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von sehr groszem scharfsinn. mit recht betont der verfasser, dasz Ranke die dinge und menschen, d. h. die staats- und culturgeschichte, letztere übrigens, wie Mahrenholtz andern kritikern gegenüber besonders hervorhebt, mit derselben genauigkeit wie erstere, in objectivster weise schilderte und, da er die beurteilung des wertes der überkommenen berichte lieber andern historikern, wie Schlosser und Gervinus, überliesz, in seinen werken den sittlichen maszstab nicht genügend zum ausdruck brachte. dasz Schlosser und Gervinus ihn in letzterer hinsicht mit groszem glück und geschick ergänzten, ersterer ferner von der französischen aufklärung ausgehend die geschichte nach moralischen allgemeinbegriffen entwickelt, letzterer in dem englischen staats- und wissenschaftlichen leben sein ideal, das alle zur nacheiferung anspornen müsse, erblickt, ist vom verfasser sehr richtig behauptet und begründet, ebenso s. 25, dasz der charakter der Rankeschen geschichtschreibung und der geschichtsbeurteilung von Schlosser und Gervinus ein universaler war; s. 27, dasz erst Rankes bedeutendster schüler H. v. Sybel die deutsche geschichte vom nationalen standpunkte aus schrieb und H. v. Treitschke in seiner, zur zeit etwas über die julirevolution hinausgehenden 'deutschen geschichte im neunzehnten jahrhundert' unter verurteilung der früher von Österreich und den deutschen klein staaten verfolgten sonderinteressen die auf der langersehnten einheit beruhende, neue deutsche herlichkeit feiert. auf s. 28 spricht der verfasser sein bedauern aus, dasz das werk J. G. Droysens, eines eifrigen anhängers der sogenannten kleindeutschen partei, 'geschichte der preuszischen politik' unvollendet geblieben ist; er erklärt dies aus der allzu umfangreichen anlage desselben. alle diese rein gelehrten arbeiten standen selbstredend dem groszen publicum fern.

Für geschichtsauffassung und besonders geschichtsunterricht hat nun die in neuester zeit zur blüte gekommene HerbartZillersche pädagogik fruchtbar gewirkt. die vom verfasser benutzten und von mir oben genannten schriften von Zillig, Ziller und Biedermann sind bekannt genug, auch in fachzeitschriften eingehend beurteilt, so dasz wir an dieser stelle nur über das zu berichten haben, was Mahrenholtz billigt oder verwirft. er billigt s. 32 die von Herbart und seinen anhängern betonten hauptgedanken: bevorzugung der vaterländischen geschichte vor der fremden und ausgehen vom nahen zum fernen, durchaus, erhebt aber im einzelnen manche, durchweg richtig begründete bedenken. so behauptet er gegen Zillig, dasz die anknüpfung an die heimatskunde nur für ältere städte passe, auch könne gerade durch hervorhebung der heimatlichen geschichte der glücklich beseitigte particularismus der einzelnen deutschen staaten wieder ins leben zurückgerufen werden. was ferner auf den seiten 38-38 über die benutzung der sagen für den geschichtsunterricht erwähnt ist, ist ebenfalls nur gutzuheiszen. der verfasser tadelt es mit recht, wenn Zillig für den nationalen, auf sittlicher wahrheit beruhenden geschichtsunterricht die an und

für sich unwahre, poetisch ausgeschmückte griechische göttersage und die kirchlichen legenden des mittelalters, zumal letztere durch Roms machtstellung gebildet waren, verwendet sehen will; ferner erklärt er Zilligs forderung, der geschichtsunterricht müsse zwecks hervorhebung der ethischen gesichtspunkte vom anfang bis zum ende von den allgemeinen verhältnissen, nicht von einzelexistenzen ausgehen, dürfe also nicht biographisch sein, geradezu für undurchführbar. Mahrenholtz zählt auf s. 39 und 40 die geschichtlichen unwahrheiten auf, die sich ergeben müsten und thatsächlich oft ergeben haben, wollte man Zillig hierin folgen. s. 42 zeigt der verfasser, dasz das von Zillig für den geschichtsunterricht aufgestellte schema, weil es einen beständigen krebsgang darstelle, nicht für praktisch befunden werden könne.

