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Verf. meint, que l'intention initial de Kant fut d'établir, par sa critique, un dogmatisme moral ou métaphysique, au moyen d'un argument négatif. Die Kritik sei un préambule nécessaire de la métaphysique. Verf. unterscheidet zwischen der métaphysique spéculative und der métaphysique morale. Zunächst wird die erste behandelt und gefragt, was Wissenschaft und Metaphysik gemeinsam ist, was sie verbindet und was sie unterscheidet. Zwischendurch findet sich ein Exkurs darüber, ob die Metageometrie Kants Raumlehre umstürze. Verf. verneint die Frage entschieden. Auch die Frage nach dem Objekt der spekulativen Metaphysik findet jetzt Beantwortung: Cet objet c'est l'absolu, c'est-à-dire l'inconditionné... C'est ainsi que la métaphysique spéculative comporte un triple objet l'homme, le monde et Dieu. Die Ideen vervollständigen die Wissenschaft Ref. Die Metaphysik der Natur und ihr Verhältnis zur Ideenmetaphysik hätte näher erörtert werden müssen. In dem Abschnitt über die métaphysique morale wird vom Parallelismus zwischen den Ideen und Postulaten, dem Primat der praktischen Vernunft und der Giltigkeit dieser Art Metaphysik gehandelt. Dans l'ordre spéculatif, nous pensons comme si" le monde avait Dieu pour auteur; pourquoi pas? Dans l'ordre moral nous en sommes sûrs. Et comment? Sans peine d'inconséquence avec les principes immédiatement présents à la conscience, celui notamment de l'impératif catégorique. Verf. schliesst hieran eine Bemerkung über die Kontroverse Paulsen-Vaihinger betreffend die Kantische Metaphysik. Paulsens Name wird überhaupt besonders oft genannt und hervorgehoben.

Die Hauptintention des nun folgenden letzten Kapitels ist diese: opposer au dualisme qui affecte la théorie épistémologique de Kant, l'unité dans laquelle le système d'Aristote réunit les diverses branches du savoir total... Pour Aristote, la métaphysique est une espèce dans le genre science, l'espèce la plus excellente. In zwei Abschnitten, La science. selon Aristote und La métaphysique selon Aristote, sowie dem sich anschliessenden Schlusswort wird der Vergleich der beiden Philosophen zu Ende geführt.

Was diesen ganzen Vergleich anlangt, so sehe ich einmal überhaupt keinen rechten Nutzen davon. Wichtiger aber ist: Kant und Aristoteles scheinen mir gar zu weit auseinander zu stehen, als dass sie in dieser Weise ungezwungen konfrontiert werden könnten. Überhaupt will mir ein Wort Simmels nicht aus dem Sinn: „In jeder Parallele zwischen grossen Persönlichkeiten, jedem Messen ihrer an einander, liegt eine Vergewaltigung; denn jede ist ihrem inneren Wesen nach etwas Unvergleichliches, jede wird von sich abgebogen, wenn sie mit der anderen auf einen Gesamtnenner gebracht wird. All die Einzelheiten der Lehren, in deren Konfrontierung derartige Parallelen zu verlaufen pflegen, haben ihre echte Farbe und Sinn erst in der Hinwendung auf das Gesamtzentrum, den Einheits- und Einzigkeitspunkt der schöpferischen Persönlichkeit."

In Bezug auf das Kanthistorische der Arbeit aber ist anzuerkennen: Verf. hat sich in die kritischen Schriften gut eingearbeitet. Seine Anschauungen sind klar und werden gut belegt, wenngleich ich persönlich die Kantische Philosophie für einen noch viel komplizierteren Bau halte, als es nach den Ausführungen des Verf. gelegentlich scheint. Doch ist die Schrift ein erfreuliches Symptom für die zunehmende Übereinstimmung der Auffassung Kants, wenigstens in den Kreisen, die ausserhalb des strengeren Neukantianismus stehen.

Die Darstellung ist der Sache nach klar, aber die sprachlichen Härten des belgischem Französisch erschweren das Verständnis.

