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werden die alten themata mit neuen bunten bändern aufgeputzt, conventionelles in erlebtes hineingetragen, wein gesungen und wasser getrunken. verhältnismäszig am freiesten ist Tibull; er ist der Cincinnatus der römischen elegie, der vom pfluge geholt wird und zum pfluge zurückkehrt; aus seinen liedern weht der erdgeruch heimischen bodens. Properz lebt in der tradition und hat manches verlorene blatt; aber die grösze eines treuen, begeisterten, durch und durch modernen gemütes weisz uns oft unwiderstehlich mit sich fortzureiszen. schüler der Alexandriner ist auch Catull, der uns als hendekasyllabist fast nie den zauber einer eigentümlichen persönlichkeit vergessen läszt; hier ist er doch manchmal fast nur wortgetreuer übersetzer. ganz nachahmung ist Ovid. selbst die geliebte löst sich schlieszlich in dunst und wolken auf. und doch, die flüssigkeit der sprache und die geläufigkeit, mit der er tausendmal gesagtes dem bequemen publicum nochmals mundgerecht zu machen versteht, hat ihn viel länger im gedächtnis der nachwelt erhalten, viel früher von neuem erweckt; ja er ist eigentlich nie aus dem bewustsein der zeiten geschwunden. das mittelalterliche volk dachte sich ihn als einen zauberer auf einer fernen insel, und die mönche lasen seine amores mit entzücken. Conrad Celtis dichtete seine elegien nach, und die Faustdichtung konnte sich nicht seinem einflusse entziehen (Goethe-jahrb. VI 227). schon sehr früh wurden seine werke, uns interessieren hier natürlich nur die erotischen, verdeutscht; seine amores gar schon 1365 'auf befehl Alberts III von Österreich' und sollen so noch handschriftlich erhalten sein (Degen litteratur der übersetzungen der Römer 1797, unter 'Ovid'); 1603 und 1608 seine ars amatoria 'und mit vielen lustigen liedern und reimen verziert' (Cholevius 1, 354 f.).

nun

So wären wir denn bei den ersten Schlesiern angelangt, von welcher zeit an die antiken dichter eine ganz andere bedeutung für die deutsche lyrik erlangen sollten, und es erübrigt nur, das 'elegische triumvirat': Catull, Tibull, Properz auch hierher heraufzuholen, denn es läszt sich über sie bis dahin wenig sagen. aber, bei der groszen feier der neugeburt der 'deutschen poeterey' durften sie als pathen nicht fehlen. tönte auch noch aus der romantischen ritterzeit herüber das lied von der süszen minne, so zeigt doch die schäferlich-spielende entartung, dasz man es mehr im kopf als im herzen moduliert. sinnlich kräftigere töne lassen sich vernehmen; neben Horaz und Anakreon nimmt sich Opitz den Ovid und Properz, andere mehr den Catull zum muster (Cholevius 1, 354), bald einen einzelnen gedanken breiter ausführend, bald ein motiv: wie die berühmte aufforderung an Lesbia zu fröhlichem liebesgenusse (nr. 5) oder das noch berühmtere zählen der küsse (nr. 7) manigfach variierend. aber man ist in der auswahl noch sehr vorsichtig und erlaubt sich nichts, was gegen eine alterprobte moral verstoszen könnte. mit einer einzigen ausnahme: der lustige und derbe minnesinger' Jakob Schwieger hat sich in seiner 'ge

harnischten Venus' die alten liebenden poeten' mehr zu herzen genommen und sie mit weniger skrupeln, wo ihn konnt' ein beispiel X schüzzen', 'angezogen'; ja auch dem Priap hat er seine huldigung dargebracht. er ist wohl derjenige dichter, der am auffälligsten vor Goethe den einflusz der römischen elegiker zeigt (vierteljahrsschr. f. dtsche. litteratur 3, 236 ff.); aber er weisz meisterlich, die elegien in die kleinere münze seiner lieder auszuprägen.

