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director, der ebenfalls aus dem officierstand ins lehrfach übergegangen war, bei dem director des gymnasiums in Smolensk, M. A. Philosophow. mit besonderem vergnügen erinnere ich mich des leider nur kurzen, gemeinschaftlichen dienstes mit ihm: er behandelte mich schlicht, ehrlich, freundlich.

Ich halte es für angebracht, hier einige bemerkungen in betreff des vorwurfs einzuschalten, den man W. I. Nasimow als curator des lehrbezirks häufig machte, dasz er nämlich seine gymnasialdirectoren so häufig aus dem officierstande geholt habe. 'er ist selbst ein burbon, und wählt darum auch burbone.' es war sogar in jener zeit unter der pädagogischen welt Moskaus eine redensart aufgekommen: 'directores nascuntur, inspectores fiunt.' aber wie ich mich aus den beispielen von baron Reichel und Philosophow überzeugte, wählte W. I. Nasimow zu directoren ehrliche, herzliche und gewissenhafte männer, welche mit erfolg als vorsteher von schulanstalten wirkten; auszerdem werden wir später sehen, dasz er auch inspectoren zu directoren machte. obiger vorwurf ist also unbegründet. beim Smolenskischen gymnasium war eine adlige pension und infolge dessen auch ein ehrencurator', der vom adel auf eine bestimmte anzahl von jahren gewählt wurde. manche ehrencuratoren thaten gar nichts und erschienen nur bei feierlichen anlässen, so dasz die pensionszöglinge, wenn sie in der aula einen fremden herrn in directorenuniform sahen, erstaunt fragten: 'wer ist das?' andere beschränkten ihre thätigkeit darauf, den schülern aufmerksamkeiten zu erweisen, indem sie ihnen confect schickten, weihnachtsbäume aufbauten u. dergl. es gab aber auch solche, welche die erste rolle spielen wollten, die rolle eines vorgesetzten,

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7 der ehrencurator (potschetny popetschitel) war und ist noch heutzutage der vertreter der eine lehranstalt materiell unterhaltenden oder fördernden ständischen oder städtischen corporation (adel, landschaftsversammlung, stadtverwaltung) mit ehrensitz und stimme in der conferenz (dem pädagogischen conseil') in allen fragen, besonders aber in wirtschaftlichen, welche vor das wirtschaftliche comité' director, inspector und drei lehrer competieren. er wird auf drei jahre gewählt, allerhöchst bestätigt, steht mit dem director im gleichen, fünften, rang (staatsrat hochgeboren), hat zu sorgen für den regelmäszigen eingang der subventionen und das materielle wohlergehen der lehranstalt, darf zwar nicht direct in den gang der verwaltung eingreifen, aber schriftlich oder mündlich an den director, die conferenz, das wirtschaftliche comité, den curator des lehrbezirks anträge und vorschläge im interesse der lehranstalt einbringen. er hat auch das recht der controlle über zweckentsprechende verwendung der subventionen und die buchführung. der ehrencurator ist also vorwiegend eine repräsentationsfigur und finanzgrösze.

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in Ruszland tragen professoren und studenten, directoren, inspectoren, lehrer, aufseher und schüler in allen öffentlichen höheren und mittleren lehranstalten uniform ("mundir'), und zwar die directoren im 5n, die inspectoren im 6n, die lehrer im 8n rang, d. h. staatsrat, collegienrat, collegienassessor. jeder tschin hat eine eigne goldstickerei am kragen und ärmelaufschlag.

welchem an den hohen feiertagen (zu neujahr und ostern) director, inspector und lehrer in uniform ihre aufwartung machen sollten. sie mischten sich in alles, erteilten den lehrern und aufsehern grobe verweise und, wenn es sich so machte, wohl auch dem director. zur zahl solcher ebrencuratoren gehörte auch der Smolenskische, graf B. unter dem frühern director, welcher am trunke litt und das gymnasium gar nicht besuchte, und dem frühern inspector, der ein leidenschaftlicher kartenspieler war und seine nächte im club zubrachte, hatte sich graf B. daran gewöhnt, im gymnasium nach seinem gutdünken zu schalten und zu walten, donnerte alle an, drohte den lehrern: ich werde Sie wegjagen, ich brauche nur dem curator des lehrbezirks ein wörtchen zu sagen' kurz, er war der unumschränkte gebieter des gymnasiums.

