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Dass ich, wie du, dem Bruder zurufe, handle vernünftig!
„Raubte man alles auch dir, so lass dich von allem berauben,
Und empören sich tausend, so lass zehntausend empören,
Und zertrümmert die Erde, so lass die Erde zertrümmern,
Bleibt die Vernunft nicht Vernunft, und du nicht vernünftiges Wesen?
O so bewahre die Würde der Menschheit, handle vernünftig!
Handle vernünftig, denn noch vermagst du es, säume nicht, wag' es!"

VI.

Handlungsweisen der Spontaneität

bei

Verstand und Vernunft.

O höchste Einheit! wie sich die Sterne nach
Der Schwester sehnen, welche im Osten glüht,
Und hielt sie nicht die Hand des Schicksals,
Sich an den strahlenden Busen stürzen:
So wie die Flut beim silbernen Blick des Mond's
Begierig aufbraust und ihn umarmte, wär'
Es ihr vergönnt; so sehnt sich nach dir

Feurigen Durstes des Wesens Denkkraft.

Wie strebt der kühne Schwung der Selbstthätigkeit
Nach deinem Gipfel? und wenn ihr Flügelschlag
Zum zweitenmal tönt, *) berührt sie

Kaum den gigantischen Fuss und schwebet
Schon wieder höher; doch auf der Stätte, wo
Ihr Fittig streifte, steht der Verstand und wirkt
Nach ihrem Winke, hält die Flucht der
Schnellen Anschauungen auf, sie stehen
Und Riesenschädel heben sich aus dem Staub
Und sind Begriffe, aber doch überragt

Die objektive Einheit alle,

Wie die Gesträuche ein stolzer Eichbaum.

*) Dies geschieht bei Erzeugung der Begriffe. Ich sagte vorsätzlich nichts von der Entstehung der Anschauungen, obschon diese auch die erste Kraftäusserung der Selbstthätigkeit des Vorstellungsvermögens erfordert, indem von der Sinnlichkeit und ihren Formen schon in der Ode über Zeit und Raum gesprochen ward, und hier nur die Formen des Verstandes und der Vernunft in Betrachtung kommen.

Wagt sie zur Felsenstirne den Heldenflug?
Sie wagt's: zum drittenmale erhebt sie sich

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Wie schön! wie prächtig! - sie erschwingt ihn,
Und auf dem wolkigen Schosse lässt sie

Sich nieder: schrankenlose Verknüpfung reicht
Ihr beide Hände, und Allbefassung steht")
Mit ausgestreckten Armen und mit
Forschendem Blicke zu ihrer Seite.
Schon wandelt Grenzenlosigkeit kettenfrei
Umher, und unbedingte Notwendigkeit
Tritt vor sie hin, dass von dem erznen
Schritte der Nachhall der Sphären zittert.

In ihrer Mitte ruht sie so heiter, wie
Der junge Frühling auf der beblümten Au,
So sanft, wie über stiller Flur der

Sinkende Abend des Wonnemonats:
Und ihr Blick steigt wie ein Meteoron auf
Nach einem bessern Lande, um mächtiger
Sich dort dem grossen Ideale

Eine Unsterblichkeit lang zu nähern.

b) Die wesentlichen Merkmale der durch unbedingte Verknüpfung der beiden ersten Kategorien nach allen vier Momenten gedachten und in der Form des Vernunftschlusses a priori bestimmten unbedingten Einheit, nämlich Totalität, unbedingte Limitation, unbedingte Konkurrenz und unbedingte Notwendigkeit.

Die logischen Grundlagen des Hegelschen Systems

und das Ende der Geschichte.

Von M. Rubinstein.

Inhaltsverzeichnis. Vorwort. I. Das System (Ursprung, der absolute Geist, die dialektische Methode, die Terminologie, kurze Rekapitulation des Systems). II. Die Feststellung des Problems. III. Die logischen Grundlagen des Systems. 1. Hegels Philosophie und ihr Erkenntnisziel. 2. Der absolute Geist als die absolute Idee (Begriff der absoluten Idee, das Prinzip der Entwicklung, das Prinzip der Vermittlung, die dialektische Methode, das Prinzip der Evolution, das System der seienden Werte, das Prinzip ihrer Erhaltung und unendlichen Bereicherung, das Prinzip des dialektischen Fortschritts, die Wertindividualität und die Werttotalität). 3. Der absolute Geist als Vernunft. 4. Die vernünftige Wirklichkeit. 5. Die wahre Unendlichkeit. IV. Die Hegelsche Geschichtsauffassung (der Begriff der Freiheit, die Definition der Geschichte und ihre Prinzipien). V. Die logischen Grundlagen des Systems und das Ende der Geschichte (der Begriff der absoluten Idee und das Ende der Geschichte, die dialektische Methode und das Ende der Geschichte, der Begriff des Konkreten und das Ende der Geschichte, das Prinzip der unend. lichen Wertbereicherung und das Ende der Geschichte, der Begriff des Geistes und das Ende der Geschichte). VI. Die Hegelsche Geschichtsauffassung und das Ende der Geschichte (die Definition der Geschichte und ihr Ende, der Begriff der Freiheit und das Ende der Geschichte, die Prinzipien der Geschichte und das Ende der Geschichte). VII. Hegel und der absolute Standpunkt (der Antagonismus zwischen dem absoluten und dem menschlicen Standpunkt). Schluss.

