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Ja, so kurz, und dennoch „Gnade"? Geliebte, daß ein langes Leben noch kein gesegnetes Leben ist, daß das Leben an sich nicht „der Güter höchstes" sei, wer wüßte es nicht? Hat nicht der alte Spruch Recht:

„Wer lange lebt, steckt lang im Leide,

Wer frühe stirbt, kommt bald zur Freude"?

Wohin geht denn unser Aller Ziel? Geht's nicht hinauf zum himmlischen Vaterhause? Und wenn unser Gott nun den Weg abkürzt, wenn Er nun ruft, bald zu kommen, ist es nicht Gnade, die also eilt und heimholt? Ach, wir möchten unsere Lieblinge so gern halten in unseren Armen, aber wer weiß denn, was wir für sie erbitten, wenn wir sie durchaus halten wollen? Wer kennt denn die Abgründe, die steilen Berge und tiefen Wasser, die der HErr in seiner Liebe ihnen ersparte, an denen er sie gnädig vorüberführen wollte? Auch ich stand einst, wie Ihr, am Sarge eines theuren unvergeßlichen Kindes; aber wenn Ihr mich früget: „Willst Du es zurück haben aus seinem Frieden in unseren Kampf?" Ich würde sagen: „Nimmermehr: Ziehe hin in Frieden, Du Stück meines Herzens und Lebens, ziehe voran, wir kommen nach!" Ja, es ist eine gnaden volle Reise, die Reise eines Kindes, das keinen Menschen betrübt, das uns nur wehe gethan mit seinem Sterben und Scheiden. Gnadenvoll die Reise eines Menschen, von dem man so sicher wie hier von diesem Kinde weiß, es hat das Ziel, die ewige Heimath, gefunden!

„Lasset mich zu meinem HErrn ziehen“. Ach ja, zu Ihm ist es gezogen. Wenn wir unsere Kinder nur hinausziehen ließen auf den Kirchhof, nirgend anders hin, als nur in den Schoß der Erde, dann müßten wir uns wohl die Augen ausweinen. Aber nun wissen wir etwas Anderes und Besseres. Zu seinem HErrn! Erinnert Ihr Euch noch, liebe Eltern, wie wir in der Taufe Euer Kind Ihm in den Arm und ans Herz legten und zu Ihm sprachen: „HErr es ist Dein“? Wohlan, dann sind wir nur die Pflegeeltern, Er der rechte Vater seiner Kinder. Und wenn Er nun Sein Kind zurückverlangt, diese Seine Pflanze in Seinen Garten verpflanzen will, wer will

es Ihm wehren? Ach, wenn Ihr Euer Kind sehen könntet am Tische in des Vaters Hause, die Engel seine Gespielen um es her, möchtet Ihr es herabrufen zu uns? Es ist gut sein bei dem HErrn. Haben die Kinder nicht nach Ihm die Hände ausgebreitet, als Er noch auf Erden wandelte? was wird Er ihnen droben erst geben! Wir bekränzen nicht die Wiege, wohl aber den Sarg eines Kindes. Wir sagen damit: „Der Ausgang ist besser, denn der Eingang". Es geht in den Frieden, wenn es stirbt, es kommt in den Kampf, wenn es geboren wird. Ja, lasset es zu seinem Herrn ziehen, dem milden und guten Hirten, von dem es singen konnte:

,,Ach nach diesen schönen Tagen
Werd' ich endlich heimgetragen
In des Hirten Arm und Schoß,
Amen, ja, mein Glück ist groß"!

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Darum aber auch die letzte Bitte an Euch: Haltet mich nicht auf". Wohl mit Gewalt? Wer kann dem Tode wehren, wer kann in den Arm Gottes fallen? Es giebt aber noch ein anderes Aufhalten, das ist das Aufhalten mit dem Herzen, mit Fragen und schmerzensreichen Klagen: HErr warum?" Es ist das Aufhalten mit den Gedanken, die man sich selber macht: „hättest du doch dies oder jenes gethan oder nicht gethan". Meine lieben Eltern, besonders Du, liebe Mutter, das tröstet nicht, das gießt nur Gift in die Wunde! Nein, haltet es nicht auf, laffet es heimeilen, aber lasset Euch nachziehen durch Euer Kind. Jedes Kind ist ein Band, das uns an die Erde festbindet, ist es abgeschnitten, dies Band, so bindet sich's hinauf an den Himmel, an das Herz Gottes. Suchet Euer Kind nicht bei den Todten, sucht es bei den Lebenden, wie Joseph und Maria ihr Kind fanden in des Vaters Haus. Wir werden immer ärmer mit jedem Jahre auf Erden, reicher im Himmel; fremder in der Welt, heimathlicher in der Ewigkeit. Ach, daß auch unser Leben ginge, wie das Leben solch eines Kindes, daß wir auch einst von unserer Lebensreise sagen könnten: „Der HErr hat Gnade gegeben“ und wir unsere Hinterbliebenen bitten könnten: „Haltet

mich nicht auf, lasset mich zu meinem HErrn gehen". Das walte an uns Allen der allmächtige Gott durch Jesum Christum unsern HErrn! Amen.

2. Gedanken zu einer Grabrede
über Hiob 1, 21:

„Der HErr hat's gegeben, der HErr hat's genommen, der Name des HErrn sei gelobt".

An einem Kindergrabe, am 1. Advent 1876.

