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im römischen Bürger, nicht im Ideal des Menschen, das Ziel der Bildung. Ein Zug der Härte und Gewaltthätigkeit, eine unersättliche Eroberungssucht, eine stete Berechnung des materiellen Vortheiles geht durch ihre ganze Geschichte; sie dreht sich fortwährend um die äußern Güter des Lebens. Während aber Numa 1) den Erwerb derselben auf redliche Arbeit gegründet hatte, suchten die späteren Römer mühelosen Gewinn und seßten zugleich die Genusssucht an die Stelle der altrömischen Enthaltsamkeit. Selbst ihre Religion verlor allmählich die Innerlichkeit und den sittlichen Ernst und wurde beim Volke ein bloßer Werkdienst, bei den Priestern ein Gewerbe, bei den Staatslenkern ein politisches Instrument. Kurz: der Geist des Numa wich allmählich aus allen Sphären des Lebens.

Als nun seit der Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. griechische Cultur zu den Römern kam, erstiegen dieselben zwar nach und nach eine hohe Stufe der Bildung; allein abgesehen davon, dass ihre Wissenschaft und Kunst größtentheils von den Hellenen entlehnt, überdies fast nur ein Luxus der Vornehmen und Reichen war, hielt mit der geistigen und ästhetischen Entwickelung das Sittenverderben gleichen Schritt. Die Römer eigneten sich mit der fremden Cultur zugleich fremde Laster an und beschleunigten dadurch ihren sittlichen und politischen Verfall: ein Verhältnis, das überall wiederkehrt, wo sich ein minder gebildetes Volk ein höher gebildetes, aber schon entartetes zum Lehrmeister erwählt." (Dittes, Gesch. d. Erz. u. d. Unterr. S. 63 ff.)

Die Erziehung der Jugend in der altrömischen Zeit würde an die spartanische erinnern, wenn in ersterer nicht die Familienerziehung vorgewaltet hätte. Der hochgeachteten römischen Mutter fiel der größte Theil der Jugenderziehung zu, und mit welchem Stolz sie in der Mitte ihrer Kinder stand, bezeugt das Wort der edlen Cornelia, die einer mit kostbarem Geschmeide prahlenden Fremden im Hinweis auf ihre Kinder entgegnete: „Und dies ist mein Schmuck!“

Was die Betheiligung des Vaters an dem Werk der Erziehung betraf, so unterwies er den Sohn in den zum praktischen Leben

1) Numa Pompilius nimmt in der römischen Geschichte ungefähr dieselbe Stelle ein wie Lykurg in der spartanischen.

nothwendigen Kenntnissen und in den besonders für den Kriegsdienst vorbereitenden körperlichen Übungen. In den älteren Zeiten nahmen die Väter ihre kleinen Söhne sogar mit in die Senatsversammlung. Später hat wohl selten ein römischer Vater diese edle von den Vorfahren überkommene Sorgfalt bewiesen, wie es von Cato und Cicero erzählt wird: an die Stelle des Vaters war der griechische Sclave als Lehrer getreten. Die väterliche Gewalt war nach römischer Sitte so unbeschränkt, dass Leben und Freiheit des Sohnes in der Hand des Vaters stand. Der Consul Manlius ließ seinen Sohn, der gegen den Befehl des Vaters mit dem Feinde gekämpft und ihn besiegt hatte, zuerst mit dem Siegeskranze krönen und darnach hinrichten.

So athmete wohl vielfach in der alten, strengen Römerzeit das Recht des Vaters gegen den Sohn nicht den Geist der Liebe, aber aus jenem strengen Sinne floss die Achtung, die man vom Knaben und Jüngling nicht nur forderte, sondern die man ihm auch erwies. Achtung wurde dem Knaben gezollt."

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Während der Vater den heranwachsenden Sohn erzog, blieb die Tochter der Mutter überlassen und eignete sich in dem beständigen Umgange mit ihr alle die weiblichen Tugenden an, welche die römische Frau zierten: strenge Ehrbarkeit, Einfachheit, Besonnenheit, Hochherzigkeit der Gesinnung und Sinn für Häuslichkeit.

Was das Haus durch das unmittelbare Beispiel zu thun übrig ließ, das ergänzte die stets neu angeregte Kraft der historischen Erinnerung. Durch die Erzählungen von der Einfachheit und Tugend der Vorfahren wurde die Jugend für das Edle und Gute begeistert und ein lebendiger Patriotismus erregt. So ward aus dem Knaben ein Jüngling, der sich im Elternhause nicht nur Worte oder Lehren, sondern durch das belebende Beispiel die Grundtugenden der alten Römer aneignete: Einfachheit, Enthaltsamkeit und Mäßigkeit.

Mit dem 16. Lebensjahre vertauschte der Knabe unter großer Feierlichkeit die toga praetexta mit der toga virilis und hatte nun ein Probejahr zu bestehen, in welchem er zum Zeichen seiner Be= scheidenheit den Arm in der Toga tragen, in Wahrheit aber durch sein ganzes Verhalten den Beweis liefern musste, dass er zum Eintritt in das Leben würdig sei. Sodann wurde er in das Lager gebracht und zum Kriegsdienst vorbereitet, während er sich in seinen Freistun

Niedergefäß, Geschichte der Pädagogik.