Noch viel stärker ward das sinnliche element in der lyrik der zweiten Schlesier dann aber sollte es für lange zeit mit der erotik wieder still werden (Cholevius 1, 390 ff. Friedrich Schlegel Heidelberger jahrb. 1808 5e abt. 1-3s heft s. 159 ff.). hier hat das unnatürliche einer ganz conventionellen dichtung seine sumpfigsten blüten getrieben. die erotiker, besonders Ovid, werden ausgeplündert, modernisiert, 'marinisiert': die dichter schwelgen in nacktheiten, aber nicht mit der naiven unschuld der natur, sondern der süszlichen, cynischen frechheit des rococomenschen. ihnen gilt daher mit der scheele seitenblick, den Schiller bei besprechung der erotischen elegie auf die dichtungen wirft, die 'das werk der wahl und einer absichtlichen nachahmung' sind. und sie werden dann noch einmal in und mit ihrem Ovid, dem unwahrsten der elegiker, zu dem sie sich natürlicher weise am meisten hingezogen fühlten, vernichtend abgeurteilt.

In diese zeit fallen auch die ersten übersetzungen der 'triumviri amoris', ganz zu romanen zusammengearbeitet, im echten stile der zweiten Schlesier: Joachim Meyers von Perlenberg (Degen s. 21, Gervinus 3, 511, Gosche archiv 1, 101 ff.), 'durchlauchtige Römerin Lesbia, worinnen Catulli Carmina erklärt' (1690). dieselbe mühewaltung hat er auch der Delia (1707), Cynthia, bzw. Tibull, Properz angedeihen lassen.

Das 18e jahrhundert, nun um eine stufe höher in der erkenntnis des altertums, begann wieder mit Horaz und Anakreon. aber man entlehnte nicht mehr blosz einzelne motive und gedanken, man übersetzte, man lernte die antiken formen streng nachbilden und im stil und geiste der alten nachschaffen. was man am Horaz gelernt, wandte man darauf an den anderen an; seine erotischen ge✔dichte führten auf Catull, den sich nun Ramler zu übersetzen anschickte; Klamer Schmidt gab (1773 und 1774) 'hendekasyllaben' und 'Catullische gedichte' heraus, in denen aber Cholevius (a. a. o. 518) vorerst nur den sinnlichen mutwillen Catulls ohne dessen lepidum und venustum findet. schon tritt auch Tibull in den vordergrund: Boie, angeregt durch die lateinischen elegien eines jungen holländischen gelehrten (Knebel litterar. nachlasz 2, 102), 'die ganz von Tibulls geiste erfüllt sind', gibt Knebel den rat: ✔'machen Sie sich einmal an die Tibullische elegie3 (a. a. o. 115. 30 januar 1772) und damit, wie mit seiner aufforderung zur Lucrezübersetzung (im briefe vom 7 märz 73 a. a. o. nr. 1), einen anstosz für dessen ganzes leben. nur vertauschte Knebel den Tibull, mit

er liesz

dessen übersetzung er sich anfangs wirklich getragen sich von Goethe (bw. 1, 36) am 20 october 1782 den Tibull besonders nachsenden mit einem andern elegiker: Properz.

Dazu kam ein zweites moment, ein immer stärker anschwellender rückschlag gegen Klopstocks erhabene, nur zu erhabene, gefühlvolle, nur zu ätherische dichtung, ein sich unbewust äuszerndes verlangen der nation nach irdischer, sinnlicher leidenschaft (Fr. Schlegel a. a. o.).

