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aus dem auf kaiserlichen befehl aufgehobenen Moskauischen adelsinstitut; der gröste teil der zöglinge des in allerhöchste ungnade gefallenen instituts war im gymnasium zurückgeblieben. 'der curator wird uns zerschmettern', meinten die zöglinge der obern classen. der director des gymnasiums, N. M. Konschin, vom Twerschen gymnasium hierherversetzt, hatte es in der ersten zeit noch nicht verstanden, sich mit den zöglingen der obern classen in ein gutes einvernehmen zu setzen und war mit ihnen unzufrieden, folglich konnten sie von ihm unterstützung und fürsprache nicht erwarten.

'Morgen wird der curator kommen', hiesz es im gymnasium, und in der that, der gefürchtete kam vorgefahren. alle schüler waren in der aula versammelt. streng und finster, mit grimmigem blick2, so schien es uns wenigstens in unserer angst, trat er ein und gab sofort den befehl, die neuen schüler, die in das gymnasium eingetreten waren, von den alten, frühern zöglingen des aufgehobenen adelsinstituts zu trennen. dies geschah; die erstern stellte man auf die rechte, die andern auf die linke seite; bei diesen letztern war auch ich, als aufsichtslehrer der siebenten classe (von unten gerechnet) und alle schüler dieser classe, welche sämtlich ohne ausnahme früher zöglinge des adelsinstituts gewesen waren. W. I. Nasimow schritt zuerst zur rechten seite und grüszte die dort stehenden schüler, plötzlich wandte er sich jählings zu uns, finster wie ein ungewitter, und donnerte auf die schüler ein. dann mit zornesblick zu mir gewandt, schrie er: 'und wie haben Sie Ihre aufsicht geführt? wie konnten Sie solche abscheulichkeiten zulassen?' usw. er donnerte mich, so zu sagen, in grund und boden, dann wandte er sich an den director mit den worten führen Sie mich durch das gymnasium'. lehrer, aufseher und zöglinge wandten sich mitleidig zu mir: 'warum hat er gerade Sie so angedonnert? was haben Sie verbrochen?' was sollte ich darauf sagen? Er hat mich angedonnert, weil er die macht dazu hat. ohne zweifel hatte er mich, den er bei den frühern zöglingen des adelsinstituts stehen sah, für einen frühern angestellten des instituts gehalten, während ich doch eben erst als lehrer aus dem Twerschen gymnasium hierherversetzt und zugleich aufseher in der pension des gymnasiums geworden - Als er wieder durch den saal zurückkam, wo wir seine rückkehr erwarteten, warf uns der curator ein grobes 'nehmt Euch in acht' zu, während er von der rechten seite sich mit den worten verabschiedete 'lebt wohl, ich hoffe, Ihr werdet nicht sein, wie jene dort' und fort war er.

war.

Das gerücht, dasz der curator mit seinen untergebenen nicht viel umstände mache, hatte sich also bewahrheitet, es sollte sich aber auch das gerücht bewahrheiten, dasz er militärische disciplin einführen werde.

2 im russischen 'gljadja is-podlobja', 'unter der stirne hervorblickend', ὑπόδρα ιδών.

