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streitende, bezw. aufhebende Zwecke wollen kann, und zweitens, dass wer den Zweck will, auch die dazu unumgänglich notwendigen Mittel wollen muss.

Diese beiden Sätze besagen im Grunde nichts weiter als was wir mit "Wollen" eigentlich meinen nämlich das Wollen der Handlung, der Verwirklichung eines Ziels. Sowohl durch das gleichzeitige Wollen eines widersprechenden Zwecks wie durch das Nichtwollen der notwendigen Mittel wird das Wollen in sich aufgehoben, d. h. es kommt zu keinem wirklichen „Wollen".

So kann man auch das logische Grundgesetz, den Satz der Identität und des Widerspruchs als Willensgesetz auffassen. Er bezieht sich zunächst auf den Willen, mit einem bestimmten Denkinhalt (dessen Merkmale a b c, dessen Bezeichnung A sei) zu operieren. Es besagt, dass dieser Wille in sich schliesst, dass dieser bestimmte Denkinhalt konstant festgehalten und von allen andern unterschieden werde. Dieser Wille würde also aufgehoben, wenn ich im Verlauf des Denkens unter A nicht mehr a b c, sondern etwa a b d fasste, oder wenn ich a b c nicht mehr mit A, sondern mit B bezeichnete. Analoges gilt, wenn ich den Satz der Identität auf die Gegenstände des Denkens beziehe. Er besagt alsdann, was der Wille, einen bestimmten Gegenstand im Denken zu meinen, in sich schliesst.

Unsere Erwägungen haben uns so schon über das Gebiet der Ethik hinaus auf das Gebiet der Logik geführt. Aber das Problem des Wollens und damit auch des Wertes erstreckt sich noch weiter: vor allem kommt es auch noch für Religionsphilosophie und Ästhetik in Betracht.

Auch die Darsteller dieser beiden Gebiete haben nicht unterlassen, dazu Stellung zu nehmen. Sie äussern sich nun wesentlich skeptischer über die Erkennbarkeit eines allgemeingültigen Wertmassstabes wie Bauch. Troeltsch sieht in der Religion ein Gesetz der Gestaltung, das aus dem Wesen des Bewusstseins hervorgeht und dessen Erkenntniswert oder Wahrheitsgehalt lediglich durch Zurückführung auf ein solches Gesetz des Bewusstseins sichergestellt werden kann. Er macht nun aber das bedeutsame Zugeständnis, es gebe hier keine weitere erkenntnistheoretische Sicherung als den „Glauben" an die Normalität und die sinnvolle Organisation unseres Bewusstseins, das uns nicht zum Opfer einer Prellerei werden lasse, aber dieser Glaube selbst sei vielleicht nur ein Reflex der Religion".

Am schärfsten geht Groos der Voraussetzung, ein allgemeingültiger Wertmassstab sei erkennbar, zu Leibe. Er gelangt dabei zu dem m. E. richtigen Ergebnis, dass der kritische Philosoph, falls er wirklich kritisch ist, nicht erkennend über ein letztes „Wenn" hinauskommt“.1)

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Wir waren davon ausgegangen, dass die Wissenschaften, welche die vorhandene Wirklichkeit erkennen wollen es sind die Natur- und Geisteswissenschaften und die Metaphysik, welche beide Gruppen zu einer

1) Ich verweise auch auf die näheren Ausführungen über diese Frage bei Külpe, a. a. O. S. 49, 84, 96 . . 228 ff. und in meinem Buche über Kants Ethik" (Leipzig 1904) S. 217 f.

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424 A. Messer, Die Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts.

in sich übereinstimmenden Welterkenntnis zusammenschliessen sucht dass also diese Realwissenschaften, die sich einer Thatsächlichkeit gegenüber empirisch forschend verhalten, keinen Bescheid zu geben wissen über den Wert dieses Thatsächlichen, und dass sie uns darum auch keine Norm an die Hand geben, wie wir uns in unserem Wollen und Handeln dazu stellen sollen. So ergab sich das Bedürfnis nach einer allgemeinen Werttheorie. Aber die Voraussetzung, dass diese einen allgemeingültigen Wertmassstab auf dem Wege der Erkenntnis feststellen könne, hat sich nicht bewährt. Zwar können an die einzelnen theoretischen Disziplinen mit Rücksicht auf das Orientierungsbedürfnis der wertschätzenden und wollenden Menschen kritische bezw. normative Disziplinen angeschlossen werden, welche die theoretischen Einsichten entsprechend umformen, aber alle „Normen“, die sie aufstellen, werden hypothetisch bleiben: sie lassen sich theoretisch nur begründen, wenn gewisse grundlegende Werturteile als gültig zugestanden sind.

Für solche grundlegenden Wertschätzungen aber muss sich der Einzelne in praktischer Stellungnahme selbst entscheiden. Damit aber geht er auch hinaus über das rein erkennende Verhalten, er bethätigt sich praktisch. Und dies thut er auch, wenn er die Werte, für die er sich entschieden, als die absolut geltenden anerkennt und ihre Anerkennung auch von anderen fordert. Alles „Absolute" wird nicht durch theoretische Erkenntnis erreicht, sondern es wird zu erfassen gesucht in einem praktischen Glauben, das im Wollen gründet.

