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wahrscheinlich auf den bruch mit frau v. Stein bezieht, auch in diesen zusammenhang gehört und etwa mit dem schlusz von el. XIII oder el. IV zu vergleichen wäre, oder ob es der rest einer elegie aus der zeit der dritten Schweizerreise ist, bleibt zweifelhaft. es lautet:

Als der undankbare floh, o göttin ewiger treue,

fleht' ich ihn nicht zurück, fleht' ich, verzeih du ihm, nur. du ergriffst ihn gewaltig und hast ihn übel gebändigt, graue locke hält nun ihn den beweglichen fest.'

Jedenfalls zeigen schon diese beispiele, dasz die ausarbeitung der elegien aus dem vorhandenen material der erotica eine auszerordentlich freie und kunstvolle war, und dasz nicht so sehr in der dichtung der erotica als vielmehr eben in der verarbeitung derselben die hauptleistung bestand. noch mehr erweisen dies die folgenden nummern der venetianischen epigramme, die ich hier ebenfalls beiziehe. längst gilt es ja als ausgemacht (Loeper Goethes ged, erl. 12, 409, Schäfer Goethes leben 22, 48 f., Düntzer erl. 3r bd. s. 43 ff.), dasz einige erotica unter die venetianischen epigramme aufgenommen wurden, so besonders nr. 88-95, nr. 99-103. wie soll man es nun anders als auf obige weise erklären, dasz nr. 90 so wesentlich ähnlich lautet einem teile der XIII elegie?

'Dasz ich schweige, verdrieszt dich? was soll ich reden? du merkest auf der seufzer, des blicks leise beredsamkeit nicht.

eine göttin vermag der lippe siegel zu lösen;

nur Aurora, sie weckt einst dir am busen mich auf. ja, dann töne mein hymnus den frühen göttern entgegen, wie das memnonische bild lieblich geheimnisse sang.'

und elegie XIII:

"Blick und händedruck und küsse, gemütliche worte,
silben köstlichen sinns wechselt ein liebendes paar.
da wird lispeln geschwätz, wird stottern liebliche rede:
solch ein hymnus verhallt ohne prosodisches masz.
dich, Aurora,

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hat, Aurora, dich auch Amor, der lose, verführt? du erscheinest mir nun als seine freundin und weckest mich an seinem altar wieder zum festlichen tag.'

daran sich schlieszend nr. 95:

"In der dämmrung des morgens den höchsten gipfel erklimmen, frühe den boten des tages grüszen, dich, freundlichen stern!

nun erscheint ihr mir, boten des tags, ihr himmlischen augen meiner geliebten, und stets kommt mir die sonne zu früh.’

und ebenso anschlieszend in elegie XIII:

"Einen druck der hand, ich sehe die himmlischen augen

wieder offen

bleibt geschlossen! ihr macht mich verwirrt und trunken, ihr raubet .. mir den stillen genusz reiner betrachtung zu früh,'

oder? wenn es in nr. 88 heiszt:

Eine einzige nacht an deinem herzen!

ja, ich erlebe den morgen, an dem Aurora die freunde busen an busen belauscht, Phöbus der frühe sie weckt.' und am schlusse von elegie XVIII:

'So erfreuen wir uns der langen nächte, wir lauschen busen an busen gedrängt, stürmen und regen und gusz. und so dämmert der morgen heran;