Von s. 43 an bis zum ende seiner musterhaften arbeit beschäftigt sich Mahrenholtz hauptsächlich mit den ansichten v. Biedermanns, der besonders die culturgeschichte für den geschichtsunterricht verwendet wissen will, ja diese im allgemeinen höher stellt, als die politische. er beweist zunächst, warum bis jetzt trotz Wachsmuths vorzüglicher 'europäischen sittengeschichte vom ursprunge volkstümlicher gestaltungen' (1831-39) eine eigentliche culturgeschichte der menschheit nicht hat erscheinen können, und zeigt alsdann, dasz die Biedermannsche methode in beschränkter form sehr leicht zur anwendung gebracht werden könne, wenn man von persönlichkeiten ausgeht, die zugleich männer des krieges und friedens waren, wie kaiser Friedrich I. er nimmt daber auf s. 53 auch gegen Biedermann mit Herbst, Jäger und Löbell die biographische methode, trotzdem dieselbe bekanntlich sehr angefeindet ist, in schutz und stellt von s. 56 an bis zu ende, vielfach an Biedermann anknüpfend, unter gleichzeitiger verwertung des politischen und culturhistorischen standpunktes ein schema und grundsätze für den geschichtsunterricht auf, die tief durchdacht und so eingehend begründet sind, dasz kaum von irgend welcher seite widerspruch dagegen erhoben werden kann.

Der geschichtsunterricht soll nach des verfassers ansicht mit der neueren deutschen geschichte beginnen, so dasz kaiser Wilhelm I, Friedrich der grosze, der grosze kurfürst und Luther seine ausgangsund stützpunkte bilden, alsdann eine biographische übersicht über die wichtigsten träger der deutschen culturentwicklung im mittelalter, vom früheren zum späteren fortschreitend, folgen, indem Armin, Alarich, Etzel, Theodorich der grosze, Karl der grosze, Otto der grosze, Heinrich IV, Friedrich I und II unter gleichzeitiger berücksichtigung der germanischen heldendichtung und der alten. göttersage charakterisiert werden. alsdann soll mit der dritten classe der höheren schulen der nach zeitabschnitten geordnete geschichtsunterricht beginnen, so dasz der vortrag in fortschreitender reihenfolge unter berücksichtigung der andern culturvölker mit der deutschen geschichte anhebt und unter bezugnahme auf den ver

hältnismäszig nicht unbedeutenden umfang altclassischer lectüre, den der primaner besitzt, mit der griechisch-römischen schlieszt. die dagegen erhobenen bedenken, insbesondere soweit sie von anhängern der realanstalten ausgesprochen werden können, erledigt der verfasser geschickt. was das mittelalter und die neuere geschichte betrifft, so soll selbstredend der unterricht vom deutschen reiche ausgehen, vor dem beginn der kreuzzüge die entwicklung des französischen und englischen staatswesens, bei der durchnahme der reformationszeit die französische geschichte des dreizehnten und vierzehnten jahrhunderts vorgetragen werden, die spätere entwicklung Englands der geschichte Heinrichs VIII vorbehalten bleiben. Insbesondere weist der verfasser auch, anknüpfend an das französische und englische unterrichtsystem, den hauptlehren des modernen rechts- und verwaltungswesens die gebührende stellung im geschichtsunterrichte an; es ist dies das hauptthema der arbeit, das der verfasser, wie jeder unbefangene beurteiler zugeben wird, geradezu musterhaft und mit erschöpfender genauigkeit behandelt hat. demselben wird eine art geschichte der verschiedenen theorien, die von der zeit der französischen aufklärungsphilosophie bis in unsere tage in der geschichtschreibung und im geschichtsunterricht zur anwendung gebracht sind, vorausgeschickt. DRESDEN.

LÖSCHHORN.

8. PERSONALNOTIZEN.

Ernennungen, beförderungen, versetzungen, auszeichnungen. Pätzolt, dr., oberlehrer an der ritterakademie in Liegnitz, zum director des gymn. in Brieg ernannt.

Schulle, dr., archivrat in Karlsruhe, zum ord, prof. der geschichte an der univ. Freiburg i. Br. ernannt.

Zimmermann, Rob., oberlehrer am gymn. in Finsterwalde, erhielt das prädicat 'professor'.

Gestorben:

Hermannowski, dr. Paul, ord. lehrer am Cöllnischen gymn, in Berlin, am 28 juli, 40 jahr alt.

Maurenbrecher, dr. Wilhelm, geh. hofrat, prof. der geschichte an der univ. Leipzig, am 6 nov., 55 jahr alt.

Windscheid, dr. jur. et phil., Bernhard, geheimrat, ord. prof. der jurisprudenz an der univ. Leipzig, berühmter lehrer des pandektenrechts, am 26 oct., 75 jahr alt.

ZWEITE ABTEILUNG

FÜR GYMNASIALPÄDAGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHRFÄCHER

MIT AUSSCHLUSZ DER CLASSISCHEN PHILOLOGIE

HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. HERMANN MASIUS.

9.

CHRISTOPH SEMLERS REALSCHULE

UND SEINE BEZIEHUNG ZU A. H. FRANCKE.

