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108 M. Rubinstein, Die log. Grundlagen des Hegelschen Systems etc.

Schluss.

Die Hegelsche Metaphysik schliesst also, wie es uns scheint, die Geschichte nicht aus, aber seine Auffassung der Geschichte lässt den Grundmangel der Hegelschen Philosophie am schärfsten hervortreten. Sie zeigt uns, dass Hegel gerade wegen seines absoluten Standpunktes dem für uns wichtigsten Gebiete der menschlichen Thätigkeit nicht gerecht werden konnte. In der Auffassung des Endes der Geschichte geriet diese Philosophie mit ihrem dialektischen, notwendigen Fortschritt in eine Sackgasse, aus der sie nur unter Aufopferung ihrer Hauptprinzipien einen Ausweg fand. Als unvermeidliches Resultat der gesamten Entwicklung ergab sich zuletzt doch die Rehabilitierung des Sollens.

Die Sittlichkeit setzt den Pflichtbegriff voraus, der ohne Sollen undenkbar bleibt. Für Hegel aber gab es und durfte es kein Sollen geben, so lange er seinem absoluten Standpunkte treu bleiben wollte; ebenso wenig liess sein System Raum für die freie, autonome Persönlichkeit. Damit nahm der absolute Standpunkt dem Menschen das teuerste Gut weg, das ihm allein eine ,,antropomorphistische" Betrachtungsweise, für die das Sollen conditio sine qua non ist, gewährleisten kann.1)

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Die Kränkung Gottes", die unser Philosoph Kant und Fichte vorwarf, besteht also für uns Menschen nicht in dem Fehlen des Guten in der Wirklichkeit, sondern in der Leugnung der Ideale, der sittlichen Zwecke, des Sollens. Ihre Anerkennung ist die Grundbedingung für den Erfolg der, von Hegel angestrebten, aber gescheiterten „Rechtfertigung" des Lebens in einem philoso'phischen System.

1) Hier folge ich dem Gedankengange Rickerts. Vgl. z. B. in seinen „Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung". S. 712-714.

Anm. der Red. Der Verfasser vorstehender Arbeit befand sich zur Zeit des Drucks in Irkutsk und konnte die Korrektur nicht selbst lesen.

Der Begriff des reinen Wollens bei Kant.

Von F. Behrend-Halle.

Wenn wir den Begriff des „reinen Wollens" als Grundprinzip der Kantischen Ethik zum Gegenstande der Untersuchung machen wollen, müssen wir zunächst zusehen, was mit dem Begriff der Reinheit gemeint sein kann, den wir als gemeinsames, verbindendes Prinzip der drei grossen kritischen Werke Kants finden. Schon aus dieser centralen Stellung in der Systematik der Kantischen Philosophie, die wir dem Prinzip der Reinheit zuschreiben müssen, können wir einen Rückschluss darauf machen, wieviel für das Verständnis des ganzen neuen Lehrgebäudes darauf ankommt, sich klar zu machen, was dies Prinzip bedeutet. Dies dürfte weniger leicht sein, als es im ersten Augenblick erscheinen möchte. Denn wenn jemand aufgefordert würde, an Hand der „Kritik der reinen Vernunft" und der ganzen, überreichlich vorhandenen Kantlitteratur, die sich genügend mit diesem Problem beschäftigt, eine positive Definition des Begriffs der Reinheit zu suchen, so würde er die Enttäuschung erleben, eine solche positive Feststellung nicht finden zu können. Er würde sicherlich in Verlegenheit kommen, wenn er aus den verschiedenartigen Prädikaten oder Definitionen des so häufig vorkommenden Begriffs ohne weiteres erkennen sollte, welches die ausschlaggebende positive Bestimmung des Begriffs ist. Und das ist kein besonderes Wunder; denn man könnte zweifeln, ob Kant selbst den Begriff der Reinheit völlig klar und durchsichtig auch nur an irgend einer Stelle seiner Werke definiert hat.

