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fallen und fuhr von neuem fort, die augen starr auf den ehrencurator gerichtet: ja, die disciplin, die ordnung und sauberkeit überall sind mustergültig, ich danke von herzen' und drückte dem director die hand. der ehrencurator krümmte sich wie ein igel, es war ihm augenscheinlich gar nicht behaglich zu mute.

Am abend vor seiner abfahrt aus Smolensk lud der curator des lehrbezirks den director und mich zum thee zu sich ein. nach dem thee erzählte er uns, wie er den ehrencurator habe ablaufen lassen.

'Denken Sie sich, er erschien gestern abend mit einer denunciation gegen Sie, herr inspector. wissen Sie auch, dasz Sie eigentlich ein criminalverbrecher sind, den man nach Sibirien schicken musz. Sie haben ja hier eine geheime gesellschaft gegründet.'-unter wem denn? 'unter den schülern, unter kindern. das hat mir Ihr ehrencurator berichtet. ich hörte ihn an, äuszerlich ganz gelassen, obgleich diese gemeinheit mein blut in wallung brachte. warte nur, mein täubchen (golubtschik), dachte ich, dich werde ich schon kriegen. wissen Sie, graf, sage ich zu ihm, Ihre mitteilung ist mir äuszerst wichtig. haben Sie die güte, alles, was Sie mir erzählt haben, niederzuschreiben und mir morgen zuzustellen. heute früh erscheint nun mein täubchen mit dem schriftstück, ich öffne es, durchfliege es und sehe wörtlich dasselbe, was er mir gestern erzählt hatte. da fiel ich nun über ihn her und machte ihn herunter wie einen soldaten. 14 er wollte mir gegenüber den grafen herauskehren. 'Ew. excellenz', sagte er, die hand an das ohr legend, 'ich bin etwas harthörig, bitte noch etwas lauter!' da kam er aber schön an. 'was!' schrie ich, 'schweigen Sie, hände an die hosennaht! ich spreche mit Ihnen als generaladjutant meines allergnädigsten herrn und kaisers.' nun, da nahm ich mir den mann auf meine weise ins gebet. aber, sagen Sie selbst, ich bitte Sie, erst eine so gemeine verleumdung und dann will er noch den harthörigen spielen. er wird an mich denken.'

Dann wandte sich W. J. an mich mit der frage:

Nun, wie leben Sie hier? sind Sie zufrieden mit Ihrer stellung? "Nein, Ew. excellenz, gar nicht.'

Warum denn?

"Wie sollte ich zufrieden sein? solange ich lehrer war, habe ich von einem verweis oder einer bemerkung oder auch nur von einem unfreundlichen blick meiner unmittelbaren vorgesetzten nichts zu sehen oder zu hören bekommen, aber beim ersten schritte, den ich in meiner höhern stellung thue, hatte ich das unglück einen schriftlichen, strengen verweis zu erhalten.'

Von wem denn?

'Von Ihrer excellenz.'

Wozu legen Sie denn ein so groszes gewicht auf mein schreiben?

14 po wojennomu' nach soldatenart.

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Sie wissen ja, wie ich Sie liebe und

spucken Sie doch darauf!
achte. nun, sind Sie jetzt zufrieden?
'Nicht ganz, Ew. excellenz!'

Was wollen Sie denn noch?

'Ich hatte das unglück, einen schriftlichen verweis zu erhalten.'

Ah, ich verstehe! morgen soll Michael Alexandrowitsch ein schreiben von mir erhalten. sind Sie jetzt zufrieden?

'Mir erübrigt nur, Ew. excellenz für Ihre schmeichelhafte, mir höchst wertvolle aufmerksamkeit zu danken.'

Ich hatte die gröste lust diesen strengen, harten chef zu küssen: so einfach und herzlich klangen seine worte, so mild und freundlich waren seine züge.

