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schall die copie der adresse erhalten und sowohl ihm wie mir streng geantwortet", die directorstelle am Smolensker gymnasium der reihe nach allen Moskauischen inspectoren angeboten habe, in der absicht mich, dem Smolenskischen adel zum trotz, nach Moskau überzuführen; aber alle hätten die stelle ausgeschlagen. so geriet denn die frage nach der ernennung eines directors in Smolensk allmählich in vergessenheit. ein edelmann aus dem Smolenskischen gouvernement, der früher in der armee gedient und sich empfehlungsbriefe an W. J. Nasimow verschafft hatte, reiste nach Moskau, um sich um die stelle des gymnasialdirectors zu bewerben. der curator empfieng ihn freundlich, aber auf seine bitte antwortete er lakonisch: 'die stelle ist besetzt.' diese antwort des curators wurde in Smolensk bekannt und man vermutete, dasz ohne zweifel der curator mich gemeint habe und dasz ich auch director werden würde, um so mehr als ich dieses amt schon gegen zwei jahre interimistisch verwaltet hatte (vom 15 december 1853 bis 8 februar 1855 ohne vergütung, da der director noch im dienste blieb, von da ab bis zum 6 december 1855 gegen empfang der gage).

Im december 1855 erfuhr ich aus den zeitungen, dasz ich zum stellvertretenden director der schulen des Smolensker gouvernements ernannt sei. 18

Auf diese nachricht hin fuhr ich nach Moskau, um mich bei dem curator zu bedanken. als ich ankam, war eben seine ernennung zum generalgouverneur von Wilna eingetroffen, aber W. J. Nasimow war noch in Moskau. er empfieng mich herzlich, umarmte und küszte mich und antwortete auf meine dankesversicherungen: Sie haben es verdient.'

Dann gab er mir den 'freundschaftlichen' rat, den curator in Moskau häufiger zu besuchen. 'wissen Sie', sagte er, es gibt leute, welche ein so schnelles avancement mit scheelen augen betrachten und schaden stiften, wo sie nur können.'

Ich ahnte, dasz das von mir zerrissene schreiben wohl auch unter dem einflusz von solchen leuten entstanden sein mochte. beim abschiede sagte mir Wladimir Iwanowitsch:

'Ich bin überzeugt, dasz jeder curator mit Ihnen zufrieden sein wird. aber wenn man, gegen erwarten, hier mit Ihnen unzufrieden sein sollte, so schreiben Sie nur an mich und ich werde Ihnen eine bessere stelle verschaffen.'

Das war mein letztes zusammensein mit Wladimir Iwanowitsch Nasimow. Er war ein mensch von hoher ehrenhaftigkeit und

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17 fürst M. W. Druzkij-Sokolinskij war sehr aufgebracht über das schreiben des curators und wollte ihm scharf antworten; aber ich bat ihn, das nicht zu thun, aus furcht, seine antwort könnte mir schaden.' 18 früher hatte der director des gouvernements - gymnasiums auch zugleich die oberaufsicht über sämtliche schulen des gouvernements; war mehr administrativbeamter als schulmann, gab meistens in seinem gymnasium keine oder nur wenige (etwa vier wöchentliche) lehrstunden und war mit canzleigeschäften überhäuft.

er

noblesse, gerade heraus, human. sowie ich ihn beurteile, nahm er mehr eine maske von härte und strenge an, besasz aber einen unerschöpflichen schatz von herzensgüte. welcher vorgesetzte hätte seinem untergebenen, wie mir damals in Smolensk, gesagt: 'spucken Sie doch auf mein schreiben, Sie wissen ja, wie ich Sie liebe und achte.' nur leute, die ihn blosz oberflächlich kannten und nach seinem äuszern auftreten beurteilten, nannten ihn einen 'soldaphon', einen 'burbon'. gäbe es nur mehr solche 'soldaphone' unter uns, wie gut und ruhig könnte man dann leben!

ARBON IM KANTON THURGAU.

F. WALDMANN.

4.

