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ihr Haupt neigt, uns für wenig Stunden mit dem Duft ihres Kelches labend und mit dem Schmelz ihrer Farben entzückend. Es ist ein in der vollsten Manneskraft gebrochenes Leben, das wir hier bestatten; gebrochen in den Jahren, die aus dem Stürmen und Drängen der Jugend die reife Frucht in den Schoß schütten.

Geliebte, wir fühlen Alle: es sollte nicht also sein; mahnend und geheimnißvoll spricht zu uns, die wir uns dünken ein Riesenbaum zu sein, der mit seinen Wurzeln und seiner Krone den Stürmen trogt, die Stimme: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, wie die Blume auf dem Felde, ein Wind und sie ist nicht mehr da." Man hat gesagt: „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst"; aber das andere Wort ist noch wahrer: „Kurz ist das Leben, lang die Kunst." Unser heimgegangener Freund hat es schmerzlich erfahren. In seiner Kunst den höchsten Zielen zugewandt, war er sich selbst nie genug; im seelenvollen Spiel der Finger suchte er dem Meister gerecht zu werden und verzehrte sich innerlich selbst dabei. Dem Gemeinen und Trivialen abhold, hat er jene feine Grenzlinie festgehalten, wo die Kunst aufhört und das Handwerk anfängt; wo die Kunst, die hehre Gestalt, zur feilen Dirne herabsinkt und Jedem nur nach Gefallen aufspielt. Und so waren auch Zartheit der Empfindung, Uneigennüßigkeit der Gesinnung und des Handelns ein hervorragender Zug seines Wesens.

Aber diese Blume, die Andere zu entzücken und hinzunehmen wußte und durch ihr Spiel das Herz in Freude und Leid den Andern aufgehen ließ, war sie denn selbst in sich befriedigt? Ge= liebte: mehr oder minder ist jedes Menschenleben für uns ein Geheimniß und Räthsel, und Keiner vermag völlig in die Tiefe des Herzens Anderer zu schauen. Wer weiß es, durch welche Führung ein Herz Anker und Kompaß verliert auf den Sturmwogen der Welt und verschlossen und einsam, wenn nicht zerrissen und bitter seinen Weg durch die Welt geht und eine brennende, sich nicht schließende Wunde mit sich trägt? Frre ich, meine Freunde, wenn ich aus dem Spiel und den Worten unseres Hingeschiedenen den Ton einer zersprungenen Saite heraushörte, ein

Gefühl und einen Ton der Vereinsamung, des Zweifelns an göttlicher und menschlicher Liebe? Mir war, als hörte ich die Klänge jenes Kernerschen Liedes:

,,Die Tage sind vergangen,

Mich heilt kein Kraut der Flur,

Und aus dem Traum, dem bangen,

Weckt mich ein Engel nur.“

Eins, meine ich, ist gewiß: würde ihm die unendliche lebendige Liebe Gottes in Christo aufgegangen sein, ihm nahegetreten durch Menschen, so wie er sie hätte fassen können, es würden die Wunden, die Menschen ihm geschlagen, geheilt worden sein, und Licht und Trost und Frieden würde die Gnade in ihm ausgegossen haben, die nicht blüht wie eine Blume, sondern die ewig währt und bleibet auf Kindeskind.

Dieser ewigen Gnade, der wir Großes zutrauen dürfen, die uns den Schleier und die Binde über so manches Räthsel nehmen wird, laßt uns unsern Freund befehlen. Sie führe ihn zu wahrhafter Ruhe, zum Licht und zur seligen Harmonie in dem Gott und Heiland, der auch ihn geliebt.

Wir aber, meine Freunde, wollen lernen, das Leben im Licht des Todes zu verstehen, wirken, so lange es Tag heißt, und in der Zeit die Ewigkeit suchen und finden. Wer den lebendigen Gott zum Mittelpunkt hat, der hat die ganze Welt mit all ihren herrlichen Schöpfungen zur Peripherie; wer auf die tiefsten Fragen des Herzens die Antwort hat, der begreift und versteht, was Menschenherz und Menschenbrust bewegt. Wem der Himmel offen steht, dem steht auch die Welt mit allen ihren Gütern offen. Deß Herz aber weitet sich auch in der Liebe, die Alles glaubt, Alles duldet, Alles hofft. Halten wir uns denn in unserm rasch blühenden Leben an diese ewige Erbarmung im Leben und im Tode! Amen.

4. Trauerrede

1. Mose 32, 10. Sprüche 28, 20:

„Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an deinem Knechte gethan hast.“

„Ein treuer Mann wird viel gesegnet."

Am Sarge von Joh. Christ. Poggendorff,*) Januar 1877.

In Trauer versammelte Freunde, liebe Kinder und Verwandte des Entschlafenen. So wollen wir denn Euren lieben Vater und unsern lieben Freund betten zu seiner Ruhe im Schoß der winterlichen Erde; ihn betten neben die treue Lebensgefährtin, zu der er einst am Hochzeitstage das Wort gesagt: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, und wo du bleibest, da bleibe ich auch. Dein Gott ist mein Gott und dein Volk ist mein Volk“ nun auch den Schluß des Gelübdes erfüllend: „Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden.“ So sind sie denn Beide wie einst im Leben vereint, so auch im Tode nicht geschieden.