Der neue director, Philosophow, war zum glück ein alter kamerad des grafen vom cadettencorps her und sie duzten sich. als alten kameraden hatte ihn der im grunde gutmütige, nur äuszerst ehrsüchtige und tactlose graf mit offenen armen aufgenommen. mich empfieng er ebenfalls zuvorkommend, er hatte mich kennen gelernt, als ich vor sechs jahren lehrer der griechischen sprache am Smolensker gymnasium gewesen war. und so bildeten wir ein ziemlich harmonisches trio. um seinem alten kameraden nicht zu nahe zu treten, mischte sich der ehrencurator nicht mehr so angelegentlich in seine geschäfte, wenn er ihm auch zuweilen gute ratschläge gab: 'den lehrer G., bruder, muszt Du unbedingt fortjagen; er ist ein fürchterlicher säufer; sieh nur, er hat ja vom trinken schon eine ganz rote nase.' in wirklichkeit aber trank G. nur thee mit eingemachtem 10, nahm weder schnaps noch wein in den mund, hatte aber ein sonderbares aussehen: er war plump, hatte ein gesicht voll finnen, mit einer blau-roten nase, war dabei jedoch ein guter, fröhlicher, herzlicher mensch und ein kenntnisreicher, eifriger und energischer lehrer. auf solche ratschläge antwortete der director: 'nur geduld, bruder, wir werden schon sehen' und graf B. beruhigte sich. so gieng alles in der ersten zeit friedlich und glatt.

Im auftrage des directors reiste ich im ersten jahre meines dienstes als inspector nach Moskau, um einkäufe für die pension zu machen und dem curator über einige angelegenheiten bericht zu erstatten. dabei konnte ich W. I. Nasimow noch besser kennen lernen. er nahm mich äuszerst freundlich auf, küszte mich, hörte mich aufmerksam an; etwas überraschte mich bei dieser gelegenheit. im eifer des gesprächs hatte ich ihn einmal aus versehen nicht 'Ew. excellenz' tituliert, sondern einfach Wladomir Iwanowitsch genannt, wie wir den curator gewöhnlich nannten, wenn ich mit dem director Philosophow von ihm sprach. und wie grosz war meine überraschung!

9 im russischen 'sapoj', periodischer suff, eine leider gottes auch heutzutage noch vielverbreitete krankheit.

10 tschaj s warenjem' d. i. thee mit eingekochten früchten.

Wladomir Iwanowitsch sah mich an und reichte mir mit kräftigem drucke seine hand. war das nicht herzlichkeit? "1

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Leider dauerte der friede im Smolensker gymnasium nicht lange. es war irgend etwas vorgefallen zwischen der frau des ehrencurators und derjenigen unseres directors. einst, an einem schönen morgen gehe ich mit dem director in die pension von dort fährt eben der ehrencurator ab und fährt mit abgewandtem gesichte an uns vorbei.

'Was hat das zu bedeuten, Michail Alexandrowitsch' — fragte ich. 'Ich weisz nicht, doch ist klar, dasz B. uns mit absicht den rücken gekehrt hat. seit einiger zeit besucht er mich auch nicht mehr, während er früher jeden tag angefahren kam.'

Eine woche später erhielt der director vom curator des lehrbezirks eine anfrage auf grund einer durch den ehren curator eingesandten anzeige über unordnungen in gymnasium und pension. damit fieng es an. es erfolgte denunciation auf denunciation. der ehrencurator denuncierte: der director Philosophow thue rein gar nichts; wenn nicht der sehr thätige inspector da wäre, so wären gymnasium und pension schon längst in gänzlichen verfall geraten; aber der inspector könne nicht viel machen, ihm seien durch den director die hände gebunden.

