Page images
PDF
EPUB

Sollte es uns nicht auch ein Geleitswort sein zum Tische des HErrn? Nichts Anderes war es ja, was der HErr in jener Abendstunde in dem schlichten Saal zu Jerusalem seinen Jüngern zurufen wollte, als Er Brot und Wein als heilige Pfänder ihnen darreichte; nichts Anderes meint Er auch bei jedem Abendmahl, das wir feiern, wo Er in diese unscheinbaren Träger des Brotes und Weines hineindrängt alle seine Treue und Liebe und sich selbst uns giebt, daß wir's wüßten: „Wir sind Sein“. Wir sind Sein". Was wir nicht können, selbst bei den Liebsten nicht, daß wir die lieben Hände festhalten, sondern wir müssen sie loslassen, oft vor der Zeit, bei Ihm ist es anders. Er hält uns stets, „Er ist bei uns alle Tage bis an der Welt Ende". Das ist der Seinen Trost. Und darum läßt die Kirche des HErrn beim heiligen Abendmahl dieser bleibenden Gegenwart ihres HErrn sich versichern. Wenn man von Ihm schweigen wollte auf den Kanzeln, wenn man nicht mehr von Ihm reden wollte, Sein heiliges Abendmahl, durch das „sein Tod verkündigt wird bis daß er kommt", es bliebe ein laut redendes Zeugniß von Ihm. Auch heute will Er Dich und mich Seines Bleibens vergewissern durch den Genuß Seines Leibes und Blutes, uns zurufend: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöset, du bist mein".

Geliebte, ist es denn Noth, der Abendmahlsgemeinde zuzurufen: Fürchte dich nicht"? Es gab eine Zeit, da wäre es nöthig gewesen, dies „Fürchte dich nicht“ in ein „Fürchte dich“ zu verwandeln; da ging man aus Gewohnheit, da machte man wie dort in Korinth keinen Unterschied zwischen dem gewöhnlichen Essen und dem Abendmahl des HErrn. Es ist das anders geworden, und wenn ich die heutige Zeit recht verstehe, so ist es nöthig, den Menschen Muth zu machen, zum Tisch des HErrn zu kommen. Es giebt so viele verzagte Menschenkinder, sie wagen sich nicht heran. Das Wegbleiben vom Tische des HErrn ist bei ihnen nicht Verachtung, sondern Ehrfurcht, sie meinen, sie dürften nicht kommen, es schicke sich nicht für sie, weil in all der Unruhe des Berufes sie keine Zeit zur Sammlung fänden. Viele lassen sich zurückhalten durch ihre Umgebung; viele kommen nicht,

weil sie auf ruhigere Zeiten warten. Aber der HErr Jesus hat auch nicht auf ruhigere Zeit gewartet; siehe am Gründonnerstage wogt es hin und her in Jerusalem, und mitten in dieser Unruhe, in der Er steht, hält Er das erste Abendmahl mit den Jüngern. Gerade der Genuß des heiligen Abendmahles soll die Unruhe überwinden helfen. Du sollst kommen gerade dann, wenn Dein Herz in Unruhe und im Streit ist, dann sollst Du es stillen und zum Frieden bringen lassen im heiligen Mahle. Du sagst vielleicht: Ich bin zu lieblos, ich kann nicht kommen, ich muß erst die Abneigung überwinden gegen den und jenen. Gewiß, an Deinem Theil sollst Du versöhnt kommen, aber man kann nicht warten, bis man den Nächsten für sich gewonnen und von ihm verstanden wird. Hätte der Heiland gewartet, bis seine Jünger ein Herz und eine Seele gewesen, ach dann wäre aus dem Abendmahl nichts geworden. Wir wissen es ja, noch kurz vor dem Essen hatten sie sich gestritten, und Petrus, noch beim Fußwaschen so recht seine Natur herauskehrend, den HErrn abgewehrt: „Solltest du mir die Füße waschen?" damit zeigend, daß er die Liebe des Heilandes nicht verstand.

