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der HErr zu uns sagte, wie dort der Engel zu Jakob: „laß

mich gehen“,

in heiligem Glaubenstroß beharren und sprechen:

"Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn".

"

7. Beichtrede

über 1. Könige 19, 7 und 8:

»Stehe auf und iß, denn du hast einen großen Weg vor dir«. Und er stund auf und aß und trank und ging durch kraft derselben Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis an den Berg Gottes."

Am Gründonnerstag 1892.

Eine stille Morgenstunde ist es, die uns hier, geliebte Abendmahlsgäste, versammelt hat. Von der Morgenstunde sagt man wohl, daß sie Gold in ihrem Munde trage; - gewiß dann am meisten, wenn unsere Seele sich eintaucht in den Quell alles Lebens und wenn sie betet:

„Morgenglanz der Ewigkeit, Licht vom unerschöpften Lichte, Schick uns diese Morgenzeit

Deine Strahlen zu Gesichte

Und vertreib durch Deine Macht unsre Nacht!

Deiner Güte Morgenthau

Fall auf unser matt Gewissen,

Laß die dürre Lebensau

Lauter süßen Trost genießen,

Und erquick uns, Deine Schaar, immerdar.“

Jede Morgenstunde soll uns gürten für den Tag; ihre Stille ist die ahnungsvolle Stille eines Meeres; eine Stille wie vor der Schlacht, ehe die Klingen aus der Scheide fahren; eine Bereitung

für den Kampf, damit er uns gewappnet finde. Aber mehr will uns die heutige Morgenstunde geben. Ihr Segen quillt aus der Abendstunde, da Jesus den Jüngern das kostbarste Vermächtniß giebt, von welchem das lezte Menschenkind auf Erden noch leben und zehren wird. Für sich feiert Er das Osterlamm des alten Bundes mit herzlichem Verlangen. Seine Seele möchte sich stärken für den kommenden großen Tag, da Er als der große Mittler des neuen Bundes Sein gefangen Volk ausführen wird aus dem Diensthause der Sünde, des Todes und des Teufels, um es hineinzuführen in das Land der Vergebung, des Friedens und des Lebens. Aber für Seine Jünger sett Er das Mahl des neuen Bundes ein, in welchem Er sich selbst als das rechte Oster= lamm darbietet zur Versiegelung und Gewißheit ihrer Erlösung, zum Unterpfand Seiner Lebensgemeinschaft. Stärken wollte Er auch sie, daß ihr Glaube nicht aufhöre und ihre Liebe nicht erkalte, stärken mit einer Speise nicht aus dieser Zeit und Welt, daß sie nicht ermatten im Kampfe, daß sie unterwegs erquickt würden, um den Lauf selig zu vollenden.

Etwas Anderes, Geliebte, will auch diese Morgenstunde nicht. Sie will uns speisen und gürten nicht bloß für diesen Tag, sondern, will's Gott, auf Tage und Wochen hinaus. Auch uns will der HErr jetzt den Engel senden mit himmlischer Speise und die Botschaft sagen: „Stehe auf und iß, du haft einen weiten Weg vor dir, aber kraft dieser Speise sollst auch du gehen bis an den Berg Gottes."

Oder bedürften wir dieser Stärkung etwa nicht? Wer ist es denn, dem der HErr hier zuruft: „Stehe auf!"; ist's ein Schwächling und Feigling? Ist es nicht Elia, der Mann Gottes und gewappnete Held, der wie ein Fels im brandenden Meere steht, an dem sich die Wogen brechen, sein in Gößendienst verfallenes und versunkenes Volk zu retten und den Altar dem lebendigen Gott aufzubauen? Und nun schaue ihn todesmatt und lebensmüde unter dem Wachholder liegen; hinauf dringt der Ruf:Es ist genug, HErr, so nimm denn meine Seele" - ein

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Adler mit gebrochenen Schwingen liegt er da. Was ist ihm? Unverstanden, verlassen und allein übrig geblieben, dünkt er sich verkannt in seinem besten Wollen, getäuscht in seinen Hoffnungen, vergeblich arbeitend und seine Kraft umsonst und unnüß zubringend. Das beugt ihn, das macht ihn so müde und so mürbe.

Es sind andere Zeiten, Geliebte, aber auch der unsrigen fehlt nicht die ermattende Luft, das Bleigewicht, das sich lagern will auf alle Arbeit. Was jener große Dichter gesagt: sein Leben gleiche dem Rollen eines Steines, der, so oft er oben angekommen, wieder hinabsinke wie Manche gerade unter den Besten und Edelsten bekennen es mit ihm! Und wie Vieles sonst, das uns müde macht, wer will es nennen? müde im Kampf mit Dir selbst, Deiner Sünde und Deinem verkehrten Herzen, wenn längst überwundene Feinde in Dir wieder aufstehen,

Wort nicht entfahren: „Es ist genug", ach, zu viel, HErr?"

wem wäre da das vielleicht: „Es ist

Aber da will uns der HErr den Engel senden. Er, den selbst ein Engel im Kampfe stärkte, Er hat ihn auch für die Seinen bereit, und hier reicht Er Dir eine Speise von oben her, eine bessere als die dem Propheten zu Theil ward: Sich selbst will Er Dir geben im heiligen Abendmahl.