Am andern tage, am 9 november 1853, lief an die adresse des directors folgendes schreiben des curators des lehrbezirkes unter nr. 510 ein:

'Bei meiner revision des hiesigen gouvernementsgymnasiums und der damit verbundenen adligen pension, welche wegen unbequemlichkeit und baufälligkeit des frühern quartiers im gymnasialgebäude untergebracht ist, habe ich folgende wahrnehmungen gemacht:

"Trotz des engen raumes herscht in der anstalt eine musterhafte ordnung und sauberkeit. die schüler haben einen muntern, frischen blick und ihre antworten zeugen von ungezwungenheit und gewandtheit; sie sind in kleidung und nahrung gut gehalten; auszerdem war es mir eine freude ihre reinlichkeit zu bemerken, welche ja immer die physische gesundheit der kinder fördert. was ihre wissenschaftlichen leistungen anbetrifft, so bin ich beim besuch der classen durch ihre antworten auf die ihnen vorgelegten fragen vollkommen befriedigt gewesen. das steigen der frequenz gegen die frühern jahrgänge und die schmeichelhaften anerkennenden urteile über die anstalt aus dem munde von regierungs- und autoritätspersonen in Smolensk legen ein zeugnis ab für die moralische leitung der der aufsicht Ew. hochwohlgeboren anvertrauten kinder. bei revision des in der kreisrentei vorhandenen cassabestandes der schulgelder habe ich alles in bester ordnung gefunden, ebenso wie die cassabücher über einnahmen und ausgaben.

'Indem ich diesen trefflichen zustand des gymnasiums und der adligen pension Ihrem eifrigen dienste und Ihren bemühungen, die Ihnen obliegenden heiligen verpflichtungen als erzieher zu erfüllen, zuschreibe, ist es mir eine angenehme pflicht, Ihnen, hochgeehrter herr und dem herrn inspector meine aufrichtige dankbarkeit auszusprechen in der festen überzeugung, dasz die Ihrer leitung an ver

15 eine in Ruszland leider ungeheuer verbreitete, den fremden reisenden oft zur verzweiflung bringende unsitte ist das viele spucken, mit dem nicht blosz der gemeine mann abscheu, unwillen, ja auch nur verwunderung zum ausdruck bringt; auch auf der bühne kommt es nicht selten vor, gewöhnlich eingeleitet mit der interjection "tfu'!

N. jahrb. f. phil. u. päd. II. abt. 1893 hft. 1.

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traute anstalt auch in zukunft denselben trefflichen principien treu bleiben werde. diese meine dankbarkeit und hoffnung bitte ich Sie auch den herren lehrern und aufsehern zu übermitteln und ebenso auch allen schülern mitzuteilen, wie sehr ich mit ihnen zufrieden bin, wofür ich ihnen auch von herzen danke.'

Dieses schreiben legt ein deutliches zeugnis ab sowohl von dem eingehenden interesse W. J. Nasimows für unterricht und erziehung, als auch von seiner humanität, ja herzlichkeit zu seinen untergebenen und schülern. die schluszworte, welche sich auf die schüler beziehen -"wofür ich ihnen auch von herzen danke' flossen aus einem warmen herzen. dasz dem curator der muntere, frische blick und die ungezwungenheit der schüler des Smolensker gymnasiums so gefielen, ist ein fingerzeig dafür, dasz W. J. Nasimow fragen der pädagogik nicht mit den augen eines soldaten, sondern mit dem blicke eines erfahrenen erziehers betrachtete. nicht ohne grund hatte der scharfblick des herschers ihn in die unmittelbare umgebung des kaiserlichen sohnes, des thronfolgers gezogen.

Auch nach der revision des curators setzte graf B. seine intriguen fort. gereizt durch die behandlung von seiten desselben, schimpfte er überall über ihn, den director und mich und bombardierte den director mit unangenehmen anfragen und schriftstücken, bei deren beantwortung derselbe, ohnehin schon krankhaft gereizt, noch mehr erbittert wurde. alles dies wurde dem weichherzigen und edeln M. A. Philosophow so zuwider, dasz er beschlosz zu weichen, urlaub nahm und wegzog, um nicht wieder zurückzukehren.

