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hat Euch, liebe Eltern, keine Sorgen und Kummer bereitet, und Gott hat Euch an ihm das Wort erfüllt werden lassen, daß Er ihn behüten will wie einen Augapfel in den Tagen der Anfechtung und der Jugend; nicht ein Dornzweig ums Herz, wie mancher Sohn, sondern ein Delzweig um den Tisch ist er Euch geworden. So hat ihn Gott behütet und bewahrt. Geliebte Gottes", ist's nicht eine Liebe Gottes, die Du, mein lieber Sohn, in dieser Führung erkennen mußt, daß Er Dein einsames Leben so erhellt, daß Er Dein Haus nun füllen will mit der Liebe Deines Weibes? Und darum vom heutigen Tage an, „Geliebte Gottes", gilt es, immer tiefer hinein zu schauen und zu wachsen, um diese Liebe zu verstehen. Gottes Liebe ist wie Menschenliebe; erst ahnt man sie und nimmt sie mit Bangen, dann glaubt man ihr, dann erfährt man sie, und zuletzt ist sie selige Gewißheit. So geht es aus dem Vorhof ins Heiligthum, um zulezt zu sagen:

Hallelujah, welche Höhen, welche Tiefen reicher Gnad',

Daß wir dem ins Herze sehen, der uns so geliebet hat!"

Das ist der Ruf Eures Gottes.

Wenn unser Luther gesagt: „Christenthum heißt nicht, Christ sein, sondern Christ werden", dann sage ich Euch: Werdet was Ihr seid, werdet Geliebte Gottes und berufene Heilige. Das ist die Antwort auf den Ruf Gottes. Wo Gott Gnade giebt, giebt Er dem Menschen, daß er die Hände nicht in den Schoß legt, sondern er giebt ihm damit zugleich den Stachel ins Herz, der ihn treiben soll, Liebe zu vergelten. Darum sagt Er: Den berufenen Heiligen", hinausgerufen und gewählt aus der Welt zu einer unverwelklichen Krone, in einen Wettlauf gestellt wie die Korinther, aber um eine Krone, die es werth ist, daß man sich in den Kampf begiebt, und darum sursum corda: die Herzen empor, die Berufung vor den Augen: wir sind be= rufen Einer mit dem Anderen zur Heiligung vor Ihm.

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Ihr wandelt auf den Stätten alter Bildung. Rom liegt in Rom begraben hat man gesagt. Ihr wißt aber auch, was die alte Welt gestürzt, und daß keine Weisheit und Bildung den Verfall aufhalten kann, wo inwendig das sittliche Verderben wie eine

Best geht. Und darum alle wahre Bildung eine Bildung nach dem Bilde Gottes, nach dem Ebenbild Christi. Ihr Beide Künstler, die mit weiser Hand einer den anderen formen und bilden sollen, so daß das Bild Christi in leuchtender Schönheit herausleuchte. Dir, lieber Christian, vertraue ich mein Kind an, laß sie Dir heut nicht bloß angetraut, sondern auch anvertraut sein Deinem Herzen und Gewissen. Sei ihr ein treuer Halt und Freund! Wenn unsere Vorfahren am Hochzeitstage ihrem Weibe Schild und Schwert gaben zum Zeichen, daß das Weib ebenbürtig sei, an der Seite des Mannes zu kämpfen, so reiche Du ihr den Schild des Glaubens, das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes, und laß sie ehrlich an Deiner Seite kämpfen um die Krone des ewigen Lebens. Und Du, meine geliebte Elisabeth, willst jetzt versprechen Deinem Mann eine treue Gehülfin zu sein. Deine Lebensaufgabe hast Du einst darin gefunden, den Armen und Kranken zu dienen, und es ist ein köstlicher Dienst, aber jetzt willst Du mit Deinem Manne gehen, ihm sein Haus mit Licht und Liebe zu füllen, und darum laßt Euch Beiden sagen, stellt das dar, was es sei: berufene Heilige zu sein. Siegreich werdet Ihr aus dem Kampfe des Lebens hervorgehen, wie rechte Sieger, die wissen, was ihnen fehlt, aber auch woher ihnen die Kraft zuströmt: Gnade und Frieden von oben.

