Page images
PDF
EPUB
[ocr errors]

Dennoch kann eine

an Oe.s eigentlichem Bedenken vorüber. Verständigung nicht allzufern liegen: denn M. wie Oe. glauben ja gemeinsam an eine Fähigkeit des Erkennens, angesichts bestimmter Gegenstände diese in Wirklichkeit und also in einem Masse zu „erfassen“, wie es der Solipsist nicht mehr Wort haben will, wenn er auch noch so viel immanente Transszendenz für sich und seine Theorie vom Denken und Sein in Anspruch nimmt.

Herrscht also in der Sache selbst letzten Grundes Übereinstimmung, so ist über die Wörter, deren sich M. und Oe. zur Bezeichnung des Kommerziums zwischen dem Ich und den von ihm unabhängigen Realitäten bedienen, das folgende zu sagen: M. entfernt sich nicht von der Grundbedeutung des Wortes „Wahrnehmung", wenn er jedes direkte Erfassen einer äusseren Wirklichkeit, wie es nach ihm auch ohne Kausalschluss möglich ist, mit dem Worte „Wahrnehmung", und zwar „Vollwahrnehmung“, aber auch noch das durch mittelbare Bestimmungen (wie Wellenlängen zu den Farben) ermöglichte vermittelte Erfassen folgerichtig als „Halbwahrnehmung" bezeichnet. Bei Oe. aber versteht man keineswegs, warum er für sein aller positiven Bestimmungen bares Erfassen der zweiten Realität durch das Ich" gerade „metaphysische Wahrnehmung" wählt. Alles, was einer Wahrnehmung an konkretem, anschaulichem Inhalt von relativ grösster „Lebhaftigkeit" eignet, wie man sie sonst charakteristisch findet für die „Wahrnehmungsvorstellungen" im Gegensatze zu den „Phantasievorstellungen“,1) spricht Oe. ja eben dieser metaphysischen Wahrnehmung ab. Oe. will ja nur graueste Metaphysik". Warum dann aber gerade das Substantiv „Wahrnehmung" wählen, dem das Adjektiv „metaphysisch" jenen charakteristischen Inhalt sogleich wieder abspricht? Es hätte ja einen mit dem Überzeugungskreis Oe.s viel besser harmonierenden Ausdruck gegeben - einfach: Transzendieren" (wobei dann auch das Adjektiv „metaphysisch“ erspart wäre).

99

[ocr errors]

Man könnte daran denken, einfach beim Wort „Kommerzium“ (nämlich zwischen erster und zweiter Realität) zu bleiben; und ich empfehle dieses geradezu, wenn man das Verhältnis von Erkennen und Erkanntem in Einem bezeichnen will (wie z. B. das Wort

1) Vgl. zu den beiden noch immer nicht allgemein gefestigten Terminis meine Psychologie, § 30 ff.

[ocr errors]

„Ehepaar" den Gatten und die Gattin und ihr Ehebündnis be zeichnet). Das Wort Wahrnehmung aber, gleich viel ob metaphysisch oder nicht, lässt doch nur an das Hinübergreifen des Erkennens auf das zu Erkennende denken; und gerade dadurch erweckt es das Bedürfnis, auch für das Herübergreifen des za Erkennenden in das Erkennen eine Bezeichnung zu haben - und natürlich noch vor der Bezeichnung einen klaren Begriff davon, wie denn dieses gleichsam Eindringen des zu Erkennenden in das seiner harrende Erkennen überhaupt für uns vorstellig zu machen sei? Führt man sich zu diesem Zwecke ein möglichst einfaches Beispiel vor, so bietet sich immer wieder das von Reiz und Empfindung dar: Die Schallschwingung „erregt" die Tonempfindung oder in Kantischer Allgemeinheit: „der Gegenstand affiziert das Gemüt". Nun aber soll (nicht etwa nur nach dem von Jakobi eröffneten, von Schulzes „Aenesidemus" fortgeführten und bis auf den heutigen Tag nicht beendigten Kampf gegen Kants unvorsichtiges „Affizieren“, sondern auch) nach Oes. neuesten Protesten gegen eine metaphysische Kausalität dieser der Psychophysik entnommene Typus von Reiz und Empfindung auf die Metaphysik des Verhältnisses zwischen Dingen und Ich schlechterdings nicht übertragbar sein. Aber wie warum bietet sich uns dann der Gedanke der Abhängigkeit so ganz ungezwungen dar? Wir sprechen von ,,unabhängigen Realitäten“ und meinen die vom Ich unabhängigen. Wer spricht ebenso von einem unabhängigen Ich? Niemand als der Solipsist, von dem sich Oe. eben dadurch scheidet, dass er die erste Realität durchaus abhängig annimmt von einer zweiten. Warum sollte nun diese Abhängigkeit eine andere sein als die eben nur des phänomenalen Zeitmomentes entkleidete Kausalität, die wir oben durch xa + bezeichneten? Oder sollen wir auch dieses weglassen und geradezu setzen x = α? = a? Das wäre doch überflüssig allgemein (so wie man ja auch nicht sagt: Ich reite auf einem Säugetier, wenn man sagen will: Ich reite auf einem Pferd).