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den an das Gefolge eines tüchtigen Staatsmannes schloss und sich so in die Verhältnisse des öffentlichen Lebens tiefer einführen ließ.

Ein eigentlicher Unterricht in Schulen wurde bei den Römern. bereits seit der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. ertheilt. Es wurde Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt, und anschließend an die beiden erstgenannten Gegenstände wurden ältere Dichter und Schriftsteller erklärt. Außerdem wurden die Geseße der 12 Tafeln auswendig gelernt und Übungen im Singen und im Vortrage von Denkreden auf die Thaten hervorragender Männer angestellt.

So war es in alter Zeit und blieb es so lange, bis Rom auf der Höhe seiner äußeren Entwickelung angelangt war. Als jedoch die Militärherrschaft, aus der das Kaiserreich hervorgieng, hereinbrach, als in der Folge die Römer in dem Genusse der Schäße unterjochter Völker schwelgten, verschwand mit der Einfachheit der Lebensweise die alte Zucht und Sitte; alle Schichten des Volkes, Vornehm und Gering, die Frauen wie die Männer wurden von der Entartung ergriffen.

In dieser traurigen Zeit wurde die Erziehung Fremden, zumeist griechischen Sclaven (Pädagogen), überlassen. Der Pädagoge war der stete Begleiter und Hüter des Kindes; er begleitete den Knaben zur Schule, gieng mit ihm ins Theater und war dessen steter Begleiter im Krieg und auf Reisen. Außer dem Pädagogen wurde in vornehmen Häusern wohl auch ein Lehrer gehalten, dessen Stellung im Hause um wenig besser war als die des Sclaven.

Je mehr das römische Bildungswesen schwand und einem fremden Plaß machte, um so mehr eilte Kom seinem gänzlichen Untergange zu.

Die Religion der Römer.

Die Römer waren von tiefem religiösen Gefühl durchdrungen. Mit frommer Andacht brachten sie anfangs an einfachen Altären den Wesen ihres Glaubens Opfer; als aber nach innen und außen der Staat geordnet, reich und mächtig wurde, da genügte ihnen nicht mehr der Dienst an aufgemauertem Altar und in hölzernen Gotteshäusern, da erhoben sich großartige Tempel, in welchen Einzelne, oder bei festlicher Gelegenheit die Gemeinde durch Opfer und Gebete den Schuß der himmlischen Mächte erflehte. Sie glaubten, dass besonders. drei Gottheiten ihnen mächtigen Schuß angedeihen ließen, nämlich: Quirinus, Jupiter und Mars, die Schirmherren der ganzen Bürgerschaft gegen alle Gefahren, gegen innere wie gegen äußere Feinde. Insbesondere war Quirinus

der Beschüßer der Bürgerschaft, Jupiter, d. h. Himmelsvater, der über das ganze Land seine Wohlthaten ausbreitet, und Mars oder Mamers, der die Herden und Felder segnet und auch den Sieg gewinnen hilft. Drei angesehene Priester, Flamines d. h. Zünder, waren diesen Göttern geweiht. Sie mussten ihnen die Opfer darbringen oder anzünden. Sodann bestand dem Mars, doch auch den andern Göttern zu Ehren, die Priesterschaft der zwölf S alier oder Tänzer, welche im Monat März mehrere Tage lang in seltsamen Aufzügen den höchst anstrengenden Waffentanz durch die Stadt aufführten. Mars war auch Zauberer und Seher der Zukunft. In dieser Eigenschaft hatte er einst menschliche Gestalt angenommen und war als König Picus (Specht) auf Erden umhergewandelt. Ferner stammen von ihm die Zwillinge Romulus und Remus, die er durch Specht und Wölfin, ihm geheiligte Thiere, pflegen und ernähren ließ. Indessen soll er sich zugleich in Romulus als Vater Quirinus` verkörpert haben, wie solches die Götter bei dem unter Donner und Blig erfolgten Verschwinden des Königs seinem Volke offenbarten.

Von dem höchsten Gotte Jupiter werden drei Verwandlungen oder Erscheinungen auf Erden berichtet. Da erschien aus dem fernen Osten Recaranus, ein starker Held, unter dem Hirtenvolke Latiums, bezwang den Näuber Cacus, brachte die geraubten Herden zurück und war der Beschüßer der Hirten und ihres Eigenthums. Er errichtete dem siegbringenden Jupiter am Fuße des aventinischen Berges einen sehr großen Altar, wo er den Zehnten der Beute opferte und solche Opfer, so wie Speisungen des Volkes anordnete. Als er wieder in die Ferne zog, erkannte man, dass es der Gott selbst gewesen sei. Man hat diesen Recaranus später Hercules genannt und mit dem griechischen Herakles für gleichbedeutend gehalten.