Das vorstehende Referat war bereits einige Zeit geschrieben, als im Maiheft der Revue néo-scolastique (1906) ein weiterer Aufsatz (37 S.) Vrai Thomisme contre vrai Kantisme (Discussion) desselben Verf. erschien. Es ist die Antwort auf einen Angriff, den sein Buch von katholischer Seite durch R. P. Regout, S. J., erfahren hat. Hatten wir

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oben der scholastischen Tendenz des Autors ein näheres Eingehen versagen müssen, so ist sie Regout noch nicht scholastisch genug gewesen. Der heilige Thomas werde nicht genügend zitiert! Die Bemühung Sentrouls um historische Objektivität wird als eine „,infiltration kantisme" bezeichnet. Ein Vorwurf, der auf das ganze Institut supérieur de philosophie zu Löwen ausgedehnt wird, aus dem Sentrouls Arbeit hervorging. Dieser Vorwurf scheint dort heftig erregt zu haben und hat obige scharfe, ja schneidende Erwiderung Sentrouls hervorgerufen, deren grösster Teil übrigens von logisch-metaphysischen Fragen, überall unter besonderer Rücksichtnahme auf die Scholastik, handelt. Bemerkenswert ist, dass es auf Seiten der Neuscholastik bereits als höchste Genugthuung empfunden wird, dass Merciers Critériologie générale vom Neukantianismus ernst genommen worden sei. Ja, Sentroul spricht sogar von „,infiltrations scolastique dans les milieux kantistes!" Ich glaube nicht, dass sich diese „infiltrations" weitererstrecken, als dass Medicus 1901 in den Kantstudien von jener Publikation Merciers gesprochen hat; eine Tatsache, von der Verf. auch in seinem Buch (S. 45) Akt genommen hatte.

Berlin.

K. Oesterreich.

Görland, A. Rousseau als Klassiker der Sozialpädagogik. Beiträge zur Lehrerbildung und Lehrerfortbildung. 34. Heft. Thienemann, Gotha 1906. (24 Seiten.)

Diese Schrift stellt sich als eine Rekonstruktion des pädagogischen Systems von Rousseau dar, durch welche die Auffassung begründet und gerechtfertigt wird, dass Rousseau den Begriff der Sozialpädagogik in seinem „Emile" inauguriert. Auf dem Grunde des Idealismus erwachsen die Motive seiner Pädagogik; definiert sich als das Ziel aller Pädagogik die reine Gestalt des Wesens des Menschen (S. 5). Das Wesen des Menschen, das ist der natürliche Mensch. So befasst, in idealistischer Tendenz, das Wort „Natur" das Problem vom Grundgesetz des Menschen als Menschen (S. 45). Hierher gehören die Gesetze seiner Physis wenngleich nur als Mittel zum sittlichen Zweck); vor allem aber die Grundgesetze des Moralischen (S. 5).

Denn es bestimmt sich für Rousseau der reine Begriff des Menschen in dem Apriorismus der sittlichen Vernunft (S. 16 f.. 20 f.). Das Gebot des Sittlichen ist kein von aussen kommendes, weder Menschen- noch Gottesgebot. Sittlichkeit heisst Spontaneität des Handelns. Die Vernunft lehrt uns das Sittliche erkennen; das Gewissen macht diese Erkenntnis zur Verbindlichkeit des Willens (S. 21). In dieser Eindeutigkeit seiner Funktion, die als gut erkannte Handlung als Pflicht sich zuzueignen, wird das Gewissen zum Prinzip des Moralischen im Menschen. Rousseau nennt es, im Gegensatz zu allem erwerblichen Inhalt des Bewusstseins, ein eingeborenes Gefühl (S. 21). Damit aber durch die Bezeichnung des Gewissens als Gefühl keine Bedingtheit des Willens durch Begehrungen ausgedrückt wird, wird die Bestimmung des moralischen Willens in das Urteilen gelegt (S. 22 cf. o.). Durch diese ausschliessliche Beziehung auf die Aktivität, d. h. Spontaneität des Urteilens wird der Wille unabhängig von physischer Bedingtheit und also zum freien Willen (S. 22). _Zugleich sehen wir hier den Zusammenhang des ethischen Apriorismus Rousseaus mit dem intellektualen oder logischen Apriorismus (cf. S. 17 ff.). Denn die Instanz des Urteils, der Verstand, ist nach Rousseau eine aus den Sinnen unableitbare, ureigene Funktion der Seele (S. 18).