N. M. Konschin wurde als director des Jaroslawschen lyceums und der schulen des Jaroslawschen gouvernements versetzt. als neuer director des vierten Moskauischen gymnasiums wurde auf vorstellung des curators ein militär, baron A. J. Reichel, vom oberstlieutenant zum hofrat umbenannt, eingesetzt; dieser verlegte sich sogleich eifrig auf militärische disciplin und frontdienst der gymnasiasten und erteilte sogar in der ersten zeit den aufsehern häufig verweise für schlechte militärische haltung' der pensionäre. baron Reichel ist der vater des bei lehrern und schülern lange im gedächtnis gebliebenen geflügelten wortes gewesen, mit dem er den minister der volksaufklärung, fürst Schirinskij-Schachmatow, begrüszte: ich wage zu versichern, durchlaucht, dasz seit einführung der frontmanöver und der marschübungen die schüler gewandter und intelligenter geworden sind.' A. J. Reichel war im grunde ein lieber, guter mensch, äuszerst freundlich gegen die schüler, ein sorgsamer und besonnener erzieher. aber man muste es nur mit ansehen, wie seine kleine schwächliche figur sich verwandelte, wenn er mit zerzaustem haar vor der front der schüler hinschritt. "haaalt' schrie er mit durchdringender fistelstimme 'a-a-a-chtung! augen re-e-e-chts! augen re-e-e-chts! augen gradau-u-us!' - Unter ihm wurden auch classendejouranten eingeführt. beim eintritt des directors oder inspectors in die classe standen die schüler zur begrüszung ihres vorgesetzten in militärischer haltung, die hände an der hosennaht (ruki po schwam), auf und schrieen: wir wünschen gesundheit, Ew. hochwohlgeboren.' der classendejourant trat im tactschritt vor den eintretenden vorgesetzten und rapportierte: 'habe die ebre, Ew. hochwohlgeboren zu rapportieren, dasz in der classe laut namenrolle schüler, davon präsent, im hospital sind.' darauf schwenkte er links oder rechts um und marschierte zu seinem platze. wenn die schüler dem director oder inspector im corridor begegneten, musten sie front machen. zum thee, frühstück, mittag und abendessen gieng man paarweise im schritt. dieser militärische zuschnitt liesz sich ohne grosze schwierigkeiten bei den zöglingen des vierten gymnasiums einführen, wozu, meiner ansicht nach, zwei zöglinge S. und Sch. viel beitrugen, die aus einem cadettencorps gekommen,

3 im russischen armee- und civildienst gibt es seit Peter dem groszen 14 rangstufen (tschiny). beim übergang von dem einen dienst in den andern wird der bisher bekleidete tschin mit dem entsprechenden, gleichwertigen des neuen dienstes vertauscht, umbenannt', so wird aus dem 7n militär-tschin oberstlieutenant der 7e civil-tschin hofrat.

4 etwa den classenprimi, freilich nur für den frontdienst und die marschübungen, zu vergleichen. deschurny, in den Ostseeprovinzen dejourant, ist der wachthabende, die aufsicht führende, an ort und stelle stets vorhandene officier, beamte, lehrer usw. des tages, officier du jour. Bei den russischen gymnasien hat der director die vertretung der anstalt nach oben und auszen, der inspector die oberaufsicht im innern, in der regel auch die leitung der pension, wenn eine solche bei dem gymnasium vorhanden ist.

5 der militärische grusz: 'sdrawie shelajem, wyssokoblagorodie!'

sich darauf trefflich verstanden, bei den kameraden beliebt waren und auf sie einen guten einflusz ausübten. S. und Sch. waren ausgezeichnete ordonanzen und unterofficiere (jefreitory), welche ihre abteilungen bei spaziergängen in strammer militärischer ordnung hielten.

Übrigens erstickten diese manöver und frontübungen nicht die stimme des herzens in A. J. Reichel. er stand in einem sehr herzlichen verhältnis zu seinen collegen und schülern.

Baron A. J. Reichel führte in der pension des vierten gymnasiums theateraufführungen und concerte ein, in welchen die zöglinge spielten und die ein auserwähltes publicum anzogen; er richtete auch eine art semesterprüfungen ein, zu denen er die professoren der universität einlud. während der groszartigen illumination zu ehren des fünfundzwanzigjährigen regierungsjubiläums (1850) des zaren Nikolaj Pawlowitsch versammelte sich in den dachzimmern des hohen gymnasialgebäudes des jetzigen Rumjanzowschen museums eine grosze gesellschaft von militär- und civilgeneralen, da sich von dieser höhe aus eine prächtige aussicht auf das illuminierte Moskau darbot. nach anordnung des directors empfiengen die ältern zöglinge einen jeden gast im vestibul und begleiteten ihn nach oben. unter der menge blitzender ordenssterne hob sich ein in einen schwarzen rock gehüllter hagerer, unansehnlicher mann mit langer nase ab, auf welchen alle vornehmen gäste mit interesse sahen, während ihn die zöglinge geradezu mit den augen verschlangen. das war der berühmte verfasser der toten seelen' N. W. Gogol († 21 februar 1852). ich erinnere mich noch, wie er, ganz versunken in den reizenden anblick des zu seinen füszen liegenden, grandios erleuchteten 'mütterchens Moskau' gedankenvoll ausrief: wie erinnert doch dieser anblick an die ewige stadt!'

