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der Mathematik Stöffler, die alle entschieden auf dem Wege des Fortschritts waren, und zum Theil einen über Deutschland hinausgehenden Ruf genossen.

Dasjenige Studium aber, das die allgemeinste und gründlichste Bildung für die Facultätswissenschaften verschaffen konnte, das classische, war noch nicht in seiner Blüthe. Erst nach dem Tode Eberhards im Bart wurde es auf der Universität zugelassen, ungeachtet doch Eberhard für seine Perfon die Schriften der Alten las und übersetzen ließ. Im Allgemeinen waren die Ritter gegen die politiores litteras, einmal weil sie fürchten mußten, daß Männer in der Schule von Cicero, Livius und Tacitus gebildet, und in rednerischem Ausdruck geübt, bald die einzigen Geschäftsmänner und Gesandten abgeben würden, sodann weil ihre bisherige Lebensweise dem Erlernen von alten Sprachen ganz entgegen war, daß sie sich höchst ungerne zu diesem Opfer entschloßen 1). Sodann lag es aber ebenso wenig im Geiste des von der Kirche und ihren Theologen genåhrten Scholasticismus, diesen neuen, låstigen

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1) O utinam inter nostrates nobiles ea caecitas et barbaries cessaret, qua latinas literas horrent, doctos spernunt liberosque suos literarum studio non tradunt. Neque poëtas et oratores humanitatisque literarumque peritos sinunt in gratiam magnatum venire. Nesciunt barbari, quidnam fructus adferre posset oratoria poeticaque facultas! Wimpheling, Carmen heroicum ad illustr. Principem Eberhardum Wyrtembergensem. Argent. 1495.- Fieri non potest, ut hi bene, beate, feliciter aliis imperitent, qui ad diurnam stellam vino certare soliti, somnum in meridiem protendunt, donec nocturnum vinum edormiscant. Quod genus hominum cum sit ad rem aliam quam perdenda vina nequaquam genitum, a publico munere dimovendum est potius, quam evehendum, bibunt enim ut vomant, et rursus more canum lingunt. Crimen profecto saevissima animadversione dignum etc. Quid plura? Ut his homuncionibus literae indignae sunt, ita literis hoc genus hominum. Brassicanus Instit. grammat. lat. Praefat. Tubing. 1516.

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und revolutionairen Weg zur Bildung zuzulässen 1). Aber das Bedürfniß des Lebens führte endlich die Entscheidung herbei. Eberhard selbst konnte es auf seiner zweiten Reise nach Rom, wo er Reuchlin als Orator zur Hilfe nehmen mußte, weil die Römer das schwäbische Latein nicht verstanden, nicht entgangen seyn, wie wenig man sich als Fürst würdig zeigen könne, ohne Männer um sich zu haben, die eines guten lateinischen Vors trags mächtig waren ?). Und noch mehr wohl gaben nachher unter seinen Råthen Reuchlin und Lamparter die Veranlassung, daß auf der Universität Anleitung dazu gegeben werden müsse, wenn man nicht bei den Ausländern zum Gespötte werden und in Unterhandlungen mit ihnen Schaden nehmen wollte.

Es stand zwar wohl in dem alten Universitätsschematismus ein Professorat oratoriae et moralium, aber in scholasti schem Sinn, mit scholastischem Latein, das diesen Zweck nie erfüllt haben würde. Man errichtete daher für die politiores literas eine eigene Lehrstelle, und besetzte sie (1496) mit dem