Gleichzeitig mit diesen denunciationen des ehrencurators trat bei mir ein bekannter edelmann auf, der in nahen beziehungen zu graf B. stand, und bemühte sich, mich gegen den director aufzuhetzen, indem er mir unter anderm mitteilte, wie häszlich sich Philosophow über mich äuszere und wie vorteilhaft graf B. von mir spreche. diese elende intrigue empörte mich. bis dahin hatte ich mich neutral verhalten, jetzt trat ich offen auf die seite des directors. ich wandte mich an den adelsmarschall '2, fürst M. W. Druzkij Sokolinskij, und bat ihn, mir offen zu sagen, ob er mit dem gymnasium und der pension zufrieden sei. der fürst antwortete mir: 'ich bin sehr zufrieden und will auch meinen sohn in Ihre pension geben.' da erzählte ich ihm von dem verhältnis des ehrencurators zum director und bat ihn, wenn er es für thunlich und recht halte, als adelsmarschall dem director einen brief zu schreiben und ihm darin seine zufriedenheit über die leitung der adelspension beim gymnasium auszusprechen. der fürst M. W. Druzkij-Sokolinskij erklärte sich dazu bereit und übersandte wirklich am tage darauf dem director ein schreiben, in welchem er ihm im namen der adeligen eltern für die ausgezeichnete leitung der pension dankte. dieses schreiben, das mit den denunciationen des ehrencurators in so grellem wider

11 die herzlichkeit, über welche Schestakow so entzückt ist, läszt sich für einen nichtkenner der russischen sprache und ihrer feinen abstufungen im gebrauche von vornamen, vatersnamen, familiennamen, amtstitel oder tschintitulatur, schwer nachempfinden.

12 präsident der edelleute eines gouvernements in ihrer ständischen versammlung.

spruche stand, schickte der director im original dem curator des lehrbezirks ein. auszerdem fieng ich an, öffentlich in der gesellschaft von dem vorgehen des ehrencurators zu sprechen.

Hierdurch erbost, änderte graf B. seine taktik. jetzt denuncierte er vorzugsweise mich bei dem curator des lehrbezirks. er berichtete, dasz der inspector den director ganz in seine hand bekommen habe und in dem gymnasium wie in der pension unordnung hersche: so habe er, der ehrencurator, bei einem nächtlichen besuch der pension am so und so vielten viele unordnungen vorgefunden, der dejourierende aufseher habe sogar geschlafen. infolge dieses berichtes schickte der curator des lehrbezirks ein schreiben, in welchem er dem director eine bemerkung und dem inspector einen strengen verweis für die von dem ehrencurator in der pension vorgefundenen unordnungen erteilte.

Wie sehr sich nun auch der edle M. A. Philosophow sträubte, mir dieses schriftstück zu zeigen, so sah ich doch aus seiner verlegenheit, dasz er etwas vor mir verberge und fragte ihn geradezu: 'ist nicht ein verweis für mich vom curator des lehrbezirks eingelaufen?' "woher wissen Sie denn das", fragte verwundert der director. 'ich habe einen traum gehabt, in welchem ich ein schreiben des curators mit einem strengen verweis für mich gelesen habe.' in der that hatte ich einen solchen traum gehabt, wahrscheinlich weil ich unannehmlichkeiten erwartete. auf grund dieses curatorischen schreibens reichte ich nun eine vorstellung ein, in welcher ich auseinandersetzte, dasz der ehrencurator bei seinem nächtlichen besuche in der pension absolut keine unordnungen vorgefunden habe, was schon daraus hervorgehe, dasz er in seinem berichte keine solchen namhaft gemacht habe, und dasz die aufseher nicht dazu verpflichtet seien, nicht zu schlafen. darauf erklärte ich, dasz bei diesem seinem nächtlichen besuch der ehrencurator selbst unordnung in der pension angerichtet habe, da er den aufseher gescholten und angeschrieen und durch sein geschrei die zöglinge aufgeweckt und erschreckt habe, endlich dasz ich über diesen von dem ehrencurator verursachten lärm noch an demselben tage dem director bericht erstattet habe.