Erwägen wir noch die auffällige thatsache, dasz ja seit herbst 1788, bis anfang 90, immer von neuen dichtungen berichtet wird, wir aber, alles in allem, nur 24 elegien und die wenigen unter die venetianischen epigramme aufgenommenen nummern erhalten haben, da, glaube ich, kann es nun nicht mehr zweifelhaft sein, welcher art zunächst die erotica (Romana) waren. es waren, ich wiederhole es, erotische epigramme, die dem dichter glückliche augenblicke in reicher fülle schenkten. gröszere gedichte im elegischen masze auszuführen, also eigentlich elegien zu schaffen, dazu fehlte ihm noch die behagliche ruhe und stetigkeit der stimmung (Düntzer leben 418 ff.), fühlte er sich noch zu sehr durch die besorgnis vor den 'Quiriten' und die ahnung der drohenden stürme bedrückt; dazu fehlte ihm aber vor allem der mut und die prosodische sicherheit. denn wir dürfen ja nicht vergessen, dasz er hier ganz ohne vorgänger und ohne beispiel in der heimischen litteratur war, wie er es ja selbst (Hempel 25, 128) ausgesprochen hat: 'aber zu gleicher zeit sollte mich noch eine ableitung der welt entfremden und zwar die entschiedenste wendung gegen die natur, zu der ich aus eigenstem triebe ... hingelenkt worden. hier fand ich weder meister noch gesellen und muste selbst für alles stehen. in der einsamkeit der wälder und gärten, in den finsternissen der dunkeln kammer wäre ich ganz allein geblieben, hätte mich nicht ein glückliches verhältnis in dieser wunderlichen epoche lieblich zu erquicken gewust. die römischen elegien, die venetianischen epigramme fallen in diese zeit.' erst als das geheimnis entdeckt war und der von allen seiten gegen ihn ausbrechende zorn ihn mit frischer kampfesfreude erfüllte, als Moritz december 88 und januar 89 bei ihm geweilt und einerseits die ganze römische welt ihm wieder vor die seele gerufen, anderseits ihn in metrischen fragen befestigt hatte, als endlich Knebel selbst daran gieng, die elegien des Properz in demselben versmasz zu übertragen (G.s briefw. mit C. August 1, 145, 6 april 89) und der abschlusz des Tasso (juli 89) dem dichter genügend zeit und musze liesz erst da wird in Goethe der entschlusz gereift bzw. von ihm ausgeführt worden sein, elegien im stile des Properz zu schaffen und die vorhandenen erotica zu solchen gröszern gedichten 'aus

zuarbeiten'.3 nur so läszt sich dieser eigentümliche ausdruck vollkommen erklären, und Heller hat schon das ganz richtige gefühl gehabt, dasz es damit eine besondere bewandtnis habe, dasz diese bezeichnung nicht in dem gewöhnlichen sinne des dichters gebraucht sein könne; nur hat er sich dadurch zu seinen abstrusen vermutungen verleiten lassen."

Erst von april 1789 ab finden wir in Goethes briefen an den herzog andeutungen, dasz es sich nun bereits um gröszere elegien mit vorbestimmtem thema handelt, finden wir nun auch die bezeichnung: elegie. so schreibt er schon in jenem briefe vom 6 april 89, dasz er dem 'leidigen übel' des herzogs 'ehestens in hexametern und pentametern aufs schmählichste begegnen' werde: es ist dies die später unterdrückte, ursprünglich XVI elegie (mitgeteilt: werke, weim. ausg. bd. 1, lesarten). ebenso hat er eine elegie im sinne, wenn er dem herzog mai 89 (briefw. 133 u. 143; die briefe sind von dem herausgeber falsch datiert, s. Düntzer erläuterungen 12, 215) ein lobgedicht in den eroticis verspricht: venetianische epigramme nr. 34b, welches wahrscheinlich ebenso wie nr. 34a aus dem rahmen der veränderten sammlung scheiden muste. und in folgenden briefen spricht er auch ausdrücklich von 'elegien'. an den herzog (briefw. 154, 20 nov 89): "... wie Sie dereinst in der 101n elegie meiner immer wachsenden büchlein sehen werden', wobei natürlich 101 übertreibung mit rücksicht auf das folgende und nicht druckfehler ist, wie Düntzer (neue jabrb. a. a. o.) vermutet. gleichfalls an den herzog (s. 163, Venedig 3 april 90): 'meine elegien haben ihre höchste summe erreicht.' an Herder (nachl. 118, unter selbem datum): 'meine elegien sind wohl zu ende.' gewis gieng daneben die dichtung von 'erotica' im früheren sinne noch fort, wie wir aus der oben angeführten stelle an Herder: 'fragmentenart erotischer späsze', die ja aus einem briefe vom 10 august 89 stammt, erschlieszen können. 5

