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ob sie in diese kategorie gehörte, sondern weil sie vor Heller schon von Fuss (Goethei elegiae s. 170) behauptet und von Düntzer u. a. als fast sicher übernommen wurde. elegie XV 312 f. I 6, 19 f.:

Neu te decipiat nutu, digitoque liquorem

ne trahat et mensae ducat in orbe notas.

Tib.

da bietet uns doch Ovid, ja selbst Properz weit bessere parallelen, die ja teilweise auch Heller anführt. O v. Amor. I 4, 17 ff.:

Me specta nutusque meos vultumque loquacem:

verba superciliis sine voce loquentia dicam:
verba leges digitis, verba notata mero . . .

Amor. II 5, 17 ff.:

Non oculi tacuere tui, conscriptaque vino
mensa, nec in digitis littera nulla fuit.

Ars amat. I 565 ff.:

Hic tibi multa licet sermone latentia tuto
dicere, quae dici sentiat illa sibi:
blanditiasque leves tenui perscribere vino,

ut dominam in mensa se legat illa tuam:
saepe oculos oculis spectare fatentibus ignem.
Heroid. XVI 81 f.:

Orbe quoque in mensae legi sub nomine nostro
quod deducta mero littera fecit AMO.

Prop. IV 23, 17 f.:

Et quaecumque volens reperit non stulta puella
garrula cum blandis dicitur hora dolis.

ich glaube, es ist nicht notwendig, kenntnis der Tibullschen stelle

vorauszusetzen.

Tib. I 6, 9 klingt zu entfernt an elegie XVI v. 358 an, als dasz es sich verlohnen würde, gegenbelege aus Ovid anzuführen. man urteile:

Emsig half ich daran, selbst mir zu schaden bemüht...
v. 5: Iam mihi tenduntur casses: iam Delia furtim
nescio quem tacita callida nocte fovet.

v. 9: ipse miser docui, quo posset ludere pacto
custodes: heu heu nunc premor arte mea.

das ist das ganze !

Das 'unangenehme hundegebell' elegie XVII eingang, das Heller nur bei Tibull I 6, 31 f. und II 4, 32 ff. wiederfindet, weist Düntzer noch bei Horaz epod. 5, 57 und Vergil bucol. 9, 107 f. nach, und ich kann mir daher die mühe sparen, zum überflusz auch auf Properz IV 15, 17 und V 5, 73 hinzudeuten.

WIEN.

(fortsetzung folgt.)

FERDINAND Bronner.

ZWEITE ABTEILUNG

FÜR GYMNASIALPÄDAGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHRFÄCHER

MIT AUSSCHLUSZ DER CLASSISCHEN PHILOLOGIE

HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. HERMANN MASIUS.

13.

ENTWICKLUNG UND BEdeutung DER PÄDAGOGIK JOHANN BERNHARD BASEDOWS IM LICHTE NEUERER FORSCHUNG.

"Erleichterung durch naturgemäsze methode, entlastung vom gedächtnisstoff, turnen und körperpflege, rücksicht aufs praktische leben, erziehung zur patriotischen gemeinnützigkeit, alles unter staatlicher aufsicht', dies etwa ist heute in unserer so brennenden schulfrage die losung der eltern und vieler lehrer, die losung des kaisers. so bahnbrechend sie auch wirken soll, sie ist nicht neu: vor einem jahrhundert bereits hat der prophet der modernen reform, Johann Bernhard Basedow, dieselben schlagworte in gleicher zusammenstellung zündend in die welt geschleudert. kein pädagog der vergangenheit steht den heutigen schulbedürfnissen so nahe wie er, keiner hat dieselben so eindringlich und mit so überraschender richtigkeit dargelegt. gerade in den tagen des neuen curses scheint es geboten, von seinem wirken und wollen ein bisher vermisztes abgerundetes und alle kernpunkte treffendes bild zu geben.

Keine bewegung auf dem gebiete der deutschen pädagogik hat eine solche überfülle von litteratur hervorgerufen wie der philanthropinismus ; die von ihm ausgehenden schriften zählen nach hunderten. Basedow allein hat etwa 45 pädagogische abhandlungen und schulbücher, allerdings von sehr ungleichem werte, erscheinen lassen, die dann bis heute mindestens 50 beurteilungen von freunden wie gegnern veranlaszten, gar nicht gerechnet die darstellungen in den modernen encyclopädien und geschichten der pädagogik. so nimmt es nicht wunder, dasz wie vor hundert jahren auch heute noch die ansichten über Basedows bedeutung ganz verschieden lauten. aber dennoch ist es jetzt leichter als früher in dem gewirr der meinungen einen festen standpunkt zu gewinnen, da gerade in den letzten jahrzehnten eine reihe schätzenswerter, das urteil klärender abhandN. jahrb. f. phil. u. päd. II. abt. 1893 hft. 3.

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lungen erschien. die wichtigsten derselben seien zunächst kurz charakterisiert.

