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deren Gegenstände in der genauesten und nothwendigsten Verbindung stehen; dem Individuum hilft es alsdann nichts, ein weites Gewebe der Gelehrsamkeit von verschiedenen Punkten aus bloß angefangen zu haben.

Anders verhält es sich da, wo gewisse Studien die nothwendige Vorberei= tung zu gründlichen Kenntnissen mancherlei Art ausmachen. Da gilt der Schluß: wer sich jener nicht zu bemächtigen im Stande ist, kann auch diese nicht erreichen.

Die Prüfung jugendlicher Fähigkeiten sett ferner eine richtige Methode des Unterrichts, und zugleich ein angemessenes, nicht abstoßendes, persönliches Betragen des Lehrers voraus, damit vermieden werde, Unfähigkeit statt des unrichtigen Verfahrens anzuklagen.

Die seltenen Fälle später Entwicklung zu berücksichtigen, ist schwer; es sei denn, dass körperliche Pflege oder Umherführen in einem größeren Erfahrungskreise und Wechsel der Lehrart gefehlt haben, welches nachzuholen kann versucht werden. Selbst die anfangs aber beschleunigten Fortschritte geben alsdann nicht eher ein günstiges Resultat, als bis deutlich ein lebhaftes eigenes Weiterstreben hinzukommt.

Zu den sittlichen Principien zurückgehend, erwähnen wir hier vorzugsweise der Ideen des Rechtes und der Billigkeit. Diese entspringen aus der Reflexion auf menschliche Verhältnisse und sind deshalb dem frühen Kindesalter weniger zuträglich, da ihm überall die Unterordnung in der Familie entgegentritt. Der Knabe dagegen lebt mehr unter seinesgleichen, und die nöthigen Zurechtweisungen geschehen nicht immer so schnell, daß sie dem eigenen Urtheil nicht Zeit lassen sollten. Freiwilliges Anschließen, persönliches Ansehen und selbst Usurpa= tion der Gewalt zeigen sich im Knabenkreise nicht selten. Von Seiten der Erziehung ist nun Aufklärung der Begriffe und überdies noch Regierung und Zucht nöthig; aber auch ein Unterricht, welcher ähnliche Verhältnisse in der Ferne zeige und ohne Parteilichkeit zu betrachten gebe. Dieser Unterricht muss sich an Poesie und Geschichte wenden.

Auf Geschichte weiset auch eine andere Betrachtung hin. Schon die Idee des Wohlwollens leitet auf die Nothwendigkeit religiöser Bildung; diese lehnt sich an Geschichten, und zwar alte Geschichten. Hiemit wird eine Ausdehnung des Vorstellungskreises in Raum und Zeit gefordert, welche, wenn sie auch sehr unvollständig geschieht, doch für jeden Unterricht, selbst den in der Dorfschule einen Punkt bezeichnet, der allgemein erreicht werden muss.

Der zweite, eben so fest bestimmte Punkt, dessen Wichtigkeit selbst noch das Lesen und Schreiben übertrifft, ist das Rechnen; theils für Klarheit der gemeinsten Erfahrungsbegriffe, theils für den unentbehrlichen ökonomischen Gebrauch.

Das Rechnen nach dem dekadischen Systeme würde höchst wahrscheinlich, die biblische Geschichte ganz gewiss, kein Zögling von selbst erdenken. Beide also müssen als zum synthetischen Unterricht vorzugsweise gehörig angesehen

werden. Bei solchem kommt allemal die Schwierigkeit, denselben in die vorhandenen Vorstellungsmassen sicher eingreifen zu lassen, in Frage. Nun darf man zwar nicht schließen: mit der biblischen Geschichte stehe die ganze Geschichte, mit dem Rechnen die ganze Mathematik überhaupt, also auch pädagogisch in Verbindung. Allein so viel ist gewißß, dass die Wirksamkeit einer Vorstellungsmasse mit ihrer Ausbreitung und mehrfachen Anknüpfung wächst. Biblische Geschichte und Rechnen müssen demnach, in so weit Umstände und Fähigkeiten es erlauben, eine größere Ausdehnung des historischen und mathematischen Unterrichts wünschenswert machen; auch da, wo auf vielseitige Bildung nicht zu hoffen ist.

