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Vergebung brauchen wir, wenn das Herz stille und froh werden soll. Wir kommen vom heiligen Abend. Was macht den Abend doch so friedevoll für unsere Kinder? Doch das Eine, daß sie durch die Gaben den Eltern ins Herz schauen und wissen dürfen: nichts kann uns scheiden von ihrer Liebe; daß sie mit den Gaben zugleich das, was besser ist und mehr als alle Gabe an jenem Abend, Vergebung finden, wo sie gefehlt, Vergebung in der Liebe, die Alles glaubt, trägt, hofft, duldet. Solch ein heiliger Abend könnte unser ganzes Leben sein, wenn wir nur wollten. Wo Vergebung, da lebt die Seele auf, da dringt Friede in das Herz und mit dem Frieden die Freude, da senkt es sich auf die Seele wie Thau vom Himmel, und das Herz wird weit und milde nun auch gegen die Menschen um uns her: aus Gottes Geduld mit uns, aus Seiner Erbarmung strömt nun auch Geduld miteinander, die zurechthilft in stillem, sanftmüthigem Geist.

Leben will uns der HErr im heiligen Mahle schenken und darreichen. So wollte damals der HErr sich selbst und Seine Jünger stärken, Sein Leben ihnen mittheilen. Still wie der Saft des Weinstocks in die Rebe steigt, still, wie in der Mitternacht der Saft in die Wurzeln und Blätter sich senkt, daß sie im Sonnenbrand aushalten, so sollte auch Sein Leben in das ihre überströmen: „Ich in ihnen, sie in mir“. Ob sie es bedurft? Ach, wie schwach und zart war doch noch ihr Glaube, wie lockend und drohend die Welt! Da sollte sie die heilige Feier fest an Sein Herz binden: von dem Seinen sollten sie es nehmen, um es auszuhalten und durchzuhalten in einer Welt der Versuchung und des Kampfes. Auch uns will jedes Abendmahl solch ein Zufluß von Himmelskraft und Leben sein, ein Darreichen der Waffen aus dem himmlischen Zeughause: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!"

Seligkeit will der HErr den Seinen schenken, nicht dort erst, schon hier, indem er sie weghebt in eine andere Gemeinschaft, aus der Zeit in die Ewigkeit, wenn Er ihnen sagt: „Ich werde es mit euch trinken in meines Vaters Reich", in der Vollendung! Als ein Pilgermahl sollten sie es anschauen, feiern in Hoffnung, ,,bis daß Er kommt".

Das soll uns werden aus Seiner Hand, so will Er uns segnen in der Stille aus Seinem Heiligthum. Wollen wir nicht unsere Hand aufthun und Ihm nahen, indem wir zu unserer Seele sprechen: „Es sei stille vor ihm alle Welt: ja meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft?"

In die Stille der Beichte zuerst! Nur zu einem stillgewordenen Herzen kann der HErr reden, das in der Stille Einkehr hält bei sich selbst in wahrer Buße. Nur in dem Wasser, das stille geht, spiegelt sich die Sonne, nur wo ein Herz es aufgegeben, sich selbst zu rechtfertigen, giebt Gott Gnade und läßt die Sonne Seiner Vergebung scheinen. Da laßt uns denn am Jahresschluß im Geiste Rechnung thun von unserem Haushalt und uns sagen, daß wir auf Tausend nicht Eins antworten können, wenn Er mit uns rechnen will. Jener römische Kaiser Titus schrieb in sein Tagebuch von jedem Tage, an dem er nichts Gutes gethan: „Ich habe einen Tag verloren“. Und das war ein Heide. Wollen wir nicht lernen von ihm, im Blick auf so manche Versäumniß, wir, die wir so viel mehr empfangen haben?

Wieder ist ein Jahr der Gnade dahin; ob uns das neue treuer, reicher an Glaube und Liebe finden wird? In der Kraft Seiner Gnade laßt uns Troft fürs Vergangene, Muth und Kraft fürs Zukünftige suchen:

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Sei stille dem HErrn, stille zu Gott, der dir hilft!" Das ist die Stille der Bereitung, die der HErr fordert, wenn Er einkehren soll mit Seiner Macht in unsrer Ohnmacht, wenn Er Seine Gnade erweisen soll in der Unruhe unserer Tage. Solche Gottesstille ist keine Grabesstille, sie läßt uns nicht die Hände in den Schoß legen, damit Er für uns arbeite. Nicht nach Ruhe, wohl aber nach Stille sehnt sich das Herz. Es ist die Stille, aus der alles wahrhaft Große geboren wird, die Stille des Glaubens und der Hoffnung, des Wartenkönnens auf die Hand Gottes, die Stille des Gebetes und der Sammlung vor Seinem heiligen und gnadenreichen Angesicht, wie ein Johannes aus der Ct.lle der Wüste hervorbrach vor alles Volk, wie der HErr selbst aus der Stille in Nazareth heraus zum Heiland der

Welt wurde, wie ein Luther aus der Stille der Klosterzelle vor Kaiser und Reich tritt: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir". Ohne solche Stille und Einsamkeit keine Gemeinsamkeit, kein Wirken in der Welt und auf die Welt. Wir können uns unser Leben nicht machen, Gott hat uns unsere Stellung gegeben, aber sie soll uns immer gewappnet, gesammelt finden. „Durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein,“ „Wenn ihr stille wäret, so würde euch geholfen sein". Darum: der verborgene Mensch des Herzens unverrückt, unsre Zeit in Unruhe, unsre Hoffnung in Gott, so laßt uns unsern Pilgergang aufnehmen nach der Rast dieser Stunde!