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Und wenn ich Euch zum Schluß ein Wort sagen soll, das Ihr über Eure Räume schreiben sollt und welchen Rath ich Euch gebe, dann schreibt das Wort des 12. Kapitels des Römerbriefes über Eure Thür. Für Euren Umgang miteinander: „Einer komme dem Anderen an Ehrerbietung zuvor", in der zarten Liebe die den Anderen versteht und ihm nicht wehe thut; für Euer ganzes Sein: „fröhlich in Hoffnung“, den Freudengeist laßt walten, weil der Freudengeist nicht eine Stimmung des Menschen. ist, sondern eine Kraft und Tugend, die er ausüben muß. Man sieht es jedem Hause an, ob in dem Hause ein freudevoller Geist herrscht. Dann für Euer Hauskreuz: „geduldig in Trübsal“; geduldig in der Trübsal, die Ihr einander macht und geduldig, wenn sie von außen kommt. Daß Ihr da durchhaltet und auf

schaut zum HErrn, weil Ihr wißt, daß Geduld eine Kraft ist, die die Last überwindet, die ihr aufgetragen; nicht etwas Passives, sondern etwas Aktives!

Für Eure Hauskapelle: „haltet an am Gebet"; für Euren Hausumgang: „weinet mit den Weinenden und freuet euch mit den Fröhlichen"; für Alle, die in Euer Haus kommen: „herberget gern, seid gastfrei ohne Murren", und für Euer Thun und Lassen: ,,Trachtet nicht nach hohen Dingen, haltet euch herunter zu den Niedrigen, und habt eine offene, milde Hand!" So schenke Euch der HErr einen fröhlichen Muth, ein liebevolles Herz, Geduld in aller Trübsal, betende Hände und Herzen. So als Römer dastehend, geheiliget und geliebet durch Ihn, laßt Euer Haus, das auf dem Kapitol steht, wo Aller Augen sich hinrichten, laßt es eine Stadt auf dem Berge sein und gebt das Zeugniß, was es heißt, nicht bloß Rom zu suchen, das in Rom begraben ist", sondern das Rom in Rom zu beweisen durch Euren Glauben, durch Eure Liebe und durch Eure Hoffnung.

Wohlan, das Haus in dem Jhr wohnt, ist auf Felsen gebaut. Wer sein Haus auf die Gnade und Liebe Gottes in Christo Jesu gründet, und durch wessen Haus der Odem des Friedens Gottes geht, der hat sein Haus auf Felsen gebaut. So sei Euer Haus, darin Ihr wohnt: „Geliebte Gottes, berufene Heilige!"

Das walte Er an Euch Beiden im heiligen Geist durch Jesum Christum unsern HErrn! Amen!

6. Traurede

über 2. Korinther 13, 11:

„Zuleht, lieben Brüder, freuet euch, seid vollkommen, tröstet euch, habt einerlei Sinn, seid friedsam, so wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein."

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Bei der Trauung eines Stabsarztes (Dr. M. .), Mai 1892.

Frühling ist ein hohes Fest, laßt uns geh'n und beten!" So singt der Dichter unseres Volkes. Und wer wollte nicht beten,

daß draußen Frost und Reif die Blüthenpracht nicht treffe, und ein früchtereicher Herbst dem sprossenden Lenze folge? Und doch, es giebt noch einen anderen Frühling, von dem gilt in viel tieferem Sinne: laßt uns geh'n und beten, es ist der Frühling der Liebe. Auch ihr kann Schnee und Eis drohen. Ihr steht, lieben Brautleute, im Mai des Lebens; wer möchte nicht beten, daß Gottes Sonne Euch auch ferner leuchte, Euer junges Glück bewahre vor Jammer und Kälte?