Die nächste Rücksicht in Ansehung der zu wählenden Lehrgegenstände ist nun ferner auf Poesie und Naturlehre zu nehmen, wobei man sich jedoch sehr hüten muß, nicht die nöthige Stufenfolge zu überspringen. Fabeln und Erzählungen, wie die bekannten von Gellert, wollen ihre Zeit haben; der Geschmack der Knaben darf nicht zu früh dagegen spröde werden. Von der Zoologie knüpft sich das Leichteste und Unbedenklichste schon in den Kinderjahren an Bilderbücher; dem Knaben passt zuerst das Leichteste der Botanik beim Pflanzensammeln. In den untersten Rang aber würden die fremden Sprachen kommen, wenn nicht besondere Verhältnisse ihnen in manchen Fällen eine vorzügliche Wichtigkeit er= theilten. Denn was die alten classischen Sprachen anbelangt, so haftet an ihnen das Studium der Theologie, Jurisprudenz, Medicin, ja die gesammte Gelehrsamkeit so sehr, dass sie in den gelehrten Schulen immer die Grundlage ausmachen müssen.

Übrigens liegt vor Augen, dass der Umfang des Unterrichts von äußeren Verhältnissen des Standes und Vermögens zu sehr abhängt, als daß man die Lehrgegenstände im allgemeinen bestimmt vorzeichnen könnte. Weit weniger abhängig aber ist die Entwicklung des vielseitigen Interresse von den Lehrgegen= ständen; und dem Unterricht bleibt immer noch die Aufgabe, innerhalb gegebener Schranken sich der vielseitigen Bildung anzunähern, während es in sehr günstigen Verhältnissen darauf ankommt, nicht im Überfluß an Hilfsmitteln das eigentliche Ziel des Unterrichts aus den Augen zu verlieren.

Das Knabenalter wird durch den theils nöthigen, theils nüßlichen Unterricht oftmals auf eine Weise gedrückt, die man zwar im gelehrten Stande sich zu verhehlen sucht, die aber anderwärts auffällt, und wobei Muth, Entschlossen= heit, Gewandtheit, Eigenthümlichkeit, Körperbildung und geistige Production wesentlich leiden. Einige wenige Stunden gymnastischer Übung sind kein durchgreifendes Gegenmittel. Die beste Vergütung liegt darin, wenn die Laster des Müßigganges vermieden werden. Schon deshalb, weil hierauf eine besondere Aufmerksamkeit zu richten ist, und nach dem Ergebnis der Beobachtung die Maßregeln zu bestimmen sind, doch auch in jeder andern Hinsicht muss die Familienerziehung gegen jenen natürlichen Druck, welchen auch der gute Unterricht ausübt, mitwirken, und die Schulbildung muß ihr dazu die nöthige Zeit lassen. Von der lezteren mag zwar in Nothfällen ausdrücklich verlangt

werden, dass sie den Knaben vollständig beschäftige. Sonst aber sollen die häuslichen Schularbeiten nicht das größte, sondern gerade umgekehrt das kleinste mögliche Maß ausfüllen; und wie die übrige Zeit anzuwenden sei, darüber haben Eltern und Vormünder nach Beobachtung des Individuums zu bestimmen und die Folgen zu beantworten.

Jünglingsalter.

Ob nun der Unterricht geendigt oder fortgesezt werde: alles, was er wirken kann, beruht jezt darauf, dass der Jüngling selbst einen Wert aufs Behalten und Fortlernen lege. Der Zusammenhang des Wissens, theils in sich, theils mit dem Handeln, mußß also aufs deutlichste vor Augen gestellt sein; und die stärksten Antriebe, um die einmal vorgestreckten Zielpunkte zu erreichen, sind anzuwenden, so lange es nur darauf ankommt, der Trägheit oder Unbesonnenheit zu begegnen. Aber andererseits sind jezt gerade die falschen Motive zu fürchten und zu meiden, welche nur den Schein des Talents erkünfteln würden.

Überdies hört die Nachsicht auf, welche man mit dem Kinde und Knaben hatte. Die ganze Tüchtigkeit des Jünglings kommt in Frage; und seine Stellung in der Gesellschaft soll sich darnach bestimmen; die Schwierigkeit, unter Männern Haltung zu gewinnen, muss ihm fühlbar werden. Pläße, denen er nicht gewachsen scheint, werden ihm streitig gemacht; er ist von Nebenbuhlern umgeben und wird von Erwartungen gespornt, welche zu mäßigen oft schwer hält, und alsdann gerade am nöthigsten ist.