Der Vater der Götter und Menschen war auch der besondere Beschüßer seines Latinervolkes. Daher, glaubte man ferner, sei ein Ausfluss seines Wesens, eine seiner göttlichen Kräfte in dem gefeierten König Latinus erschienen und gleichzeitig in Äneas, dem Bringer der troischen Heiligthümer. Beide verschwanden im Getümmel der Schlacht und empfiengen göttliche Verehrung, dieser als Jupiter Indiges (einheimischer Gott), jener als Jupiter Latiaris.") Zu Ehren des Schirmherrn von Latium wurden in seinem Tempel auf dem Albanerberg die großen latinischen Feste gefeiert, zu welchen alle Obrigkeiten Roms und Latiums und eine große Volksmenge zusammenströmten. Wir sehen aus dieser Darstellung des Volksglaubens, wie sehr sich derselbe von dem Glauben der Hellenen unterschied, wie er sich vielmehr der indischen Götterlehre annähert, die so viel von der Fleischwerdung zu erzählen weiß, während jene nur die Entstehung der Heroen durch die Verbindung der Götter und Menschen berichtet.

Außer diesen genannten Wesen verehrte man besonders den Janus, den Eröffner und Beschließer aller Dinge, der an den irdischen Eingängen, wie an den Pforten des Himmels sißt, der Meer und Land aufschließt und die Welt in ihren Angeln bewegt. Er blickt in die Vergangenheit zurück und vorwärts in die Zukunft und wurde daher stets mit zwei Gesichtern dargestellt.

1) oder Latialis; er war der Beschüßer des latinischen Bundes.

Von den Göttinnen, welche den Römern heilig waren, nennen wir nur I uno, die Himmelskönigin, und Vest a, die Bewahrerin des heiligen Herdfeuers in jedem Hause, so wie des Herdes der Stadt in einem Tempel auf dem Forum (Markte) zu Rom, wo Tag und Nacht ihr Feuer von den keuschen Händen der ihr geweihten Vestalinnen unterhalten wurde.

Die römische Götterlehre erblich bei ihrer Unbestimmtheit vor dem Glanze der hellenischen Dichtung. Man nahm diese in den Kreis der Vorstellungen auf. Namentlich fand der Dienst des licht- und heilbringenden Apollo schon frühe, schon unter den Königen in Rom, Eingang. Vielleicht gaben hiezu die sibylli-nischen Bücher Veranlassung, welche man von Cumä ') in griechischer Sprache überkommen hatte. Gleichzeitig oder noch früher entstand die Verehrung der Artemis. Man erkannte in ihr die seit ältester Zeit verehrte Natur-, Waldund Jagdgöttin Diana oder Jana, die weibliche Hälfte des Janus, und verschmolz sie mit der sabinischen Mondgöttin Luna, wie die Griechen Selene mit Artemis. Auf dem Aventinus in Rom stand ihr berühmter Tempel, den schon Servius Tullius als Bundesheiligthum für alle Latiner errichtet. Ein anderes Heiligthum hatte sie gemeinschaftlich mit ihrem Bruder Sol (Helios) in der Nähe des Circus, da man sie als Schirmherrin der Wagenlenker verehrte und selbst als Wagenlenkerin, die Rosse zügelnd, vorstellte.

Über den Zustand der Seelen nach dem Tode waren die Vorstellungen gleichfalls unbestimmt. Man nahm eine unterirdische Schattenwelt an, wo die Manen (Seelen der Verstorbenen) in einem glücklichen Zustand verweilten. Die Manen guter, hochverdienter Menschen, zumal wenn man sie durch Opfer bei dem Begräbnis und am allgemeinen Todtenfeste 2) gefeiert hatte, dachte man sich auch als schüßende Genien ihres Hauses und ihrer Nachkommen und verehrte sie, wie die Penaten, die eigentlichen Schußgötter am häuslichen Herde, der ihnen geweiht war. Wurden die Todtenfeierlichkeiten vernachlässigt, schweiften die Seelen als Lemuren (Spukgestalten) nächtlich umher, bis der betreffende Hausvater sie fühnte. Die Larven dagegen waren Quälgeister, welche Todte und Lebende beunruhigten.

Sie werden auch als die Manen der Verdammten dargestellt. In ihrer scheußlichsten Gestalt heißen sie Lamien, und als solche stellen sie neugebornen Kindern nach, um sie zu verschlingen. Es scheint dies eine Annäherung an etruskische Lehren. Noch mehr war solches der Fall bei der Todtenweihe in Zeiten der höchsten Gefahr, wenn sich z. B. der Feldherr eines wankenden Heeres den unterirdischen Göttern weihte und sofort im Kampfgewühle den Tod suchte und fand. Er erschien dann als siegbringender Schußgeist seinen Waffenbrüdern und trug Schrecken und Entseßen in die Reihen der Feinde.

(Dr. Wilh. Wägner.)

1) Griechische Colonialstadt in Campanien nördlich vom Vorgebirge Misenum, gegründet um 1050 v. Chr.

2) Feralien, eine Art Allerseelentag, am 21. Februar. Man brachte den verstorbenen Verwandten Sühnopfer und ehrte ihre Gräb er.

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