Ihr kommt, von treuen Händen geleitet, hierher zum Altar Gottes; aber nicht wahr, segnen und dauernd froh machen kann Euch nur die Hand des treuen HErrn, zu dem Euer Hochzeitsspruch Euch aufblicken lehrt: „Der Gott aller Liebe und alles Friedens wird mit euch sein.“

Wenn Keiner von all den Freunden, die Euch hierher geleitet, mehr mit Euch gehen kann, wenn alle lieben Hände Euch losgelassen, dann wird der große Zeuge dieser Stunde, der Gott aller Liebe und des Friedens mit Euch sein; Er will Euch das Haus bauen und mit Seinem Segen darüber walten, wenn Ihr Ihn bittet und die heilige Hausregel befolgt: „Freuet euch, werdet vollkommen, tröstet euch, habt einerlei Sinn und seid friedsam!" Das laßt mich Euch in Kürze ans Herz legen.

„Zulegt, meine Lieben, freuet Euch!" Am Hochzeitstage zu sagen: „Freuet Euch!" scheint es nicht überflüssig zu sein? Freude ist doch die Signatur, der Stern aller Hochzeit, und freudig soll Eins dem Andern das Herz schenken. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb, aber haben auch die Menschen lieb, und wenn man weiß, und ich denke, Ihr wißt es, es war Gottes Hand, die den Ring einer Liebe um die Herzen geschlungen, dann geht man freudevoll seinen Weg. Aber nun soll die Freude nicht bloß am Hochzeitstage leuchten, wie ein flüchtiger Sonnenstrahl, sondern die Fackelträgerin, die Kraft Eures Thuns sein, das verlangt der Apostel. Wie oft steht in der Schrift: „Freuet euch! Seid fröhlich allezeit! Freuet euch allewege!" Freude ist eine Tugend, die man üben muß, nicht bloß eine Stimmung. Und wenn es Euch Beiden

gilt, Dir, liebe Braut, doch insonderheit. Du willst jezt vor Gott versprechen, Deinem Manne eine treue Gehilfin zu sein. Er hat einen so hohen, herrlichen Beruf; aber einen Beruf, der ihn nicht auf die Höhen des Glückes der Menschheit führt, sondern in die Tiefen. Die Ersten, die an ihn ein Anrecht haben, sind seine Kranken, nicht Du, und darum, wenn jede Frau zu opfern bereit sein muß, die Frau eines Arztes besonders; dazu muß man ein freudevolles Herz haben. Schaffe, daß Dein Mann wisse: zu Haus wartet ein Herz auf mich, das mich liebt und versteht und sich freut, wenn ich heimkomme. Nimm die Freude aus Deinem Gotte und laß die Freude am HErrn Deine Stärke sein, und wenn es Dir schwer werden will auch diese Stunden bleiben nicht aus —, dann gedenke an diese Stunde hier und an die Hausregel: „Freuet euch!" Ein Christenherz, das einen Gott im Himmel hat, kann nie so traurig werden, daß alle Freude daraus schwindet. Wenn man nachts den Himmel anschaut, sieht man nicht dahin, wo es dunkel ist, sondern wo die lieben Sterne stehen; so gilt es, im Leben dahin zu schauen, wo Gott uns etwas geschenkt und gegeben hat, und mit dem Psalm zu sprechen: „Lobe den HErrn, meine Seele, und vergiß nicht, was Er dir Gutes gethan hat!" So gilt es, zuletzt meine Lieben und für Euch heute zuerst“ das freudevolle Herz zu haben.

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Und dann: „Seid vollkommen!" Wir sind es ja nicht, wir haben unsere Fehler und Mängel und Sünden und die kommen im täglichen Zusammenleben erst recht zu Tage; aber da gilt es, daß Einer dem Anderen helfe und ihn aufrichte und daß man Geduld mit einander habe. Wohl soll man dem Andern sagen, wo es ihm fehlt, denn die Liebe möchte den Andern vollkommen haben, aber mit liebender Hand zudecken und zurechthelfen. Und es gilt Dir insonderheit, lieber Bräutigam! Laß Dir Dein Weib an Herz und Gewissen gelegt sein als ihres treuen Freundes und Berathers, daß sie zu Dir in vollstem Vertrauen aufschauen fann; laß sie unter denen, die Dir anvertraut und anbefohlen sind, diejenige sein, die das erste Anrecht an Dein Herz und Deine Geduld hat: „Werdet vollkommen!“

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