[ocr errors]

Und so schliesse ich diese Betrachtungen, die überall nur die Ansatzpunkte für neue Lösungsmethoden des uralten Problems geben konnten, mit einer These, durch die in die obige These Vн. statt des Begriffes „Ursache“ ausdrücklich der in 17 meiner Psychologie (vgl. oben S. 382) in Aussicht genommene „verallgemeinerte Abhängigkeitsbegriff“ aufgenommen ist:

These VIH.: Das Kommerzium zwischen dem Ich und den von ihm unabhängigen metaphysischen Realitäten, von denen aber die physischen Phänomene des Ich abhängig sind, wird hergestellt durch eine Art Kausal relation, in der wir uns nur die Zeitkomponente durch ein metaphysisch überzeitliches Verhältnis ersetzt zu denken haben.

[ocr errors]

Die vorliegende, ihren Gegenstand zum Teil nur in Andeutungen behandelnde Arbeit musste es sich versagen, auch Oes. Beweis für das „Dass" der zweiten Realitäten in die Erörterung einzubeziehen. Hier nur soviel, dass die Existenz von Dingen an sich, für die Kant unmittelbare Evidenz der Gewissheit, Meinong unmittelbare Evidenz der Wahrscheinlichkeit beansprucht, nach Oelzelt mittelbar evident gewiss werden soll. Die Gründe, warum die zweite Realität keine „problematische" ist und durchaus gefordert wird, sind durch das Bedürfnis nach Orientierung gegeben" (Oe. 118). Dabei ist für Oe. „die Konstruierbarkeit der Regelmässigkeiten des Naturgeschehens unbegründbar . . . nur ein Postulat!" (Oe. 123.) Ich habe zu den letzteren Worten zu bemerken, dass M. und ich, entgegen Kant und Oe., den „Postulaten“ als solchen keinerlei Rolle in der theoretischen Philosophie einzuräumen vermögen. Dass die Menschen zugrunde gegangen wären, wenn sie nicht glaubten, dass sie sich am Feuer verbrennen werden, hält auch Oe. für eine Tatsache; aber er lehnt es ab, dieses sein Dafürhalten als eine hinter jene Tatsache zurückgehende Erkenntnis zu einer theoretischen Grundlage seiner weiteren Theorie zu machen. Das Beispiel ist viel handgreiflicher und lehrreicher als die allgemeine Methode, durch die Kant und nach ihm die weit überwiegende Zahl von Erkenntnistheoretikern den „Postulaten" eine Rolle neben den zwei Erkenntnisklassen: Gewissheiten (samt der Unterklasse Tatsachen") und Wahrscheinlichkeiten (samt der Unterklasse Hypothesen") eingeräumt hat. M. und ich suchen (um nur von den Unterklassen zu reden) mit Tatsachen und Hypothesen auszukommen. Meinerseits halte ich es nur für eine Hypothese, dass mein Ich samt all seinen noch so mannigfaltigen ersten Realitäten nur ein sehr kleines Stück der ganzen Welt ist, und dass daher von vornherein gar nicht zu hoffen ist,

[ocr errors]

[ocr errors]

