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Berühmte römische Pädagogen.

Erst in jener Zeit, als die gefunden Grundsäße altrömischer Erziehung aus dem Volksgeiste gewichen waren, wurde das Erziehungswesen bei den Römern Gegenstand des Nachdenkens. Zu jenen Schriftstellern, die im Hinweis auf die hereinbrechende Entartung in Rom sich mit dem Erziehungsgedanken beschäftigten, gehört

1. Seneca (geb. 2 n. Chr. in Corduba in Spanien).

Er erwarb sich in Rom eine hohe philosophische Bildung und war der Lehrer des nachmaligen Kaisers Nero. In seinem späteren Alter zog er sich ins Privatleben zurück, wurde jedoch in einen Process verwickelt, in Folge dessen er sich auf Befehl Neros (65 n. Chr.) selber den Tod geben musste.

Können wir auch Charakter und Gemüth Senecas nicht bewundern, so gehört er doch zu den bedeutendsten Männern seiner Zeit, der inmitten der Sittenverderbnis die Tugend pries und in seinen Schriften wertvolle Gedanken über Erziehung und Unterricht niederlegte. Nach seiner Anschauung ist der Mensch zum Betrachten und Handeln bestimmt, und die Aufgabe der Erziehung ist, ihn für beides zu befähigen; deshalb ist der Geist wie der Leib sorgfältig zu bilden. (Aus der Bemerkung Senecas, dass beim Lehren der Unterrichtende selbst lerne, ist das bekannte Docendo discimus entstanden.)

„So lange das jugendliche Gemüth noch keine sittliche Stärke gewonnen hat, soll es von dem Umgange mit der Welt möglichst fern gehalten werden, weil ihre Gebrechen die Unerfahrenen anstecken.

Ebenso sollen Kinder Schauspielen nicht beiwohnen, wo sich unter schlüpfriger Darstellung die Laster am leichtesten einschleichen.

Jünglinge müssen sich öfter einem beschauenden Leben hingeben. Mit dem Körper soll man etwas streng verfahren, damit er dem Geist nicht widerspenstig werde.

Gut ist es, wenn junge Leute sich einen edlen Mann zum Vorbilde wählen. Aber auch in der Einsamkeit, die sonst eine Verführerin zum Bösen wird, dürfen junge Leute nicht zu lange weilen.

Man soll nicht unterlassen den Fehlenden die Wahrheit zu sagen. Denn Erkenntnis seiner Fehler ist der Anfang zur Besserung.

Auch wo die Wahrheit keinen Eingang zu finden scheint, schlagen die Herzen oft in sich.

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Es ist nicht genug, seine Bildung begonnen zu haben, man muss sie auch fortseßen.

Es ist besser, wenn ein junger Mensch ernsthaft, als wenn er luftig und in großen Gesellschaften beliebt ist.

Denn wie der Wein, welcher jung herbe ist, später einen angenehmen Geschmack bekömmt, der aber, welcher anfangs süß, einen herben, so ist es auch mit jungen Leuten.

Edle Gemüther lassen sich leicht zum Edlen wecken.

Nicht auf die Zahl, sondern die Trefflichkeit der Bücher kömmt es an, die jemand liest.

Um der Schwachheit der Kinder zu Hilfe zu kommen, soll man oft in Gleichnissen reden.

Man bestrebe sich den verderbten Willen zu bessern.

Man soll ebensowohl den Geist als den Leib üben.

Sollen Lehren der Weisheit und Tugend im Herzen einen guten Boden finden, so muss in demselben zuvor Wahn und Irrthum vertrieben und Ve rstandesbildung bewirkt werden.

Das Gute bei dem Menschen ist nicht eher anzutreffen, bis die Vernunft sich bei ihm ausgebildet hat."

„Es gibt keine größere Wohlthat als die, welche Eltern ihren Kindern erweisen.