Hiermit glaube ich dies dunkle capitel einigermaszen aufgehellt zu haben. war nun die thatsache, dasz Goethe die elegiker in Rom noch nicht gelesen, von groszer bedeutung für die erkenntnis der entstehung der römischen elegien, so ist es nun diese, und ich habe sie deshalb so ausführlich erörtert, noch mehr für die beurteilung des verhältnisses zu den antiken quellen.

3 ein ähnliches, aber später zu erörterndes beispiel von 'ausarbeitung', wo nicht eigentlich ein epigramm, sondern ein etwas längeres gedicht im elegischen masze zu grunde liegt, bietet uns elegie IV, verglichen mit dem erhaltenen fragment ‘edelknabe und wahrsagerin'. 4 vgl. auch Gruppe (leben und werke deutscher dichter 42, 313 f.). 5 ein anderes war es nun, die so ausgearbeiteten' elegien zu einem einheitlichen cyclus zu 'redigieren' (Hempel 27, 9: auszuarbeiten und zu redigieren'). die spuren dieser thätigkeit zeigt uns besonders die erste fassung von elegie III (werke, weim. ausg. I, lesarten).

II. Kurzer abrisz über die antike elegie und die verbreitung ihrer kenntnis in Deutschland, übersetzungen, nachahmungen vor Goethe.

Auch die elegie hat ihre heimat in Griechenland. auch ihr ursprung ist wie der aller dichtungsgattungen in der verbindung mit einem cult zu suchen (Usner über den altgriechischen versbau 113 ff.). aber nicht mit dem Demetercult, wenn sie auch später in besonderen beziehungen zu ihm stand. sondern, wie nach den neuesten untersuchungen auf grund der etymologie von wurzel λεγ, ἐλεγαίνειν = ἀκολασταίνειν festzustehen scheint (Wilamowitz Herakles 1, 57 u. ff. Diels in vorlesungen), aus der mit wildem, nach griechischer anschauung 'unanständigen' schmerzgebaren verbundenen toten klage. diese, kunstmäszig gestaltet, ergab den trauergesang und, auf dem leichenstein verewigt und des beschränkten raumes wegen in wenige verse verdichtet, das epigramm. und wie nun das epigramm allmählich auch zu andern zwecken verwendet und erweitert wurde, so entstanden aus dem ursprünglichen trauergesang erst im laufe der zeiten die melancholisch-erotische elegie des Mimnermos und die kriegerische des Kalinos, die uns als die ersten zeugnisse erhalten sind. so bekommen wir die interessante thatsache, dasz die 'elegie' im sinne der vorclassischen renaissance- und gelegenheitspoesie: als trauergesang zugleich die älteste und uranfängliche ist; und in diesem sinne haben Schiller sowohl als auch Goethe in ihrer jugend 'elegien' gedichtet. an Cornelia 11 mai 1767 (werke weim. ausg. IV1 s. 90): 'die elegie ist auf den tod von Behrischens bruder. . . .' aber diese eigentlich griechische elegie gelangte in Deutschland verhältnismäszig am spätesten zu etwas breiterer kenntnis, und Goethe selbst schrieb noch, in 'kunst und altertum' (Hempel 29, 559), eine recension von Webers 'die elegischen dichter der Hellenen' (1826), worin er erzählt, wie er sich in jüngeren jahren mit dem Theognis abgequält', dann seine 'bemühungen an die heiteren und frohsinnigen glieder seiner landesgenossen' gewendet habe. doch fallen diese bemühungen erst in die zeit nach den römischen elegien' und haben auf diese keinen einflusz.

