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mentlicher typen und neutestamentlicher gleichnisse, noch den adel der antike, noch den frischen herzerhebenden duft der damals wiedererblühenden deutschen litteratur, so dasz ihm z. b. auch der von Klopstock wiederbelebte und dichterisch verklärte gedanke des nationalen Deutschtums eine unbekannte grösze blieb.

So wies die bildung dessen, der es unternahm, alle geist und gemüt bildenden elemente für den unterricht in einem besondern elementarbuche zusammenzustellen, bedenkliche lücken auf, die für die lebensfähigkeit dieses seines monumentalwerks um so verhängnisvoller werden musten, als gerade vom ende des vorigen jahrhunderts ab eindringendes verständnis der bibel wie des classischen altertums, nationallitteratur und Deutschtum die mächtigsten und heilsamsten quellen besonders für den höheren unterricht geworden sind.

Der fühlbare mangel einer ästhetisch-feinen gesinnung' tritt nur um so schärfer hervor, wenn Basedow in seinen pädagogischen schriften dem grundsatze 'naturalia non sunt turpia' nur zu sehr huldigt. diese allzu offene, wenig zartfühlende art, geschlechtliche dinge den kindern geflissentlich darzulegen, hat er nicht, wie man wohl denken könnte, aus Rousseaus Emil (1762) entlehnt, sondern wie er in der 'philalethie' (1764) sagt, schon lange vor 1762 seinen und andern kindern gegenüber angewendet; dergleichen wunderlichkeiten, welche gegen die bewährte, aber von ihm geringgeschätzte feinere sitte selbstverständlich nicht aufkommen konnten, sind also wohl ohne zweifel ebenfalls auf seine aus dem mangel guter jugenderziehung entspringende allzu starke naturwüchsigkeit zurückzuführen.

Auch die weitern philosophischen studien des jünglings- und mannesalters haben sein pädagogisches wirken aufs stärkste beeinfluszt. angeregt wohl schon auf dem Hamburger Johanneum, besonders aber auf der universität Leipzig, wo er die hohlheit und schalbeit der damaligen professorenvorträge und akademischen pro

es

2 dieser mangel muste besonders hervortreten, wenn Basedow dichtete, was zu versuchen er sich im interesse seiner philosophischen und pädagogischen bestrebungen öfters gedrungen fühlte. sind zumeist oden- oder kirchenliederähnliche poesien, in denen neben besser gelungenem sich oft geradezu widrige nüchternheiten und geschmacklosigkeiten finden, wie z. b. in einem weniger bekannten gedichte, das in der prakt. philosophie 2e auf. bd. II s. 285 eine reihe ähnlicher oden' eröffnete: 'vorbereitung des menschlichen körpers im verborgenen. kein sterblicher wuste von mir! | nur empfand, die mich gebähren sollte, die schwere des klumpens. | und in erwartung von ähnlichen folgen | dachte sie, sie würde einen menschen gebähren' usw. bei derartigen nach Klopstockscher art, doch keineswegs in geregeltem metrum, gedichteten hymnen läszt man sich die reimlosigkeit gefallen. einen saloppen eindruck aber machen die für den philanthropinbetsaal bestimmten gedichte Basedows, die er, damit es schneller gieng, ohne reime auf die bekannten kirchenliedermelodien verfertigte; er steht damit in der geschichte des deutschen kirchenliedes einzig da (vgl. das lied bei Raumer gesch. der pädagogik bd. III).

motionen verachten lernte, vor allem aber durch die beschäftigung mit den schriften englischer und deutscher naturalisten, wurde Basedow ein begeisterter jünger der aufklärung. wie aus seinen diesbezüglichen hauptwerken, der 'praktischen philosophie für alle stände' (1758) und der 'philalethie' (1764) zur genüge hervorgeht, trug er seine ansichten, in denen er nach dem vorbild seines lehrers Crusius zugleich der philosophie und der religion gerecht zu werden suchte, anfangs noch in einem verhältnismäszig maszvollen tone vor. abgesehen von manchen ihm mehr menschlich erscheinenden dogmen gab er die heilsthatsachen des christentums zu, suchte aber alle confessionellen gegensätze nach möglichkeit abzuschwächen. hierdurch zog er sich die feindschaft gewisser, gerade in seiner holsteinischen heimat einfluszreicher kreise zu. J. C. Meier, sonst sein schärfster gegner, nimmt ihn (a. a. o. bd. I s. 237) gegen dieselben in schutz: Basedow habe auch bei den rechtgläubigen anhänger und verteidiger gefunden, allein da die confessionellen eiferer die oberhand behielten, so sei er auf dieselbe art zum ketzer geworden wie 'die meisten und oft die redlichsten, edelsten und vortrefflichsten männer bei allen secten und parteien: durch verunglimpfung, verfolgung, verlästerung und verleumdung von seiten der orthodoxen, ... die auch hier geburtshelfer beim eintritt eines ketzers in die welt gewesen seien'.