Jedoch gleich wie der Landmann die ausgestreute Saat wieder vernichtet, wenn er auf dieselbe keinen Fleiß mehr wendet, so find alle elterlichen Liebeserweisungen umsonst, wenn dieselben sich bloß auf das Kindesalter erstrecken und nicht lange Nahrung geben."

„Je jünger jemand ist, desto leichter kann er sittlich veredelt werden, denn die Tugend ist ihrem Wesen nach dem Menschen natürlich, das Laster aber fremd."

„Durch die Kenntnis der Geschichte legt der Mensch seinem Leben die Lebensalter zu, welche die Menschen vor ihm lebten.“

„Bei der Lectüre kömmt es, wie bei allen geistigen Beschäftigungen, darauf an, in welcher Weise man sie betreibt.

Die Vorschrift: Lass dich nicht zu sehr versplittern! kann hiebei nicht genug beachtet werden.

Nirgend ist, wer überall ist.

Die Lectüre darf nicht zu weit ausgedehnt werden, wenn die Früchte derselben im Geiste haften bleiben sollen.

Nichts steht ja der Gesundheit feindseliger entgegen, als ein zu häufiger Wechsel der Heilmittel, indem dabei eine Wunde nie vernarbt, wie ja auch die Pflanze, die zu oft verseht wird, nie kräftig erstarkt.

Die irren sehr, welche dadurch ihre Bildung zu fördern vermeinen, dass sie so viel als möglich lesen.

Dadurch wird das Ziel um so mehr verfehlt, als die Menge der Bücher den Geist nur zerstreut.

Deshalb soll man sich insonderheit nur an die best en Schriftsteller halten und aus denselben täglich eine Lehre ziehen."

2. Quintilian (geb. 35 n. Chr. zu Calaguris in Spanien).

Gleich Seneca erwarb er sich in Rom eine höhere, namentlich rhetorische Bildung. Er wurde, nachdem er eine Zeitlang als Lehrer in seiner Heimat gewirkt hatte, vom Kaiser Vespasian als Lehrer der Redekunst in Rom angestellt. Seine Ansichten über Erziehung sind in seinem Hauptwerke über Bildung zur Redekunst enthalten. Er verlangt, dass die geistige Bildung des Kindes mit dem frühesten Alter beginne, dass der Unterricht durch das Spiel gefördert, und dass der Zögling von vornherein an eine gute Aussprache gewöhnt werde. Die körperliche Züchtigung verwirft er und redet der öffentlichen Erziehung, gegenüber der Privaterziehung, das Wort. Obenan steht ihm die Erziehung zur Rechtschaffenheit, und die Untüchtigkeit der Menschen führt er mehr auf eine mangelhafte Erziehung als auf geringe Begabung zurück.

„Die Hofmeister, wünschte ich in erster Linie, sollten ganz unterichtet sein, oder aber wissen, dass sie es nicht sind. Denn nichts Schlimmeres kann es für die geben, welche einen Schritt über den ersten Unterricht hinaus gethan haben, als dass sie eine falsche Meinung von ihrem Wissen gefasst haben. Denn sie weichen nur ungern den wirklich erfahrenen Pädagogen und gewissermaßen gestüßt auf den Rechtsgrund ihrer Stellung, in der sich diese Menschenclasse meistens spreizt, werden sie herrschsüchtig und bisweilen grausam und lehren ihre eigene Thorheit. Und diese ihre Unwissenheit schadet auch dem Charakter. So hat ja der Hofmeister Alexanders, Leonidas, ihm einiges Fehlerhafte beigebracht, das an diesem, auch als er erwachsen und der große König war, von seinem Jugendunterricht haften blieb.