Einige zeit nach dem dienstantritt unseres neuen directors erscholl wieder das gerücht: der curator wird kommen. 'nun', sagten zu mir die collegen, 'diesmal wird es anders gehen; unser jetziger director ist beim curator gut angeschrieben; gebt nur acht, der curator wird mit allem zufrieden sein und wird Sie nicht mehr andonnern.'

Der curator kam, besuchte die classen und schlafsäle; ich, als dejourierender aufseher, begleitete ihn überall hin mit dem director und inspector. in den schlafsälen hob er die decken auf, besah die laken und matratzen, ob alles sauber sei. 'trefflich', sagte er zum director, 'alles sauber, gut, in ordnung.' mit einem ruck wandte er sich nach meiner seite und schrie grimmig: 'und was war in Ihrem institute? schmutz, unsauberkeit, dreck.' neben mir stand der ökonom der pension, der auch im adelsinstitute dasselbe amt bekleidet hatte. in dem naiven glauben, dasz der curator sich an ihn wende, trat ich etwas zurück. 'wohin?' sagte der curator, ich spreche mit Ihnen, Sie haben hier allen dreck eingeführt und geduldet.' und in der tonart gieng es weiter. da fielen grimmige worte.

ich stand da, in ehrerbietiger haltung und hörte zu . . . endlich, nachdem er seine zornesschale über mich ergossen, fieng der curator wieder an die jetzige ordnung zu loben und dem director dafür zu danken.

Nach diesem schweren donnerwetter wandte ich mich, sobald der curator abgefahren war, an den director mit der bitte, dem curator des lehrbezirkes vorzustellen, dasz er mich schon zweimal öffentlich ausgescholten habe in der irrtümlichen voraussetzung, ich sei ein früherer angestellter des adelsinstituts, während ich doch an demselben gar nicht gedient und erst im gymnasium selbst meinen dienst angetreten hätte. A. J. Reichel antwortete mir: 'beruhigen Sie sich, morgen werde ich die vorstellung machen und hoffe, dasz Wladimir Iwanowitsch (die Russen sprechen von abwesenden häufig nur mit namen und vatersnamen, ohne familiennamen) Sie nicht mehr schelten wird.'

6

Nach einer woche kam der curator des lehrbezirks von neuem am tage meiner dejour und, da er mich erblickte, sagte er lächelnd: 'führen Sie mich in Ihr gymnasium.' damit schlosz mein dienstliches ungemach im vierten gymnasium. Ein zufall, der an und für sich unbedeutend war, wandte auf mich die besonders wohlwollende aufmerksamkeit des curators. einmal mit meinen zöglingen von einem weiten spaziergange auszerhalb der stadt zurückkehrend, liesz ich sie auf dem boulevard des Petrowskij park in reih und glied treten und wie in der stadt im schritt marschieren. da ich eine grosze zahl von zöglingen bei mir hatte, so schlugen die schüler S. und Sch. vor, sie in zwei abteilungen zu trennen: die eine, vorn, führte Sch., die andere S., bei dieser letztern war auch ich. mit einem mal hören wir: 'wir wünschen gesundheit, Ew. excellenz.' 'wahrscheinlich ist ihnen der curator begegnet', meinten die jungen unserer abteilung, traten stramm auf und setzten sich in positur ... da kam der curator in einer equipage gefahren. auf das commando von S. machten die schüler in zwei gliedern front gegen den curator. er befahl dem kutscher zu halten. 'guten tag, kinder!' 'wir wünschen gesundheit, Ew. excellenz.' der curator rief mich zu sich heran, fragte, woher wir kommen, mit wem die erste abteilung gehe, und nickte den schülern freundlich zu. gewis hatten mich der mir sehr wohlwollende N. M. Konschin, mit dem ich schon in Twer an der ausgabe des Domostroj des popen Silvester gearbeitet hatte, und baron A. J. Reichel beim curator gut empfohlen, aber ich glaube, dasz auch dieser vorfall nicht wenig zu meinem avancement beitrug. zum avancement gratulierte mir der curator auf militärische weise.

