Page images
PDF
EPUB

378 A. Tumarkin, Zur transscend. Methode der Kantischen Ästhetik.

[ocr errors]
[ocr errors]

Andere in unsere Selbstwertung einstimmen; und nicht zufrieden damit, die Möglichkeit eines ästhetischen Urteils überhaupt eingesehen zu haben, das als für jedermann gültig betrachtet werden könnte" was auf transscendentalem Wege allein erklärt werden konnte (S. 59, 87, 89 f.) wünschen wir, dass unsere jeweilige Beurteilung auch in dem einzelnen gegebenen Fall von allen Anderen anerkannt werde, wir wünschen, dass ihr auch wirkliche objektive Gültigkeit zukäme. Und je weniger der Eigentümlichkeit des ästhetischen Verhaltens bewusst, je naiver wir uns der Betrachtung hingeben, desto leichter tritt an die Stelle der subjektiven, ideellen Beurteilung, „als ob es eine Beschaffenheit des Gegenstandes wäre", die objektive reale Beurteilung: „es ist eine Beschaffenheit des Gegenstandes".

Ein neues Buch über Fichte.')

Von R. Eucken.

Medicus bringt uns ein frisch, gewandt und aus warmer Überzeugung geschriebenes Buch über Fichte, das man zur Kenntnisnahme und Schätzung nur empfehlen kann; seine Art, mit fortlaufender Schilderung Leben und Lehre des Mannes in ein Bild zusammenzufassen, ist besonders bei dieser Persönlichkeit angebracht und trägt dazu bei, den Mann im Ganzen seiner Art deutlich vor Augen zu stellen. Das Buch hat dabei die volle Frische der Vorlesungen gewahrt, ohne dem Gehalt der Sache irgend etwas zu vergeben. Der Verfasser will über seinen Helden nicht nur gewissenhaft berichten, er will auch für ihn gewinnen, und das kann nur geschehen, wenn er den Kern seiner Gedankenwelt mit aller Energie heraushebt und scharf von allem scheidet, was blosse Ausführung oder Zuthat scheinen mag. Darin liegt ohne Zweifel die Gefahr einer zu subjektiven, vielleicht auch zu summarischen Behandlung, bei verschiedenen Punkten wird sich im Urteil abweichen lassen. Aber schwerer als diese Gefahr wiegt der Gewinn einer freudigen Erfassung und völligen seelischen Durchdringung des Gegenstandes, es geht ein jugendfrischer Zug durch das Ganze und belebt den nicht selten recht spröden Stoff. Auch verhält sich der Verfasser zu seinem Helden keineswegs nur bewundernd, er scheidet Bedeutendes und minder Bedeutendes, er ist nicht blind für Schwächen. Aber er urteilt nicht sowohl von aussen her als aus der Seele der Fichteschen Gedankenwelt heraus; so kann selbst eine gelegentliche Abweichung den Eindruck des Ganzen verstärken.

1) J. G. Fichte, Dreizehn Vorlesungen, gehalten an der Universität Halle von Fritz Medicus. Berlin, Verlag von Reuther & Reichard. 1905. (VIII, 269.)

Mit Recht stellt der Verfasser die Wissenschaftslehre in den Vordergrund, und mit gleichem Rechte bekämpft er eine Überschätzung der Ausdrücke ihrer ersten Fassung, bekämpft er zugleich die Neigung, Fichte auf bestimmte Formeln festzulegen, da er doch seine Grundgedanken unermüdlich in immer neue Formen goss. Aber diese Schätzung der Wissenschaftslehre lässt anderes zu sehr in den Hintergrund treten. So namentlich das System der Sittenlehre von 1798. Herbart nannte es Fichtes „reifstes und eigenstes Werk", und ähnlich dachte darüber Fichtes Sohn; dass auch Fichte selbst es nicht gering anschlug, darauf deutet die Sorgfalt der Ausarbeitung, die sich in gleicher Weise in keinem anderen seiner Werke findet; sollte demgegenüber der Verfasser im Recht sein, wenn er die Sittenlehre von 1798 für nicht sehr original erklärt und hinzufügt es wäre nur wenig übertrieben, wenn man sagen wollte: entweder stammen ihre Gedanken aus Kant, oder Fichte selbst hat sie schon in seinen vorherigen Schriften ausgesprochen."? Wir müssen uns zu einer anderen Meinung darüber bekennen, ohne diese freilich hier begründen zu können. Lässt diese Zurücksetzung eines Hauptwerkes Fichtes nicht vermuten, dass vielleicht doch mit der hier vollzogenen Konzentration auf die Wissenschaftslehre seine Philosophie in einen zu engen Rahmen gespannt wird?