-

Vorwort.

Wenn auch das Interesse für die Hegelsche Philosophie sichtlich wieder im Steigen begriffen ist, so wird man doch auch jetzt noch beobachten können, dass ein gewisses ängstliches Misstrauen gegen dieses System, eines der grossartigsten, die der deutsche Idealismus hervorgebracht hat, nicht nur in weiten Laienkreisen, sondern auch teilweise in den Kreisen der Fachphilosophen,

herrscht. Solche Systeme können nie so spurlos aus der weiteren Entwicklung des menschlichen Denkens verschwinden, wie es vielleicht auf den ersten Blick gerade in Bezug auf die Hegelsche Philosophie scheinen mag. Ein aufmerksamer Beobachter wird, auch wenn er von der dialektischen Methode und dem Sozialismus absieht, Hegels Einfluss gelegentlich auf Gebieten konstatieren können, wo man von ihm selbst noch gar keine Ahnung hat. Ferner lässt sich ohne Übertreibung behaupten, dass das System noch nicht in allen seinen Teilen der strengen objektiv-philosophiegeschichtlichen Kritik unterworfen worden ist. In diesem Sinne ist das Hegelsche System noch nicht „aufgehoben", es gehört noch nicht ganz der Geschichte der Philosophie an. Der grösste Teil der vorhandenen Litteratur entstand im leidenschaftlichen Kampfe für oder gegen dieses System, während andere Werke die Hegelsche Philosophie nur im Ganzen behandeln und nicht genügenden Aufschluss über die einzelnen Probleme bieten. Dass aber die Hegelsche Philosophie an solchen nicht genügend berücksichtigten Problemen überaus reich ist, liesse sich wohl beweisen.

Wir wollen hier eine Frage aufwerfen, vor welche sich wohl jeder, der Hegels Geschichtsphilosophie zu Ende las, gestellt sehen musste. Diese Frage betrifft das Ende der Geschichte, so wie es in der Hegelschen Geschichtsphilosophie gegeben ist, in seinem Verhältnis sowohl zu den Grundlagen des ganzen Systems als auch zu den Grundprinzipien der Geschichtsauffassung selbst. Gerade dies Problem gehört zu den am wenigsten erörterten und aufgeklärten Teilen der Hegelschen Philosophie. Mir gelang es wenigstens nicht ein einziges Werk zu finden, das diesem Problem ausschliesslich gewidmet wäre. Dies mag zur Rechtfertigung dieser Arbeit dienen.

Da es sich hier vielfach um eine Beweisführung aus dem Hegelschen Werke heraus handelte, war ich genötigt, zu gedehntem Zitieren der Originalwerke zu greifen, wie es in einer philosophiegeschichtlichen Arbeit schwer zu vermeiden ist. Ich zitiere die erste Auflage der Gesamtwerke (1832-1840), mit Ausnahme der Philosophie der Geschichte, die mir in der 2. Auflage (1840) vorlag.

I. Das System.

Versuchen wir zuerst, uns das Hegelsche System nach seinem Ursprung und seinen allgemeinen Zügen in Erinnerung zu bringen.

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Hegels Philosophie ist aus dem Boden der Kantischen Schule emporgewachsen. Die Kritik der reinen Vernunft zeigte, dass es die Formen des Verstandes sind, die uns die Erkenntnis ermöglichen. Alles, was wir erkennen, muss sich diesen Formen, den Kategorien unterwerfen. Sie begründen die objektive Erkenntnis durch ihre Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit, und die Vernunft, welche die Synthesis in den Erfahrungsurteilen durch die Anwendung der Kategorien vollzieht, erscheint so als der eigentliche Gesetzgeber" der Natur. Wir können demnach nur das erkennen, was wir selbst geschaffen" haben; wir sind nicht im Stande, die Gegenstände zu schaffen, wohl aber die Vorstellungen vermöge unserer Sinnlichkeit, welche von Kant als „Vermögen affiziert zu werden" definiert wurde. Auf diese Weise entstand die Frage nach dem, was uns affiziert, also nach dem Dinge an sich. Es erschien als Grenzbegriff unserer Erkenntnis, weil wir nur unsere Vorstellungen, also die Welt der Erscheinungen, nicht die Welt der Dinge an sich erkennen können. Somit war zwischen Subjekt und Objekt eine unüberbrückbare Kluft geschaffen.

Der Begriff des Dinges an sich war aber widerspruchsvoll, weil die Dingheit und Realität Kategorien waren, die nur auf Erscheinungen angewendet werden durften. An diesen Punkt knüpfte die spätere Philosophie an.1)

Zunächst war es Fichte, der dem Begriff des Dinges an sich jeden Sinn absprach, indem er zeigte, dass das Objekt nichts anderes als Produkt der Reflexion, der Beziehung des Subjektes

1) S. Windelband, Gesch, d. Philos. 2. Aufl. S. 463,

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