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Ehre gemacht hätte. Der Herausgeber des Briefes fasst dies so zusammen: „Das Ganze ist das Beste und alles ist um dieses Ganzen willen gut. Der Wert des einzelnen Menschen liegt in seiner Einordnung in diesen Weltenplan. Von diesem Grundgefühl aus vermag Kant nicht wie die anderen, die engen Verhältnisse, die kleinen Ereignisse in seiner Umgebung mit jener schwerfälligen Gewichtigkeit zu betrachten. Mit einer gewissen resignierten Selbstironie fügt er sich in die kleinen Verhältnisse. Für diesen leisen Humor, der eben in letzter Linie aus dem Gegensatz entspringt, in der das Bewusstsein, sich als Glied des Kosmos zu fühlen, mit den Kleinigkeiten des Lebens tritt, ist der Brief ein schönes Beispiel. Wie dann das Leben durch die Moral seine ihm eigene transscendentale Würde, die gleiche Erhabenheit erhält, wie der Sternenhimmel über uns, das liegt auf der grossen Entwickelungsreihe in Kants Leben."

Schön gesagt, aber minder wahr. Der Herausgeber des Briefes hat übersehen, dass von dem „Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus“ zur Kritik der reinen theoretischen und der reinen praktischen Vernunft, d. h. vom vorkritischen zum kritischen Kant nicht eine gerade Linie, ja nicht einmal eine Brücke führt. Er hat übersehen, dass Kant jenen Versuch über den Optimismus später desavouiert hat. Borowski erzählt ja in seiner „Darstellung des Lebens und Charakters Immanuel Kants" (1804) S. 58: Mit einem wirklich feyerlichen Ernste bat er mich, dieser Schrift über den Optimismus doch gar nicht mehr zu gedenken, sie, wenn ich sie doch irgendwo auftriebe, keinem zu geben, sondern gleich zu kassieren u. f." Ein Borowski konnte, wie er selbst bekennt, dieses Bekenntnis Kants nicht verstehen. Aber wir Heutigen sollten es verstehen, dass und warum Kant sich zu jener Schrift nicht mehr bekennen wollte. Es giebt keine so unkantische Schrift in Kants „Sämtlichen Werken" als diese. Kant ist so gar nicht Kant in jener Schrift, er ist so ganz Wolf, Leibniz, er ist Erzdogmatiker. Er ist in dieser Schrift am weitesten von sich selbst entfernt. Als er sie schrieb, hatte er sich noch nicht entdeckt. Oder hatte er, der schon weit Besseres geschrieben hatte, sich selbst zeitweise wieder verloren gehabt? Kurz, diese Schrift ist die einzige seiner früheren Schriften, die er später gänzlich desavouiert hat.

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Darin steckt ein Problem, das der Herausgeber nicht gesehen hat. Dieses Problem wird auch einen Teil der Preisaufgabe bilden, welche in diesem Hefte seitens der Kantgesellschaft ausgeschrieben wird: „Das Problem der Theodicee in der Philosophie und Litteratur des 18. Jahrhunderts, mit besonderer Rücksicht auf Kant und Schiller."

Man hat Kant schon den Vater des Pessimismus genannt. Mit Recht? Auch Schiller war in seinen Jugendpoesien voll von Leibniz, Shaftesbury, von Optimismus. In seiner kritischen Zeit hören wir andere Töne. Wie stellt sich der Kritizismus zum Problem, das die Worte Optimismus und Pessimismus mehr andeuten, als enthalten? So ist es ein bemerkenswertes Zusammentreffen, dass wir in demselben Hefte, in welchem wir jene Preisaufgabe mitteilen, von diesem Kantfund aus dem Optimismusjahre berichten können, von diesem Briefe, in welchem sich Kant kurz, aber prägnant über seinen Handel mit Weymann äussert. Weymanns Gegenschrift, welche 8 Tage später erschien, wird ihn schwerlich beeinflusst haben. Aber vielleicht ist ihm Hamanns vernichtendes Urteil, das dieser am 19. Oktober 1759 an denselben Lindner schrieb, zu Ohren gekommen: „Kants Einfälle sind blinde Jungen, welche eine eilfertige Hündin geworfen." Hamann ist sonst nicht mein Mann, und er war auch nicht Kants Mann; aber in diesem Falle hatte er das gereiftere Urteil.

Halle a. S.

V.

Das Puttrichsche Kantbild.