[ocr errors]

Wenn Du sagst, mir fehlt es an Liebe und Versöhnlichkeit, weshalb kommst Du nicht und läsfest des HErrn Liebe Dein kaltes Herz erwärmen und Deine schwache Liebe stärken? Andere sagen: Wenn ich nur glauben könnte, mein Glaube ist so klein, ich bin so schwach". Wie war es denn mit dem Glauben des Petrus? Dreimal verleugnete er den HErrn unmittelbar nach dem heiligen Mahle. Wie mit dem eines Thomas? und schließlich aller Jünger, als sie Ihn verließen - aus Kleinglauben und Furcht! Wo ist einer stark im Glauben unter ihnen? Und wo wäre einer, der bestanden hätte, wenn der HErr ihn gefragt über das heilige Mahl wie dort bei der Fußwaschung: „Wisset ihr auch, was ich euch gethan habe?"

Aber darauf hat der HErr auch nicht gewartet; Er sah ihre Bedürftigkeit und ihre Sehnsucht und gab ihnen das köstliche Vermächtniß. Darum, wenn Du Dich im Glauben schwach fühlst, laß ihn Dir stärken, fasse das Zutrauen zu Ihm, daß Er gerade dadurch

Dir helfen will, stark zu werden. Oder sagst Du: „Ich muß überhaupt erst anders, besser werden, diesen, jenen Fehler ablegen, sonst kommt des HErrn Gericht auf mich, ich kann nicht kommen": Wann geht man denn zum Arzte? Etwa wenn man wieder gesund ist? Nein, dann braucht man ihn nicht mehr. Gerade nicht die Starken, Gesunden ruft der HErr zu sich, sondern die Mühseligen und Beladenen. So komm nur in Deiner Ohnmacht zu Seiner Kraft, mit Deiner Schuld zu Seiner Gerechtigkeit, mit Deiner Armuth zu Seinem Reichthum. Er sagt es Dir: „Ich will den glimmenden Docht nicht auslöschen und das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen. Fürchte dich nicht!"

Ich bin kein Herzensfündiger, Geliebte, aber das kann ich Euch sagen, daß der HErr, der heute uns den Tisch deckt, für alle Schäden, auch die Euren, Heilung hat. Und Jhr, liebe Kinder, wenn Ihr heute zum ersten Male kommt, laßt Euch das heilige Mahl es vergewissern: Euren schwachen jungen Glauben will er stärken und zum Wachsthum bringen, gerade Euch gilt Sein Wort, daß Er das gute Werk, das er in uns angefangen, auch vollenden wird. Er will Euch halten und bewahren in Seinen heiligen Händen. Darum: Fürchtet Euch nicht.“

"Ich habe dich erlöset",

,,du bist mein".

Es giebt ein Besitzrecht, das einen Zwang in sich schließt; aber es giebt auch ein heiliges und seliges Anrecht an ein Menschenkind. Es ist etwas Anderes, ob ein König nach errungenem Siege zu seinem Gefangenen sagt: „Du bist mein", oder ob ein Vater zu seinem Kinde sagt: „Du bist mein." Solch Vaterrecht hat Gott an Dir. Er hat Dich nicht nur ins Leben gerufen, nein, Er hat Dich auch erlöset. Er hat um Dich wie ein Bräutigam um die Braut geworben, Du bist Sein Eigenthum. Er hat ein Recht an Dich; nicht nur aus Seinen Händen bist Du gekommen, sondern mit Seinem Herzblut hat Dich Dein HErr erkauft, erlöst von den Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit Seinem heiligen, theuren Sterben, auf daß Du Sein eigen seist.

„Ich bin Dein, weil du Dein Leben

Und Dein Blut

Mir zu gut

In den Tod gegeben."