In Moskau war zu jener zeit (1852) eine interessante landwirtschaftliche ausstellung in der Manège.

ein vielbesuchter park mit kaiserlichem schlosz einige werst (kilometer) vor Moskan.

Wir führten unsere schüler dahin. wir kamen in die Manège, hübsch ordentlich paarweise, und besahen uns alles. auf einmal entsteht ein geflüster: 'der curator, der curator!' die schüler stellten sich in positur. der curator kam an uns vorbei, drückte mir die hand und sagte: 'guten morgen, inspector!' die schüler und ich glaubten, er habe mich für unsern inspector W. W. Awilow gehalten, obgleich es schwer hielt, uns beide zu verwechseln. als wir aus der Manège herauskamen, sah ich unsern director auf dem trottoir einhergehen. wahrscheinlich aufmerksam geworden durch den tactschritt unserer schüler, sah er auf und winkte mich zu sich. ich erzählte ihm unsere begegnung mit dem curator und fügte hinzu: 'wahrscheinlich hat der herr curator mich für den inspector gehalten und mich mit W. W. Awilow verwechselt.' 'Nein', sagte mit trauriger miene baron Reichel, 'er hat Sie nicht verwechselt, sondern Ihnen gratuliert. Wladimir Iwanowitsch will mich Ihrer berauben, er will Sie irgendwo zum inspector machen und bittet Sie morgen zu sich, um Ihnen seinen entschlusz mitzuteilen. mir fällt es so schwer, mich von Ihnen zu trennen, Sie sind mir eine grosze hilfe gewesen. aber da ist nichts zu machen.'

Am andern tage, am 6 october, erschien ich beim curator. er empfieng mich sehr freundlich.

"Ich habe Sie zum inspector ausersehen. ich habe dem director in Smolensk, Philosophow, versprochen, ihm einen guten inspector zu geben, und wünsche, dasz Sie dorthin gehen. aber der director von Jaroslaw, Konschin, bittet mich auch, Sie ihm als inspector zu geben. ich überlasse Ihnen die wahl, obgleich ich Sie lieber als inspector am gymnasium von Smolensk sähe. überlegen Sie sich die sache und sagen Sie mir, wohin Sie wollen.

Ich kannte N. M. Konschin ganz gut und würde gern unter ihm gedient haben, aber ich wuste auch, dasz mit meiner ernennung nach Jaroslaw der dortige inspector, mein früherer lehrer, seine stelle verlieren würde, und antwortete daher, ohne mich lange zu besinnen:

"Ich werde nach Smolensk gehen, entsprechend dem wunsche Ew. excellenz.'

'Sehr angenehm. heute wird Ihre ernennung ausgefertigt, machen Sie sich auf den weg; der dortige director hat einen energischen und zuverlässigen inspector dringend nötig.'

Der curator drückte mir kräftig die hand und entliesz mich. Am letzten sonntag vor meinem wegzuge aus Moskau wurde ganz unerwartet für mich in der gymnasialkirche nach der messe auf anordnung des directors ein gebet für meine glückliche reise abgehalten. A. J. Reichel und die zöglinge verabschiedeten sich mit warmer herzlichkeit von mir. so war denn offenbar A. J. Reichels herz noch nicht ganz in militärischer disciplin verknöchert, sondern warm und treu geblieben.

Ein ebenso gutes und treues herz fand ich auch bei dem zweiten

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