Bereits die Vorrede zu dem Werke, dessen Titel den Begriff der Reinheit enthält, zeigt lediglich eine negative Definition: „Kritik der reinen Vernunft ist eine Kritik des Vernunftvermögens überhaupt in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen sie unabhängig von aller Erfahrung streben mag." Auch die Einleitungskapitel dieses Werkes, die sich ausdrücklich damit beschäftigen,

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das Prinzip der Reinheit zu erklären, führen zu keinem anderen Resultat. Der Abschnitt, der überschrieben steht Von dem Unterschiede der reinen und empirischen Erkenntnisse", kommt nach der sachlichen Auseinandersetzung zu dem negativen Schlusse: „Von den Erkenntnissen apriori heissen also diejenigen rein, denen garnichts empirisches beigemischt ist." Dass diese Definition nicht ausreichend ist, zeigt die Verwirrung, die sie hervorgerufen hat. 1hr verdanken wir den unkantischen Terminus der reinen Erfahrung, der völlig willkürlich ist und einen direkten Missbrauch des Begriffs rein bedeutet.

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In dem oben angeführten Abschnitte, der übrigens erst in der zweiten Auflage der Vernunftkritik zugefügt ist, während die erste überhaupt keine Feststellung des Begriffes der Reinheit enthält, findet sich jedoch ein Satz, der einen Anhaltspunkt dafür bietet, worum es sich hier eigentlich handelt. Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis", sagt Kant, „mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie doch darum eben nicht alle aus der Erfahrung. Denn es könnte wohl sein, dass selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein zusammengesetztes aus dem sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke veranlasst) aus sich selbst hergiebt." Der letzte Teil dieses Satzes: „und dem, was unser eigenes Erkenntnisvermögen aus sich selbst hergiebt," ist das für uns wichtige. Ersetzt man die subjektive Einkleidung, wie es so oft bei Kant nötig ist, durch die erkenntniskritische, so kann man die eigentlich naheliegende positive Bestimmung des Begriffs der Reinheit erraten. Reines Denken das ist nicht empirisches Denken, so lautet die gewöhnliche Terminologie, oder beispielsweise an der Erfahrung ist dasjenige rein, was nichts zur Empfindung gehöriges enthält" und ähnliches. Dem gegenüber können wir formulieren: Reines Denken im Gegensatz zu dem von den Dingen abhängigen Denken enthält die Prinzipien des Denkens selbst. Reines Denken damit sind diejenigen Begriffe gemeint, die nur in unserm Denken, logisch genommen, ihren Grund haben, und nicht wie die empirischen Begriffe auch in den Dingen. Reines Denken. das sind die objektiven Bedingungen alles Denkens überhaupt. Das Prinzip der Reinheit, um es kurz zu sagen, ergiebt sich als das Prinzip des Idealismus, das Prinzip des echten Idealismus, als dessen Entdecker wir Platon ansehen müssen, dessen Ausgestaltung jedoch Kant vorbehalten blieb.

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Reines Denken das ist das ewig sich gleichbleibende Gesetz des Denkens und Erkennens, das, was als Gesetz in allem Denken und Erkennen vorhanden sein muss, die notwendige Bedingung alles Denkens, die deshalb unabhängig von Dingen ist, und nur im Denken selbst begründet ist. Dies ist der neue Begriff des Idealismus. Nicht der Anteil des Subjekts an seinem Erzeugnis (der Erfahrung), wie die Physiologen wollen, wird gesucht, sondern die objektive Gesetzmässigkeit, die allem Denken begrifflich zu Grunde liegen muss. Nicht solche subjektive Beschaffenheiten unserer psychischen Organisation sind gemeint, durch die unser Intellekt gezwungen ist, die Welt gewissermassen durch eine „blaue Brille“ zu sehen, sondern die Bedingungen werden gesucht, die objektiv notwendig sind, um überhaupt erkennen zu können, die zum Begriff eines denkenden Wesens, das zugleich Sinnenwesen ist, gehören. Kritik der reinen Vernunft, d. h. Kritische Untersuchung des Begriffs der Erkenntnis.