GOETHES RÖMISCHE ELEGIEN UND IHRE QUELLEN.

I. Entstehung.

Nach Goethes eignen bekannten äuszerungen in den 'tag- und jahresheften' (werke, Hempel 27, 8) und der 'campagne in Frankreich' (Hempel 25, 128) sind die römischen elegien erst nach der rückkehr aus Italien, in der ersten zeit seiner verbindung mit Christiane Vulpius entstanden. die richtigkeit der ansetzung läszt sich sowohl durch gleichzeitige, später zu erwähnende briefstellen Goethes belegen als durch die berichte von zeitgenossen (vgl. Goethejahrbuch I 317 ff.).' und so hat von jeher niemand daran gezweifelt: biographen und commentatoren begegneten sich hier in eintracht. nur Heller in seinen untersuchungen über 'die antiken quellen von Goethes elegischen dichtungen' (in unsern jahrbüchern 1863 bd. 88 s. 300 ff. und, was fast ganz unbeachtet blieb, 1865 bd. 92 s. 397 ff.) hat die anfänge der elegien schon nach Rom verlegt. vielleicht nie ist falsches und richtiges in so inniger durchdringung vorgebracht worden als in dieser arbeit. ausgehend von den bei römischen elegikern gefundenen parallelstellen und dem von Goethe an der ersten oben angeführten stelle für die dichtung seiner elegien gebrauchten ausdruck ausarbeiten', sowie der jahreszahl 1788, welche die Riemer-Eckermannsche (doch ziemlich unzuverlässige) 'chronologie' (Hempel 36, 676) als entstehungszeit der römischen elegien angibt, stellte er nämlich die ansicht auf und suchte sie

1 wenn D. Veit (Varnhagen II 47) am 20 december 1794 an Rahel schreibt: im ersten stück der Horen liefert Goethe liebes elegien, die er liegen hat und die in Rom gearbeitet sind', mit einer so zweifellosen bestimmtheit, so hat er gewis nur vor ihr mit einer intimeren kenntnis prahlen wollen, in wirklichkeit aber blosz weimarischen tratsch hinterbracht oder eine eigne vermutung nach der überschrift der in Biesters journal abgedruckten XIII elegie: Rom 1789.

durch innere gründe zu bekräftigen, Goethe habe in Rom die römischen elegiker gelesen, ihm besonders zusagende stellen gewissermaszen als versübung, wie später den Reinecke Fuchs, in distichen übersetzt und dann in Weimar daraus die elegien zusammen-'geleimt'. Düntzer hat ihn (gleichfalls in diesen jahrbüchern 1864 bd. 89 s. 180 ff.) mit einer flut von tiraden und verhöhnungen zu widerlegen versucht, doch mit sehr wenig erfolg, so dasz noch 1882 Lichtenberger (études sur les poésies lyriques de Goethe s. 186 ff.) von Hellers aufstellungen sagen konnte, dasz sie 'nicht der beweiskraft entbehren; ja er räume sogar ein, dasz Goethe möglicherweise in Rom einige elegienskizzen entworfen habe; nur die vollständige ausarbeitung, «l'ensemble de l'oeuvre, telle qu'elle se montre à nous aujourd'hui gehöre sicherlich einer spätern zeit an'. also ganz Hellers ansicht! wenn Lichtenberger aber vorher noch anführt, 'es sei höchst natürlich, dasz ein dichter wie Goethe, der nach anschauungen schaffe, die schönheit Roms eher im augenblicke, da er sie genosz, werde dargestellt haben, als nachher aus erinnerungen', so ist das gerade gegenteil wahr, wie uns Goethe selbst in einem briefe an Schiller vom 6 januar 1798 (briefw. II 4) belehrt: 'sehr sonderbar spüre ich noch immer den effect meiner reise. das material, das ich darauf erbeutet, kann ich zu nichts brauchen und ich bin auszer aller stimmung gekommen, irgend etwas zu thun, ich erinnere mich aus früherer zeit eben solcher wirkungen und es ist mir aus manchen fällen und umständen recht wohl bekannt: dasz eindrücke bei mir sehr lange im stillen wirken müssen, bis sie zum poetischen gebrauche sich willig finden lassen.' und so findet sich denn auch in den briefen aus Italien, wie schon W. v. Humboldt (ges. werke 2, 215) richtig bemerkt hat, trotz Heller (in seinem zweiten aufsatz) nicht die spur einer erwähnung von elegien oder elegischen dichtungen (vgl. auch Lichtenberger a. a. o. Théophile Cart, Goethe en Italie s. 223 ff.).