So hatte ich denn den kampf allein weiter zu führen. W. J. Nasimow mit seinem feinfühlenden herzen empfand wohl, wie schwer die stellung für einen jungen inspector sein muste, nachdem der director nicht stand gehalten, sondern das feld geräumt hatte. er schickte den inspector der kronschulen des Moskauischen lehrbezirkes P. K. Fedorow nach Smolensk, 'um' wie mir P. K. selbst sagte mich vor den angriffen des ehrencurators zu schützen und hielt ihn in Smolensk über drei monate. P. K. Fedorow war sehr ungehalten und klagte über dieses unthätige leben fern von seinen kindern (er war nur mit seiner frau gekommen) und sagte: 'wozu hat Wladimir Iwanowitsch mich hergeschickt, Sie haben ja selbst haare auf den zähnen und verstehen sich ausgezeichnet zu wehren.' so verwaltete ich denn die ganze zeit das gymnasium und der inspector der kronschulen stand für den fall der not in reserve. man kann in dieser thatsache eben wiederum nur einen zug freundlicher fürsorge W. J. Nasimows für seine untergebenen erkennen: endlich zog P. K. Fedorow nach Moskau zurück, nachdem er wahrscheinlich den curator des lehrbezirks überzeugt hatte, dasz ich schon selbst mit dem grafen B. fertig werden würde.

So blieb ich denn allein und graf B. wurde infolge seiner ewigen berichte und angebereien veranlaszt, seinen posten als ehrencurator aufzugeben.

In der ersten adelsversammlung, welche nach diesem langwierigen kampfe mit dem ehrencurator im februar 1855 stattfand, wurde mir vom Smolenskischen adel eine adresse folgenden wortlautes dargebracht:

"In den letzten tagen haben sich gerüchte verbreitet, dasz Sie beabsichtigen, das Smolenskische gouvernementsgymnasium zu verlassen, in dessen adliger pension unsere kinder ihre erziehung erhalten. diese gerüchte haben die eltern der Ihrer obhut anvertrauten kinder betrübt und erschreckt. Ihre trauer, welcher sie nicht im stande sind ausdruck zu verleihen, ist bis zur adelsversammlung des gouvernements gedrungen. hierbei hat der gouvernements - adelsmarschall, als beständiger zeuge Ihrer unermüdlichen arbeit zum wohle der Ihnen anvertrauten jugend und Ihrer heiszen liebe zu den kindern, es für seine pflicht gehalten, seinerseits vor der versammlung den groszen verlust für die adlige pension zu schildern, wenn Sie dieselbe verlassen. die bitten der eltern vereinigen sich mit den bitten aller edelleute und lauten in einstimmigem rufe: wir wollen Peter Dmitrijewitsch bitten bei uns zu bleiben, unsere kinder nicht zu verlassen. wir ersuchen die herren adelsmarschälle ebenso dringend wie ergebenst, in unser aller namen Peter Dmitrijewitsch zu bitten, dasz er die adlige pension nicht verläszt.

'Peter Dmitrijewitsch! diese zeilen sind die folge des allgemeinen wunsches des adels und eines jeden unter uns.

'Die pension hat unter Ihrer leitung vor unsern augen ihre bestimmung erfüllt, Sie haben es verstanden, in den herzen der kinder den keim der heiligen liebe zu glaube, thron und vaterland zu hegen und zu pflegen. Ihre liebe zu den kindern hat diesen die arbeit des lernens lieb und angenehm gemacht. aus liebe zu Ihnen befolgen sie in heiligem eifer die hohen gesetze der moral, welche Sie ihnen durch Ihr wort und edles vorbild einprägen. Ihre beständige anwesenheit in der pension, Ihre teilnahme und liebe zu den kindern hat diese so sehr mit Ihnen verwachsen lassen, dasz sie sich ohne Sie gar nicht vorstellen können.