Verbittert durch die von seinen widersachern veranlaszte versetzung ans gymnasium zu Altona, durch seine zurücksetzung im unterricht daselbst, durch seinen ausschlusz vom tisch des herrn und die daraus entspringenden häuslichen mishelligkeiten, geriet Basedow in eine schroffere stellung zu den kirchlichen fragen. ein heftigerer ton spricht aus seinen 1764-68 erschienenen streitschriften, nun erst wird er (nach Max Müller) 'einer der kühnsten vorkämpfer im streite für menschenrechte und menschenwürde, für wahrheitstreue und geistesfreiheit, der von seinen freunden gemieden, selbst mit dem verluste seines amtes, seines einkommens bedroht, die gefahren des kampfes allein auf sich nahm und einen ehrenplatz unter den vorkämpfern der geistigen freiheit im 18n jahrhundert verdient'. im gegensatz zu den englischen deisten tritt er auch jetzt der übernatürlichen offenbarung des christentums keineswegs entgegen, aber das bestreben wird stärker, in der natürlichen religion' unbeschadet der von ihm anerkannten biblischen religion einen gemeinsamen einigungsboden für die drei monotheistischen religionen - also auch für Juden und Muhamedaner zu schaffen und vorschläge für derartigen gottesdienst zu machen.

Ist er auch bei der verwirklichung solcher vorschläge im Dessauer philanthropinbetsaale nicht über ein allgemeines, confessionsloses christentum hinausgegangen, so gewannen doch diese bestrebungen eine ganz erhebliche bedeutung für sein 1768 beginnendes pädagogisches wirken und verleiteten ihn in seinen fundamentalwerken, z. b.

im elementarbuche (buch 4 nr. 17), zu den wunderlichsten entwürfen von allgemeinen 'gottes verehrungen', welche den philanthropismus von vorn herein in einer übermäszig freigeistigen färbung erscheinen lieszen, die er eigentlich gar nicht hatte, die aber seinen gegnern eine willkommene handhabe für wirksame angriffe boten.

Am stärksten jedoch scheint Basedow durch eine von seinen eltern ererbte gemütsanlage beeinfluszt worden zu sein. wie Meier (bd. I s. 164) berichtet, hat seine mutter nach der versicherung aller anverwandten und anderer glaubwürdiger zeugen 'öftere und sehr starke anwandlungen von wahnwitz erlitten, und ist auch in einem heftigen paroxismus von raserei gestorben'; Basedow selbst nennt sie bis zum wahnsinn melancholisch'. mit recht führt daher Goering a. a. o. s. XXI folgendes aus: 'wollen wir kritisch verfahren, so müssen wir nach den heutigen wissenschaftlichen erfahrungen über vererbung, die nicht nur die übertragung körperlicher, sondern auch intellectueller und sittlicher eigenschaften von den eltern auf die kinder constatieren, eine reihe verhängnisvoller züge in Basedows leben auf die unglückliche constitution seiner eltern zurückführen, eines vaters, in welchem ein heftiges temperament nicht einmal durch den einflusz der bildung gemildert wurde, einer mutter, deren geist durch hereditäre belastung oder durch die zerrüttenden folgen rober behandlung von seiten der umgebung abnorm verdüstert war... ist ja schon die gemütskrankheit der mutter eine traurige thatsache, aus der sich auch bei dem sohne manches an geistesstörung grenzende moment erklären läszt.'