Wir wollen aber nicht hinausziehen zum Ruheplatz der Todten und ins Land des Schweigens, bevor wir nicht noch einen Augenblick stillgestanden in diesen Räumen, die unseres Freundes Fuß einst durchwandelt; bevor wir nicht unsern Entschlafenen selbst noch einmal gehört haben. Es ist heut Sonntag. Mag dieser Sarg mit seinen Blumen die bekränzte Kanzel sein, unser theurer Entschlafener selbst der Prediger, und das Sterbekleid sein Talar. Kommt, laßt uns lauschen, was diese geschlossenen und doch beredten Lippen uns zu sagen haben. Ich höre den Text über den dieses 80jährige Leben predigt. Es ist ein Doppeltext. Der eine redet von göttlicher Treue und spricht: „Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und aller Treue, die du an deinem Knechte gethan hast". Der andere spricht von menschlicher Treue:,,Ein treuer Mann wird viel gesegnet werden."

*) Der bekannte Physiker und Chemiker, geb. zu Hamburg 1796, † zu Berlin im Januar 1877.

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Deine Güte ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß", so singt der Psalm von unserm Gotte. Aber wie viele goldene Morgen drängen sich in ein 80jähriges Leben zusammen! Vor meinem inneren Auge steht das Leben des Entschlafenen, wie seine Hand es selbst in kurzen Zügen und wie Jhr es mir, lieben Kinder, geschildert. Was steht doch als leuchtende Ueberschrift darüber? Jst's nicht das Wort: „Ich bin viel zu gering aller Treue, die du an mir gethan hast“? Laßt uns einen Augenblick in dieses Leben hineinschauen.

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Wenn ein Dichter unseres Volkes sagt: „Mit einer lichten Jugend, mit einer Kindheit voll Liebe kann man ein halbes Leben hindurch für diese kalte Welt aushalten“, so ist dies Wort ebenso wahr als das andere: Es ist einem Menschen köstlich, daß er sein Joch trage in der Jugend". Beides hat unser Entschlafener erfahren. Sein Lebensmorgen fällt in die schwerste Zeit unsres deutschen Vaterlands. An die Belagerung Hamburgs und an den schrecklichen Namen „Davout“, knüpfen sich die Jugenderinnerungen des Knaben. Den schönen sauer erworbenen Besit des Vaters sah der Jüngling in Flammen aufgehen. In Kummer und Gram zog der Vater von der leer gebrannten Stätte seines Glückes fort, aber nicht ohne den Knaben in treue Obhut gethan zu haben, unter welcher er lichte und frohe Tage durchlebte. Der Vater starb, und der Jüngling war auf sich selbst gestellt. Sein rastloser Geist trieb ihn aus den engen Schranken des Berufs, den er ergriffen,*) und die Hand Gottes war es, die ihn herausführte aus Vaterland und Freundschaft, hierher in diese Stadt, die ihm Heimath werden sollte. In die Zeit bangster Sorge und ungewissester Zukunft fiel der Lichtstrahl göttlicher Hülfe, die ihn nun auch fürs Leben nicht mehr verlassen sollte. Auf die jungen Schultern wurde voll Vertrauen eine ernste Mannesarbeit gelegt, und sie brachen nicht, sondern stärkten sich nur in über fünfzigjähriger treuer Arbeit. Nun durfte er auch seinen eignen Herd bauen. Er verband sich mit der Gattin, die 34 Jahre

*) Des Apothekers.

lang mit ihrer Liebe und Treue den Lebenstag ihm vergoldete und die Lebensarbeit versüßte. Die kurzen Worte, die der Entschlafene über ihren Heimgang niederschrieb, sagen genug von dem stillen Glück des Hauses. Sie ist ihm vor 12 Jahren vorangegangen, aber sie ließ ihn nicht vereinsamt zurück. Jhr, seine Kinder, waret ihm gegeben, und unter Euch fehlte kein theures Haupt. Der goldne Jubeltag, an welchem er auf eine fünfzigjährige Arbeit, unter Lob und Dank gegen Gott und unter der Anerkennung seiner Berufsgenossen schauen durfte, war eine Krönung seines Alters. Gott hatte ihm den Geist frisch erhalten, und auch sein Auge war nicht dunkel geworden; so durfte er noch unter dem Christbaum den 80. Geburtstag feiern. Von Deiner liebenden Hand, liebe Nichte, gepflegt, getragen von der Liebe der Seinen und der Freunde, hat er die letzten Tage und Jahre seines Lebens zugebracht, und nach kurzem Kampfe gab ihm Gott den stillen Feierabend.

Geliebte! Hat der HErr nicht das Wort treulich an ihm erfüllt: „Ich will euch tragen bis ins Alter und bis daß ihr grau werdet! Ich will dich sättigen mit langem Leben und will dir zeigen mein Heil?" Ja, wollen wir nicht sagen, und Ihr, lieben Kinder, nicht in den Dank einstimmen, auch unter Thränen: „Gottes Treue war groß über ihm."

Wohl weiß ich es, was Ihr am heutigen Tage verliert. Es bricht so Vieles mit solchen zwei brechenden Augen, die uns von Jugend an angeschaut und uns verstanden haben auch ohne Wort. Man wird erst fremd und heimathlos in dieser Welt, wenn Vater und Mutter weggezogen, wenn der gemeinsame Herd des Vaterhauses, an welchem man sich erwärmt und sich gefunden hat, verlischt, und wenn die Kronen aus dem Familienbaum herausgebrochen sind. Aber gedenket daran, wie lange Jhr dieses Glück genossen, während so manches andere Kind den trauten Vaterund Mutterton kaum im Leben hört. Wie lange war es Euch doch vergönnt, Kindesdank und Kindestreue zu beweisen und segnend die Hand zu küssen, die Euch gesegnet hat. So wollen wir's denn auch aus Eurem Herzen und aus der Erfahrung

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