Die weiterentwicklung der griechischen elegie unter den Alexandrinern (A. Couat, la poésie Alexandrine 1882) schlieszt sich an Mimnermos an, sowohl in dem hauptsächlich erotischen inhalt, als in der vereinigung mehrerer elegien zum einem cyclus unter einem vorangesetzten namen.

Liebte schon die alte elegie die anknüpfung an das epos, maszvolle und wirksame reminiscenzen an Homer in sprache, stil und situation, so ward nun dies epische element zum gelehrten excurs, der sich wie die grauen, endlosen fäden durch diesen 'altweiber

6 Koberstein 55 203 ff. 236 ff.

sommer der griechischen poesie' (Mommsen röm. geschichte 32 598 ff.) hindurchzog. hinzukam ein neues: die feine sittenbeobachtung der neueren attischen komödie, und enger als in der hellenischen waren in dieser hellenistischen zeit elegie und epigramm verknüpft: manches wohlgetroffene sittenbildchen, das der verfasser nicht mit 'epischen' purpur- 'fetzen' zur elegie verbrämen mochte und nicht ganz zum epigramm zuspitzen konnte, scheint mitten inne zu stehen und eine mittlere gattung begründen zu wollen.

Die epigramme sind es auch, welche, in der 'anthologia Palatina' gesammelt, die kenntnis der Alexandriner in weitere kreise getragen; denn von ihren elegien ist nur sehr wenig erhalten, und die epigramme vereinigen die elemente derselben, nach stil und motiven, gleichsam in einem auszuge. in Deutschland hatte wohl schon 1754 Reiske eine anthologia Graeca' herausgegeben, mit nachträgen der 'Epwτikά in den miscellanea Lipsiensia, aber wenig beachtung gefunden. man erwartete und erfüllte im epigramm noch mehr witziges gedankenspiel, als den frischen ausdruck augenblicklicher empfindung. Lessing in seinen 'anmerkungen über das epigramm' knüpfte mehr an die spätesten dichter wie Martial an, und Kästner war mehr bissig als gemütlich. erst Bruncks 'analecta veterum poëtarum Graecorum', die am ende der 70er jahre des vorigen jahrhunderts erschienen, weckten ein lebhaftes echo. man wetteiferte, sie zu übersetzen. Chr. Stolberg veröffentlichte 1782 verschiedene stücke in seinen gedichten aus dem griechischen übersetzt'. man bielt sich nunmehr auch ausschlieszlich an die antike form: das distichon. in demselben jahre erhielt Goethe (17 märz, werke weim. ausg. IV 5, 282) aus der Schweiz 'ein paketgen aus der griechischen anthologie', übersetzungen von Jak. Chr. Tobler, die dieser dann 1785-1787 im 'schweizerischen museum' herausgab. und endlich und vor allem ward durch die neue ausgabe Herder angeregt, seine alten übersetzungsversuche wieder aufzunehmen (Haym, Herder 2, 304 f.) und so oft zu erneuern, bis jene sprachlich so lieblichen "blumen aus der griechischen anthologie' hervorgiengen, die, wie ✔wir sehen werden, von so maszgebendem einflusse für die "römischen elegien' werden sollten.

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Die gleichheit der socialen voraussetzungen bewirkte es, dasz von der gesamten griechischen dichtung nichts so sehr in Rom auf fruchtbaren boden fiel, als die alexandrinisch - erotische poesie, vor allem die werke ihrer hauptvertreter Philetas und Kallimachos (Ribbeck geschichte der römischen dichtung 1, 330 f.; 2, 177 ff.). die entwicklung des luxus, des hetärenlebens, eine nihilistische weltanschauung, welche sich ironisch dem alten götterglauben gegenüberstellte und im genusz des augenblicks die höchsten wonnen des daseins fühlte, all dies waren den in Alexandria ausgebildeten analoge verhältnisse. nur kam hier das bewustsein der weltengrösze Roms hinzu, welches doch auf einen moment auch den schlottrigsten elegiker mit stolzem patriotismus erfüllte. im ganzen und groszen

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