Basedow besasz eine durchaus sanguinische, veränderliche natur, ihm fehlte jene geduldige ruhe und zähigkeit, die langsam, aber planmäszig schafft. anhaltend mühsamer, gleichmäsziger thätigkeit, vor allem jeder gedächtnisarbeit abgeneigt, pflegte er seine entschlüsse stürmisch und hastig zu fassen wie durchzuführen, dann konnte er die nacht zum tage machen und unter vernachlässigung der gewöhnlichen lebensbedürfnisse, wie essen, trinken, schlafen, das geplante in kürzester frist durchsetzen. diese, wie Meier sagt, tumultuarische art des arbeitens muste die schon an sich nicht bedeutenden nervenkräfte aufreiben. drohte dann der übermäszig angestrengte organismus zu versagen, so wurden starke reizmittel notwendig, die er leider nur zu oft im kartenspiele und im trunke suchte. gerade aber durch diese unregelmäszige, oft ausschweifende lebensweise wurde seine nervöse hypochondrie verhängnisvoll gesteigert.

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3 Basedow selbst war sich über diese bedauerlichen neigungen vollkommen klar; mit einer gewissen naiven, treuherzigen offenheit schildert er uns, wie er sich um derselben willen für unwürdig hielt, das amt des philanthropinischen liturgen (leiters der gottesverehrungen), das er nach seiner directoriatsniederlegung bis zum jahre 1781 beibehielt, länger zu verwalten; vgl. seine verteidigungsschrift gegen Reiche und Wolke (etwas aus dem archive Basedowscher lebensbeschreibung von ihm selbst' usw., Leipzig 1783) s. 66 ff.: 'ich entzog mich wegen des abnehmens meines gesichts, der beschwerlichen aussprache bei dem

Dieselbe äuszerte sich bei entstehenden widerwärtigkeiten in einer übermäszigen verzagtheit und vorzeitigen verzweiflung: so legte Basedow 1778 beim ausbleiben der vom publicum erhofften geldunterstützung, körperlich wie seelisch fast gebrochen die philanthropindirection nieder. traten aber menschen seinem willen hindernd entgegen, so hielt er um so eigensinniger an seiner ansicht fest, zeigte eine hochgradige reizbarkeit, scheute sich nicht gegen die menschen die schlimmsten beschuldigungen auszusprechen und geriet nicht selten in einen wilden jähzorn, für den es keine mildern rücksichten gibt: so hat vor allem Wolke unter dieser unausstehlichen zanksucht in den jahren 1780-84 zum groszen schaden des philanthropins schwer zu leiden gehabt.

Anderseits gab sich Basedow, so lange noch seine pläne irgendwie durchführbar erschienen, leicht den heiszblütigsten hoffnungen hin. durch den beifall des publicums verwöhnt, gewann er von sich eine übermäszig hohe meinung und verkündigte in hochtrabenden ankündigungen groszartige erfolge. dann entstanden mit sanguinischer hast projecte auf projecte in seinem kopfe. mit vollem recht geiszelt Meier (bd. I s. 232) diese maszlose projecten sucht', die um so verhängnisvoller war, als er sich nicht scheute solche hirngespinste auch zu veröffentlichen. wenn er sie auch oft schon nach kurzer zeit zu verwerfen oder doch wenigstens zu ändern pflegte, im publicum wurden sie für ernst genommen und verfielen nur zu oft dem verdienten fluche der lächerlichkeit.

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mangel der vorderzähne und vornehmlich, weil mein in die augen fallendes leben zuweilen von der äuszerlichen würde abweicht, die ein christlicher liturg immer und allenthalben beobachten musz. ich hatte es selbst gesagt in der einweihungsrede des philanthropinums! ich musz nämlich (so ist meine natur und verwöhnung), wenn mir etwas gelingen soll, nicht anders arbeiten, als mit einer auszerordentlichen anstrengung. dadurch falle ich denn endlich in einen zustand, dasz ich eine vernichtung aller geisteskräfte, sogar der vernunft befürchten musz, wenn ich mich nicht auf eine zeitlang losreisze und zerstreue. eben dieselbe wirkung hat der anfall des starken grams. trinke ich nun in solchem zustand keinen wein oder höchst wenig, so werden meine grübeleien nicht unterbrochen und so bleibe ich in gefahr, gänzlich zu unterliegen. vielleicht liegt eine natürliche ursache darinnen, dasz mich ein auszerordentlich lebhafter vater gezeugt, und eine mehrenteils bis zum wahnsinn melancholische mutter geboren hat. in diesem (trunkenen) zustande