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Diese Partie hielt (bei einer öffentl. Rede Bebels in Tübingen (Bebelii oratio de utilitate linguae latinae 1504) entgegen: Das classische Studium sey unchristlich; die Apostel seyen auch keine Redner gewesen; man könne ein geringes Latein schreiben, und doch ein großer Doctor seyn; die Studenten seyen nicht im Stande fo Vielerlei zu lernen; sie mögen sich auch nicht in ihren Studien so lange aufhalten lassen, da sie eben gekommen seyen, um bald -die Gradus zu erlangen. Man nannte das neue Studium politiores literae, politius studium, oratoria poeticaque facultas. Und weil man es in den alten Universitäts-Rahmen nicht recht einzu-, reihen wußte, indem es nicht zu dem gehörte, was bisher artes ‚hieß, so nannten es die Obscuranten spöttisch eine neue Facultät. Jam fecerunt novam facultatem ultra alias quatuor facultates, quas jam habuimus: et omnes illi laudant Reuchlin et dicunt, quod sunt ejus discipuli: et non curant amplius facultatem artisticam: eo, quod artistæ sunt ita magui et superbi asini: quia non sciunt tria aut quatuor verba latine loqui, Ep. Obscuror. Viror. II, 85. 2) Melanchthon Decl. III, 286. Camerar. Horae Subcisivae. Francof. 1609. 269. Manl. III, 97.

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damals schon berühmten Lateiner Bebel aus Justingen 1). Anfänglich wollten die andern Professoren ihm nicht einmal eine solche Stunde zu feinen Vorlesungen einräumen, daß die Studenten regelmäßig daran håtten Antheil nehmen können 2), aber er war nicht der Mann sich einschüchtern zu lassen, son= dern wirkte, wie wir bald nåher sehen werden, erfolgreich zur Aufnahme des classischen Studiums. Gegen die Obscuranten schwang er vielmehr gerade die Waffe, welche sie ihm gerne entrissen hätten, die des Ausdrucks, einer geschmackvolleren, lebendigeren Darstellung, wie man sie bei den Alten lernen konnte. Muthwillig benüßte er fie in seinen Facetien, um mehr als attisches Salz in die wunden Stellen der Kirche und ihrer Diener einzureiben. Es ist dieß ein in Deutschland vielfach aufgelegtes und in Paris nachgedrucktes Büchlein, das als ein Vorläufer der für die Wiedergeburt Deutschlands noch bedeutsamer gewordenen Epp. Obscur. Virorum. angesehen werden muß.

Auch in den andern Facultåten lebte das den Scholasticismus gefährdende Princip, die nächsten Autoritäten zu verlassen und auf die lehten Gründe des Wissens zurückzugehen. Hierin leuchtete der Universitåt

(2) Im J. 1495 besorgte Bebel in Basel den Durd von Cosmographia in tabul. Ptolemaei, schreibt aber auch an Renchlin, ut si quid in meam rem efficere queas, ohne die res genauer zu bezeichnen, und fährt fort: scripsi etiam ad ill princ. Eberardum, sed heu fatorum immutabili serie ablatum ad superos etc. (Illustr. vir. ep. ad R. Hagenau.). Eberh, st. 24. Febr. und Reuchlin flieht aus Stuttgart vor dem 11. Merz 1496. Aber Maria Magdalena d. I. (22. Juli) läßt Bebel in Reutlingen (Greiff, 40) ein Carmen de laudibus Eberhardi ducis ats Profeffor drucken. Hartmann von Eptingen könnte daher mit Recht ihm 1496 schon in obiger Cosmographie schreiben: ordinario lectori poetices in Univ. Tub. Hienach ist Zapfs Leben Bebels, Zeller und Böck Gesch. d. Univ., welche alle ihn erst im I. 1497 Profeffor werden lassen, zu bes richtigen.

2) Zapf, Leben Bebels, 297.