Redaktionelle Anmerkung. Soweit sie innerhalb der Grenzen des philosophischen Kritizismus liegt und diesen angeht, behalte ich mir vor, auf die Kritik des vorstehenden Referates bei späterer Gelegenheit zwecks Auseinandersetzung in einigen prinzipiellen Fragen zurückzukommen.

Bauch.

Eine französische Huldigung an Kant.

Von W. Reinecke.

I.

Zur hundertsten Wiederkehr des Todestages Kants hat auch die „Revue de métaphysique et de morale" ein würdiges Festheft erscheinen lassen. Dasselbe enthält eine Anzahl Aufsätze über Kant und seine Philosophie in übersichtlicher Anordnung und ist mit einem Bilde des Philosophen geschmückt. Unter den Mitarbeitern fehlen auch deutsche Namen nicht, z. B. finden wir hier Riehl, dessen Abhandlung Helmholtz und Kant" wir schon aus dem Festheft der „Kantstudien" kennen.

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Die Reihe der Beiträge eröffnen Natorp und Paulsen mit Aufsätzen zum Andenken Kants. Es folgt ein erkenntniskritischer Teil, auf den ich zuerst eingehen werde. Über die praktische Philosophie Kants schreiben A. Fouillée (Kant a-t-il établi l'existence du devoir?), E Boutroux (La morale de Kant et le temps présent), Th. Ruyssen (Kant est-il pessimiste?), über die Kritik der Urteilskraft V. Delbos (Les harmonies de la pensée kantienne d'après la Critique de la faculté de juger). Neben Riehls vergleichender Darstellung finden wir eine Untersuchung „Kant et Swedenborg" von H. Delacoix und zum Schluss „La critique des catégories kantiennes chez Charles Renouvier" von D. Parodi.

Wenden wir uns zu dem erkenntnistheoretischen Teil! Hierher gehören zunächst drei Aufsätze, welche insbesondere die Philosophie der Mathematik zum Gegenstande haben, welche zugleich allerdings wegen der Bedeutung der mathematischen Wissenschaft für Kants Kritik manches Problem mit den anderen erkenntnistheoretischen Aufsätzen gemeinsam haben.

Ich beginne mit C. Cantoni „L'apriorité de l'espace".

In diesem Aufsatze wird Kants Lehre von der Apriorität des Raumes betreffs ihrer psychologischen Grundlagen geprüft. Das Urteil lautet recht günstig für Kant. C. unterscheidet drei Hauptsätze der Lehre: 1. Der Raum ist a priori, 2. er ist formal, 3. er ist subjektiv, und nur bei dem dritten hält er eine grössere Berichtigung für nötig. Dass Kant eigentlich eine Kritik der Erkenntnis schreiben wollte und beflissen war, sich von jeder psychologischen Theorie fern zu halten, wird ihm zugegeben. Ja, sagt C., er hätte damals nicht ahnen können, dass sich die Psychologie überhaupt zur Wissenschaft ausgestalten werde. Und doch ich möchte 28

Kantstudien XI.

sagen, infolge dessen hat er sie, besonders in den Benennungen, nicht ganz gemieden.

Kant setzt als Bedingung jeder wahren Erkenntnis voraus, dass sie auf allgemeinen und notwendigen Grundlagen beruhe. Sie muss also auf die Dinge anwendbar sein, denn allgemein und notwendig ist gleichbedeutend mit dinglicher Giltigkeit. Daraus schliesst C., Mathematik sei nur in Verbindung mit der Naturwissenschaft ein Erkenntnissystem im strengen Sinne. Das bezweifle ich; nach meiner Ansicht verhält es sich gerade umgekehrt: die Physik verdankt ihre Strenge zum grossen Teile der mathematischen Form. Zur dinglichen Giltigkeit gehört nicht die Existenz dieser Dinge; alle geometrischen Gebilde sind daher mindestens ebensogut wie Objekte der Physik als mögliche Gegenstände der Erfahrung auch Gegenstände der Erkenntnis im strengen Sinne.

Infolge ihrer allgemeinen Giltigkeit können derartige Erkenntnisse nach Kant nicht aus der Erfahrung entnommen sein, sie sind a priori. C. bemängelt, dass Kant zu seinem Schaden nicht psychologisches und logisches a priori unterschieden habe, wodurch die Beweisführung namentlich im ersten und dritten Punkte gelitten habe. Er giebt folgende Definitionen:

Psychologisch a priori sind die Urteile über Vorstellungen, die wir nicht auf sinnliche Erfahrung stützen; also Ergebnisse der blossen Überlegung, Einfälle, Vorurteile.

Logisch a priori ist dagegen eine Erkenntnis, sobald man ihre Wahrheit unabhängig von Erfahrungsthatsachen beweisen kann, ganz abgesehen von dem psychologischen oder historischen Ursprung.

Psychologisch a posteriori ist eine Erkenntnis, welche durch Erfahrung erworben wurde oder durch Erfahrung zu beweisen ist.