Geht jest der Jüngling, vertrauend auf günstige Umstände, ungeachtet aller Aufforderung, seiner Bequemlichkeit nach: so ist die Erziehung am Ende; und man kann sie nur mit solchen Lehren und Vorstellungen beschließen, welche auf den Fall, daßß künftige Erfahrungen etwa daran erinnern möchten, berech= net sind.

Hat dagegen der Jüngling ein Ziel im Auge: so bestimmen die Lebensformen, die er sucht, und die Motive, die ihn treiben, was man noch für ihn thun könne. Die Ehrenpunkte, die er sich aneignet, stehen zwischen Plänen und Marimen in der Mitte, je nachdem sie mehr nach außen oder nach innen treiben.

Nur in Fällen, wo er durch seine Fehltritte sich beschämt fühlt, ist er noch biegsam. Diese Fälle müssen benugt werden, wo etwas nachzuholen ist. Im übrigen gebietet die Pflicht, ihm die strengen Forderungen der Sittlichkeit unverhüllt vorzuhalten. Völlige Offenheit ist kaum noch zu erwarten, am wenigsten zu fordern. Die Verschlossenheit des Jünglings ist der natürliche Anfang der Selbstbeherrschung.

Geistig verwandt mit Herbart erscheint

Friedrich Eduard Beneke.
(1798-1854.)

Er wurde zu Berlin geboren, gieng vom Gymnasium 1815 als freiwilliger Jäger in den Krieg und studierte nach seiner Zurückkunft Theologie, später Philosophie in Halle, wirkte nach Beendigung seiner Studien als Privatdocent in Berlin und Göttingen und

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Friedrich Eduard Beneke.

wurde 1832 ordentlicher Professor an der Universität zu Berlin. In seiner Erziehungs- und Unterrichtslehre" weist er die Entstehung der Vorstellungen, deren Natur, Verwandtschaft, Bewegung Verbindung und Entwicklung nach, specialisiert hiernach die erzieherischen Thätigkeiten, deren Mittel und Ziele und weist jedem Lehrstoffe seine Bedeutung, Stellung und Behandlung zu.

Beneke fasst den Begriff der Erziehung auf als: die absichtliche, planmäßige Einwirkung von Seiten der Erwachsenen auf die

Jugend, um diese zu der höheren Stufe der Bildung zu erheben, welche die Einwirkenden besigen und überblicken. Beneke legt der Erziehung die höchste Wichtigkeit bei; denn sie ist es, die alles Gute und Böse, das sich im Menschen offenbart, erzeugt. Der Mensch bringt bloß die Fähigkeit, sinnliche Anschauungen zu empfangen, dieselben in sich zu bewahren, nach ihren Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten in sich zu verbinden, zu trennen, zu gruppieren und zu höheren Seelengebilden zu verarbeiten 2c. auf die Welt. Die natürlichen Anlagen sind weder gut noch böse; der Erzieher hat sie zu entwickeln und zu entfalten und dafür Sorge zu tragen, dass sie nicht entarten.

Hervorragende Praktiker der Neuschule.

Gustav Friedrich Dinter. *)

1. Dinter als Pfarrer und Seminar-Director in Sachsen.

Zu den Männern, welche in hervorragender Weise durch ihre praktische Thätigkeit auf dem Gebiet der deutschen Schule hervorragen, gehört Dinter. Er wurde 1760 zu Borna in Sachsen geboren, wo sein Vater Gerichtsverwalter war. Denselben schildert Dinter als einen lebensfrohen Mann und erzählt mit Behagen viele originelle Schwänke von ihm. **) Bei der Erziehung seiner fünf Söhne hielt der Vater besonders auf natürliches Wesen und Unerschrockenheit. Der fähige Knabe benußte eifrig jede Gelegenheit zur Ausbildung seines Geistes zunächst auf der Landesschule zu Grimma, und was er hier begonnen, seßte der strebsame Jüngling auf der Universität Leipzig fort.

Nach wohlbestandener Predigtamts-Candidatenprüfung wurde Dinter Hauslehrer, welche Stellung er als einen für die Vorberei= tung zum Pfarramte sehr zweckmäßigen Übergang bezeichnet.

1787 erhielt er eine Landpfarre in Kitscher. Hier erfüllte er mit wahrer Liebe und Hingebung die Aufgaben seines Berufes.

*) Vergl. A. Schorn. Gesch. d. Päd.

**) G. F. Dinters Leben, von ihm selbst beschrieben. Neu herausgegeben von R. Niedergefäß. Wien, 1879.

Niedergefäß, Geschichte der Pädagogik.

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