es würde sich schon innerhalb jener ersten Mannigfaltigkeit für sich eine lückenlose Gesetzmässigkeit 1) finden lassen. Also ich halte das Dasein einer Welt ausser mir nur für eine Hypothese, ich halte sie nur für wahrscheinlich, nicht für gewiss; aber was zu gunsten dieser Hypothese zu sagen ist (z. B. dass die Logarithmentafeln jemand anderer als ich selbst berechnet haben müsse, vgl. meine Psychologie § 58), kann es getrost mit allen, auch den allerbesten Hypothesen was immer für einer Natur- oder Geisteswissenschaft aufnehmen. Auch hier haben wir zwar nicht ,,mathematische Gewissheit", wohl aber fast unendliche" Wahrscheinlichkeit = "physische Sicherheit", mit der sich jede nicht rein apriorische (gegenstandstheoretische) Wissenschaft zufrieden giebt, obwohl es nur eine „fast", also ehrlich gesprochen: eine nicht „unendliche" Wahrscheinlichkeit, nicht volle Gewissheit ist. Oe. aber beansprucht für seinen Beweis Gewissheit. Sollte ihm wirklich sein Postulat mehr als Wahrscheinlichkeit liefern? Und da diese Wahrscheinlichkeit eine nicht weiter zu beweisende ist, so wäre es doch auch nur eine unmittelbare Evidenz eine unmittelbar evidente Vermutung. Freilich schiebt sich dann zwischen diese und die Erkenntnis der Dinge an sich noch ein Beweis ein (von dem hier dahingestellt sei, ob selbst wieder Gewissheitsoder Wahrscheinlichkeitsbeweis), wogegen nach M.s These I unsere Vermutungsevidenz unmittelbar auf die Dinge geht.

Möchten Kants Getreue, wenn sie hier in einer ihnen fremden Sprache letztlich doch das Bekenntnis zu Kants oberstem Dogma: „Es giebt Dinge an sich", aussprechen hören, sich eben hiermit von uns eingeladen und gebeten finden zu weiterer gemeinsamer Arbeit.

1) Sollte es nicht eine Inkonsequenz Oe.s sein, wenn er (115) sagt, es falle vor allem die Gesetzmässigkeit auf, um deren willen,,jenes Etwas“ (hinter dem Braun, der Härte des Tisches) nicht fallen gelassen werden kann? Sein ganzer Beweis für die zweite Realität gründet sich ja darauf, dass die erste Realität für sich noch keine Gesetzmässigkeit liefert; so dass man vielleicht Oe.s „zweite Realität" definieren könnte als „Das, wodurch die Gesetzeslücken der ersten Realität zu einer lückenlosen Gesetzmässig. keit ergänzt werden". Von solchen,,Gesetzen, die das Bedürfnis (nach Orientierung) fordert", wäre nicht mehr weit zu Kants,,Gesetzen, die der Verstand der Natur vorschreibt".

Sinnlichkeit und Denken,

ein Beitrag zur Kantischen Erkenntnistheorie.

[ocr errors]

Von Felix Kuberka.

Der erste Schritt in Sachen der reinen Vernunft, der das Kindesalter derselben auszeichnet, ist dogmatisch. Der zweite ist skeptisch und zeugt von Vorsichtigkeit der durch Erfahrung gewitzigten Urteilskraft. Nun aber ist noch ein dritter Schritt nötig, der der gereiften und männlichen Urteilskraft." Mit diesen Worten hat Kant weniger mit dem Blick des Historikers als dem des systematischen Denkers die innere Entwickelung der philosophischen Systembildungen bezeichnet. Aber er selbst hat an anderen Stellen keinen Zweifel gelassen, dass der Kritizismus, so wie dieser in der Kritik der reinen Vernunft seine klassische Ausprägung erfahren hat, nicht nur das Endresultat philosophischen Nachdenkens, sondern zugleich die höhere Synthese der dogmatischen und skeptisch-empiristischen Denkweise darstellt. Kant will weder wie Leibniz die Erscheinungen „intellektuieren“, noch wie Locke die Verstandesbegriffe insgesamt „sensifizieren“. Sein Versuch gilt einem vermittelnden Unternehmen, in welchem auf Grund der Einsicht einer Dualität von Sinnlichkeit und Denken die bisher entgegengesetzten Anschauungen des Empirismus und Rationalismus zu höherer Einheit verbunden sind und sinnliche Empfänglichkeit wie verstandesmässige Spontaneität, Form und Inhalt der Erfahrung sich innerlich durchdringen und ergänzen.

Es ist also im wesentlichen die Annahme eines qualitativen Unterschiedes von Sinnlichkeit und Denken, welche das Neue und Eigenartige des Kantischen Standpunktes ausmacht. Indem Kant von Anbeginn an der Sinnlichkeit eine besondere Stellung und Bedeutung zuweist, ist er vor jeder Gefahr eines einseitigen Rationalismus behütet. Anderseits schliesst die dem verstandesmässigen Begreifen von vornherein beigelegte Bedeutung jedes Hinabgleiten in die Anschauungen eines einseitigen und engherzigen

« PreviousContinue »