Das aber scheint bis jetzt allgemein feststehende ansicht gewesen zu sein, dasz Goethe in Rom die elegiker fleiszig gelesen habe, und Düntzer (Goethes leben s. 389) hat uns sogar die buchhandlung, wo er sie gekauft, fast ausführlich beschrieben. nun glaube ich aber beweisen zu können, dasz Goethe diese 'triumvirn' damals nicht gelesen hat, womit denn Hellers daraus abgeleitete hypothese ein für allemal endgültig abgethan wäre. ich finde nämlich in Goethes briefwechsel mit Knebel (Leipzig 1851, I 90) in einem briefe Goethes vom 25 october 1788 folgende bisher unberücksichtigt gebliebene stelle: 'danke für das kleeblatt der dichter, ich besasz es nicht.' damit können natürlich nur die drei römischen elegiker gemeint sein, die ja fast immer zusammengebunden wurden und noch werden. daraus, dasz Goethe dies buch in Rom nicht 'besasz', können wir aber sicher schlieszen, dasz er es auch in Rom nicht las. um im Livius, den er gleichfalls nicht 'besasz', lesen zu

können, schaffte er sich seine werke in Rom an. von einem ankaufe der elegiker meldet das 'römische notizbuch' nichts (schriften der Goethe-gesellschaft 2, 402 f.). damit stimmt auch eine stelle in der 'italiänischen reise' vortrefflich zusammen; es heiszt dort (I. R. ed. Düntzer s. 383 [august 1787]): 'Moritz studiert jetzt die antiqui. täten... wir gehen des abends spazieren, und er erzählt mir, welchen teil er des tages durchgedacht, was er in den autoren gefunden und so füllt sich auch diese lücke aus, die ich bei meinen übrigen beschäftigungen lassen muste und nur spät und mit mühe nachholen könnte."2 bedarf es eines volleren beweises? die thatsache selbst aber ist für die entstehung der elegien sehr wichtig, wie wir bald sehen werden.

Es kann natürlich nicht meine aufgabe sein, zum so und so vielten male wiederum die äuszere entstehungsgeschichte der elegien an der hand von Goethes briefen (briefwechsel mit Carl August, 1863, 1, 135 ff. und aus Herders nachlasz 1, 112 ff.) durchzuverfolgen. mir handelt es sich darum, diese stellen auf die innere entstehung hin zu interpretieren. wie haben wir uns diese zu denken?

Als Goethe, nach seiner rückkehr in Weimar innerlich ganz vereinsamt, Christiane fand und in ihrer sorgfältig geheimgehaltenen liebe seit mitte juli 1788 sich tief beglückt fühlte, da drängte es ihn, sein süszes geheimnis' dichterisch auszusprechen. Heller wirft mit recht die frage auf, warum nicht auch dieses liebesglück wie fast jedes frühere und spätere in liedern ausströmte. aber Goethe war in Italien viel zu sehr vom antiken formgeiste erfüllt worden, als dasz er jetzt am nordischen spiele des reimes hätte gefallen finden können. so knüpfte er denn zunächst an die eben in Rom so glücklich verwendeten reimlosen serbischen trochäen an, und es entstanden die 'morgenklagen' und der 'besuch', letzterer schon unter leichtem Properzischen einflusz (Daniel Jacoby Goethe-jahrbuch V 328 f.), also jedenfalls nicht vor ende october 1788 (s. o.). sodann aber, unter fortgesetzter lectüre der alten elegien, erneuerte er eine frühere periode seiner dichtung, in der er sich der antiken form genähert' hatte, und dichtete nun eine reihe von distichen in dem stile der griechischen anthologie. solche epigramme haben wir uns zu denken, wenn ende 1788 und anfang 89 in briefen Goethes von erotischen dichtungen die rede ist. darauf weist mit bestimmtheit der titel Erotica, den er diesem 'immer wachsenden büchlein' gab, nach analogie der èπyράμμатα épшτikά des Palatinus (ed. Dübner cap. V), und der nur dann später, als die sammlung ihren charakter bereits geändert hatte, mit dem zusatze 'Romana' beibehalten wurde, bis er der neuen bezeichnung 'römische elegien' weichen muste. dafür spricht ferner Goethes