Ist also die Bestimmung des Sittlichen in den tiefsten Grund des menschlichen Bewusstseins gelegt, so entspricht der Sicherheit dieser Grundlegung ihre Anwendung auf das Problemgebiet der Erziehung. Die Pädagogik Rousseaus beginnt schon auf der ersten Stufe mit dem Postulat der Spontaneität des Menschen. Auf dieser ersten Stufe soll der Mensch, noch ganz physisches Wesen, lernen dem Gesetz, welches ausnahmslos in der Welt der Dinge herrscht, sich unterwerfen und das Mass seiner Kräfte zum Prinzip seiner Wünsche und Bedürfnisse machen (S. 7). In dieser

Zucht gelangt das Kind zu einem Prinzip seines Handelns; die Beschränkung seiner Wünsche ist seine eigene Leistung aus einem Prinzip des Willens (S. 13). In dieser Zueignung, in dieser Verinnerlichung des Naturprinzips soll der Mensch zu einem Prinzip kommen, in dem er Herr seiner Physis und sich selbst Gesetzgeber wird (S. 9). Das besagt der Begriff der Zucht bei Rousseau. So wird der Dualität des Menschen, der nicht allein sittlich verpflichtetes, sondern auch physisches Wesen ist (cf. S. 13 ff.), Rechnung getragen und die Begehrungen werden durch Begehrungen überwunden. So steht der Begriff der Zucht andererseits in methodischer Beziehung zum Prinzip der sittlichen Erziehung (S. 8 f.).

Die bestimmte Regel für das Handeln ist indessen auf der ersten Stufe, der der Zucht, nur das individuale Prinzip des eigenen Vorteils. Dieses wird unzulänglich, wenn der Mensch zu seinesgleichen in Beziehung tritt. Die Idee, welche bis zu den Menschen führt, ist die Idee des Eigentums (S. 11). Durch die Thatsache des ersten Eigentums wird das erste Gesetz der Natur, die Sorge um die Selbsterhaltung im anderen Menschen bedroht (S. 11). Es sichert sich, indem auch dieser Andere Eigentum für sich beansprucht. Damit ist die Gefahr der Kollision der Interessen herbeigeführt und wir stehen vor dem Augenblick, wo in den Menschen der Sinn gegenseitiger Verbindlichkeit geweckt wird (S. 11). So wird das Naturprinzip des eigenen Vorteils zu einem sozialen Prinzip, welches die Einheit von Mensch zu Mensch umspannt. Auf dieser zweiten Stufe der Erziehung tritt der Mensch also aus dem Naturzustande heraus und in das erste Stadium des Vernunftzustandes (S. 11). Die soziale Erweiterung des ursprünglichen Naturprinzips lässt jede Isolierung als unmöglich erscheinen. Es wird die Aufgabe der Erziehung sein, in dieser Tendenz das Wesen der ökonomischen Gesellschaft darzulegen (S. 12).

Indem der junge Mensch in das Gefüge der gesellschaftlich-industriellen Arbeit, der Verträge und Verbindlichkeiten eingestellt wird, ist er gezwungen, die bestimmte Regel seines Handelns, die er erworben hat, von sich auf seinesgleichen und umgekehrt bezogen zu denken. Damit ist das Prinzip des individuellen Vorteils endgültig durchbrochen und es erwacht ein neues Prinzip des Willens im Menschen, das Gesetz des Gewissens (S. 12). Das ist das ursprüngliche und dem Menschen eingeborene Gesetz der Verträge und Verbindlichkeiten (S. 12). Mit diesem Gedanken erreichen wir die dritte und letzte Stufe der Erziehung. Die Handluug wird nun zum Selbstzweck, da der Zweck nicht in mir, noch in dem anderen, sondern in der Gemeinschaft beider liegt - Diese Wahrheit der Vernunft eignet sich das Gewissen zu; so wird das Gute zur Pflicht (S. 23. Somit handelt der Wille aus der letzten bestimmten Regel, die möglich ist, d. h. die sein ureigenstes Gesetz ist, und wird zum freien Willen (S 23).

In diesem Mut zur reinen Sittlichkeit soll der Mensch Politiker sein (S. 23). Ist aber Moral und Politik eins, so muss die Erziehung Erziehung zur moralisch-politischen Arbeit sein (S. 24). So ist Rousseaus Pädagogik ihrem Endziel nach, wie ihrem Ursprung nach, Sozialpädagogik (S. 25).

An diesem Ende schliesst der Gedankengang der Schrift Görlands ab. Der Verfasser hat auch zahlreiche Verweisungen auf den Text des Emile dafür Sorge getragen, seine Auffassung von Rousseaus Pädagogik Johannes Paulsen.

zu stützen.

Marburg a. L.

Selbstanzeigen.