Wir kommen vom Todtenfest. Im Geist oder den Kranz in der Hand sind Tausende hinausgezogen zu den Gräbern ihrer Lieben. „Der Tod kommt zu dir Mensch, du mußt sterben“, das ist die Predigt des leßten Sonntags im Kirchenjahr. „Siehe, das Leben, dein König, kommt zu dir“, so rufen die Adventsglocken. Auch uns hier gilt die frohe Botschaft. Wer von den eingesunkenen Gräbern mit der Hoffnung des Lebens im Herzen, mit der Beugung vor seinem Gott hinweggegangen: „Dein Wille geschehe", der steht auch am frischen Grabe nicht ohne Trost, der spricht: Es ist der HErr, Er thue, wie Ihm wohlgefällt. Er hat es gegeben, Er hat es genommen, Sein Name sei gelobt“. Wenn Er giebt, ist es

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Der HErr hat's gegeben". anders, als wenn Menschen geben. Wir geben oft, um die Menschen loszusein, Gott, um uns desto fester an Sein Herz zu binden. Er giebt sich selbst in Seiner Gabe; jedes Seiner Geschenke ein Unterpfand himmlischer Liebe, die es gut mit uns meint, ein Angeld darauf, daß wir wiederkommen und bitten dürfen: „Abba, lieber Vater". So auch dies Kind solch heiliges Unterpfand, der Sonnenschein Eurer jungen Ehe. Als Euer Kind hat Gott es Euch gegeben, aber auch als Sein Kind, als Erben des ewigen Lebens. Wer so sein Kind alle Tage anschaut, wer ge= lernt hat, auch das Liebste „zu besitzen, als besäße man nicht“,

der legt es dann auch ohne Murren wieder in die ewigen Hände zurück, wenn der HErr ruft.

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,,Du kamst, du gingst mit leiser Spur,
Ein flüchtiger Gast im Erdenland
Woher? wohin? Wir wissen nur:

Aus Gottes Hand in Gottes Hand.“

Der HErr hat's gegeben, der HErr hat's genommen". In diesem „der HErr" liegt unser ganzer Trost. Der HErr, also nicht ein blinder herzloser Zufall, also kein dunkles unerbittliches Geschickt. Der HErr nahm es, der in Seinem Regimente nichts versieht, der unseres Lebens Fäden in heiliger Hand hält und weiß, warum und wann Er sie löst und abbricht. Genommen, nicht als einen Raub, sondern als Sein Eigenthum, auf welches Er das erste Anrecht hat; es muß ja sein „in dem, was seines Vaters ist". Er der rechte Vater, wir nur die Pflegeeltern. So lasset denn dies Kindlein zu Ihm kommen und wehret ihm nicht. In seines Gottes und Heilandes Armen ist es wohl geborgen. Er hat's genommen, d. h. aufgenommen in Seine Herrlichkeit. So ist denn Sein Nehmen im tiefsten Grunde ein Geben. Während wir hier unten Todtenfest feiern, feiert Euer Kind das Fest des Lebens. Wollt Ihr ihm die Freude mißgönnen, bei seinem HErrn zu sein? „Ich werde dir noch danken“, sagt der Psalmist, „daß du mein Gott und meines Angesichts Hülfe bist“. Dahin will Euch das Wort bringen und haben: „Des HErrn Name sei gelobt". Kein lauter Lobpreis; das wäre gegen die Natur. Das verlangt der HErr nicht, der selbst am Grabe geweint und damit die Thränen geweiht und geheiligt hat. Des HErrn Name sei gelobt: gemeint ist die stille Ergebung in die Gedanken Gottes und Seine Wege, daß wir an Seinem Herzen nicht irre werden, auch wenn Seine Hand uns schlägt und verwundet.

„Kommt dir ein Schmerz, so halte still,
Und frage, was er von dir will,
Die ew'ge Liebe schickt dir keinen,
Bloß darum, daß du solltest weinen“.

Sind wir stille, so kann Er reden und uns Seine Liebesgedanken offenbaren mitten im Leid. Eine „Heimsuchung“ nennen wir das Leid; Gott will uns heimsuchen, heim an Sein Herz, heim in unsere rechte Heimath. Dahin soll auch das entschlafene Kind die Seinen ziehen. Suchen wir das Lebendige nicht bei den Todten! Die Herzen in die Höhe! Schauen wir, daß wir nachkommen, daß das Heimweh im Herzen nicht sterbe. „Selig sind, die da Heimweh haben, sie sollen nach Hause kommen". Amen.

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3. Grabrede

über Psalm 103, 15 bis 18:

Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blühet wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber gehet, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.

Die Gnade aber des HErrn währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind bei denen, die seinen Bund halten und gedenken an seine Gebote, daß sie danach_thun.“

Am Grabe eines Musikers.

So haben wir denn unsern Entschlafenen zu seiner Ruhe gebracht. Nur wenig Worte vergönnt mir an seinem Sarge. Es ist eine Empfindung, die ich ausspreche, von der ich überzeugt bin, daß sie aus den Meisten von Ihnen selbst heraustönt. Es ist nicht ein Grab wie das andere; anders stehen wir am Grabe des Kindleins, das wir mit Blumen überdecken, anders am Grab des lebensmüden Greises, anders am Grab eines Menschen, dessen Leben friedlich wie ein klarer Bach dahinfloß, anders am Grabe eines Menschen, dessen Leben Ringen und Kampf war.

Ein Gefühl tiefster Wehmuth ergreift uns an diesem Sarge, dieselbe Wehmuth, die uns überschleicht, wenn eine eben aufgegangene Blume, von der Hize des Sonnenstrahls getroffen,

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