Die häufigen denunciationen des grafen B. veranlaszten den curator des lehrbezirks seine revisionsreise nach Smolensk zu beschleunigen; er hatte mir seinen besuch in aussicht gestellt, als ich das letzte mal in Moskau mich von ihm verabschiedet hatte.

Die kunde von der revisionsfahrt des curators des lehrbezirks verbreitete, soviel ich mich entsinne, der ehrencurator. diese kunde jagte dem lehrercollegium einen ordentlichen schreck ein: man fürchtete den einflusz des grafen B., der schon manchem mit dem wegjagen gedroht hatte, wenn er erst einmal den curator des lehrbezirks zu sprechen bekomme. mir steht noch eine komische scene vor augen, bei der ich augenzeuge gewesen bin. ich komme in das lehrerzimmer und sehe: da steht der lehrer G., derselbe, dessen ent

lassung graf B. gewünscht hatte, vor dem spiegel, schüttelt vorwurfsvoll den kopf und sagt: 'ach, du fratze, fratze! sieh'! nun kommt Wladimir Iwanowitsch Nasimow, wird dich sehen und sagen: fort mit dieser rotnasigen, finnigen fratze, es ist ja klar, dasz er ein erzsäufer ist.'

Der curator des lehrbezirks kam in Smolensk an. wir begaben uns mit dem director zu ihm. wir wurden angemeldet und warteten im saal. da tritt der curator heraus, geht zum director, begrüszt sich mit ihm und führt ihn in das cabinet. nach mir sah er nicht einmal hin, als ob an meiner stelle ein schatten dagestanden hätte. nach zehn minuten, nachdem er wahrscheinlich mit dem director über mich gesprochen hatte, kam der curator wieder heraus, drückt mir freundlich die hand, küszt und fordert mich auch auf in das cabinet zu treten. hier hielten wir uns nicht lange auf. 'ich werde gleich zu Ihnen in die pension kommen' sagte er.

Der curator revidierte das gymnasium mit der adelspension drei volle tage. unmittelbar vor seiner anfahrt vor dem gymnasialgebäude, in dem sich auch die pension befand, erschien auch der ehrencurator.

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In der pension besichtigte der curator des lehrbezirks alles: betten, matratzen, bett- und leibwäsche, kleider, die schränke der schüler, ihre bücher und hefte und lobte alles. der ehrencurator wandte sich an ihn mit der frage: 'ist es Ew. excellenz gefällig, das krankenhaus 13 zu besichtigen?' das krankenhaus war äuszerst eng im flügel untergebracht. der curator des lehrbezirks begab sich dorthin, besichtigte alles und wiederholte dabei einigemal: "überall in der pension herscht eine musterhafte ordnung und sauberkeit; nur hier ist es eng, daran ist aber nicht die schulobrigkeit, sondern der adel schuld.'

Dasselbe fand auch statt bei besichtigung des gymnasiums. der curator besuchte die classen, wohnte dem unterricht bei, hörte die antworten der schüler an. dem lehrer G. drückte er nach der stunde und infolge meiner recommendation die hand mit dem worte: 'ich danke'. nach beendigung der revision lobte er im conferenzzimmer, in gegenwart des ehrencurators alles und alle, sprach dem director und inspector seinen dank aus für das gute, frohe und muntere aussehen der zöglinge, ihre haltung, ihre leistungen und ihre ordnung. 'die sauberkeit ist überall mustergültig', sagte er am ende seiner rede und dabei hob er den zipfel der grünen tischdecke etwas in die höhe, wahrscheinlich um auch hier die sauberkeit herausstreichen zu können, fuhr aber mit der hand in den staub, wischte sie rasch am futter seiner uniform ab, liesz die decke wieder

13 bei der pension befindet sich unter der leitung des schularztes ein krankenhaus (Boljniza), bei welchem ein feldscherer mietweise (d. h. nicht etatmäszig) angestellt ist.' § 109 des gymnasial - Ustavs vom 1 juli 1871.

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