Kuntze, Friedr. Dr. Die kritische Lehre von der Objektivität. Versuch einer weiterführenden Darstellung des Zentralproblems der Kantischen Erkenntniskritik. Winter, Heidelberg 1906. (315 S.)

Die Erforschung Kants ist in ein Stadium getreten, wo das Bestreben, die faktische Lehrmeinung des Philosophen möglichst genau zu buchen, abgelöst wird von dem Bestreben, die faktische Lehrmeinung umgekehrt zu berichtigen an den Problemen, die, als zeitlose wohlumschriebene Grössen, die eigentliche logische Substanz der Kantischen Philosophie ausmachen. Von dieser Tendenz ist nur noch ein Schritt bis zu dem Verfahren, auf das ich meine Darstellung des wichtigsten Teils der Kantischen Erkenntniskritik begründet habe. Ich habe mir von vornherein eine neue Operationsbasis geschaffen und bin ausgegangen, nicht von gegebenen historischen Zusammenhängen, sondern von der systematischen Formbestimmtheit des Objektivitätsproblems. Das inhaltlich leere, formal aber mit einer genauen Topik versehene Cadre, das diese Formbestimmtheit sich baut, habe ich dann ausgefüllt mit dem geschichtlich gegebenen Lehrbestande der theoretischen Philosophie Kants.

Dies Verfahren, dem die Geschichte nur als die zeitliche Form eines zeitlosen Prozesses interessant ist, und das diesen zeitlosen Prozess doch hinwiederum nur in geschichtlichen Formen darstellen kann, setzt die historischen und die systematischen Elemente meines Buches in seinen verschiedenen (drei) Teilen in verschiedene Proportionen. Dem ersten Teil fällt die wesentlich systematische Aufgabe zu, das fragliche Cadre zu bestimmen. Der zweite Teil erhebt sich erst aus historischer Kritik zu systematischen Ergebnissen. Man kann ihn kennzeichnen als eine Auswahl derjenigen Lehrstücke der Kantischen Erkenntniskritik, die ideell dem Objektivitätsproblem zugehören. Der dritte Teil verwertet die eigentümliche Betrachtungsweise des zweiten Teils jenseits der historischen Grenzen der Philosophie Kants. Daneben aber weisen der erste und der dritte Teil eine weitere Eigentümlichkeit auf. Die Technik meines Buches: ein bestimmt organisiertes Problem zum Massstab und Auswahlprinzip der Historie zu machen, teilt die geschichtlich gegebenen Philosopheme in zwei grosse Gruppen: in solche, deren Anlage der gehörigen Erfüllung des Objektivitätsgedankens, wie sie Kant gegeben hat, wahlverwandt und freundlich, und in solche, deren Beschaffenheit der Erfüllung konträr und feindlich ist. Diese feindlichen Philosopheme bekämpft nach einer, eigens zu diesem Zwecke ausgebildeten Taktik, der erste Teil; der Auseinandersetzung mit den der Kantischen Lösung befreundeten Philosophemen, dient der dritte Teil. Wie der zweite Teil all die Bestandteile aus der Kantischen Philosophie sammelt und disponiert, die zum Problem gehören, so sucht und ordnet der dritte Teil all die Lehrstücke der nachkantischen Philosophie, die in der Folge des Kantischen Entwurfes liegen, und Neues hinzubringen zu dem, was Kant uns gegeben hat. Soviel von der äusseren Form meiner Arbeit. Über ihre systematische Stellung zur Philosophie unserer Tage habe ich in der Vorrede des Buches in der Form Rechenschaft gegeben, dass ich das Werden meiner eigenen erkenntniskritischen Überzeugungen am Objektivitätsproblem geschildert habe. Da ich das Resultat dieser Entwickelung, die ich in den terminologischen, und zum Teil auch in den gedanklichen Formen der Lehre Rickerts begonnen habe, und die mich dann, an entscheidenden Punkten, sehr weit ab von der Lehre Rickerts, in die Nähe von Husserl-Cantor-Frege geführt hat, mit neuen Worten nicht besser zu sagen wüsste, so setze ich die betreffende Stelle des Vorwortes in entsprechender Anpassung hier noch einmal hin.