Es erhebt sich die Frage, ob es nühlicher sei, zu Haus und in den vier Wänden den Knaben lernen zu lassen, oder ihn einer besuchten Schule und öffentlichen Lehrern zu übergeben. Die, welche gegen das leßtere find, haben zwei Gründe: erstens weil sie mehr für gute Sitten sorgen und darum von einer Schar gleichalteriger Knaben nichts wissen wollen, weil diese leicht auf allerlei schlechte Streiche verfallen; zweitens weil jeder Lehrer seine Zeit ausgiebiger auf einen verwenden wird, als wenn er sie auf mehrere vertheilen muss.

Was das zweite betrifft, so hindert nichts, dass jener Eine doch beständig um den ist, der in der Schule unterrichtet wird. Aber wenn es auch nicht möglich wäre beides zu verbinden, so würde ich doch die Öffentlichkeit und anständigen Umgang der Abgeschloffenheit und dem Alleinsein vorziehen. Denn gerade der Tüchtigste freut sich über die große Zahl und fühlt sich einem größeren Kreise gewachsen. Die jüngeren dagegen schließen sich in dem Bewusstsein ihrer Schwäche meist lieber den einzelnen an und verschmähen es nicht einen Hofmeister anzu= nehmen. Allein geseßt, Einfluss oder Freundschaft oder Geld ermögliche es einem, einen hochgelehrten, unvergleichlichen Lehrer in sein Haus zu bekommen: so würde dieser doch nicht ganz seine Zeit einem Einzelnen widmen können. Oder kann die Aufmerksamkeit des Schülers so gespannt sein, dass sie nicht, wie das Sehen, durch beständiges hinschauen ermüde. Beim Schreiben, Auswendiglernen, Nachdenken hat der Lehrer nichts zu thun; im Gegentheil bei diesen Beschäftigungen stört die Dazwischenkunft eines andern. Auch bei der Lectüre ist nicht durchaus und immer eine Führung oder Erklärung nothwendig. Also ist es nur eine kleine Zeit, in der die Arbeit für den ganzen Tag so zu sagen geordnet wird. Kann also nicht, was jedem Einzelnen mitzutheilen ist, an mehrere zugleich gelangen? Das meiste ist ja gerade der Art, dass es durch die Stimme eines Einzigen auf einmal allen mitgetheilt werden kann. Denn es ist nicht wie bei einer Mahlzeit, dass die Stimme des Lehrers für mehrere weniger ausreicht; sondern wie die Sonne spendet sie allenthalben dasselbe Licht und dieselbe Wärme.

Ich weiß von meiner Schulzeit her, dass es eine nüßliche Einrichtung meiner Lehrer war, wenn sie die Knaben in Classen vertheilt hatten, die Location nach den Leistungen festzustellen. Und je nach seinen Fortschritten declamierte jeder von einem obern oder unteren Plage aus. So entstand unter uns ein gewaltiges Ringen um die Palme. Der erste zu sein in der Claffe, das war vollends herrlich. Und darüber wurde nicht nur einmal entschieden. Jedesmal der dreißigste Tag gab dem Besiegten aufs neue Gelegenheit zum Wettkampf. So erlahmte der obere nicht durch seinen Erfolg, und der Schmerz reizte den Besiegten. Ich möchte behaupten, das habe uns mehr zum Lernen angefeuert, als die Ermahnungen der Lehrer, die Aufsicht der Hofmeister, die Gelübde der Eltern.

Dass die Schüler geschlagen werden, wünsche ich nicht, wiewohl es allgemein üblich ist: fürs erste weil es hässlich und sclavisch ist und ein Unrecht jedenfalls; sodann, weil der, der so wenig Ehre hat, dass er durch Tadel nicht gebessert wird, auch Schlägen gegenüber sich verhärten wird, wie ja eben die schlechtesten Sclaven; endlich weil es dieser Züchtigung nicht bedarf, wenn beim Lernen beständige Aufsicht geübt wird. Jest freilich scheint die Nachlässigkeit der Hofmeister dadurch gut gemacht zu werden, dass die Knaben statt gezwungen zu werden zum Rechtthun, bestraft werden, wenn sie es nicht thun.