Bald läuten die Sylvesterglocken und stille rückt der Zeiger der Weltenuhr in ein neues Jahr. Jedes Jahr liegt vor uns wie ein unentdecktes Land;-es könnte ja ein Tag darin sein, so dunkel und trübe wie keiner je zuvor. Wohlan, wenn es in den Kampf ginge, laßt uns in der Stille die Waffen prüfen, unsern Gott suchen, solange Er zu finden ist, Ihn bitten, daß Er uns fülle mit Seiner Gnade. Wenn je, so leben wir heute in einer Zeit, wo Vieles wankt und weicht, einer Zeit, die dazu angethan, an den Menschen irre zu werden; umsomehr gilt es: „Werft euer Vertrauen nicht weg“. Der HErr ist in Seinem heiligen Tempel, Ihm soll unser Weg befohlen sein, in Seinen Händen liegt unsere Zeit, da ist sie wohlgeborgen. So gebe Er uns denn, und so versiegle es uns das heilige Mahl, das wir jetzt feiern wollen:

„Zum neuen Jahre neuen Segen,
zum neuen Wirken neu Vermögen,
Zum neuen Leide neuen Muth

Und ew'gen Trost durch Christi Blut!

Zur alten Wahrheit neue Liebe,

Zum neuen Leben neue Triebe,

Ein neues Schwert zum alten Kriege,

Zum alten Kriege neue Siege,

Vorm alten Bösen neues Grauen,

Zum alten Gott ein neu Vertrauen!"

Das walte Er an uns durch Jesum Christum, hochgelobt in

Ewigkeit. Amen.

9. Beichtrede

über Psalm 73, 25, 26 und 28:

Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.

Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil. Aber das ist meine Freude, daß ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf den HErrn HErrn, daß ich verkündige all dein Thun.“

Am Gründonnerstag 1895.

So sind wir wieder in die Herberge unsres HErrn eingekehrt. Sein Tisch ist für uns bereit, uns zu erquicken. Im vergangenen Jahre - es steht mir so lebendig vor der Seele feierten wir das Mahl in der Fremde am blauen südlichen Meer*); in der Fremde und doch in der Heimath. Denn überall, wo der HErr Seinen Tisch uns deckt und Seine Gnade sich über uns aufthut, da ist unsere Heimath.

Nun sind wir hier, und diese Stätte mahnt uns ernster und tiefer als jede andere, daß wir Fremdlinge und Pilger find, daß unser Leben, wenn es köstlich gewesen, Mühe und Arbeit war. In der Heimath sind wir doch Fremdlinge und Pilgrime, die der Stärkung bedürfen. Wo wollen wir sie suchen? In uns selbst? Mit unsrer Macht ist nichts gethan. In den Menschen, in ihrer Liebe? Sie sind so schwach und ihre Liebe so arm; nein, kommt, bei dem HErrn allein ist die Fülle, der Jungbrunn, aus dem wir trinken. Ihn zu haben, Ihn zu besitzen und mit Ihm Alles, das ist doch das Bekenntniß jedes rechten Abendmahlsgastes. Hat Er doch in dies Vermächtniß hinein Seine ganze Liebe, Sein ganzes Heil gedrängt und konzentrirt. Liebe giebt nicht bloß das Ihre, sie giebt sich selbst, und die höchste Liebe giebt sich in den Tod und läßt ihr Leben,

*) In Abbazia. Vgl. Bd. II vorliegenden Werkes, S. 422 f.

damit Andre leben. Stunde:

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Darum auch unser Bekenntniß in dieser

HErr wenn ich nur Dich habe! Denn in Dir und Deinem Mahle habe ich den Frieden der Vergebung, die Kraft Deiner Gemeinschaft, den Trost in meiner Pilgrimschaft."

I.

Das Wort, das Ihr gehört, ist eines der kühnsten und trozigsten, aber auch der demüthigsten Worte, die je aus Menschenmund gekommen. Nur das Eine aus dem Neuen Testament möchte ich ihm an die Seite stellen: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?!" So sprechen zu können, wir fühlen es, dazu gehört ein Herz, das sich selbst verloren und seinen Gott gefunden; ein Herz, dem die Nichtigkeit und Vergänglichkeit dieser Welt, aber auch das ewig Bleibende aufgegangen; ein Herz, das aufgegeben, sich selbst zu helfen, das aber gelernt, die Augen aufzuheben zu den Bergen, von denen allein Hülfe kommt. Ja, wenn ich nur Dich habe! Wenn Du nur für mich, nicht wider mich bist; wenn mich nur nichts scheidet von der Liebe Gottes!" Ach, wir wissen, Geliebte, es scheidet uns so Manches von Ihm, dem Heiligen und Gerechten. Schuld und Versäumniß, das ist Alles, was wir vor Ihn bringen können, und wenn wir Alles gethan hätten, was wir zu thun schuldig waren, wir müßten doch sprechen: „Wir sind unnütze Knechte gewesen, nicht werth, daß Du unter unser Dach, daß wir an Deinen Tisch kommen". Gerade so will uns der HErr haben. Den Demüthigen giebt Er Gnade, den Bußzfertigen weist Er Seine Wunder. Es giebt eine doppelte Buße: die eine stellt sich auf Sinais Felsengipfel mit seinem: „Du sollst“. Es ist der alte Bund und sein Ende: „Mensch du mußt sterben!" Die andere wandert nach Golgatha mit seiner erschütternden Bußpredigt der sterbenden Lippen Jesu: „Das that ich für dich, was thust du für mich?“ aber auch mit dem Trost der Zöllner- und Schächergnade: Wer sich selbst richtet, der wird nicht gerichtet. Heute sollst du mit mir im Paradiese sein!"

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