Meine erkenntniskritischen Studien in der Philosophie der Gegenwart hatten anfänglich nur den Zweck, meine, an Kant gebildeten logischen Überzeugungen zu den Denkgewohnheiten und der Sprache der heutigen Logiker in ein Verhältnis zu setzen. In dieser Absicht übersetzte ich Kant zunächst in die Ausdrucksformen, die die Philosophie Rickerts mir darbot. Rickert teilt die möglichen Begriffsbildungen überhaupt in individualisierende und generalisierende ein. Die Begründung dieser Einteilung liegt darin, dass jede Begriffsbildung eine ursprüngliche Stellungnahme des Geistes zum vorwissenschaftlichen Erleben ausprägt. Die generalisierende Begriffsbildung geht auf die extensive und intensive Überwindung der Mannigfaltigkeit des unmittelbaren Erlebens und seiner Form, der Individualität aus, wohingegen die individualisierende Begriffsbildung diese Form des primären Erlebens nicht verletzt, sondern nach gänzlich anderen Prinzipien unter ihren zahllosen Verwirklichungen auswählt. Eine Anwendung dieser Gedanken auf Kant zeigte diesen zunächst als den Theoretiker der generalisierenden Begriffsbildung. Gleichzeitig hiermit aber fiel mir ein merkwürdiger Umstand auf. Ich bemerkte, dass die grossen Kantischen Kritiken, von der Kritik der reinen Vernunft bis zur Kritik der Urteilskraft, immer stärker auf eine individualisierende Begriffsbildung konvergieren. Hiermit verband sich die Erinnerung an die Rickertsche Konstruktion einer Stufenfolge der generalisierenden Wissenschaften, die immer mehr Individuelles ausschalten, um schliesslich in einer höchsten generalisierenden Wissenschaft, der „Letzten Naturwissenschaft", nur noch allgemeine Beziehungen und Beziehungsgesetze zu bewahren. Es war mir nicht zweifelhaft, in dieser letzten Naturwissenschaft die Wissenschaft vor mir zu haben, deren Theorie Kant in der Kritik der reinen Vernunft hatte geben wollen, als er den Gegenstand in lauter Beziehungen auflöste. Dagegen wolle eine weitere Übertragung der Rickertschen Wissenschaftsfolge, die kontinuierlich mehr und mehr Individualität anzieht, auf die ähnliche Konvergenz der Kantischen Kritiken deshalb nie recht stimmen, weil diese mir eine sprungweise zu sein schien. Der theoretische Teil der Kritik der Urteilskraft besonders schien mir der Kritik der reinen Vernunft gegenüber nicht nur eine Ergänzung, sondern auch eine Neuerung zu sein. Das kritische Postulat, den Gegenstand der Erfahrung in allen Hinsichten zu objektivieren, gab wohl eine Erklärung für das Konkreterwerden der Kritik der Urteilskraft, aber keine für gewisse fundamentale Neuerungen in ihr.

Ich hatte immer ein dunkles Gefühl, als ob der schwierige § 76 der Kritik der Urteilskraft den rechnerischen Schlüssel des fraglichen Sprunges von der rein generalisierenden Begriffsbildung der Kritik der reinen Vernunft zu der anders generalisierenden Begriffsbildung der Kritik der Urteilskraft enthalte. In diesem Gefühl wendete ich besonders eine Stelle hin und her, ohne sie mir doch recht nutzbar machen zu können. Sie heisst: „Der Begriff der Zweckmässigkeit der Natur in ihren Produkten wird ein für die menschliche Urteilskraft in Ansehung der Natur notwendiger, aber nicht die Bestimmung der Objekte selbst angehender Begriff sein, also ein subjektives Prinzip der Vernunft für die Urteilskraft, welches als regulativ (nicht konstitutiv) für unsere menschliche Urteilskraft ebenso notwendig gilt, als ob es ein objektives Prinzip wäre." Über die Paradoxie dieser Stelle, dass ein Prinzip notwendig für die Urteilskraft gelten solle, ohne doch ein Objekt zu bestimmen, und dass mithin umgekehrt die Bestimmung des Objektes nicht von allen Denknotwendigkeiten der menschlichen Vernunft abhange, kam ich nicht hinweg, bis mir Husserls „Logische Untersuchungen" in die Hände fielen. Hier fand ich eine Einteilung der Wissenschaften in solche, die eine wesentliche, und solche, die eine ausserwesentliche Einheit haben. Die ersten nennt Husserl die theoretischen oder nomologischen Wissenschaften; sie gelten nur auf Grund ihrer inhaltlichen Zusammenhänge, und sind deshalb vollkommen unabhängig vom Denken der Gattung Mensch. Den

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