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Max Müller, der berühmte sprachforscher in Oxford, als sohn des dichters Wilhelm Müller ein urenkel Basedows, hat von dessen leben und wirken (allgem. deutsche biographie bd. 2) 1875 in knappen ansprechenden zügen ein bild entworfen, das zwar von warmer verwandtenpietät beeinfluszt ist, im ganzen aber das richtige trifft. Einen neudruck des methodenbuchs und eines teils des elementarwerks hat H. Goering (H. Beyers bibliothek pädagogischer classiker) 1880 herausgegeben; über die entwicklung von Basedows charakter und streben wird eine ausführliche einleitung vorausgeschickt, die bei wärmster anerkennung der verdienste auch seine schlimmen fehler nicht verschweigt, dieselben jedoch billiger weise aus den lebensumständen heraus zu erklären sucht. zu beachten ist das am schlusz gegebene, recht genaue verzeichnis aller 91 Basedowscher schriften. Anläszlich der 37n versammlung deutscher philologen und schulmänner zu Dessau 1884 hielt prof. dr. Gerlach einen vortrag (abgedruckt in diesen neuen jahrbüchern 1885 heft 1) über das Dessauer philanthropin in seiner bedeutung für die reformbestrebungen der gegenwart'; die fein durchdachten und stilisierten ausführungen behandeln in anregender weise den praktischen wert der 1775-93 wirklich ins leben getretenen Basedowideen. Besonders interessant erscheint das stattliche, 597 seiten starke buch von A. Pinloche la réforme de l'éducation en Allemagne au 18 siècle' (1889) nicht blosz, weil es ein Franzose schrieb; wenn es auch hier und da subjective, weniger gründliche stellen enthält, so ist es doch sehr beachtenswert als erster eingehender versuch, den gesamten deutschen philanthropinismus (also auch Bahrdt, Salzmann, Rochow usw.) von seinen anfängen bis zu seiner heutigen nachwirkung in ganz Europa zu betrachten. wie das sorgfältige bücherverzeichnis im anhang beweist, ist dem verfasser trotz der erdrückenden fülle kaum ein einschlägiges schriftchen entgangen, wenn es wohl kaum möglich war alles angeführte genauer zu studieren. Dies scheint bei Pinloche, wenigstens auf den ersten blick, bezüglich zweier recht schätzenswerter schriften weniger der fall zu sein, die zwar im verzeichnis stehen, aber im text nicht genügend anerkannt und citiert sind. beide wurden verfaszt von schülern des herrn prof. H. Masius, leiters des kgl. pädagogischen seminars an der universität Leipzig, und legen treffend die grundlinien der Basedowschen pädagogik dar an der hand eingehender vergleiche mit den systemen des Comenius und Rousseau: G. P. R. Hahn 'Basedow und sein verhältnis zu Rousseau' (Leipziger dissert. 1885) und P. Garbovicianu 'die didaktik Basedows im vergleiche zur didaktik des Comenius' (Leipziger dissert. 1887). namentlich musz die erstere als eine treffliche arbeit hervorgehoben werden, die das bisher verkannte verhältnis Basedows zu Rousseau ins richtige licht rückt und die pädagogik beider scharf

charakterisiert. Aus der nämlichen Leipziger schule ist hervorgegangen: F. F. Nietzold 'Wolke am philanthropin zu Dessau' (Leipziger dissert. 1890); die schrift berührt auch Basedows wirken seit 1774 und stützt sich auf bisher nicht verwertete acten ohne den anspruch, diesen stoff völlig zu erschöpfen; gleichwohl ist sie als dankenswerte und anregende arbeit zu schätzen.

Die folgenden blätter sollen die zerstreuten ergebnisse genannter schriften zum einheitlichen bilde verweben, sowie es durch weitere gesichtspunkte und beobachtungen stützen und vervollständigen; vor allem aber wird auch die bisher weniger beachtete, aber gediegenste schrift Basedows 'die vorstellung am menschenfreunde' einer genauern betrachtung unterzogen werden. um zu dem allen den festen unterbau zu gewinnen, ist zunächt darzustellen, inwiefern die lebensschicksale, charaktereigenheiten und der bildungsgang Basedows die entwicklung seiner pädagogik beeinfluszt haben.

Die hauptzeugnisse von zeitgenossen über sein leben hat Goering a. a. o. s. XIV ff. zusammengestellt und ihren wert ins richtige licht gerückt; noch genauer in der äuszern aufzählung ist Pinloche a. a. o. s. 574 f. die betreffenden schriften lassen sich in drei gruppen teilen: in diejenigen a) aus den jahren 1776-78, wo eine reihe jüngerer mitarbeiter zürnend das philanthropin verliesz und der verzweifelte Basedow die direction niederlegte, b) aus den jahren 1780-84, wo er den häszlichen zank mit Wolke und Reich erregte, und c) aus der zeit unmittelbar nach 1790, wo das abgelaufene leben des eben verblichenen wiederholt beleuchtet wurde.