Die Aufgabe, die Kant zu lösen hatte, die kritische Aufgabe des Idealismus der Reinheit, war also: die letzten Gesetzmässigkeiten, die grundlegenden Bedingungen, unter denen alles Erkennen, alle wissenschaftliche Wahrheit stehen muss, zu finden, die allein aus dem Begriff der Erkenntnis abgeleitet werden müssen, und zu diesem Zweck die reinen Elemente des Erkennens auf irgend eine Art und Weise von den empirischen zu unterscheiden und zu trennen. Die Methode, die ihm dazu diente, war die Einführung der Trennung in Materie und Form. Überall muss das Empirische, das Zufällige die Materie sein, das Reine aber liegt in der Form. Nur das Formale kann das Reine sein, kann populär gesagt, nur aus dem Subjekt selbst stammen, oder streng wisssenschaftlich gesagt, nur im Begriff des Denkens selbst begründet sein; denn nur dies steht in keinem Abhängigkeitsverhältnis von irgendwelchen besonderen Einwirkungen der Dinge auf das Subjekt, auf das Denken. Es ist interessant, wie sich so für die reine Seite. der Erkenntnis, für die formale, unmittelbar die Bestimmung der Gesetzmässigkeit ergiebt. Hiermit wird zugleich verständlich, warum die Griechen solange den Sinn des Gegensatzes zwischen Zufälligem und Notwendigem in der Erkenntnis gesucht haben. Die Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind Merkmale des Gesetzmässigen, des Reinen.

Es wird zweckmässig sein, die falsche psychologische Deutung des Prinzips der Reinheit respektive der Methode der Trennung in

Materie und Form, die noch vielfach vorgefunden wird, an einem Beispiel zurückzuweisen, weil diese falsche Auffassung gerade der Anwendung des Prinzips der Reinheit in der Ethik äusserst hinderlich im Wege steht. Es kann nie genug betont werden-so selbstverständlich es auch sein mag, dass es sich nicht darum handeln kann, verschiedene Erkenntnisvermögen in der Psyche festzustellen. Die Scheidung in Materie und Form wird stets am Bewusstseinsinhalte vorgenommen, niemals am Bewusstsein selbst. So bedeuten z. B. Sinnlichkeit und reine Sinnlichkeit, oder was dasselbe ist, Anschauung und reine Anschauung, niemals irgend welche dunklen Kräfte unserer Seele, die für uns stets unerkennbar sein würden, sondern ganz einfach einen bestimmten Anteil am Gegenstande der Erfahrung. Wie die Kritik der reinen Vernunft stets von Empfindungen spricht, von Farben, Tönen, Gerüchen u. s. w., niemals vom Empfindungsorgan, von Augen, Ohren etc., so ist auch überall die Rede von Raum und Zeit, und nicht von einem stellvertretenden psychischen Organ. Es handelt sich bei Anwendung der Methode der Trennung in Materie und Form zur Ermittelung der reinen Elemente der Erkenntnis lediglich um eine Abstraktion, die zweifellos in einer wissenschaftlichen Abhandlung möglich und berechtigt ist, da das Verfahren der Abstraktion ja faktisch für die Wissenschaft überhaupt unerlässlich ist. Es handelt sich lediglich um eine Abstraktion am Gegenstande der Erfahrung, um diejenigen Elemente, welche ihren Grund lediglich in der sinnlichen Wahrnehmung haben, und diejenigen Elemente, die rein sind, zu scheiden.

Es ist äusserst wichtig, sich dies noch einmal vergegenwärtigt zu haben, wenn wir zur Anwendung des Prinzips der Reinheit auf dem Gebiete der Ethik schreiten wollen. Wie oft hört man die Forderung zeigt uns doch rein psychologisch neben der Existenz eines Begehrungsvermögens auch die Existenz des reinen Willens, dann wollen wir euch Glauben schenken. Wenn ihr aber nicht einmal die beiden Vermögen getrennt aufzeigen könnt, so ist reiner Wille ein Unding, etwas, was nie existiert. Komisch bleibt dies stets. Als ob der Frager jemals sein Begehrungsvermögen gespürt hätte, und nicht nur Lust und Unlust, freudige und traurige Gefühle u. s. w. Warum will er denn da den Willen sehen, wo er nur merken kann, dass er will. Es handelt sich auch hier wieder um keine psychologische Zergliederung, und niemals kann man das bewusste Leben in 3 Klassen von Vorgängen trennen,

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