Reuchlin vor, der noch über Römer und Griechen hinausgehend, die Hebråer als die Träger der göttlichen Offenbarung über alles Wissen ansah, und für ihre Sprache so viele zu ge winnen wußte, daß Nicht-Theologen, wie Theologen, hebräisch zu lernen anfiengen. Von den Juristen wird gerühmt, daß sie zu den römischen Rechtsquellen, von den Aerzten, daß sie zu Galen und Hippocrates aufstiegen. Bei den Theologen dagegen haftete, besonders nach Paul Scriptoris Abgang, noch am Meisten Scholafticismus und Festhalten an den Satzungen der Kirche, wenn schon auch sie zu den aufgeklärteren ihrer Richtung gerechnet werden mußten. Wendelin Steinbach und Peter Braun waren große Verehrer Gabriel Biels, und insoz ferne auch Freunde der Scholastik, aber zugleich aus dem Ore den der Kappenherren und insoferne Freunde der Bibelforschung und des practischen Christenthums. Dagegen hatten Martin Plantsch und Jacob Lempp ihre Laufbahn als Lehrer der Philosophie auf der Universitåt begonnen, und waren daun erst zur Theologie übergegangen. Jener hielt als Lehrer strenge an den Satzungen der Kirche und der Våter, und gewann als Prediger und Seelsorger einen bedeutenden Einfluß auf die Stadtgemeinde. Dieser, auch Doctor des canonischen Rechts, war vor den andern als Lehrer im Anseben, galt für eine Stüße der påbstlichen Ordnung und für das Muster eines Scptisten, jedoch in gemäßigtem Sinne, so wie für einen Mann, der die theologische Würde mit practischem Tact gut zu verbinden wisse 1). Er wurde daher auch dem Dr. Reuchlin als Beis stand zu seinem Rechtshandel vor dem geistlichen Gericht in Mainz gegen Hogstraten mitgegeben. Unlåugbar ist, daß diese Mitglieder der theologischen Facultåt ohne Ausnahme, wenn schon keine Obscuranten, doch dem reformatorischen Eifer, der auf Wissenschaft und Kirche jetzt einbrach, nicht gewogen seyn

1) Qui

cum juris prudentia theologicam ita majestatem conjunxit, ut vere perfectam vivendi rationem obiisse vidcatur. Baselii contin. Naucleri. 1018. Sonst Schnurrers Erläuterungen, 301. 293, 295. Beller, 406.

konnten. Steinbach stand in zu hohem Alter und in einer dem Mönchsleben entsprungenen Frömmigkeit 1), von Brun ist überliefert worden, wie ångstlich er seine Schäfchen bat, doch ja der lieben Mutter-Kirche nicht zu entlaufen 2), Plantsch trat gegen Zwingli in dem Religionsgespräch zu Zürch (1523) auf 3), und Lempp galt bei den Reformatorischen für einen entschiedenen Gegner, wie er denn auch auf dem Tag zu Baden (1526) gegen die Schweizer Theil nahm. Wenn wir daher im Fortgang unserer Erzählung finden sollten, daß gegen den unter Reuchlins Aegide genährten Geist der theologischen, philofophischen und philologischen Aufklärung ein Widerstreit stattfand, so haben wir den Grund davon in den persönlichen Eigenschaften der Lehrer der theologischen Facultät und in der durch die scholastischen Universitäts-Einrichtungen begründeten Uebermacht dieser Facultät über die Artisten zu suchen. Und wir werden endlich den Sieg derselben um so natürlicher finden, wenn sich auch in den äußern Verhältnissen des Landes ein für die Freiheit des Wollens und Denkens nachtheiliger Umstand nachweißen läßt.

4. Melanchthons philosophische Studien. Magister artium liberalium im. Contubernium und beauftragt mit dem Fach der Eloquenz.

Hier muß voraus für diese und die folgenden Abschnitte bemerkt werden, daß nicht möglich ist, bei Melanchthon die Zeit des Lernens und des Lehrens auseinander zu halten, weil wir, da das Lehren besonders frühe bei ihm anfieng 4), in der größeren Hälfte seines sechsjährigen Aufenthalts in Tübingen Beides beisammen vorfinden, und in der andern ihn nicht mehr als Anfänger im Lernen behandeln können. Von den

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1) Moser, Vitae theol. 45 sqq.

12) Schnurrer, 300. Fischlin, Suppl. 21.

c) Schnurrer, 299.

4) Discipulusne an doctor ac professor prius esset, merito qais du

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