt uns dieser Sarg, der unsern so jäh und schnell entrissenen Freund umschließt. Kein Wort des Lebewohls und des Abschieds, keinen lezten Gruß konntest Du, geliebter Sohn, und Deine Mutter mehr von ihm hören; doppelt öde und fremd schaute Euch diese Stadt an.

Aber, Geliebte, ist das Alles? Sagt uns dieser Sarg nicht mehr? Nicht auch das Andere: „Die Gnade aber des HErrn währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten?“ Ruht und schläft hier nicht ein begnadigter Mann?

Jhr, theure Genossen seiner Ueberzeugung und seiner Arbeit, habt in ergreifenden Worten der Wittwe und den Kindern einen Scheidegruß mitgegeben. Ihr habt darin den stillen und schlichten Mann in seinem Wesen und Werth erkannt und anerkannt. Verband sich doch aufs Schönste in ihm ein reiches und vielseitiges Wissen mit reisem, männlichen und doch allezeit mildem Urtheile; alles Vorzüge, getragen von aufrichtiger Demuth und Anspruchslosigkeit und herzlichem Wohlwollen. Aber dies Alles ruhend, nicht auf dem Flugsand menschlicher Meinung und äußerer Bildung, sondern auf dem festen Grund und Felsen göttlichen Wortes und innerer Gewißheit seines Glaubens, erprobt und geläutert in Kampf und Trübsal.

In seiner Heimath aber trauern viel Tausende um ihn, denen er ein treuer Freund, Hülfe und Stüße gewesen; sie werden diese erkaltete Hand segnen, die sich über Viele so warm und mild

« PreviousContinue »