Diese erotische richtung muste daher Bruncks neuausgabe der griechischen anthologie willkommen heiszen und fand in ihr neue nahrung.' und nun regnete es am anfange der 80er jahre in allen teilen Deutschlands von übersetzungen der römischen elegiker: zunächst nur einzelner stücke und in prosa (Degen a. a. o. unter den betreffenden namen). aber bald gewann man die herschaft über das distichon, das ja seit Gottscheds und Ewalds v. Kleist ersten versuchen (neben den gereimten trauerelegien von J. A. Schlegel, Weisse, Nicolay, Klamer Schmidt, Hölty, Tiedge) in den mehr im sinne des altertums gefaszten elegien von Klopstock, Stolberg, Voss (Koberstein a. a. o.) gepflegt worden war. So ver öffentlichte Karl Friedr. Reinhardt (Minor, Schiller 1, 378) bereits 1781 perlen seines im elegischen versmasz übersetzten Tibull, und viele folgten (Degen unter "Tibull'). bald hatte man auch den mut, vollständige sammlungen zu übertragen: schon 1780 und 1781 erscheint der ganze Tibull in prosa, 1783 Reinhardts metrischer Tibull. verhältnismäszig der späteste war Properz. er kam am wenigsten dem übersetzer entgegen. ein paar elegien hatte schon Reinhardt > im anhang zu seinem Tibullus 'nicht blosz metrisch sondern auch wirklich dichterisch' übersetzt. eine vollständige übertragung, und die in prosa, erschien aber erst 1786, oder richtiger: begann zu erscheinen, in deren vorrede der verfasser, Hofmann in Chemnitz, eine redliche verteidigung des Properz unternimmt..

In demselben jahre 1786, das wir als das hauptjahr der elegienübersetzungen bezeichnen können, kam der gesamtcodex der elegischen triumvirn in prosa übersetzt heraus, eine elende arbeit, welche schon ein groszes interesse an der römischen elegie voraussetzen muste, um auf abnahme zu rechnen; die sie auch wirklich fand.

Indessen hatte auch Knebel im stillen den Properz, den er sich an stelle des Tibull erwählt, ganz in prosa übertragen (vorrede zu seinen 'elegien von Properz', Leipzig 1798, s. IX ff.).

So sehen wir, dasz Goethe, als er, von Italien zurückgekehrt, sein interesse der römischen elegie zuwandte, sich damit in überein

7 W. Heinse hat in seinem "Ardinghello' mehrfach motive der anthologie romanhaft verarbeitet (1785).

nachgebildet wurde er aber schon ziemlich früh. ich finde hei Degen (a. a. o.) 1774: taschenbuch für dichter und -freunde. die elegie in der IX abteilung ist dem Properz nachgeahmt.' das erste und, wie es scheint, einzige beispiel vor Goethe.

N. jahrb. f. phil.u. päd. II. abt. 1893 hft. 1.

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stimmung mit einem groszen teile der nation befand. nur so läszt es sich erklären, dasz die aufnahme, welche später seine elegien fanden, doch verhältnismäszig eine ruhige und beifällige war. welch einen sturm von entrüstung würde es in unseren tagen hervorrufen, wenn einer unserer beglaubigten dichter im reifsten mannesalter mit solchen dichtungen hervorträte!

9 erst später, als er im xenienkampf das litterar. publicum gegen sich erbittert hatte, wurden die elegien manigfach angefeindet. (fortsetzung folgt.)

WIEN.

FERDINAND Bronner.

LATEINISCHE

5.

SCHULGRAMMATIK. BEARBEITET VON DR. GUSTAV LANDGRAF. ZWEITE AUFLAGE. Bamberg, Buchner. 1892.

Von den schweren vorwürfen, die gegen den grammatischen unterricht im lateinischen erhoben sind, musz die lateinische schulgrammatik einen guten teil mit recht tragen. auf den einseitigsten Ciceronianismus beschränkt, in ihren regeln häufig ohne den nötigen zusammenhang mit den äuszerungen der classischen sprache selbst war sie in einen starren, rationeller geistes bildung feindlichen formalismus geraten. gegen diese richtung erhob sich im letzten jahrzehnt ein kräftiger ansturm; es folgte eine grosze zahl neuer lehrbücher, die meisten jedoch blieben ohne nachhaltigen einflusz auf eine neugestaltung des grammatischen lehrstoffs. war es doch in erster linie unerläszlich, ein neues fundament für die grammatik zu bauen und sich der mühevollen arbeit einer genauen prüfung der regeln auf der grundlage eines eingehenden studiums der classischen sprache zu unterziehen. in hervorragender weise scheint dem rec. diese aufgabe in der grammatik von Landgraf, von der in kurzer frist die zweite auflage erschienen ist, gelöst zu sein. zunächst ist in derselben die einschlägige grammatische litteratur auf das sorgfältigste und, wie die 'litteraturnachweise und bemerkungen zur lateinischen schulgrammatik', die der verfasser seinem lehrbuch beigefügt hat, in seltener vollständigkeit verwertet worden. ebenso lassen sich die resultate eines umfassenden studiums der sprache aus der richtigstellung von regeln an vielen orten erkennen, was an einigen beispielen gezeigt werden soll. die construction der adjectiva des mangels wird in den älteren grammatiken durch folgende die oben gerügte methode besonders bezeichnende regel festgesetzt (Ellendt-Seyffert 32e aufl. § 166): 'die adjectiva werden in der regel mit dem ablativ verbunden, wie nudus, orbus, liber, inanis, vacuus, nur bei personen haben liber, nudus, orbus stets a, vacuus zuweilen.' derartige bestimmungen müssen aus der schulgrammatik