Logisch a posteriori ist eine Erkenntnis, die wir durch Versuch oder Beobachtung beweisen müssen.

Es ist sehr wohl möglich, dass eine Erkenntnis logisch a priori und psychologisch a posteriori oder logisch a posteriori und psychologisch a priori sei.

Auf Grund dieser Unterscheidung sucht C. zu beweisen, dass eine Kritik Kants ohne Rücksicht auf die Psychologie unmöglich sei. Erstens müsse jede Erkenntnislehre mit der Psychologie übereinkommen, zweitens habe Kant thatsächlich, wenn auch unwillkürlich, die Grenze zwischen beiden Gebieten überschritten; er habe nicht nur die logische, sondern auch die psychologische Apriorität des Raumes behauptet.

C. schält aus der Kantischen Lehre folgende psychologischen Annahmen über den Erkenntnisprozess heraus: Sinneseindrücke sind das dem Bewusstsein Gegebene, ein Inhalt ohne Form. Eine Funktion des Geistes bildet dazu den Raum und giebt den Sinneseindrücken Beziehung auf einen Gegenstand. So kommen wir zur Vorstellung von Dingen in einem endlosen Raume. Sinneseindruck und Anschauung sind demnach verschieden, obwohl beide bewusste Auffassungen sind. Jene haben allein ein Subjekt, diese auch ein Objekt.

Mit Hilfe dieser psychologischen Ergebnisse erfolgt die Lösung der Frage nach der Möglichkeit der mathematischen Lehren folgendermassen:

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Die Raumanschauung taucht von selbst in uns auf, da unser Geist sie gleichsam aus sich selbst herausspinnt. Wir vermögen uns allerlei Konstruktionen vorzustellen und so das Reich der Geometrie zu schaffen. Da nun diese Raumvorstellung sich stets gleich bleibt, wie das Subjekt, das sie bildet, so war es also für Kant nicht schwer, die Apriorität der Mathematik zu beweisen.

Eine zweite Frage ist die nach der Anwendbarkeit der Mathematik, und diese hat Kant nach Cantonis Ansicht nicht gut gelöst. C. giebt der Frage folgende Form: Wie ist eine Vereinigung des subjektiven Raumes mit den gegebenen Empfindungen zur anschaulichen Wirklichkeit möglich? Kant habe zwar die praestabilierte Harmonie vermieden, indem er die räumliche Form der Erscheinung durch das Subjekt beschreiben lässt, aber die räumlichen Bestimmungen der Körper seien von der blossen Grenzbeschreibung verschieden. Alles deute darauf hin, dass sie uns gegeben sind. Andererseits sei es unbegreiflich, dass eine Empfindungsreihe in räumliche Formen eingehe, wenn das Räumliche nicht ihr Wesen ist.

Im Anschluss an die Definition psychologischer Begriffe, welche wir im Anfange der transscendentalen Logik finden, sucht C. das Verhältnis zwischen der Empfindung und dem Gegenstande der Erkenntnis näher festzustellen. Nach Kant ist die Empfindung eine Modifikation des Subjekts. Die Verdinglichung ist Sache des Verstandes und seiner Kategorieen. Da also Raum und Empfindung beide subjektiv sind, scheint eine Verknüpfung beider leicht. Und doch geht es nicht. Form und Inhalt haben nach Kant ganz verschiedenen Charakter. Jener Weg ist der Fichtes, aber nicht der Kants.

Es ist etwas Eigenartiges, meint C., diese Empfindungen nach Kant: Rein subjektiv, ohne Form und Gegenstand. Und dennoch haben sie einen Inhalt, das Material für die Anschauungen. Woher stammt derselbe? Weder aus dem Subjekte, antwortet C., da es ihm passiv gegenübersteht, noch aus den Erscheinungen, denn das gäbe einen Zirkel, noch endlich aus den Dingen an sich, denn von diesen wissen wir nichts. Kant mag sich durch die Erklärung helfen, dass sie die Wirkung der Dinge an sich auf unsere Sinne sind, dass dieser letzte Grund unserer Erkenntnis unerforschlich ist, seine psychologischen Lehren sind doch recht unsicher

und für diese Erkenntnisprobleme unzureichend.

Um nun den Widerspruch im Begriff der Empfindung zu heben, hält es C. für notwendig, sich auf den Standpunkt der modernen Psychologie zu stellen. Er behauptet gerade im Gegensatz zu Kant, dass alle seelischen Vorgänge von vornherein ein Objekt haben, auf das sie sich in mannigfaltiger Weise beziehen können. Daneben sollen die Empfindungen u. s. w. auch eine Modifikation des Subjekts sein. Empfindung und Anschauung unterscheiden sich nur dem Grade nach, indem man als Anschauungen die Empfindungen des Gesichts und Gehörs bezeichnet. Zum Unterschiede von Gefühlen und Wollungen kann man sagen, dass uns durch Wahrnehmung Gegenstände gegeben sind.

Die Raumsinne sind allein Gesicht und Tastsinn. Unsere Dingvorstellungen sind meist optische, in den Gesichtsraum verlegen wir auch den Gegenstand aller andern Empfindungen. So werden sie insgesamt An

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