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„Stehe auf": Begegne Deinem Gott, beuge Dich vor Ihm - das ist unser Aufstehen; unsere Ermannung und Erhebung ist Beugung vor Ihm. Wissen wir doch, daß alle Dinge unserm Gotte möglich sind, nur Eines nicht, daß Er ein zerschlagenes Herz und einen geängsteten Geist verachten sollte.

„Nimm und iß" im Glauben nimm die Kraft der Vergebung aus diesem Brot und Kelch. Diese Speise giebt Dir, was kein noch so reicher Tisch Dir zu geben vermag. Wie jene morgenländische Königin einst ihrem Gast, den sie reichlich bewirthet hatte, als einzige Gabe der Wiedereinladung nur einen Kelch bot, aber in demselben eine Perle im Werthe von Millionen aufgelöst hatte, so bietet der HErr Dir die Perle des Himmel

reichs, der Erlösung und Vergebung, der Kraft Seines Lebens. An Seiner Liebe sollst Du Dich trösten bei aller Lieblosigkeit der Menschen, in Seinem Frieden ruhn bei allem Kampfe.

Es lebt der Baum nicht von dem, was auf seine Krone und Zweige zeitweilig von Thau und Sonnenschein fällt, sondern von dem, was in der Tiefe an seine innersten Wurzelfasern von Lebenskraft und -Quellen dringt. So lebt auch ein Mensch nicht von einzelnen Erweisungen der Liebe Gottes, noch weniger von Liebe und Anerkennung der Menschen, sondern von dem, was aus Gottes Heiligthum, aus Wort und Sacrament an sein innerstes Leben träufelt — er lebt von Vergebung, vom Frieden Gottes, von Seiner Zusprache und Seinem Troste. Wohlan, stehe auf und iß, Du hast einen großen Weg vor Dir; einen Weg, den der HErr allein kennt in seinen Fluren, seinen Felsen, in seinen Abgründen und tiefen Wassern. Jeden erwartet sein Weg, keinen derselbe; aber thränenreich und thränenwerth wird mehr oder weniger eines Jeglichen Weg sein.

Gottes Herz steht uns offen, Seine Hand beut uns himmlische Speise: in ihrer Kraft sollst Du gehen bis zu dem Berge Gottes und Seinem großen Abendmahl. Amen.

8. Beichtrede

über Habac. 2, 20. Psalm 62, 2.

„Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, es sei stille vor ihm alle Welt."

"

Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft."

Am Sylvester 1892.

In Christo geliebte Abendmahlsgäste! Noch eine stille Stunde wollt Ihr in diesen Räumen, die das Gedächtniß an einen geliebten Heimgegangenen geheiligt hat, feiernd ruhen, ehe Ihr hinabgeht in die brausende Weltstadt mit ihrer Unruhe und ihren Anforde= rungen. Ehe das alte Jahr sinkt, mit Allem, was es gebracht und genommen, und ein neues beginnt mit neuer Aufgabe und neuem Kampf, wollt Ihr Euch wappnen und gürten, daß die Seele nicht ermüde und der Geist nicht ermatte. Aber nicht der Raum macht es, und wäre es der geweihteste, nicht die Stunde, und wäre sie die einsamste und weltverlorenste, wohl aber dies, daß der HErr selbst Raum und Stunde weiht zum Heiligthum, daß Seine heilige Gegenwart unser Herz, dies wogende, unruhige, trotzige und verzagte Ding, selbst stille mache. Und siehe, über jeden Abendmahlstisch, wo er auch gedeckt wird, sei's in der Kirche oder in der Hütte, gilt es: der HErr ist in Seinem heiligen Tempel; es sei stille vor Ihm alle Welt.

Oder war's nicht eine solche Stille in jenem Saal, als Er das Brot ergriff und den Kelch? Wollte nicht Seine Seele selbst sich stillen im Mahl des alten Bundes, ehe Er am folgenden Tage Sein gefangen Volk ausführte? Stille herrscht im Raume, wo ein Vater seinen Kindern sein Vermächtniß giebt; so war es auch dort, da der Heiland das Vermächtniß Seiner Liebe den Seinen austheilte.

Was Er ihnen damals geben wollte, und was Er uns heute geben will, das sagen uns die drei Worte, in denen unser Katechismus den Segen des heiligen Mahles zusammenfaßt: Vergebung, Leben, Seligkeit.

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