Die Semlersche realschule ist auszer von Karl von Raumer in seiner geschichte der pädagogik keiner eingehenden würdigung unterzogen worden. so weit spätere schriftsteller gezwungen waren, diesen stoff zu berühren, sind sie stets auf ihn zurückgegangen. ich habe im folgenden versucht, auf grund der gedruckt vorliegen den quellen eine erweiterte darstellung dieses ersten versuches zu geben. eine eingehende erörterung ist für die frage nach den für die realschulgründung in betracht kommenden principien von dem höchsten interesse. aber noch aus einem andern grunde ist eine erneute betrachtung immerhin am platze. derselbe Raumer hat die frage nach dem zusammenhang zwischen Chr. Semler und A. H. Francke angeregt, und seitdem ist sie beständig in flusz geblieben. die thatsache, dasz Semler inspector der deutschen schulen in Halle gewesen war, gab zu dem irrtum anlasz, dasz unter diesen anstalten die des waisenhauses zu verstehen seien. in dem sich dann ergebenden äuszeren abhängigkeitsverhältnis glaubte man den beweis für innere beziehungen zwischen den beiden männern zu haben, und der weitere schlusz, dasz Francke überhaupt als intellectueller begründer der realschule zu betrachten sei, war leicht gemacht.

Zwar hat schon H. Kramer in seinen werken über Francke dieses netz wahrer und falscher voraussetzungen zu entwirren versucht, aber seine bemerkungen sind hier nur gelegentlich und die von ihm herrührende darstellung in Schmids encyklopädie des unterrichts läszt sich durch ergänzende betrachtungen in ihrem verneinenden resultat verstärken. meine bemühungen, schriftliche documente, welche sich auf die vorliegende frage beziehen, zu entdecken, sind leider ohne erfolg geblieben. weder unter den Berliner, noch Magdeburger beständen des königlichen staatsarchivs haben sich auf freundliches nachsuchen die zwischen Semler und der regierung gepfloN. jahrb. f. phil. u. päd. II. abt. 1893 hft. 2.

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genen verhandlungen auffinden lassen. aber auch ein briefwechsel oder andere schriftliche nachlässe von der hand dieses immerhin merkwürdigen mannes ist auf der königlichen bibliothek zu Berlin und der universitätsbibliothek zu Halle nicht vorhanden.

Um den erweis zu bringen, dasz ein abhängigkeitsverhältnis Semlers von Francke nicht besteht, suche ich erstens die realschulgründung in ihrer historischen entwicklung aus allgemeineren motiven abzuleiten, ferner die verschiedenartigen ziele der in betracht kommenden anstalten aufzuzeigen. endlich sollen ein paar persönliche daten aus dem leben der beiden männer die frage beleuchten.

So hoffe ich, dasz wenigstens ein paar indirecte lichtstrahlen das dunkel aufhellen werden.

Für den ersten zweck hole ich etwas weiter aus.

Das humanistische ideal der erziehung ist das der eloquenz. lateinisch schreiben und sprechen wie Cicero, dichten wie Vergil und Horaz ist das ziel der epoche, welche wir mit dem namen der renaissance bezeichnen. die sprache ist selbstzweck, die schöne form entschädigt für einen minder guten inhalt.

Die reformation wirkt auch hier umgestaltend ein. mit der verinnerlichung der person greift eine betonung des inhalts in alle sphären geistigen lebens ein, welche die form bis zu barbarischer roheit vernachlässigt. von den sprachen treten zwar zwei neue in den gesichtskreis, ich meine hebräisch und griechisch; aber das motiv für ihre pflege ist eben jene energische hervorhebung des inhalts, welche jenem zeitalter seinen charakter verleiht. die sprache wird nur mittel zum zweck, das verständnis der heiligen schrift, der kirchenschriftsteller steht als erstrebenswertes ziel vor augen. der geistliche soll die mittel erwerben, um im kampfe für die neue lehre den angriffen selbst die stirn bieten zu können.

So erwächst auf dem idealen boden der reformation unvermerkt ein nützlichkeitsprincip, welches die englische philosophie des 17n jahrhunderts in praktischer weise anticipiert.

Als zweites in betracht kommendes moment entnehme ich der reformation die lehre von der würde des menschen. die schrift von der freiheit eines christenmenschen, der mächtige widerhall eigner klosterkämpfe und glaubenserfahrungen, lehrt das bewustsein der persönlichkeit und ist der indirecte appell an die groszen und mächtigen im lande das volk zur selbstachtung zu erziehen. so gewinnt der gemeine mann fühlung mit der gesellschaft und wird gegenstand ihrer aufmerksamkeit.

Aber ehe noch die früchte der ausgestreuten saat zu reifen beginnen, wühlt ein wilder krieg ganz Deutschland in seinen tiefsten gründen auf. das schwert redet dreiszig jahre seine blutige sprache.

Das bild, welches die folgende epoche entrollt, hat sein pendant in dem streben und wirken Preuszens nach der zeit von 1806 und 1807. hier erkannte man in der sittlichen und geistigen hebung des volkes

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