So hat es auch der alte Katechismus*) recht gefaßt, wenn er auf die Frage: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?" antwortet: „Daß ich mit Leib und Seel, beides, im Leben und Sterben nicht mein, sondern meines getreuen Heilandes Jesu Christi eigen bin: der mit seinem theuren Blut für alle meine Sünden vollkömmlich bezahlet hat" das heißt „Sein sein“, „erlöst sein.“ Solange wir nicht Sein sind, nicht los von uns selbst, sondern unsere eignen Herren, solange sind wir gebunden, Knechte unseres eigenen verkehrten Willens, Sklaven der Sünde; frei sind wir erst, wenn uns der Sohn freimacht, indem Er uns bindet an Sein Liebesjoch. Wenn Er uns sagen kann: „Du bist mein“, dann sind wir freie Leute.

„Ich habe dich erlöset, du bist mein", das sollen Dir Brot und Kelch sagen; Brot und Wein sind das Unterpfand Deiner Erlösung. Wie zum Pfand der Treue Bräutigam und Braut sich den Ring schenken, so will der Heiland unter den sichtbaren Zeichen die Versiegelung und Versicherung Seiner Liebe zu uns, unserer Erlösung uns geben: Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit uns schenken. Dein Herz soll es merken an dem Frieden, der in Dich und über Dich kommt. Und wenn Du dann hinabgehst in Dein Haus, dann wird man's merken an der Vergebung, am Frieden mit den Deinen, daß Du Versöhnung empfangen hast. Du sollst es spüren an der Freudigkeit, mit der Du Deinen Weg gehen wirst; denn Er hat Dir einen Tisch gedeckt wider Deine Feinde, wider Angst und Sorge, Dir die Zusage gegeben, daß Er bei Dir sein will. Zu wem der HErr sich stellt und mit wem Er geht, wen Er hält, der soll sich nicht fürchten, ob auch große Wasser kämen, in denen die Seele zu versinken droht. Er will die Seele bergen wie Noah in der Arche, Er will ihr Licht sein im finstern Thal.

*) Der Heidelberger, in seiner ersten Frage.

„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“. Es ist der gute Hirte, der also redet. Er ruft Seine Schafe mit Namen, für jedes hat Er Seine besondere Art. Wie anders, wenn Er Maria ruft am Grabe, und sie an diesem Rufen ihres Namens den Auferstandenen erkennt oder wenn er Simon beruft oder Matthäus vom Zoll hinweg in Seine Nachfolge, wie anders, wenn er den Verfolger der Gemeinden ruft: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?" Er ruft auch uns heute und alle Tage unseres Lebens; Er hat unsere Namen in Sein Herz geschrieben und kennt ein Jedes von uns in dem tiefsten Sehnen seines Herzens, Er ruft auch Dich in dieser Stunde bei dem, was Du brauchst, was Dir fehlt, um dann Dich zu füllen und Dein Herz zu stillen und es Dir von Neuem zu sagen: „Ich habe dich erlöst, fürchte dich nicht." Was brauchst Du mehr? Was kann Dir noch fehlen? So komm denn, laß Dir's versiegeln: Du bist Sein!"

Amen.

[ocr errors]

5. Beichtrede

über Phil. 4, 5 und Jak. 4, 8:

„Der HErr ist nahe!"

„Nahet euch zu Gott, so naht er sich zu euch.“

Advent 1889.

In Christo geliebte Abendmahlsgäste! „Der HErr ist nahe,“ das ist der Ruf und die Botschaft des Advents.

Alles im Gehen und Vergehen, das predigte uns Todtenfest; Einer im Kommen: Jesus Christus gestern und heute „der HErr ist nahe", so tröstet der erste Advent mit dem neu beginnenden Kirchenjahr.

„Der HErr ist nahe, darum hebet Eure Häupter auf, darum, daß sich eure Erlösung nahet, darum lasset eure Lichter brennend und eure Lenden umgürtet sein,“ das ist die Stimme des zweiten Advents.

„Der HErr ist nahe“, auch den Herzen, die da fragen: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern

« PreviousContinue »