Sämtliche darstellungen sind mehr oder weniger subjectiv gehalten. aber nur einige, wie die von Du Toit 1790 im philanthropinbetsaale gehaltene, später gedruckte gedächtnisrede, der französische nachruf in der gazette pour la jeunesse, wahrscheinlich von demselben verfasser, die aufforderung im Hamburger correspondenten (5 III 1791) zu freiwilligen beiträgen für ein Magdeburger Basedowdenkmal, befleiszigen sich einseitiger lobeserhebung. aus den übrigen darstellungen, günstigen wie ungünstigen, geht die unleugbare thatsache hervor, dasz der berühmte pädagog von schweren fehlern belastet war, die zwar zunächst nur in seinem privatleben hervortraten, später aber, mit den jahren zunehmend, sein ganzes streben bedauerlich hemmten. anderseits steht es ebenso fest, dasz Basedow trotzdem 'den besten seiner zeit genug gethan'. aus so manchem zeugnis in den werken bedeutender zeitgenossen, z. b. aus der bekannten stelle in 'dichtung und wahrheit' bd. 14, vor allem auch aus den wichtigen jüngst (von prof. dr. O. Franke in diesen neuen jahrbüchern 1892) veröffentlichten briefen geht hervor, wie hoch männer wie der fürst von Anhalt-Dessau, Goethe, Kant, Lavater, Rochow u. a. sein von reicher begabung und ungeheuchelter warmer menschenliebe getragenes streben schätzten. solchen erleuchteten, von höherem standpunkte urteilenden geistern wird ein untrügliches inneres gefühl gesagt haben, dasz Basedows

grosze schwächen nicht zum wenigsten in gewissen naturanlagen und lebensverhältnissen ihre erklärung und entschuldigung fanden. es will freilich wenig sagen, wenn er selbst, von sich eingenommen, wie er nun einmal war, gewisse üble angewohnheiten in diesem sinne zu beschönigen suchte (s. anm. 3); viel schwerer fällt es ins gewicht, dasz z. b. gerade die schmähschrift von J. C. Meier (Basedows leben, charakter und schriften', Hamburg 1791. 2 teile, zusammen über 800 seiten)', welche ihn einseitig auf alle weise herabzusetzen sucht, seine schwächen trotzdem aus erblicher anlage erklärt.

Mit Rousseau hat Basedow wie so manchen zug im wesen und schicksal das gemein, dasz er in früher jugend die mutter verlor, an der seite eines rauhen, ungebildeten vaters eine trübe kindheit verlebte. ohne dasz eine milde, verständige mutter das ungestüme wesen des lebhaften knaben in schranken hielt, trieb sich derselbe bis zum zwölften jahre in den straszen Hamburgs umher, allerlei gassenjungenstreiche verübend, für die er vom vater wie von den lehrern oft aufs schärfste gezüchtigt wurde. hatte diese unzarte, liebeleere behandlung auch die wichtige folge, dasz die erinnerung an sie nicht zum wenigsten die pädagogischen verbesserungspläne in dem verbitterten herzen des jungen mannes aufkeimen liesz, so hat doch Basedow den mangel einer ausreichenden jugenderziehung zu seinem groszen schaden nie wieder ausgleichen können: weder im äuszern benehmen, noch in seiner gesinnung hat er sich als wirklich feinen mann bewiesen. im gegenteil, er liebte es, umgeben vom dunste des tabaks und des stinkschwamms, geflissentlich den naturburschen herauszukehren und sich über die gefälligen, verbindlichen formen der bessern kreise spottend hinwegzusetzen. als lustiger, witziger gesellschafter nicht unbeliebt, neigte er bei fröhlicher runde leicht zu kränkender, der harmlosigkeit entbehrender neckerei und zu lärmender, oft mehr als derber ausgelassenheit. fühlten sich aber empfindsame naturen durch sein poltriges, cynisches wesen verletzt, so zeigte er empfindliche verwunderung oder verächtlichen hohn. zum ärger gereizt, konnte er über den gegner unglaubliche rohe äuszerungen thun und der dienerschaft gegenüber sogleich mit der faust dreinschlagen.

Dieser schwere mangel an feinem vornehmen wesen wurde durch seine studienzeit eher noch verstärkt als gemildert, da ihn als einen jünger der aufklärung die nüchternen, das gefühl wenig veredelnden grundsätze der nützlichkeit und natürlichkeit zu sehr beeinfluszten. so zeigte er fast kein verständnis für alles, was wir classisch nennen: er fühlte weder die ergreifende ruhe alttesta

1 mit recht rät Gervinus (gesch. der deutschen dichtung V s. 380), diese äuszerst subjective schrift mit gröster vorsicht zu benutzen, schlieszt sich aber leider in dem einseitig-tadelnden urteile über Basedow s. 377 ganz an Meier an; dasselbe ist lediglich ein auszug aus jenem giftigen, vom blassen neide dictierten pasquill.

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