auf das entschiedenste verwiesen werden. auf eine schematische zusammenstellung der in einem kleinen kreise classischer schriften vorkommenden fälle basiert fehlt ihnen zuerst das zwingende eines sprachgesetzes und damit die existenzberechtigung für eine regel in der schulgrammatik. somit entbehren dieselben auch jedes moments für die verstandesbildung, sind lediglich gedächtniswerk und bilden erfahrungsmäszig den schwierigsten teil bei der aneignung grammatischer sicherheit für den schüler. schlieszlich erweist ein genauerer vergleich bei den classikern, dasz derartige scharfe trennungen der constructionen in der sprache selbst meist keine stütze finden. auch bei den genannten adjectiven wird die präposition zu sächlichen substantiven gesetzt: animus liber ab sensibus omnique impeditione curarum Cicero de div. I 115, liber a tali inrisione Socrates Acad. II 123, ab omni animi perturbatione liber de off. I 67, hora nulla vacua a furto, scelere, crudelitate, flagitio Verr. I 34, omnia vacua ab omni periculo atque etiam suspicione belli prov. cons. 30, Messana ab his rebus vacua atque nuda Verr. IV 3 u. a. darum deckt die einfache regel bei Landgraf (§ 146) den sprachgebrauch: 'der abl. separativus steht ohne präposition bei den adjectiven liber, inanis, vacuus, nudus. doch kann bei diesen adjectiven der abl. mit ab stehen, so immer bei personen.' ebenso ist mit dem sprachgebrauch die construction der verba der sinnlichen wahrnehmung in einklang gebracht, die man fälschlich getrennt hat, indem bei einer reinen sinnlichen wahrnehmung das participium, sonst der infinitiv festgesetzt wurde. an sich schon ist ein solches gesetz für die lateinische sprache bei dem mangel an participien undenkbar. dazu lassen sich zahlreiche stellen anführen, wo bei sinnlicher wahrnehmung der infinitiv gesetzt ist. richtig heiszt es daher bei Landgraf (§ 177), dasz bei diesen verben die infinitive perf. act. und praes. pass. stehen müssen, in den andern zeiten infinitiv- und participialconstructionen gleich häufig sind. weiter sind die verbesserungen von regeln zu erwähnen bei der rection des prädicats auf mehrere subjecte (§ 102), bei dem gen. qualitatis (§ 128), bei der construction von fidere, confidere (§ 142), bei dem abl. comparationis (§ 149). richtig lautet die bemerkung, dasz nach den verba des fürchtens statt ne non auch ut folgen kann (§ 189), wobei ohne grund die früheren grammatiken die negierten zeitwörter ausgenommen haben, dasz zu accedit ohne unterschied ut oder quod zu setzen ist (§ 195), dasz in verneinten bedingungssätzen je nach der auffassung nisi oder si non oft stehen können (§ 205), dasz an non auch in indirecten fragesätzen zulässig ist, von denen es ohne berechtigung ausgeschlossen war (§ 213), dasz man in der freieren anwendung von nunc in der oratio obliqua den classikern folgen darf (§ 214), wo mit unverständlicher rigorosität selbst der gebrauch des pronomen hic dem schüler noch immer verboten zu werden pflegt usf. hier mag auf einige verbesserungsbedürftige fälle dieser art der sache zu liebe noch hingewiesen werden. die subtilen unterscheidungen der constructionen bei natus

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