2 derselben ansicht ist Cholevius (gesch. d. deutschen poesie, 1854, 2, 276).

bezeichnung dieser dichtungen als 'fragmentenart erotischer späsze' (aus Herders nachlasz 1, 113). so könnte er nimmer die abgerundeten und in sich geschlossenen elegien nennen, sondern nur eine sprunghafte reihe kurzer, pointierter, epigrammatischer gedichte, wie wir sie ja noch in dem endgültig festgestellten buche als elegie XIV, XVI, XVII, VIII, X uns erhalten denken können (A. W. Schlegel krit. schriften, 1828, s. 27 f.).

Schlieszlich hat Goethe selbst das später in die abteilung 'antiker form sich nähernd' aufgenommene epigram m 'süsze sorgen' unterm 16 nov. 88 an den herzog (briefw. 1, 135) mit der überschrift gesandt: 'hier ein eroticon', d. h. ein gedicht aus meiner Ihnen bekannten sammlung: Erotica. Scherer hat es einen vorklang der römischen elegien' genannt (Goethe-jahrb. IV 62 f.). wollte man dagegen einwenden, dasz ja Goethe auch die 'morgenklagen' an Fritz Jacobi (briefw. s. 116 f. 31 oct. 1788) mit der bezeichnung 'eroticon' sandte, so spricht das nicht gegen obige aufstellungen; denn Jacobi kannte gewis Goethes sammlung nicht, und eroticon' heiszt ihm gegenüber nur so viel als liebesgedicht überhaupt.

Und endlich, was das entscheidende ist, haben wir noch handschriftlich (werke, weim. ausgabe bd. 1 lesarten, nr. 5 hinter den venet. epigrammen) ein distichon erhalten, welches zu sehr mit dem anfang einer elegie übereinstimmt, als dasz es später entstanden und besonders aufgezeichnet sein sollte:

Alles was ihr wollt ich bin euch wie immer gewärtig

aber einsam des nachts schlafen! o freunde verzeiht. [freunde doch leider allein schlafen! ich halt es nicht aus.]' vgl. elegie XVIII eingang:

Eines ist mir verdrieszlich vor allen dingen

ich will es euch, freunde, gestehen: gar verdrieszlich ist mir einsam das lager zu nacht.'

das ist nur so zu erklären, dasz jenes distichon ursprünglich zum bestande der erotica gehört habe, dann in die XVIII elegie hineinverarbeitet und entweder zufällig erhalten oder vielleicht, weil es mit seiner neckischen fassung dort nicht ganz aufgieng, der selbständigen aufbewahrung wert befunden worden sei.

Ähnliches vermute ich von einem bei Schöll (briefe u. aufsätze, anhang s. 233 f. nr. 3) erhaltenen epigramm:

"Frage nicht nach mir, und was ich im herzen verwahre;

ewige stille geziemt ohne gelübde dem mann.

was ich zu sagen vermöchte, ist jetzo schon kein geheimnis; nur diesen namen verdient, was sich mir selber verbirgt.'

ich vergleiche damit den anfang von elegie XX:

Zieret stärke den mann und freies mutiges wesen,

o! so ziemet ihm fast tiefes geheimnis noch mehr.'

ob das folgende epigramm bei Schöll (nr. 4), von dem 'vorhergehende verse mit der schere abgechnitten' sind, und das sich wie nr. 3

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