rede ich erst wahr und derb, dann wahr und unvorsichtig, dann wahr und unsittlich, weil ich bis ins 18e jahr unter lauter sehr gemeinen leuten, durch schlechte redensarten, erzogen bin und also jeder unbesonnene affect mich in diese ungeschliffene sprache wieder zurückführt. daher wähle ich zuweilen in solchem drange der gedankennot lieber ein die aufmerksamkeit erzwingendes spiel als den wein. aber muste ich mit dieser schmerzhaften selbsterkenntnis philanthropischer liturg sein oder zu bleiben wünschen? nein!' (gekürzt.) s. 164 erzählt er: als ich noch dem institute vorstand, hatte ich mir das gesetz gemacht, 11 rthlr. in die sportelcasse der professoren zu geben jedesmal, wenn man mir auf dem institute den anfang einer umnebelung ansehen könnte!!"

Schon in der 'prakt. philosophie' (1758) scheut er sich nicht, den concubinat zum schutze der 'familienehre der vornehmen' zu empfehlen, die sklaverei und den sklavenhandel als etwas erlaubtes zu bezeichnen. so machte er in der philalethie (bd. I s. 251 ff.) allen ernstes folgenden vorschlag: man solle, um die seelische entwicklung des naturmenschen zu studieren, säuglinge in der freien natur aussetzen; auszer frauen, die ihnen in den ersten jahren vermummt die nahrung bringen, darf ihnen kein menschliches wesen nahen, keine menschliche sprache ihr ohr erreichen; wie wilde tiere sollen sie aufwachsen, unbekümmert, wie viele von ihnen in den ersten jahren bei dieser unmenschlichen behandlung zu grunde gehen!! 'für ein solches protocoll über 25, 50 oder 100 jahre wollte ich all mein vermögen geben, wenn ich millionen hätte. grausam wäre ein solcher versuch nicht, weder nach der absicht, noch durch die ausführung' (?!). an derselben stelle wird ein anderes nicht minder unsinniges project geäuszert: 'vielleicht würden wir einige vermutungen der philosophen (über den ursprung der seele) zu widerlegen wissen oder zu neuen anlasz haben, wenn man gewisse lebendige wirkungen entsetzlicher laster hätte eine zeit lang heimlich leben lassen, um zu bemerken, ob sie in ihren trieben und vorstellungen mehr ähnlichkeit mit der art des vaters oder der mutter bekämen' (!!). auch die äuszerungen über zeugung usw. gehören hierher, so z. b. der vorschlag, jünglinge durch den anblick gewisser ekelhafter krankheiten, jungfrauen durch kindesmordgeschichten vom laster abzuschrecken. seitenlang werden solche leeren projecte vorgetragen in dem abschnitt des elementarbuchs (bd. II buch 4) über Alethinien': so die wunderlichen ceremonien beim übergang von der groszen in die kleine kindheit, die überspannte symbolik in der einrichtung der betkammer, die beschreibung des alethinischen gottesdienstes mit seiner 'liturgel', einem geradezu putzigen instrumente. im 'philanthropischen archiv' werden für das eben gegründete philanthropin allerlei gesetze entworfen, die in manchen modernen lehrbüchern der pädagogik als wirklich zu stande gekommene einrichtungen aufgeführt werden, aber nur luftschlösser sind: z. b. die einteilung der woche in standes-, reichtums- und meritentage, die gerichtstage der schüler, der monatliche strenge casualtag mit fasten und nichtzubettgehen, das campieren von lehrern und schülern unter zelten im freien jährlich zwei monate hindurch, die geographiestunde auf den aus erde aufgeworfenen halbkugeln u. a. m. doch genug der beispiele; sie lieszen sicht leicht vermehren.

Solche unausführbaren vorschläge finden sich weniger an den stellen, wo Basedow die allgemeinen grund- und leitlinien seiner pädagogik entwirft, als da, wo er speciellere pläne für die praxis vorbringt; dann allerdings erhitzen sich leicht seine gedanken, dasz ein überspanntes project das andere musz gebären! eine nicht geringe excentricität, eine krankhafte richtung in Basedows willen und gemüt

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