Wir haben dem letzten Hefte die Reproduktion der Puttrichschen Alterssilhouette des Philosophen beigegeben. Da diese Abbildung vielfach das Interesse erregt hat, so sei noch bemerkt, dass die Originalzeichnung Puttrichs, nach welcher der von uns reproduzierte Stich gearbeitet ist, im Besitz der Altertums-Gesellschaft Prussia in Königsberg i. Pr. sich befindet. Schon in Bd. IV, S. 475 der KSt. ist dies bemerkt worden, gelegentlich der Reproduktion eines anderen, damit ähnlichen Miniaturbildnisses Kants. V.

Kantgesellschaft.

Generalversammlung am 23. April 1906.

Unsere diesjährige allgemeine Mitgliederversammlung fand, weil der satzungsgemäss dafür festgesetzte Termin der 22. April, Kants Geburtstag in diesem Jahre auf einen Sonntag fiel, am Montag, den 23. April, Nachmittags 6 Uhr in den Räumen des Kuratoriums der Universität Halle statt.

Die Änderung des Termins ist satzungsgemäss in unserem Vereinsorgan, den „Kantstudien", in dem am 15. Februar 1906 ausgegebenen 1. Hefte des XI. Bandes S. 148 rechtzeitig mitgeteilt worden.

Entsprechend unseren Statuten (§ 8) sind in dieser Versammlung zwei Gegenstände verhandelt worden:

1. Ablegung der Rechnung. Der im vorigen Heft, S. 144-151 abgedruckte, vom Verwaltungsausschuss genehmigte Rechenschaftsbericht für das Jahr 1905, welcher auf diesem Wege schon allen Mitgliedern vorläufig bekannt gegeben worden ist, wurde der Versammlung mitgeteilt und von derselben genehmigt, indem Entlastung erteilt wurde.

2. Wahl der wechselnden Vorstandsmitglieder. Ausser den satzungsgemäss dem Vorstand angehörenden Mitgliedern (Universitätskurator und beide Ordinarien der Philosophie), waren noch 3 Mitglieder zu wählen, sowie der Geschäftsführer zu ernennen. Es fand Wiederwahl der bisherigen Mitglieder statt. Demnach besteht der Vorstand der ,,Kantgesellschaft" für das Jahr 1906 aus folgenden Personen:

Vorsitzender: der Kurator der Univers. Geh.Reg.-Rat Gottfried Meyer.
Mitglieder (Professor Dr. Ebbinghaus.

des Geh. Justizrat Prof. Dr. jur. et phil. (h. c.) Stammler. Verwaltungs- Bibliotheksdirektor Dr. Gerhard. ausschusses Geh. Kommerzienrat H. Lehmann.

Geschäftsführer: Professor Dr. Vaihinger.

Es wurde daraufhin der Versammlung noch Mitteilung gemacht von der vom Vorstand beschlossenen neuen Einrichtung von „Ergänzungsheften" zu den „Kantstudien", sowie von dem vom Vorstand ebenfalls beschlossenen Ausschreiben einer zweiten Preisaufgabe, worüber das Nähere in diesem Heft erhalten ist.

Halle a. S., den 24. April 1906.

Der Geschäftsführer. Professor Dr. Vaihinger.

Ergänzungshefte zu den Kantstudien.

Es hat sich als zweckmässig herausgestellt, grössere Abhandlungen, welche der Redaktion zur Veröffentlichung anvertraut werden, aus dem Rahmen der regulären Hefte herauszulösen und nach dem Beispiel vieler anderer namhafter Zeitschriften in Form von Ergänzungsheften erscheinen zu lassen, welche aber in Druck und Format ganz den gewöhnlichen Heften entsprechen. Der Regel nach soll jedes Ergänzungsheft nur einen grösseren Beitrag enthalten, und der Titel dieser Abhandlung soll auf dem Titelblatt als Haupttitel angegeben werden, so dass diese Abhandlungen buchhändlerisch als eigene Schriften gelten eine Einrichtung, mit der wir vielfach geäusserten Wünschen von Autoren entgegenkommen.

Diese Ergänzungshefte werden der Regel nach mit einem gewöhnlichen Heft gleichzeitig versendet; der Ladenpreis derselben wird je nach dem Umfang des betr. Heftes in jedem Falle besonders festgesetzt.

Die Abonnenten der „Kantstudien" erhalten die einzelnen Ergänzungshefte zu einem um 25% ermässigten Vorzugspreise.