'Das sind unsere und des ganzen adels ungeheuchelte gefühle und aufrichtigen überzeugungen. wenn nicht besondere und uns unbekannte dienstliche verhältnisse Sie hindern, so bitten wir Sie ergebenst, die leitung unserer pension nicht aufzugeben, welche dank Ihren unermüdlichen sorgen und anstrengungen eine so hohe stufe erreicht hat.'

Diese adresse trug die unterschrift des gouvernements - adelsmarschalls sowie sämtlicher kreis - adelsmarschälle. 16

Am ostersonntage erhielt ich vom curator des lehrbezirks ein schreiben, in welchem er mir eine sehr scharfe erklärung darüber gab, dasz es mir nicht zustehe, eine adresse von dem adel ohne er

16 "diese für mich so schmeichelhafte adresse stellte ich nirgendswo vor, aber der gouvernements - adelsmarschall schickte eine copie derselben dem curator des Moskauer lehrbezirks ein.'

laubnis meiner oberbehörde entgegenzunehmen, dasz in dieser adresse der Smolenskische adel mich gewissermaszen zum unabsetzbaren inspector oder director mache, während doch meine belassung im dienste des Smolenskischen gymnasiums nicht vom adel, sondern von der unterrichtsbehörde abhänge usw. leider habe ich dies schreiben nicht aufbewahrt: der inhalt des schreibens, das gerade an einem so hohen feiertage anlangte, erboste mich derart, dasz ich es in fetzen zerrisz, was mir nachträglich sehr leid thut. jetzt würde ich viel darum geben, wenn ich es noch hätte, um es wörtlich anführen zu können. ich antwortete dem curator des lehrbezirks auf dieses strenge schreiben mit der darlegung des ganzen sachverhaltes, wie vollständig unerwartet für mich alles gekommen sei.

Ich sasz eines schönen tages in meiner lehrstunde in der gemeindeschule jenseits des Dnjepr, da traten mit einem mal zwei edelleute in uniform ein und forderten mich im namen des adels auf 'vor dem tisch (der canzlei) der gouvernements - adelsversammlung' zu erscheinen.

In früheren zeiten war es häufig vorgekommen, dasz man directoren vor den tisch der gouvernements - adelsversammlung citierte, um ihnen das misfallen des adels wegen schlechter führung der ökonomie im adligen institute, das ja auf kosten des adels unterhalten wurde, wegen des in der pension herschenden schlechten geistes usw. auszudrücken. es ist leicht begreiflich, dasz im hinblicke auf die zerwürfnisse mit dem ehrencurator, der immerhin eine grosze partei auf seiner seite hatte, ich natürlich auf die annahme verfiel, dasz auch meiner eine unangenehme überraschung beim tische der gouvernements - adelsversammlung warte. der aufforderung keine folge leisten hiesz aber den adel reizen. so gieng ich denn.

Bei meinem eintritte in den saal bat mich der gouvernementsadelsmarschall zum tische und forderte darauf den secretär auf zu lesen. dieser verlas die adresse, welche mir dann von dem gouvernements-adelsmarschall überreicht wurde. ich war durch diese adresse tief gerührt und bewegt, dankte bei ihrer entgegennahme dem adel des gouvernements Smolensk für die mir erwiesene, schmeichelhafte anerkennung von herzen, und hielt bei dieser gelegenheit eine kurze tiefempfundene rede, welche ich mit folgenden worten schlosz: 'die adresse des hohen Smolenskischen adels werde ich als ein teures andenken bewahren und sie meinen kindern als heiliges erbe hinterlassen,'

Ich fragte in einem schreiben den herrn curator des lehrbezirks, wie ich denn die adresse hätte nicht annehmen können? hätte ich denn dort vor der ganzen adelsversammlung etwa sagen sollen : lesen Sie nicht, überreichen Sie mir diese adresse nicht, ich werde zuerst die erlaubnis meiner vorgesetzten behörde einholen!?

Auf dieses schreiben erfolgte freilich keine antwort. es circulierten gerüchte, dasz der curator, nachdem er von dem adelsmar

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