Und endlich, wenn die Hofmeister und Lehrer nicht sorgfältig nach ihrem Charakter ausgewählt werden, so wage ich gar nicht zu sagen, zu welchen Schändlichkeiten verworfene Menschen oft dieses Recht zu schlagen missbrauchen, und was für Gelegenheit die Furcht der Ärmsten auch anderen bisweilen gibt.

Der Lehrer fasse vor allem ein väterliches Herz zu seinen Schülern und betrachte sich als Stellvertreter derer, von denen ihm die Kinder anvertraut wurden. Er selbst habe keine Laster. Sein Ernst sei nicht finster, dass kein Hass, seine Heiterkeit nicht ausgelassen, dass keine Verachtung Play greife. Am liebsten unterhalte er sich vom Guten und Rechten. Denn je öfter er dazu auffordert, desto seltener wird er strafen müssen. Er sei nicht jähzornig, verschweige aber auch nicht, was der Besserung bedarf. Er sei einfach im Unterricht, ausdauernd, mehr beharrlich als maßlos. Auf Fragen antworte er genau; solche, die nicht fragen, muss er erst zu sprechen auffordern. Beim Lob der Schüler nicht zu karg und nicht ausschweifend; denn jenes ruft Überdruss an der Anstrengung hervor, das andere Sicherheit. Beim Verbessern des Mangelhaften sei er nicht herb und lasse sich vor allem nicht zu Schimpfworten hinreißen. Denn das schreckt viele von dem gesteckten Ziele ihrer Studien ab, weil manche schmähen, als ob sie die Schüler hassten. Er sage täglich etwas, ja vieles, was die Schüler mit sich tragen können. Denn wenn er noch so viele nachahmenswerte Beispiele aus der Lectüre bietet, so währt doch das lebendige Wort besser, vor allem das Wort eines Lehrers, den die Schüler lieben und verehren. Es lässt sich gar kaum sagen, wie viel lieber wir die nachahmen, die wir gerne haben.

Die Schüler ermahne ich, ihre Lehrer nicht weniger als die Studien selbst zu lieben, und zu glauben, dass sie ihre Eltern zwar nicht im wörtlichen, aber im geistigen Sinne sind. Diese Pietät trägt zum Lernen wesentlich bei. Denn so werden sie gerne hören, den Worten des Lehrers glauben und ihm ähnlich werden wollen; und so werden sie auch gern und freudig in die Schule kommen. Über den Tadel werden sie nicht erbittert, über das Lob werden sie sich freuen. Durch ihren Eifer werden sie es zu verdienen suchen, dem Lehrer möglichst lieb zu werden. Denn wie es dessen Pflicht ist zu lehren, so ist es ihre Pflicht sich ge= Lehrig zu zeigen. Sonst wird das eine ohne das andere nichts ausrichten. Und wie man vergeblich Samen ausstreut, wenn nicht ein zuvor aufgelockertes Erdreich ihn schüßend aufnimmt, so kann die Beredsamkeit nicht erzielt werden, wenn nicht der Gebende und der Empfangende einträchtig zusammen arbeiten.“

3. Die Erziehung bei den alten Deutschen. *)

a) Der Volks charakter der Germanen im allgemeinen. Die alten Deutschen, ein kräftiges, bildungsfähiges Kernvolk, hatten schon vor ungefähr zweitausend Jahren ihre jezige Heimstätte inne. Ihre ursprüngliche Heimat war vermuthlich die Gegend um den Kaukasus und um den kaspischen See. Deutschland war in der Zeit, als es die Römer kennen lernten, von ungeheuren Wäldern durchzogen, in welchen der Aueroche und das Renthier, der Bär und der Wolf hausten.

*) Vergl. Dr. A. Weber. Die Geschichte der Volkspädagogik und der Kleinkindererziehung S. 1 ff.

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