Die Jahresmitglieder und bezugsberechtigten Dauermitglieder der „Kantgesellschaft" erhalten diese Ergänzungshefte gratis und franko zugesendet.

Gleichzeitig mit diesem Heft erscheint als Ergänzungsheft No. 1: Dr. Julius Guttmann, Kants Gottesbegriff in seiner positiven Entwickelung.

Mit dem nächsten Hefte erscheint als Ergänzungsheft No. 2: Dr. Traugott Oesterreich, Kants Verhältnis zur Metaphysik.

Halle a. S., im Juni 1906.

Die Redaktion.

Mitteilung

an die Mitglieder der Kantgesellschaft.

Es ist seitens verschiedener Mitglieder der Wunsch geäussert worden, frühere Bände der „Kantstudien“, welche ihnen fehlen, zu einem billigen Vorzugspreis nachträglich sich erwerben zu können.

Diesem berechtigten Wunsche ist durch eine besondere Vereinbarung mit der Verlagshandlung nunmehr Rechnung getragen. Im Auftrag der Kantgesellschaft versendet dieselbe an die Jahresmitglieder und bezugsberechtigten Dauermitglieder der Kantgesellschaft die früheren Bände der Kantstudien“ zum Preis von 6 M. pro Band (statt 12 M.).

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Mitglieder, welche von dieser Vergünstigung Gebrauch machen wollen, mögen sich zu diesem Zwecke mit der Verlagshandlung Reuther & Reichard in Berlin W. 9, Köthenerstrass 4, direkt in Verbindung setzen. Einsendung der Mitgliedskarten an dieselbe ist nicht erforderlich, da sie ein Verzeichnis der Betreffenden in Händen hat.

Gleichzeitig werden die Mitglieder der Kantgesellschaft auf die ihnen im Jahresbericht der Gesellschaft für 1905 im vorigen Heft S. 147 angekündigte neue Einrichtung von Ergänzungsheften zu den „Kantstudien“ aufmerksam geDie Jahresmitglieder und bezugsberechtigten Dauermitglieder erhalten diese Ergänzungshefte" gratis und franko von uns zugesendet. Die Mitglieder der Kantgesellschaft erhalten somit von jetzt ab eine erweiterte Ausgabe der Kantstudien.

Halle a. S., im Juni 1906.

Der Geschäftsführer

H. Vaihinger.

Kants Teleologie.

Von Dr. Walter Frost, Privatdozent an der Universität Bonn.

Einleitung.

Transscendentalphilosophie und Metaphysik.

Die Kantische Transscendentalphilosophie nimmt an, dass irgend etwas ausserhalb des geistigen Einzelichs existiere, will aber das Wesen dieses Dinges an sich völlig unbestimmt lassen. Ebenso will sie das Verhältnis desselben zu unserem Geiste unbestimmt lassen.

Wenn einige Kritiker der Kantischen Philosophie dies Verhältnis als ein kausales bezeichneten, insofern das Ding an sich unseren Geist affiziere, so thaten sie Kant damit Unrecht. Es ist zwar richtig, dass, wenn man sich von diesen Verhältnissen überhaupt eine Vorstellung machen will, dies nur in den Wegen des Kategorien-Denkens geschehen kann. Aber Kant wollte, dass man eben von solchen Fragen abstrahiere. Die dogmatischen Metaphysiker werden nun behaupten, dass es dem Menschen garnicht möglich sei, sich solchen Fragen zu entziehen. Allein, um Kant wenigstens historisch gerecht zu werden, sollte ihm doch wohl ein Jeder das Zugeständnis machen, dass man eine jede Frage für einige Zeit hintanstellen kann.

Dies ist nun der Standpunkt der Transscendentalphilosophie. Dieselbe enthält sich der Frage, ob es ein Ding an sich oder mehrere gebe, ob dasselbe geistig, etwa als Monade, oder wie sonst, zu denken sei. Zu solchen metaphysischen Annahmen gehören ganz besonders auch die Systeme des Malebranche und des Berkeley (und auch aus nachkantischer Zeit das Fichtesche System, das Kant sehr wohl ins Auge gefasst haben mag, jedoch ohne dass er es behaupten mochte). Gerade der Überdruss an dem Wirrsal metaphysischer Spekulationen hat diesen kritischen Standpunkt der Zurückhaltung erzeugt; Kant hat anfänglich viel

Kantstudien XI.

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