[ocr errors]

Natürlich beschäftigt der Verfasser sich auch mit dem Problem, wie weit in Fichtes Denken eine Entwickelung und Wandlung stattgefunden habe. Ohne eine Veränderung zu leugnen, neigt er sich zur Annahme einer überwiegenden Kontinuität, er meint in der sogenannten zweiten Periode treten Probleme in den Vordergrund des Interesses, die vorher kaum angedeutet waren. Dadurch bekommen die späteren Schriften einen abweichenden Charakter. Aber diese neuen Probleme sind nicht durchaus neu, sie wachsen in legitimer Entwickelung aus der ursprünglichen Konzeption der Wissenschaftslehre hervor, und sie sind weit entfernt, die alten Darlegungen aufzuheben." Die nähere Behandlung dieser Fragen führt notwendig auf das Verhältnis von Fichte zu Schelling; wer über die Verschiebungen bei Fichte anders denkt als der Verfasser, wird auch bei dieser Frage von ihm abweichen müssen, er wird einen stärkeren Einfluss Schellings auf Fichte anzunehmen geneigt sein.

Indes lässt sich unmöglich hier in eine Erörterung dieser Fragen eintreten, deren Lösung nicht nur von urkundlichen

Forschungen, sondern auch von prinzipiellen Überzeugungen abhängt. Das aber möchten wir sagen, dass auch derjenige, der in diesen Punkten vom Verfasser abweicht, sein Buch in vollen Ehren halten kann. Es wird durchweg getragen von einem grossen Ernst des Wahrheitsstrebens, von einer mannhaften, offenen und ehrlichen Gesinnung; seine Schilderung ist von lebendiger Anschaulichkeit, seine Darstellung flüssig und auch bei den schwereren Fragen wohlverständlich; für das eigene Studium Fichtes werden nützliche Winke geboten; kurz, das Werk ist eine vortreffliche Einführung in die Gedankenwelt eines Denkers, über dessen Bedeutung für die philosophische Arbeit der Gegenwart sich streiten lässt, dessen gesamtes Wirken und Sein aber zu den bleibenden Schätzen unseres Volkes, ja der Menschheit gehört.

Kants Auffassung von der Bibel.

Von Dr. Ernst Sänger.

Die vorkritischen, kritischen und nachgelassenen Schriften des Königsberger Weisen sind ein lebendiges Zeugnis seiner genauen Bibelkenntnis. Die Heranziehung von etwa 300 Bibelstellen lässt sich bei ihm nachweisen. Man kann mit Sicherheit annehmen, dass Kant sich schon in früher Jugend eingehend mit dem Bibelstudium befasst hat. Seine Eltern waren treue Pietisten und werden ihn zum eifrigen Bibellesen angehalten haben. Mit dem Pietismus und zwar mit dem Königsberger Pietismus, dessen spezifisches Charakteristikum die „Vereinigung des Pietismus [Inhalt] und des Wolffischen Rationalismus [Form]" war, ist Kant auch ausserhalb des Elternhauses in engste Berührung gekommen. Ich begnüge mich hier damit, auf die trefflichen Untersuchungen von G. Hollmann (Prolegomena zur Genesis der Religionsphilosophie Kants, Separat-Abdruck aus der Altpreuss. Monatsschr., Bd. XXXVI, Heft 1 u. 2) zu verweisen.

Weil also Kant von Jugend auf mit der „Heiligen Schrift“ gut bekannt, und weil seine Philosophie von massgebendem Einfluss auf die Philosophie und Theologie gerade unserer Zeit ist, dürfte es von grossem Interesse sein, zu sehen, wie der geistesgewaltige Denker über die Bibel urteilt. Nun sind allerdings Kants Äusserungen über die Bibel schon von C. W. v. Kügelgen in seiner Schrift Immanuel Kants Auffassung von der Bibel und seine Auslegung derselben" (Leipzig, A. Deichert, 1896, 96 Seiten) zusammengestellt worden, wenn auch ohne selbständige und scharfe Heraushebung der Kantischen Gedanken. Doch lässt sich diese Schrift seit dem Erscheinen des dritten Heftes der „Losen Blätter aus Kants Nachlass" (herausg. von Rudolf Reicke, Königsberg i. Pr., F. Beyer, 1898) wesentlich ergänzen, und das soll die Aufgabe der folgenden Zeilen sein.

Jenes dritte Heft der „Losen Blätter" enthält nämlich unter den Vorarbeiten zum Streit der Fakultäten eine ganze Reihe von Urteilen Kants über die Bibel als Ganzes, von denen bemerkenswerter Weise nur verschwindend wenige in der späteren Fassung im Streit der Fakultäten wiederkehren. Ich ordne diese auf verschiedene Blätter zerstreuten Äusserungen in solche

« PreviousContinue »